atw - International Journal for Nuclear Power | 05.2019
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<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue 5 ı May<br />
282<br />
KTG INSIDE<br />
Inside<br />
| | „Studierenden und Absolventen zuhören und deren Wünsche, Ziele und<br />
Zukunftsvisionen stärker hörbar zu machen, sind für mich zentrale<br />
Anliegen.“ Prof. Dr.-Ing. Jörg Starflinger, Mitglied im Vorstand der KTG und<br />
Ansprechpartner für die Junge Generation.<br />
Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder der KTG,<br />
als neues Vorstandsmitglied möchte ich in der Rubrik<br />
„KTG inside“ über meine Motivation für die Kerntechnik<br />
berichten. Als Universitätsprofessor liegen mir die Ausbildung<br />
und die Entwicklung der Karriere junger Menschen<br />
sehr am Herzen. Ich bin daher sehr gerne Ansprechpartner<br />
für die „Junge Generation“ im KTG-Vorstand. Studierenden<br />
und Absolventen zuhören und deren Wünsche, Ziele<br />
und Zukunftsvisionen stärker hörbar zu machen, sind für<br />
mich zentrale Anliegen. Schließlich gehört den jungen<br />
Menschen die Zukunft – auch in der Kerntechnik … oder<br />
vielleicht doch nicht?<br />
Vor knapp vier Jahren landete eine E-Mail mit einer<br />
Umfrage in meinem Postfach. Mal wieder eine dieser<br />
Spam-Emails, von denen täglich Dutzende das Postfach<br />
zumüllen. Diese war jedoch anders: eine Umfrage im<br />
Rahmen eines BMBF geförderten Projektes zur Erfassung<br />
sogenannter „kleiner Fächer“ an Universitäten. Kleine<br />
Fächer haben einen eigenen Studiengang, ein eigenes<br />
Curriculum, aber wenig Doktoranden, wenig Studierende,<br />
wenig Professorinnen und Professoren. Ich fragte mich:<br />
„Sind wir in der Kerntechnik bereits so weit, dass wir als<br />
‚kleines Fach‘ gelten? Warum werde ich angeschrieben?“<br />
Nach meinen Studierendenzahlen gelte ich sicher als<br />
„ kleines Fach“. Die Zahl der Bachelor-Studierenden sinkt<br />
derzeit massiv. Influencer auf Instagram scheint attraktiver<br />
zu sein als ein Maschinenbaustudium. Die Anzahl<br />
der absolvierten Prüfungen in meiner Kern technik vertiefungsrichtung<br />
im Masterstudium sinkt kontinuierlich.<br />
Die Doktorandenzahlen sind hingegen erfreulicherweise<br />
nicht so stark zurückgegangen, dank erfolgreicher Einwerbung<br />
von Projekten bei der EU und bei nationalen<br />
Förderinstitutionen; hier sind besonders das BMWi<br />
und BMBF genannt. Professorenstellen werden derzeit<br />
gestrichen, ganze Fachbereiche fallen weg: Typischer<br />
Universitätskannibalismus. Vor diesem Hintergrund habe<br />
ich mich damals entschlossen, bei der Umfrage mitzumachen<br />
und habe meine Daten eingegeben.<br />
Ich engagiere mich im European <strong>Nuclear</strong> Education<br />
Network (ENEN), in dem sich über 50 europäische<br />
Universitäten, Forschungszentren und auch einige Unternehmen<br />
im Bereich „Education & Training“ zusammengeschlossen<br />
haben. Ich habe das Thema „sinkende<br />
Studierendenzahlen“ dort thematisiert und erfahren, dass<br />
dies kein rein deutscher Trend ist. Auch in anderen<br />
Ländern, die nicht einmal einen Kernenergieausstieg<br />
vollziehen, sondern Laufzeitverlängerungen genehmigt<br />
bekommen haben, sinkt die Zahl der Studierenden. ENEN<br />
hat deshalb Programme aufgelegt, um das kerntechnische<br />
Studium international attraktiver zu gestalten. ENEN<br />
unterstützt beispielsweise die Mobilität von Studierenden<br />
und Doktoranden zu Konferenzen oder übernimmt Reisekosten<br />
bei Auslandsaufenthalten. Die Zusammenarbeit<br />
mit Schulen soll intensiviert werden, um dort Themen wie<br />
Strahlung und Kerntechnik zu vermitteln.<br />
Wie könnte diesem negativen Trend der Studierendenzahlen<br />
an den Universitäten entgegengewirkt werden?<br />
Zum einen könnten nationale Programme im Bereich<br />
der Ausbildung und Studierendenförderung aufgelegt<br />
werden. Zu diesen Bottom-up-Ansätzen, die bereits<br />
bei ENEN einige Vorbilder haben, ist aber auch ein Top-<br />
Down-Ansatz er<strong>for</strong>derlich. Wir sollten eine „Strategie<br />
zur Kompetenzentwicklung in der Kerntechnik 2050“ erarbeiten.<br />
In diesem Prozess sollten nicht nur Univer sitäten,<br />
sondern auch Unternehmen, die sich proaktiv der Entwicklung<br />
neuer Technologien in der Kerntechnik widmen,<br />
beteiligt sein. Weitere „Stakeholder“, wie Vertreter von<br />
Bund und Ländern, letztere sind bekanntlich für Universitäten<br />
zuständig, sind unbedingt einzubinden. Auch Behörden,<br />
die sich zukünftig mit Zwischenlagerung und Endlagerung<br />
beschäftigen, gehören an einen runden Tisch, der<br />
diesen Top-Dow-Ansatz erarbeitet. Ein Endlager haben<br />
wir erst 2070 – vielleicht. Was müssen wir dann noch<br />
wissen (Education) und können (Training)? Von diesem<br />
Top-Down-Ansatz muss das klare zukunfts gerichtete<br />
Signal ausgehen, dass wir auch weiterhin junge motivierte<br />
Menschen brauchen, die von der Kerntechnik fasziniert<br />
sind und in unserer Branche arbeiten wollen.<br />
Was passiert, wenn uns das nicht gelingt? Es entsteht<br />
eine demographische Lücke. Mit etwa 2 bis 2,5 Jahren<br />
zeitlicher Verzögerung (durchschnittliche Dauer eines<br />
Masterstudiums) werden dann Unternehmen, Gutachter<br />
und auch Behörden feststellen, dass der Markt leer ist. Das<br />
aktuellste Beispiel scheint gerade der Strahlenschutz zu<br />
sein, wo es kaum geeignet qualifizierte Personen auf dem<br />
Arbeitsmarkt gibt. Unter der Annahme, dass ohne Verzögerung<br />
gehandelt wird, werden dann wiederum 2 bis<br />
2,5 Jahre vergehen, bis neue hochqualifizierte Personen<br />
auf den Arbeitsmarkt kommen. Die entstehende Lücke<br />
ist vier bis fünf Jahre lang. Wenn nun noch Lehrstühle<br />
wegfallen, entsteht eine noch längere Lücke (bestimmt 15<br />
Jahre). Hinzu kommt, dass im europäischen Umfeld<br />
Kraftwerke gebaut (Finnland, Ungarn, Frankreich …) und<br />
bei einer Nichtbesetzung der Lehrstühle und bei zu<br />
geringem Nachwuchs auch hier die Expertise verloren<br />
geht. Gerade vor dem Hintergrund der Langfristigkeit<br />
der Aufgaben in unserer Branche muss auch die strategisch<br />
ausgerichtete Langfristigkeit der kerntechnischen<br />
Ausbildung sicher gestellt werden. Dieses gilt selbstverständlich<br />
auch für die berufliche Ausbildung, die<br />
nicht minder wichtig ist, für die ich allerdings keine<br />
Zahlen habe.<br />
Ich halte die KTG und ihre Mitglieder, die Unternehmen,<br />
Forschungseinrichtungen und Universitäten<br />
repräsentieren, für das richtige Forum, von dem Impulse<br />
zu einer „Strategie zur Kompetenzentwicklung in der<br />
Kerntechnik 2050“ ausgehen kann. Nutzen wir doch diese<br />
Chance durch Gespräche, beispielsweise auf dem 50 th<br />
AMNT in Berlin.<br />
KTG Inside