09.12.2019 Views

atw - International Journal for Nuclear Power | 11/12.2019

Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com

Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information.

www.nucmag.com

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue <strong>11</strong>/12 ı November/December<br />

508<br />

EDITORIAL<br />

TMI und Lessons Learned – danach<br />

und für die Zukunft<br />

Keine technische Entwicklung ist von vornherein perfekt, jede birgt spezifische Risiken. Ein verantwortungsvoller<br />

Umgang mit Technik er<strong>for</strong>dert daher einen verantwortungsvollen und vorausblickenden Umgang mit ihren<br />

Risiken, bestmöglichen Schutz und ggf. auch spätere Weiterentwicklung. Dies bedeutet jedoch auch, dass es eine<br />

absolut perfekte Technik nicht gibt, ebenso keine absolute Sicherheit.<br />

Mit Blick auf Kritik an Technologien liefern Jahrestage gerne<br />

Technologieskeptikern einen kom<strong>for</strong>tablen Ansatz, ihre<br />

jeweiligen Anliegen zu transportieren. Ein solches Ereignis<br />

ist auch der Three-Mile-Island (TMI 2)-Unfall von 1979.<br />

Am 28. März 1979, kurz nach 4 Uhr morgens, fiel im<br />

Block 2 des US-amerikanischen Kernkraftwerks Three Mile<br />

Island (TMI 2) nahe Harrisburg, Pennsylvania, die<br />

Speisewasser versorgung der Dampferzeuger aus. Eine<br />

solche Störung ist in den Betriebsabläufen vorausblickend<br />

berücksichtigt und kann von Anlage und Operateuren ohne<br />

Weiteres bewältigt werden. Das Ereignis gehört zu den<br />

Auslegungsfällen. Doch was als normale Störung begann,<br />

entwickelte sich im weiteren Verlauf aufgrund einer Kombination<br />

aus technischen Mängeln, mensch lichen Fehlern und<br />

organisatorischen Unzulänglichkeiten zum bis dahin schwerwiegendsten<br />

Unfall in einem west lichen Kernkraftwerk.<br />

Die technischen Aspekte zum TMI-2-Unfall sind ausgiebig<br />

aufgearbeitet und können in der Literatur detailliert<br />

nachvollzogen werden: Nach dem Ausfall der Speisewasserversorgung<br />

reagierten die Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks<br />

auslegungsgemäß. Aufgrund versehentlich<br />

manuell Vor-Ort geschlossener Ventile im Notspeisewassersystem<br />

fehlte aber die Bespeisung der Dampferzeuger und<br />

damit ein Glied in der Kette für die Nachwärmeabfuhr des<br />

zwar abgeschalteten aber durch die Nachzerfalls wärme<br />

immer noch Wärme liefernden Reaktors. Dieser Fehler<br />

wurde 8 Minuten nach Störungsbeginn korrigiert. In<br />

weiterer Folge kam es durch den Druckanstieg im Primärkreislauf<br />

zum Öffnen des für diesen Fall vorgesehenen<br />

Sicherheits-Abblaseventils am Druckhalter, dem Entweichen<br />

von Dampf aus dem Primärkreislauf und der<br />

beabsichtigten Druckabsenkung. Das geöffnete Abblaseventil<br />

schloss aber folgend nicht auslegungsgemäß. Über<br />

diesen Weg entwichen große Mengen Kühlmittel aus dem<br />

Primärkreislauf – ein Loss of coolant accident „LOCA“ war<br />

eingetreten. Erst 2 Stunden später wurde er durch die<br />

Operateure erkannt und durch Schließen weiterer vorhandener<br />

Absperrarmaturen korrigiert. Nach weiteren<br />

Fehlinterpretationen über den Zustand von Reaktorkern<br />

und Primärkreislauf war der Kern nicht mehr durch Wasser<br />

gekühlt und die dann einsetzende exotherme Reaktion<br />

zwischen Wasserdampf und dem Hüllrohrmaterial der<br />

Brenn elemente setzte zusätzliche Wärme frei. Etwa die<br />

Hälfte der Brennstabmasse im Kern schmolz bzw. wurde<br />

schwer beschädigt. Kernmassen verlagerten sich und<br />

erreichten teilweise den Boden des Reaktordruckbehälters,<br />

wo sie erstarrten. Nachdem erkannt worden war, dass eine<br />

Kernschmelze in vollem Gange war, wurden Maßnahmen<br />

zur Kernkühlung ergriffen und es gelang, die Wärmeabfuhr<br />

des TMI-2-Kerns wieder langfristig zu gewährleisten.<br />

Von den in der Anlage frei gesetzten radioaktiven<br />

Stoffen gelangte ein geringer Teil in die Umgebung.<br />

Ausgelöst durch die Ängste der mit der Freisetzung<br />

verbundenen zusätzlichen Strahlenbelastung von berechneten<br />

im Mittel 0,02 mSv – also etwa 1 % der natürlichen<br />

jährlichen Strahlenbelastung – führte das Pennsylvania<br />

Department of Health während 18 Jahren ein Register mit<br />

den Daten von mehr als 30.000 Personen, die zum Zeitpunkt<br />

des Unfalls im Umkreis von fünf Meilen um das<br />

Kernkraftwerk gelebt hatten. Dieses staatliche Register<br />

wurde im Juni 1997 geschlossen, nachdem keine ungewöhnlichen<br />

Entwicklungen bei der Gesundheit festgestellt<br />

worden waren. Mehr als ein Dutzend Studien über die<br />

Auswirkungen des Unfalls auf die physische Gesundheit<br />

gaben auch Jahre nach dem Ereignis keine Hinweise auf<br />

eine abnormal hohe Zahl von Krebsfällen in der Region um<br />

das Kernkraftwerk.<br />

Trotz aller Unzulänglichkeiten und Fehler die zum TMI-<br />

2-Unfall führten, bestätigte sich einerseits das grundlegende<br />

frühzeitig etablierte Sicherheitskonzept westlicher<br />

Kernkraftwerke: Die aus der Anlage freigesetzte Menge an<br />

radioaktiven Stoffen war gering und weder Todesopfer<br />

noch Verletzte waren zu beklagen. Und andererseits<br />

unterstreicht der Unfallablauf den Sinn hintereinander<br />

gestaffelter Sicherheitsbarrieren, die unter Berücksichtigung<br />

auch schwerer Unfälle, den Einschluss der radioaktiven<br />

Stoffe in der Anlage selbst zum Ziel haben: Das<br />

Reaktorgebäude von TMI-2 hielt stand, der Sicherheitsbehälter<br />

blieb intakt.<br />

Zudem haben Forschung und Entwicklung für die<br />

Reaktor sicherheit in den letzten 40 Jahren die Risiken<br />

im internationalen Kontext weiter minimiert: In Zahlen<br />

ausgedrückt wurde selbst für laufende Anlagen in<br />

Deutschland und anderswo ein Sicherheitsniveau erreicht,<br />

das um den Faktor 100 höher liegt, als das ursprüngliche<br />

inter nationale Referenz niveau. Daran ändert auch die<br />

Reaktorhavarie von Fukushima 20<strong>11</strong> nichts, da andere<br />

absehbare Ursachen und spezifische Rand bedingungen<br />

Auslöser waren.<br />

Sicherheit ist und bleibt dabei eine international zu<br />

lebende Aufgabe für alle Beteiligten. Kerntechnische<br />

Sicherheit und der Erhalt und die Förderung von<br />

Kompetenzen, vor allem dann, wenn sie mit exzellentem<br />

Know-how in Forschung und Entwicklung vorhanden und<br />

international anerkannt sind – wie in Deutschland –<br />

gehören auf gleicher Ebene zur gesamtgesellschaftlichen<br />

und politischen Verantwortung wie andere Ziele des<br />

Umweltschutzes. Heutige und künftige Sicherheit und<br />

Förderung von Sicherheitskultur und -technik, auch für<br />

die Kerntechnik, können und dürfen nicht Gegenstand<br />

eingeschränkten oder beschränkenden Handelns sein.<br />

Forschung und Entwicklung sollte immer im Geist der<br />

Freiheit von Wissenschaft und Technik vorgetrieben<br />

werden dürfen.<br />

Christopher Weßelmann<br />

– Chefredakteur –<br />

Editorial<br />

TMI und Lessons Learned – danach und für die Zukunft

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!