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ALFA E.V. MAGAZIN - LEBENSFORUM / 139 / 03/2021

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Nr. <strong>139</strong> | 3. Quartal <strong>2021</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 5,– E B 42890<br />

Ausland<br />

Kinder für alle<br />

in Frankreich<br />

Politik<br />

Das steht in den<br />

Wahlprogrammen<br />

Gesellschaft<br />

Mutige<br />

Mütter<br />

ABTREIBUNG IN DER EU<br />

Tödliche Logik<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V.<br />

1<br />

www.alfa-ev.de


INHALT<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

TITELTHEMA<br />

POLITIK<br />

GESELLSCHAFT<br />

Tödliche Logik<br />

4<br />

Mit 378 gegen 255 Stimmen hat<br />

das Europäische Parlament am<br />

24. Juni den Matić-Bericht angenommen.<br />

Mit der Annahme des Matić-<br />

Berichts ist der Abtreibungslobby eine<br />

Frontverschiebung im Stellungskrieg<br />

um das Recht auf Leben gelungen.<br />

Von Stephan Baier<br />

»Anschlag«,<br />

»fatales Signal«<br />

8<br />

Lebensrechtler und kirchliche<br />

Verbände aus Deutschland und<br />

Österreich haben die Annahme des<br />

Matić-Berichts durch das Europäische<br />

Parlament in Brüssel scharf kritisiert<br />

oder gar verurteilt.<br />

Von Sebastian Sander<br />

So haben die<br />

Abgeordneten gestimmt<br />

10<br />

Linke, Sozialisten, Grüne<br />

und Liberale stimmten im<br />

Europäischen Parlament<br />

geschlossen für den Matić-Bericht,<br />

Konservative und Christdemokraten<br />

votierten überwiegend dagegen.<br />

Drum prüfe,<br />

wer sich bindet …<br />

14<br />

Am 26. September ist<br />

Bundestagswahl. »Lebens-<br />

Forum« wirft daher einen Blick in die<br />

Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD,<br />

AfD, FDP, Linkspartei und Bündnis 90/<br />

Die Grünen sowie in die der Freien<br />

Wähler, der ÖDP und von Bündnis C.<br />

Von Michael Maximilian Sabel<br />

AUSLAND<br />

Weder bio noch ethisch<br />

20<br />

Nach zwei Jahren Arbeit hat<br />

das französische Parlament<br />

Ende Juni mit 326 gegen 115 Stimmen<br />

bei 42 Enthaltungen ein neues Bioethikgesetz<br />

verabschiedet, das zutiefst<br />

frauenfeindlich ist.<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

Mutige Mütter<br />

24<br />

Die in der Schweiz lebende<br />

Hebamme Maria Grundberger<br />

weiß, wann ungewollt schwangere<br />

Frauen sich für ihr ungeborenes Kind<br />

entscheiden. Seit 20 Jahren berät<br />

Grundberger Frauen in Schwangerschaftskonflikten.<br />

Von Maria Grundberger<br />

2 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


EDITORIAL<br />

Es gibt viel zu tun!<br />

WISSENSCHAFT<br />

Ziemlich peinlich<br />

26<br />

Die Nationale Akademie der<br />

Wissenschaften Leopoldina<br />

und die Union der deutschen Akademien<br />

der Wissenschaften haben eine<br />

Stellungnahme vorgelegt, die von der<br />

Politik eine »Neubewertung des Schutzes«<br />

künstlich erzeugter Embryonen<br />

fordert.<br />

Von Stefan Rehder<br />

WEITERE THEMEN<br />

12<br />

30<br />

32<br />

34<br />

35<br />

Bioethik-Splitter<br />

Bücherforum<br />

Kurz vor Schluss<br />

Leserforum<br />

Impressum<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

»Im Westen nichts Gutes« – so lautet<br />

der Titel des ALfA-Podcasts »LifeTalks«,<br />

in dem wir im Juni über die Abstimmung<br />

im Brüsseler EU-Parlament zum<br />

Matić-Bericht informiert haben. Mit<br />

dem lapidaren Satz »Der Matić-Bericht<br />

wurde angenommen« wurde Europa<br />

eine neue Wirklichkeit verkündet. Der<br />

Sturm, zu dem die Abtreibungslobby<br />

in Europa geblasen hatte, hinterlässt<br />

eine Schneise der Verwüstung, die so<br />

einfach nicht zu beheben ist. Dass diese<br />

Abtreibungslobby intensiv am Werk<br />

war, ergibt sich aus dem Redebeitrag<br />

der irischen EVP-Abgeordneten Frances<br />

Fitzgerald, die sich zunächst bei<br />

ihrem Kollegen Matić für seine Anstrengungen<br />

und Arbeit bedankte, um<br />

dann zu erläutern, dass viel Lobbyarbeit<br />

stattgefunden habe. Wir berichten<br />

ausführlich über die Hintergründe, das<br />

Abstimmungsverhalten der Europaparlamentarier<br />

und die Reaktionen aus Kirche,<br />

Politik und Gesellschaft (S. 4 ff.).<br />

Auch weiter südlich im Westen gibt<br />

es nichts Gutes: Nur kurze Zeit später<br />

stimmte die französische Nationalversammlung<br />

einem Bioethikgesetz zu,<br />

das den Namen nicht verdient. Im ursprünglichen<br />

Text des Gesetzes wurde<br />

die Formulierung, nach der es kein<br />

Recht auf ein Kind gibt, gestrichen, dafür<br />

ist dieses Kind jetzt in seiner frühesten<br />

Form – als menschlicher Embryo<br />

– nur noch ein Produkt, das nach<br />

Belieben verwertet oder vernichtet werden<br />

kann; sei es, um als Forschungsobjekt<br />

zur Verfügung zu stehen, um bei<br />

ungewollter Schwangerschaft entsorgt<br />

zu werden oder aber um den Wunsch<br />

nach einem »eigenen« Kind bei Paaren<br />

oder Einzelpersonen aller Art zu stillen<br />

(S. 20 ff.).<br />

Dass diese Entwicklungen im Westen<br />

Europas Auswirkungen auf Deutschland<br />

haben werden, ist sehr wahrscheinlich.<br />

Leider lässt ein Blick in<br />

die Wahlprogramme der meisten Parteien,<br />

die zur Bundestagswahl kandidieren,<br />

keinen anderen Schluss zu.<br />

Für führende Vertreter der Grünen wie<br />

Ulle Schauws gibt es schlicht keinen<br />

Grund, ungeborene Kinder zu schützen.<br />

Sie forderte, auch im Bildungsauftrag<br />

für junge Menschen<br />

müsse klar sein, dass die<br />

Frage, ob eine Schwangerschaft<br />

abgebrochen wird<br />

oder nicht, keine moralische<br />

ist. Mit einer solchen<br />

Äußerung verlässt sie die<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,<br />

steht aber in trauter Einigkeit<br />

neben der Nationalen<br />

Akademie der Wissenschaften<br />

Leopoldina, die<br />

in ihrer jüngsten Stellungnahme dem<br />

künstlich erzeugten Embryo ein Recht<br />

auf Leben abspricht, um ihn für die Forschung<br />

verfügbar zu machen (S. 26 ff.).<br />

Bemerkenswert ist auch, dass CDU/<br />

CSU in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm<br />

zum Thema Schutz des ungeborenen<br />

Lebens rein gar nichts zu sagen<br />

haben (S. 14 ff.).<br />

Um doch im Westen etwas Gutes zu<br />

entdecken, muss man weit reisen. In<br />

Irland hat der parlamentarische Justizausschuss<br />

einen Gesetzentwurf zum<br />

assistierten Suizid rundheraus abgelehnt.<br />

Und noch weiter westlich, in den<br />

USA, hat die Generalstaatsanwältin<br />

von Mississippi den US-Supreme-Court<br />

gebeten, die bahnbrechende Abtreibungsentscheidung<br />

»Roe vs. Wade«<br />

aufzuheben. Der Fall wird – so Gott will<br />

– von einem Höchstgericht entschieden<br />

werden, dessen Richter mehrheitlich<br />

pro-life sind.<br />

Uns lehrt dies: Veränderung ist möglich.<br />

Wir haben viel zu tun. Danke, dass<br />

Sie uns dabei unterstützen!<br />

Ihre<br />

Cornelia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der ALfA e.V.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

3


TITELTHEMA<br />

Tödliche Logik<br />

Schlachtfeld Europapolitik: Linke, Sozialisten, Grüne und Liberale im Europäischen Parlament<br />

stimmten geschlossen für den Matić-Bericht, der Abtreibung als Menschenrecht proklamiert. Konservative<br />

und Christdemokraten votierten in großer Mehrheit dagegen.<br />

Von Stephan Baier<br />

Ursula von der Leyen, die Präsidentin<br />

der EU-Kommission,<br />

weiß die ganze Klaviatur von<br />

sanfter Emotion bis großem Pathos zu<br />

spielen, wie sie zuletzt in Reden gegen<br />

die neuen ungarischen Kinderschutzgesetze<br />

bewies. Doch zum Matić-Bericht<br />

sagte sie kein Wort. Den meisten Medien<br />

war er keinen größeren Bericht<br />

wert, und selbst jene Parteien, die sich<br />

nach der Abstimmung als Sieger fühlen<br />

durften, jubelten ausgesprochen leise.<br />

Ist der Bericht des kroatischen Sozialisten<br />

Predrag Fred Matić, der am 24. Juni<br />

in Brüssel mit 378 gegen 255 Stimmen<br />

(bei 42 Enthaltungen) vom Europäischen<br />

Parlament angenommen wurde,<br />

vielleicht gar nicht der Rede wert?<br />

Sollte man still zur Tagesordnung übergehen,<br />

zumal diese »Entschließung zu<br />

der Lage im Hinblick auf die sexuelle<br />

und reproduktive Gesundheit und die<br />

damit verbundenen Rechte in der EU<br />

im Zusammenhang mit der Gesundheit<br />

von Frauen« keine direkten legislativen<br />

Folgen hat?<br />

Der Text mündet nicht unmittelbar<br />

in eine EU-Richtlinie oder Verordnung.<br />

Gleichwohl ist der Abtreibungslobby<br />

mit dem Matić-Bericht eine Frontverschiebung<br />

im Stellungskrieg um das<br />

Recht auf Leben gelungen, zumal dieses<br />

hier weder dem Wortlaut noch der<br />

Idee nach überhaupt vorkommt. Das<br />

Recht des ungeborenen Kindes auf Leben<br />

ist – das ist mit der Endabstimmung<br />

amtlich dokumentiert – für eine Mehrheit<br />

im Europäischen Parlament unter<br />

dem Radar und kein Erwägungsgrund<br />

mehr. Stattdessen beruht die logische<br />

Tektonik des Textes auf der Annahme,<br />

dass Abtreibung ein Menschenrecht<br />

4 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


TITELTHEMA<br />

sei, dass darum jede Form der gesetzlichen<br />

oder praktischen Beschränkung<br />

eine Menschenrechtsverletzung, ja eine<br />

Form geschlechtsspezifischer Gewalt<br />

sei, und dass die Gewissensfreiheit vielleicht<br />

im Einzelfall toleriert, aber keinesfalls<br />

gebilligt werden könne.<br />

Obwohl den sichtbaren wie unsichtbaren<br />

Verfassern des Berichts bewusst<br />

war, »dass Abtreibungsgesetze auf innerstaatlichen<br />

Rechtsvorschriften beruhen«,<br />

wie es im finalen Text heißt, werden<br />

hier EU-Staaten gerügt, die durch<br />

»sehr restriktive Gesetze, die Abtreibungen<br />

außer unter genau festgelegten<br />

Umständen verbieten und Frauen somit<br />

zwingen, heimlich abzutreiben, in andere<br />

Länder zu reisen oder ihre Schwangerschaft<br />

gegen ihren Willen zu Ende zu<br />

führen, was eine Verletzung der Menschenrechte<br />

und eine Form geschlechtsspezifischer<br />

Gewalt darstellt«. Bereits<br />

an dieser Formulierung wird klar, warum<br />

Matić & Co. den Weg einer legislativen<br />

Initiative vermieden haben: In<br />

keinem rechtsrelevanten Text könnte<br />

das Europäische Parlament EU-Mitgliedstaaten<br />

der Menschenrechtsverletzung<br />

beschuldigen. Also wählten sie<br />

den Weg der Propaganda und der Appelle,<br />

der Uminterpretation und Prägung<br />

von Rechtsbewusstsein.<br />

Der Text fordert die für diese Gesetzgebung<br />

zuständigen Staaten auf,<br />

»einen allgemeinen Zugang zu sicherer<br />

und legaler Abtreibung« zu gewährleisten,<br />

»Abtreibung zu entkriminalisieren<br />

und Hindernisse für legale Abtreibungen<br />

zu beseitigen« sowie sicherzustellen,<br />

»dass eine Abtreibung auf Antrag<br />

in der frühen Schwangerschaft und darüber<br />

hinaus, wenn die Gesundheit oder<br />

das Leben der schwangeren Person gefährdet<br />

ist, rechtmäßig ist«. Solche das<br />

Subsidiaritätsprinzip verletzende Übergriffigkeit<br />

auf das Recht der Mitgliedstaaten<br />

rechtfertigt der Bericht damit,<br />

dass es sich um eine Frage der Menschenrechte,<br />

ja »internationaler Menschenrechtsstandards«<br />

handle.<br />

Eine Gewissensfrage<br />

Diese fragwürdige Argumentation<br />

wird auch dazu benutzt, ein verbrieftes<br />

Menschenrecht in Frage zu stellen:<br />

die Gewissensfreiheit. Zunächst wollte<br />

Matić das Recht von Ärzten, unter<br />

Berufung auf ihr Gewissen die Mitwirkung<br />

an Abtreibungen zu verweigern,<br />

generell als Verweigerung einer medizinischen<br />

Leistung brandmarken. Von<br />

dieser radikalen Linie wich er ab, wohl<br />

um die parlamentarische Mehrheit für<br />

seinen Bericht nicht zu gefährden. Der<br />

nun verabschiedete Text anerkennt,<br />

»dass sich einzelne Ärzte aus persönlichen<br />

Gründen auf eine Gewissensklausel<br />

berufen können«. Er betont jedoch,<br />

»dass eine Gewissensklausel für Einzelpersonen<br />

nicht das Recht eines Patienten<br />

auf vollständigen Zugang zu medizinischer<br />

Versorgung und Gesundheitsdienstleistungen<br />

beeinträchtigen darf«.<br />

Er bedauert weiter, »dass Ärzte und<br />

manchmal ganze medizinische Einrichtungen<br />

Gesundheitsdienstleistungen auf<br />

Basis einer sogenannten Gewissensklausel<br />

ablehnen«. Das führe dazu, dass die<br />

Betreuung einer Abtreibung »aus religiösen<br />

oder Gewissensgründen verweigert<br />

wird«, wodurch »das Leben und die<br />

Rechte der Frauen gefährdet werden«.<br />

Mehr noch: Der Text behauptet, dass<br />

»die Verweigerung der Betreuung eines<br />

Schwangerschaftsabbruchs eine Form<br />

von geschlechtsspezifischer Gewalt ist«.<br />

Wenn das Lebensrecht des ungeborenen<br />

Kindes rückstandsfrei ausgeblendet<br />

wird und Abtreibung zum Grund-<br />

oder Menschenrecht erhoben wird, ist<br />

der Kampf gegen die Gewissensfreiheit<br />

der (anders denkenden) Ärzte und der<br />

(etwa konfessionellen) Gesundheitseinrichtungen<br />

nur logisch.<br />

Dann ist auch die Empörungsrhetorik<br />

erklärbar, mit der Befürworter des<br />

Matić-Berichts im Europäischen Parlament<br />

die dort ebenfalls zu Wort kommenden<br />

Kritiker überzogen. Da sagte<br />

etwa die niederländische Europaabgeordnete<br />

Samira Rafaela von der Renew-<br />

Schwieg zum Bericht: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen<br />

Fraktion (früher »Liberale Fraktion«<br />

genannt), die »Frauen auf der rechten<br />

Seite des Parlaments sollten sich schämen«.<br />

Die Abgeordneten der Linksfraktion,<br />

der Sozialisten, der Grünen und<br />

der Liberalen stellten klar, dass sie den<br />

Zugang zu legalen Abtreibungen für<br />

»eine Frage der Gesundheit und der<br />

Gerechtigkeit« halten, wie die liberale<br />

Französin Irène Tolleret sagte. Sie warf<br />

»konservativen Plattformen« (gemeint<br />

sind Lebensrechtsverbände) vor, Millionen<br />

auszugeben, um die sexuellen und<br />

reproduktiven Rechte von Frauen einzuschränken.<br />

Die spanische Sozialistin<br />

Iratxe García Pérez dankte ihrem Parteifreund<br />

Matić für seinen Mut »als feministischer<br />

Mann«. Es sei auf ihn viel<br />

Druck ausgeübt worden. Matić selbst,<br />

einst Veteranenminister einer sozialis-<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

5


TITELTHEMA<br />

tischen Regierung Kroatiens, klagte, er<br />

sei zur Zielscheibe heftiger Kritik und<br />

vieler Briefe geworden. Lügen seien<br />

über seinen Bericht verbreitet worden.<br />

Die Rechtsfolgen<br />

Deshalb wird die EU-Kommission<br />

hier aufgefordert, die »Rechte« im<br />

Kontext der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheit »im gesamten außenpolitischen<br />

Handeln und sämtlichen Außenbeziehungen<br />

der EU« zu einer Priorität<br />

zu machen. Die Kommission soll<br />

dafür sorgen, »dass der neue Sonderbeauftragte<br />

für Religions- und Weltanschauungsfreiheit<br />

sich einem menschenrechtsbasierten<br />

Ansatz verschreibt und<br />

somit die sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />

und die damit verbundenen<br />

Rechte respektiert«. Das ist nicht nur<br />

eine versteckte Polemik gegen den früheren<br />

Amtsinhaber, den slowakischen<br />

Katholiken Ján Figel, sondern auch eine<br />

Warnung an den neuen Amtsinhaber,<br />

den griechischen Ex-EU-Kommissar<br />

Christos Stylianides.<br />

Das Netzwerk dahinter<br />

Als Hebel zur Durchsetzung der beschriebenen<br />

Interessen setzt der Matić-<br />

Buch-Tipp<br />

Fühlt sich falsch verstanden: Der kroatische Sozialist Predrag Fred Matić<br />

Die beschriebene Logik, die darauf beruht,<br />

das Lebensrecht des Kindes auszublenden<br />

und es als reines Objekt zu betrachten,<br />

wird im Matić-Bericht in Richtung<br />

Reproduktionsmedizin verlängert.<br />

Der verabschiedete Text geht davon aus,<br />

dass Erwachsene einen Rechtsanspruch<br />

auf ein Kind haben können. Ihnen wird<br />

hier das Recht zugesprochen, »sichere<br />

sexuelle Erfahrungen zu machen sowie<br />

zu entscheiden (…), ob und mit welchen<br />

Mitteln sie ein Kind oder mehrere Kinder<br />

bekommen, und wie viele Kinder sie<br />

haben möchten«. Das Wörtchen »ob«<br />

zielt auf Verhütung und Abtreibung;<br />

das Wort »mit welchen Mitteln« auf<br />

die Möglichkeiten der Fortpflanzungsund<br />

Reproduktionsmedizin, grundsätzlich<br />

– vielleicht sogar intendiert – auch<br />

auf die Option der Leihmutterschaft.<br />

Auch wenn hier weder eine Öffnung des<br />

Adoptionsrechts noch eine Öffnung in<br />

Richtung Leihmutterschaft thematisiert<br />

wird, werden sich künftige Offensiven in<br />

dieser Richtung auf solche Formulierungen<br />

berufen. Eine bereits gestartete Initiative<br />

der EU-Kommission zur wechselseitigen<br />

Anerkennung von Elternschaft<br />

in der EU wird diese Debatte auslösen<br />

und die vermeintlich restriktiveren Bestimmungen<br />

mancher Mitgliedstaaten<br />

unter Druck bringen.<br />

Wenngleich die Abtreibungsgesetzgebung<br />

nicht in der legislativen Kompetenz<br />

der EU, sondern ihrer Mitgliedstaaten<br />

liegt, hat der Bericht doch gewichtige<br />

Konsequenzen. Und das nicht<br />

nur durch den zusätzlichen Druck, der<br />

auf EU-Mitglieder entsteht. Das Europäische<br />

Parlament beansprucht nämlich,<br />

»dass die EU unmittelbar dafür zuständig<br />

ist, in ihrem auswärtigen Handeln<br />

die sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />

und die damit verbundenen Rechte<br />

zu fördern«. Darum verlangt der verabschiedete<br />

Text, die EU müsse »in ihrer<br />

Politik zur Entwicklungszusammenarbeit<br />

sowie in ihren Instrumenten des<br />

auswärtigen Handelns (…) angemessene<br />

und gezielte Mittel« dafür bereitstellen.<br />

Dabei wird unter den Begriff der sexuellen<br />

und reproduktiven Rechte allerlei<br />

gefasst, aber eben auch das Recht auf<br />

»einen allgemeinen Zugang zu sicherer<br />

und legaler Abtreibung«.<br />

Die Seele Europas<br />

Stephan Baier: Die Seele Europas.<br />

Von Sinn und Sendung des Abendlandes.<br />

Fe-Medienverlag, Kißlegg<br />

2017. 196. Seiten. 8,95 EUR.<br />

Bericht auf das Geld der EU-Steuerzahler:<br />

Eben das ist gemeint, wenn es<br />

heißt, die EU solle in ihrer Entwicklungszusammenarbeit<br />

»angemessene<br />

und gezielte Mittel für die sexuelle und<br />

reproduktive Gesundheit und die damit<br />

verbundenen Rechte vorsehen«. Dabei<br />

sollen »die Organisationen der Zivilgesellschaft<br />

einbezogen werden, die sich in<br />

den Entwicklungsländern direkt für die<br />

6 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


TITELTHEMA<br />

Verteidigung der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheit einsetzen«. Eben<br />

solche »Organisationen der Zivilgesellschaft«<br />

solle die EU fördern, denn ihnen<br />

komme »bei der Schaffung von Gesellschaften,<br />

in denen die Geschlechter<br />

gleichgestellt sind, eine Schlüsselrolle<br />

zu«. EU-Gelder sollen also in die Taschen<br />

jener Organisationen fließen, die<br />

eine offensive Abtreibungsagenda zur<br />

Transformierung der Gesellschaften<br />

anderer Kontinente einsetzen.<br />

Eine dreiste Forderung, wenn man<br />

bedenkt, welches Netzwerk hinter den<br />

Abtreibungsbefürwortern im Europaparlament<br />

steht. Matić und 555 weitere<br />

europäische, nationale oder regionale<br />

Abgeordnete aus allen Ländern des<br />

Europarates gehören dem sogenannten<br />

European Parliamentary Forum for Sexual<br />

& Reproductive Rights (EPF) an,<br />

das sich selbst als Nichtregierungsorganisation<br />

bezeichnet und nach eigenen<br />

Angaben von der Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO, der International<br />

Planned Parenthood Federation (IPPF),<br />

der Bill & Melinda Gates Stiftung sowie<br />

der Deutschen Gesellschaft für Internationale<br />

Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt<br />

wird.<br />

Kurz vor der Verabschiedung des<br />

Matić-Berichts verbreitete das EPF<br />

die Behauptung, die Gegenseite verfüge<br />

über mehr als 700 Millionen US-<br />

Dollar an Spenden aus den Vereinigten<br />

Staaten, Russland und Europa für Anti-<br />

Gender-Aktivitäten. Hier operiere ein<br />

internationales Netzwerk von Abtreibungsgegnern<br />

und Widersachern der<br />

Homo-Ehe. Tatsächlich ist das EPF<br />

selbst ein internationales Netzwerk<br />

von Abtreibungsbefürwortern, dessen<br />

Gruppe im Europaparlament von der<br />

niederländischen Liberalen Sophie in<br />

’t Veld geleitet wird.<br />

Die Widerstände<br />

Den Frauenausschuss des Europaparlaments<br />

hatte Matićs Bericht noch ohne<br />

heftigere Widerstände – wenngleich<br />

nach mehr als 500 Änderungsanträgen<br />

und einer monatelangen Prozedur –<br />

passiert. Im Plenum jedoch regte sich<br />

gewichtigerer Widerstand. Wohl auch,<br />

weil Demonstrationen in mehreren Städten<br />

Europas, Appelle etlicher Bischofskonferenzen<br />

und eine Welle von Petitionen<br />

und Briefen so manchen Parlamentarier<br />

aufschreckten. Zwei Fraktionen<br />

versuchten in letzter Minute, den<br />

Bericht zu Fall zu bringen: Die konservative<br />

ECR-Fraktion (unter Führung<br />

Sophie in ’t Veld<br />

der polnischen Regierungspartei PiS)<br />

brachte gemeinsam mit den ungarischen<br />

Fidesz-Abgeordneten einen alternativen<br />

Entschließungsantrag ein,<br />

der mit dem Subsidiaritätsprinzip argumentierte.<br />

Er mahnte an, »dass die EU<br />

über keine Zuständigkeit für die Ausarbeitung<br />

von Strategien in den Bereichen<br />

sexuelle Gesundheit und Sexualerziehung,<br />

Fortpflanzung und Abtreibung<br />

verfügt«.<br />

Ein zweiter alternativer Entschließungsantrag<br />

der christdemokratischen<br />

EVP-Fraktion verwies auf das »Recht<br />

auf Leben« als »grundlegendes Menschenrecht«<br />

und erinnerte daran, dass<br />

»Abtreibungsgesetze und die Bestimmungen<br />

für die sexuelle und reproduktive<br />

Gesundheit und die damit verbundenen<br />

Rechte auf innerstaatlichen<br />

Rechtsvorschriften beruhen«, also nicht<br />

in die Kompetenz der EU fallen. Es sollten<br />

»alle Anstrengungen unternommen<br />

werden, um die Zahl der Abtreibungen<br />

zu senken«. Auch sei Abtreibung »keine<br />

Form der Empfängnisverhütung«.<br />

Beide Anträge zielten einzig und allein<br />

darauf, Matićs Bericht vollständig<br />

zu ersetzen. Nach der Abstimmungslogik<br />

des Parlaments hätte die Annahme<br />

eines der beiden alternativen Entschließungsanträge<br />

jede weitere Abstimmung<br />

hinfällig gemacht. Der ECR-Antrag<br />

scheiterte jedoch in Brüssel mit 267<br />

Ja-Stimmen an 402 Nein-Stimmen, der<br />

EVP-Antrag mit 288 Ja-Stimmen an<br />

373 Gegenstimmen. Aufschlussreich ist<br />

das auf der Homepage des Parlaments<br />

nachlesbare Stimmverhalten der Europaabgeordneten:<br />

In eindrucksvoller<br />

Geschlossenheit stimmten die Fraktionen<br />

der Linken, Sozialisten, Grünen<br />

und Liberalen (Renew) gegen die Anträge<br />

von ECR und EVP sowie für Matić.<br />

Die Konservativen (ECR) lehnten Matić<br />

geschlossen ab, die Christdemokraten<br />

(EVP) immerhin mit großer Mehrheit.<br />

Sind nun die Europäische Union<br />

und ihr Parlament unrettbar an die Abtreibungslobby<br />

verloren? Sind die Lebensrechtler<br />

gescheitert? Ist jedes weitere<br />

Engagement auf dieser Ebene vergebliche<br />

Liebesmüh? Im Gegenteil:<br />

Das Abstimmungsergebnis zeigt, dass<br />

es Europaabgeordnete gibt, die es verdient<br />

haben, dass Lebensschützer ihnen<br />

den Rücken stärken. Und solche,<br />

die es nötig haben. Es zeigt, dass Europa<br />

ein weltanschaulicher Kampfplatz<br />

ist, dem nicht weniger, sondern mehr<br />

Aufmerksamkeit und Aufklärungsarbeit<br />

gewidmet werden muss. Und es<br />

dokumentiert, dass hier reale Gefahren<br />

drohen, die abzuwehren heute zur Berufung<br />

werden kann.<br />

Im Portrait<br />

Stephan Baier<br />

Stephan Baier ist Theologe, Journalist<br />

und Sachbuchautor. Bei der<br />

katholischen Zeitung »Die Tagespost«<br />

ist er seit 1999 u.a. für Europapolitik<br />

zuständig. Zuvor war<br />

er als Parlamentarischer Assistent<br />

und Pressesprecher für Otto von<br />

Habsburg am Europäischen Parlament<br />

tätig.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

7


TITELTHEMA<br />

»Anschlag«,<br />

»fatales Signal«<br />

Lebensrechtler und kirchliche Verbände aus Deutschland und Österreich haben die<br />

Annahme des Matić-Berichts durch das Europäische Parlament am 24. Juni in Brüssel<br />

scharf kritisiert oder gar verurteilt<br />

Von Sebastian Sander<br />

Die Bundesvorsitzende der Aktion<br />

Lebensrecht für Alle (ALfA),<br />

Cornelia Kaminski, sprach<br />

von »einem brutalen Anschlag auf das<br />

Recht eines jeden Menschen auf Leben«.<br />

Darüber könnten auch die positiven<br />

Anliegen, die der Bericht enthalte,<br />

nicht hinwegtäuschen. Dass der<br />

Bericht »ein Menschenrecht auf vorgeburtliche<br />

Kindstötungen« proklamiere<br />

und die EU-Mitgliedstaaten auffordere,<br />

sämtliche »›Hindernisse zu beseitigen‹,<br />

die dem ›im Wege stehen‹«, sei<br />

»eine Schande für Europa, welche die<br />

Pioniere und Gründungsväter der Europäischen<br />

Union eigentlich in ihren<br />

Gräbern rotieren lassen müsste«. Dies<br />

nicht nur, weil Fragen, die die Gesundheitspolitik<br />

und Abtreibungsgesetzgebung<br />

beträfen, nicht in den Kompetenzbereich<br />

der EU, sondern in jenen der<br />

Mitgliedstaaten fielen, »sondern vor allem,<br />

weil die Tötung eines unschuldigen<br />

und wehrlosen Menschen niemals<br />

ein Recht und schon gar kein Grundrecht<br />

sein kann«. Kaminski: »Konrad<br />

Adenauer, Alcide de Gasperi und Robert<br />

Schuman, der spätere Gründungspräsident<br />

des Europäischen Parlaments,<br />

dem dieses den Ehrentitel ›Vater Europas‹<br />

verlieh, wären tief beschämt, wenn<br />

sie wüssten, welchen Weg in die Barbarei<br />

das Europäische Parlament heute<br />

eingeschlagen hat.«<br />

Der Vorsitzende der Ärzte für das<br />

Leben (ÄfdL), Professor Dr. med. Paul<br />

Cullen, bezeichnete das Ergebnis der<br />

Abstimmung als »großen Rückschlag<br />

für die Menschenrechte, das Lebensrecht<br />

und die ärztliche Gewissensfreiheit<br />

in Europa«. Der Bericht postuliere<br />

»erstmalig ein ›Menschenrecht auf Abtreibung‹«.<br />

Die Annahme des Berichts<br />

werde dazu führen, »das in der Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention verankerte<br />

Recht von Ärztinnen und Ärzten,<br />

Cornelia Kaminski<br />

aus Gewissensgründen eine Mitwirkung<br />

an Abtreibungen abzulehnen, EU-weit<br />

zu beschneiden«. Dies müsse alle Ärztinnen<br />

und Ärzte in Europa alarmieren.<br />

»Denn ist die Gewissensfreiheit in einem<br />

Bereich des ärztlichen Tuns angetastet,<br />

so ist sie in allen anderen Gebieten der<br />

Medizin kaum aufrechtzuerhalten. Die<br />

Tötung eines wehrlosen Menschen kann<br />

nie ein Recht sein und ist das Gegenteil<br />

von einem Menschenrecht, denn sie bedeutet<br />

immer, einen anderen mutwillig<br />

aus der Menschheitsfamilie auszuschließen.<br />

Eine solche sprachliche Konstruktion<br />

ist nur möglich, wenn man in<br />

der komplexen Situation der Schwangerschaft<br />

das elementarste Menschenrecht<br />

eines der Beteiligten, nämlich das<br />

Recht, überhaupt zu existieren, vollkommen<br />

ausblendet«, so Cullen weiter. So<br />

wie es Gewissensfreiheit für Ärzte entweder<br />

für alle Bereiche der Medizin gebe<br />

oder für keinen, so hätten auch entweder<br />

alle Menschen die gleichen Menschenrechte<br />

oder niemand.<br />

Paul Cullen<br />

Die Christdemokraten für das Leben<br />

(CDL) sprachen von einem »fatalen<br />

Signal gegen den Schutz des Lebens«<br />

und einem »Angriff auf die freiheitlich-demokratische<br />

Grundordnung<br />

der EU«. Der Geist der christlichen<br />

Gründerväter der Europäischen Union<br />

werde in sein absolutes Gegenteil verkehrt.<br />

Bei vielen Unionsbürgern werde<br />

das Abstimmungsergebnis »zu einer<br />

weiteren inneren Abkehr von Europa«<br />

8 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


TITELTHEMA<br />

führen, erklärte die ehemalige Pressesprecherin<br />

und neue Bundesvorsitzende<br />

der CDL, Susanne Wenzel. Wenzel<br />

sprach von einer »dunklen Stunde Europas«,<br />

in der das Töten zum Recht erklärt<br />

und das uneingeschränkte Recht<br />

auf Leben faktisch abgeschafft worden<br />

sei. Auch die Umkehrung des Rechts<br />

auf die Gewissensfreiheit, das sowohl<br />

im deutschen Grundgesetz als auch im<br />

Schwangerschaftskonfliktgesetz verankert<br />

sei, in einen Straftatbestand der<br />

»Unterlassung einer medizinischen Behandlung«<br />

widerspreche dem viel beschworenen<br />

europäischen Geist.<br />

Auch die Vorsitzende des Bundesverbands<br />

Lebensrecht (BVL), Alexandra<br />

Linder, kritisierte die Annahme<br />

des Matić-Berichts durch das EU-Parlament.<br />

Statt Frauen Hilfe anzubieten<br />

und die Umgebung zur Hilfe zu verpflichten,<br />

Menschenwürde und Menschenrechte<br />

konsequent anzuwenden,<br />

preschten inhumane Ideologen vor, um<br />

Menschenrechte und Menschenwürde<br />

abzuschaffen und umzudefinieren. Linder:<br />

»Eine Gesellschaft, die ernsthaft<br />

der Ansicht ist, die Tötung der eigenen<br />

Kinder sei eine ›Gesundheitsleistung‹<br />

und ein wichtiges Angebot für Frauen,<br />

um selbstbestimmt und emanzipiert zu<br />

sein, verachtet und diskriminiert Frauen,<br />

missachtet die Rechte der Kinder<br />

und hat keine Zukunft.«<br />

Das »Salzburger Ärzteforum« sprach<br />

von »einem wohl historisch zu nennenden<br />

Anschlag auf die Menschenrechte<br />

und auch auf das ethische Selbstverständnis<br />

der Ärzteschaft«. Gerade unter<br />

Verweis auf die Menschenrechte werde<br />

im Bericht des Sozialisten Predrag<br />

Fred Matić durch Zuhilfenahme einer<br />

manipulativen Terminologie und Verwendung<br />

unzutreffender Begrifflichkeiten<br />

der Zugang von Frauen zu einer Abtreibung<br />

als ein »gesetzlich zustehendes<br />

Recht auf eine medizinische Versorgung«<br />

proklamiert. Bemerkenswert sei,<br />

dass der Entschließungsantrag inhaltlich<br />

selbst mehrfach gegen tatsächliche<br />

Rechte, wie etwa das Grundrecht auf Leben,<br />

auf Gewissensfreiheit und auf Religionsfreiheit,<br />

und auch gegen das Toleranzgebot<br />

gegenüber Andersdenkenden<br />

verstoße. Ebenso bemerkenswert sei die<br />

Tatsache, dass die Grenzen der Zuständigkeit<br />

des EU-Parlaments offensichtlich<br />

bewusst überschritten worden seien,<br />

»da Themen wie Gesundheit, Sexualerziehung,<br />

Reproduktion und Abtreibung<br />

der souveränen Legislativbefugnis<br />

der einzelnen Mitgliedstaaten<br />

unterliegen«.<br />

Auch der neu gewählte Präsident<br />

des Katholischen Laienrates Österreich<br />

(KLRÖ), Wolfgang Mazal, kritisiert den<br />

Bericht. In einem Gastkommentar für<br />

die Zeitung »Die Furche« bezeichnet<br />

Mazal die vom EU-Parlament verabschiedete<br />

Resolution als »menschlich,<br />

politisch und juristisch unbefriedigend«.<br />

Wie der Wiener Arbeits- und Sozialrechtler<br />

darlegt, fehle dem Bericht die<br />

nach der europäischen Grundrechtsordnung<br />

erforderliche Interessenabwägung,<br />

wodurch der Text sehr »unausgewogen«<br />

sei. Der Wunsch, Frauen im<br />

Susanne Wenzel<br />

Schwangerschaftskonflikt zu helfen, sei<br />

verständlich. Doch hätte dies nicht mit<br />

einem »Recht auf Abtreibung« und einem<br />

Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit<br />

von Ärzten verknüpft<br />

werden dürfen. Der Komplexität der<br />

Situation, in die zahlreiche Interessen<br />

sowie psychische, physische und soziale<br />

Faktoren verwoben seien, werde der<br />

Resolutionstext nicht gerecht. Erkennen<br />

könne man vielmehr ein »Menschenbild,<br />

das dem Embryo das Lebensinteresse<br />

abspricht, sowie ein Gesellschaftsverständnis,<br />

das schützenswerte Interessen<br />

einer Gruppe verabsolutiert und<br />

die Interessen anderer ignoriert«.<br />

In Deutschland kritisierten der Sozialdienst<br />

katholischer Frauen (SkF) und<br />

der Deutsche Caritas-Verband Teile des<br />

Matić-Berichts in einer gemeinsamen<br />

HTTPS://WWW.OIF.AC.AT<br />

Wolfgang Mazal<br />

Pressemitteilung. Nach Einschätzung<br />

der Caritas benenne der Bericht zwar<br />

wichtige Forderungen mit Blick auf die<br />

sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />

von Frauen. »Nicht akzeptabel ist allerdings<br />

das im Bericht formulierte grundsätzliche<br />

Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch,<br />

da die Rechte des ungeborenen<br />

Kindes außer Acht gelassen<br />

werden«, erklärte die Bundesvorsitzende<br />

des SkF, Hildegard Eckert. Zwar begrüße<br />

der SkF das Recht auf sexuelle<br />

Selbstbestimmung, das Recht auf sexualpädagogische<br />

Bildung und Prävention<br />

sowie das Recht auf Beratung, das<br />

in dem Bericht für alle Frauen in den<br />

Mitgliedstaaten der Europäischen Union<br />

gefordert werde. »Daraus aber ein<br />

Recht auf Schwangerschaftsabbruch abzuleiten,<br />

ist falsch. Es kann kein ›Menschenrecht<br />

auf einen Schwangerschaftsabbruch‹<br />

geben. Insofern sehen wir mit<br />

großer Sorge den Auswirkungen des Berichts<br />

entgegen«, so Eckert weiter. Bei<br />

einem Schwangerschaftsabbruch stoße<br />

das Selbstbestimmungsrecht an seine<br />

Grenze, da es auch um das Leben<br />

und die Rechte des Ungeborenen gehe.<br />

Caritas-Präsident Peter Neher erklärte,<br />

Frauen, die sich nach einer Beratung<br />

für einen Schwangerschaftsabbruch<br />

entschieden, müssten das Recht<br />

haben, dass dieser medizinisch sicher<br />

durchgeführt werde. »Doch ein grundsätzliches<br />

Recht auf Schwangerschaftsabbruch,<br />

wie im Bericht gefordert, verstößt<br />

gegen die Menschenwürde und das<br />

Recht des Kindes. Dem widersprechen<br />

wir in aller Entschiedenheit.«<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

9


TITELTHEMA<br />

So haben die<br />

Abgeordneten gestimmt<br />

Nachfolgend dokumentiert »LebensForum« die namentliche Abstimmung des<br />

Europäischen Parlaments über die Annahme des Berichts »Sexuelle und reproduktive<br />

Gesundheit und die damit verbundenen Rechte in der EU im Zusammenhang mit der<br />

Gesundheit von Frauen – A9-0169/<strong>2021</strong> – Predrag Fred Matić«<br />

PRO (+)<br />

Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />

Bonfrisco<br />

Fraktionslos<br />

Beghin, Buschmann, Castaldo, Comín i Oliveres,<br />

Ferrara, Furore, Gemma, Giarrusso,<br />

Pignedoli, Ponsatí Obiols, Puigdemont i Casamajó,<br />

Rondinelli, Sonneborn<br />

Fraktion der Europäischen<br />

Volkspartei (PPE)<br />

Adamowicz, Adinolfi Isabella, Arłukowicz,<br />

Asimakopoulou, Bilčík, Christoforou, Clune,<br />

Fitzgerald, Fourlas, Hübner, Kefalogiannis,<br />

Kelly, Kopacz, Kympouropoulos, Kyrtsos, Lega,<br />

Łukacijewska, Manders, Markey, Meimarakis,<br />

Niedermayer, Ochojska, Pietikäinen,<br />

Polfjärd, Pospíšil, Sarvamaa, Sikorski,<br />

Spyraki, Thun und Hohenstein, Tobé, Virkkunen,<br />

Vozemberg-Vrionidi, Walsh, Warborn,<br />

Wiezik, Zagorakis<br />

Fraktion Renew Europe<br />

Alieva-Veli, Al-Sahlani, Andrews, Ansip,<br />

Auštrevičius, Azmani, Bauzá Díaz, Beer, Bijoux,<br />

Bilbao Barandica, Botoş, Boyer, Brunet,<br />

Cañas, Canfin, Chabaud, Charanzová,<br />

Chastel, Christensen, Cicurel, Cioloş, Cseh,<br />

Danti, Decerle, Dlabajová, Donáth, Durand,<br />

Ďuriš Nicholsonová, Eroglu, Farreng, Flego,<br />

Gade, Gamon, Garicano, Gheorghe, Glück,<br />

Goerens, Gozi, Groothuis, Grošelj, Grudler,<br />

Guetta, Hahn Svenja, Hayer, Hlaváček,<br />

Hojsík, Huitema, Ijabs, in ‚ t Veld, Joveva,<br />

Karleskind, Karlsbro, Katainen, Kelleher,<br />

Keller Fabienne, Knotek, Körner, Kovařík, Kyuchyuk,<br />

Loiseau, Løkkegaard, Melchior, Mihaylova,<br />

Mitut‚a, Müller, Nagtegaal, Oetjen,<br />

Paet, Pekkarinen, Petersen, Rafaela, Ries,<br />

Riquet, Rodríguez Ramos, Schreinemacher,<br />

Séjourné, Semedo, Šimečka, Solís Pérez,<br />

Ştefǎnut‚ǎ, Strugariu, Søgaard-Lidell, Tolleret,<br />

Toom, Torvalds, Trillet-Lenoir, Tudorache,<br />

Vautmans, Vedrenne, Verhofstadt, Vázquez<br />

Lázara, Wiesner, Yon-Courtin, Zacharopoulou,<br />

Zullo<br />

Fraktion der Progressiven Allianz der<br />

Sozialdemokraten im Europäischen<br />

Parlament (S&D)<br />

Aguilera, Andrieu, Androulakis, Angel, Ara-<br />

Kovács, Arena, Balt, Barley, Bartolo, Belka,<br />

Benifei, Benǒvá, Bergkvist, Biedroń, Bischoff,<br />

Blinkevičiūtė, Bonafè, Borzan, Brglez, Burkhardt,<br />

Calenda, Carvalhais, Cerdas, Chahim,<br />

Chinnici, Cimoszewicz, Cíž, Cozzolino, Danielsson,<br />

De Castro, Dobrev, Durá Ferrandis,<br />

Engerer, Ertug, Fajon, Fernández, Ferrandino,<br />

Fritzon, Fuglsang, Gálvez Muñoz, García Del<br />

Blanco, García Muñoz, García Pérez, Gardiazabal<br />

Rubial, Gebhardt, Geier, Glucksmann,<br />

González, González Casares, Gualmini,<br />

Guillaume, Guteland, Hajšel, Heide, Heinäluoma,<br />

Homs Ginel, Incir, Jerkovič, Jongerius,<br />

Kaili, Kaljurand, Kammerevert, Kohut,<br />

Köster, Krehl, Kumpula-Natri, Lalucq, Lange,<br />

Larrouturou, Leitão-Marques, Liberadzki,<br />

López, López Aguilar, Luena, Maestre Martín<br />

De Almagro, Majorino, Maldonado López,<br />

Marques Margarida, Marques Pedro, Matič,<br />

Mavrides, Maxová, Mebarek, Mikser, Miller,<br />

Molnár, Moreno Sánchez, Moretti, Neuser,<br />

10 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


TITELTHEMA<br />

Noichl, Olekas, Papadakis Demetris, Penkova,<br />

Picierno, Picula, Pisapia, Pizarro, Regner,<br />

Reuten, Roberti, Rodríguez-Piñero, Rónai,<br />

Ros Sempere, Ruiz Devesa, Sánchez Amor,<br />

Santos, Schaldemose, Schieder, Schuster,<br />

Sidl, Silva Pereira, Sippel, Smeriglio, Stanishev,<br />

Tang, Tarabella, Tax, Tinagli, Ujhelyi,<br />

Ušakovs, Van Brempt, Vind, Vitanov, Vollath,<br />

Wölken, Wolters, Yoncheva, Zorrinho<br />

Fraktion Die Linke im<br />

Europäischen Parlament<br />

Arvanitis, Aubry, Barrena Arza, Björk, Bompard,<br />

Botenga, Chaibi, Daly, Demirel, Ernst,<br />

Ferreira, Flanagan, Georgiou, Georgoulis,<br />

Gusmão, Hazekamp, Kizilyürek, Kokkalis, Kouloglou,<br />

Kountoura, MacManus, Matias, Maurel,<br />

Michels, Modig, Omarjee, Papadimoulis,<br />

Pelletier, Pereira Sandra, Pineda, Rego,<br />

Rodríguez Palop, Schirdewan, Scholz, Urbán<br />

Crespo, Villanueva Ruiz, Villumsen, Wallace<br />

Fraktion der Grünen / Europäische Freie<br />

Allianz (Verts/ALE)<br />

Alametsä, Andresen, Auken, Biteau, Bloss,<br />

Boeselager, Breyer, Bricmont, Bütikofer, Carême,<br />

Cavazzini, Cormand, Corrao, Cuffe, Dalunde,<br />

D‘Amato, Delbos-Corfield, Delli, Deparnay-Grunenberg,<br />

Eickhout, Evi, Franz, Freund,<br />

Geese, Gregorová, Gruffat, Guerreiro, Hahn<br />

Henrike, Häusling, Hautala, Herzberger-Fofana,<br />

Holmgren, Jadot, Keller Ska, Kolaja, Kuhnke,<br />

Lagodinsky, Lamberts, Langensiepen,<br />

Marquardt, Matthieu, Metz, Neumann, Nienaß,<br />

Niinistö, O‘Sullivan, Paulus, Pedicini,<br />

Peksa, Peter-Hansen, Reintke, Riba i Giner, Rivasi,<br />

Roose, Satouri, Semsrott, Solé, Spurek,<br />

Strik, Toussaint, Urtasun, Vana, Von Cramon-<br />

Taubadel, Waitz, Wiener, Yenbou, Ždanoka<br />

CONTRA (-)<br />

Fraktion der Europäischen<br />

Konservativen und Reformer (ECR)<br />

Aguilar, Berg, Berlato, Bielan, Brudziński,<br />

Buxadé Villalba, Czarnecki, de la Pisa Carrión,<br />

Dzhambazki, Fidanza, Fiocchi, Fitto, Fotyga,<br />

Fragkos, Hoogeveen, Jaki, Jurgiel, Karski,<br />

Kempa, Kloc, Kopcińska, Krasnodębski,<br />

Kruk, Kuźmiuk, Legutko, Mazurek, Milazzo,<br />

Możdżanowska, Poręba, Procaccini, Rafalska,<br />

Rooken, Roos, Ruissen, Rzońca, Saryusz-<br />

Wolski, Slabakov, Sofo, Stancanelli, Szydło,<br />

Tarczyński, Terheş, Tertsch, Tobiszowski,<br />

Tomaševski, Tomašič, Vondra, Waszczykowski,<br />

Wiśniewska, Zalewska, Zīle, Złotowski<br />

Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />

Adinolfi Matteo, Anderson, Androuët, Annemans,<br />

Baldassarre, Bardella, Basso, Bay,<br />

Beck, Beigneux, Bilde, Bizzotto, Blaško, Borchia,<br />

Bruna, Buchheit, Campomenosi, Casanova,<br />

Ceccardi, Ciocca, Collard, Conte, Da<br />

Re, De Man, Donato, Dreosto, Fest, Gancia,<br />

Garraud, de Graaff, Grant, Griset, Haider,<br />

Hakkarainen, Huhtasaari, Jalkh, Jamet,<br />

Joron, Juvin, Kofod, Krah, Kuhs, Lacapelle,<br />

Lancini, Laporte, Lebreton, Lechanteux, Limmer,<br />

Lizzi, Madison, Mariani, Mayer, Mélin,<br />

Meuthen, Olivier, Panza, Reil, Rinaldi, Rivière,<br />

Rougé, Sardone, Tardino, Tovaglieri,<br />

Vandendriessche, Vilimsky, Zambelli, Zanni,<br />

Zimniok<br />

Fraktionslos<br />

Bocskor, Deli, Deutsch, Gál, Gyöngyösi, Gyüri,<br />

Gyürk, Hidvéghi, Járóka, Kolakušić, Kósa,<br />

Lagos, Radačovský, Schaller-Baross, Sinčić,<br />

Tóth, Trócsányi, Uhrík, Uspaskich, Vuolo<br />

Fraktion der Europäischen<br />

Volkspartei (PPE)<br />

Ademov, Alexandrov Yordanov, Amaro,<br />

Arias Echeverría, Bǎsescu, Bellamy, Benjumea<br />

Benjumea, Bentele, Berger, Bernhuber,<br />

Blaga, Bogdan, Bogovič, Buda, Buşoi,<br />

Buzek, Caroppo, Carvalho, Casa, Caspary,<br />

del Castillo Vera, van Dalen, Danjean,<br />

De Meo, Doleschal, Dorfmann, Duda, Düpont,<br />

Ehler, Estaràs Ferragut, Falcǎ, Ferber,<br />

Fernandes, Gahler, García-Margallo<br />

y Marfil, Gieseke, Glavak, González Pons,<br />

Hava, Herbst, Hohlmeier, Hölvényi, Hortefeux,<br />

Jahr, Juknevičienė, Kalniete, Kanev,<br />

Karas, Kovatchev, Kubilius, Lewandowski,<br />

Lexmann, Liese, Lins, López Gil, López-<br />

Istúriz White, Lutgen, McAllister, Maldeikienė,<br />

Mandl, Martusciello, Mato, Maydell,<br />

Mažylis, Melo, Metsola, Millán Mon, Monteiro<br />

de Aguiar, Montserrat, Mortler, Motreanu,<br />

Niebler, Nistor, Novak, Novakov, Olbrycht,<br />

Patriciello, Pereira Lídia, Pieper, Pollák,<br />

Radtke, Rangel, Ressler, Sagartz, Salini,<br />

Schmiedtbauer, Schreijer-Pierik, Schulze,<br />

Schwab, Seekatz, Simon, Šojdrová, Sokol,<br />

Štefanec, Tajani, Terras, Thaler, Tomac,<br />

Tomc, Vaidere, Verheyen, Vincze, Voss,<br />

Walsmann, Weber, Weiss, Winkler, Winzig,<br />

Zarzalejos, Zdechovský, Zoido Álvarez,<br />

Zovko, Zver<br />

Fraktion der Progressiven Allianz der<br />

Sozialdemokraten im Europäischen<br />

Parlament (S&D)<br />

Agius Saliba, Grapini<br />

Enthaltung/nicht anwesend (0)<br />

Fraktion der Europäischen Konservativen<br />

und Reformer (ECR)<br />

Bourgeois, Jurzyca, Kanko, Lundgren,<br />

Melbārde, Stegrud, Tošenovský, Van Overtveldt,<br />

Vrecionová, Weimers, Zahradil<br />

Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />

David<br />

Fraktionslos<br />

Nikolaou-Alavanos, Papadakis Kostas, Regimenti,<br />

Rookmaker<br />

Fraktion der Europäischen<br />

Volkspartei (PPE)<br />

Arimont, Berendsen, Colin-Oesterlé, Didier,<br />

Evren, Frankowski, Franssen, Halicki, Hansen,<br />

de Lange, Lenaers, Marinescu, Morano,<br />

Polčák, Sander, Schneider, Vandenkendelaere,<br />

Wiseler-Lima<br />

Fraktion Renew Europe<br />

Nart, Pîslaru<br />

Fraktion der Progressiven Allianz der<br />

Sozialdemokraten im Europäischen<br />

Parlament (S&D)<br />

Benea, Cutajar, Sant<br />

Fraktion der Grünen / Europäische Freie<br />

Allianz (Verts/ALE)<br />

Jakeliūnas, Ripa, Ropė<br />

Weitere Infos<br />

Weitere Informationen zu den<br />

Themen in diesem Lebensforum<br />

finden Sie hier.<br />

Alternativ können Sie auch die<br />

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<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

11


BIOETHIK-SPLITTER<br />

Mississippi wirbt für<br />

Abtreibungsverbot<br />

Washington/Jackson (ALfA). Der US-<br />

Bundesstaat Mississippi setzt sich in<br />

einem beim Obersten Gerichtshof der<br />

Vereinigten Staaten von Amerika anhängigen<br />

Fall für ein Verbot von Abtreibungen<br />

ein. Das berichtet unter anderem<br />

die »Deutsche Welle«. Der Sender<br />

beruft sich auf ein Schreiben, das<br />

die Generalstaatsanwältin des US-amerikanischen<br />

Bundesstaates, Lynn Fitch,<br />

am 22. Juli beim US-Supreme-Court<br />

eingereicht habe. Darin heiße es unter<br />

anderem: »Abtreibung als verfassungsmäßiges<br />

Recht hat keine Grundlage in<br />

Text, (...) Geschichte oder Tradition.«<br />

Im Mai hatte der Supreme Court für<br />

viele überraschend angekündigt, den<br />

»Gestational Age Act« des US-Bundesstaates<br />

Mississippi in seiner im Oktober<br />

beginnenden nächsten Amtszeit<br />

verfassungsrechtlich prüfen zu wollen.<br />

Das Gesetz verbietet, von wenigen Ausnahmen<br />

abgesehen, Abtreibungen ab<br />

der 15. Schwangerschaftswoche. Es war,<br />

nachdem Abtreibungsbefürworter dagegen<br />

Klage erhoben hatten, von Gerichten<br />

gestoppt worden.<br />

Wie die »Deutsche Welle« berichtet,<br />

bezeichnet Fitch das Grundsatzurteil des<br />

Obersten Gerichtshofs im Fall »Roe vs.<br />

Wade« aus dem Jahre 1973, das Abtreibungen<br />

in den USA praktisch legalisierte,<br />

in ihrem Schreiben als »ungeheuerlich<br />

falsch«. Für den Fall, dass der Supreme<br />

Court sein vorheriges Urteil nicht<br />

aufhebe, solle er zumindest das Abtreibungsverbot<br />

in Mississippi ohne eine<br />

Beschränkung aufgrund der Lebensfähigkeit<br />

des Kindes anerkennen. Derzeit<br />

gelten sechs der neun Richter des Supreme<br />

Courts als konservativ, was die<br />

Chancen für eine Aufhebung oder Abschwächung<br />

des »Roe vs. Wade«-Urteils<br />

erhöhe. Eine Entscheidung werde<br />

nicht vor Juni 2022 erwartet. reh<br />

Arkansas: Richterin<br />

stoppt Novelle<br />

Little Rock (ALfA). Eine US-Bezirksrichterin<br />

hat vorläufig das Inkrafttreten<br />

eines Gesetzes verhindert, das Abtreibungen<br />

im US-Bundesstaat Arkansas fast<br />

vollständig verboten hätte. Das berichtet<br />

unter anderem die »New York Times«.<br />

Der im März von Arkansas‘ Gouverneur<br />

Asa Hutchinson unterzeichnete »Arkansas<br />

Unborn Child Protection Act«<br />

erlaubt vorgeburtliche Kindstötungen<br />

nur noch in Fällen, in denen diese medizinisch<br />

erforderlich sind, um das Leben<br />

der Mutter zu retten. Dies ist zum<br />

Forscher erwägen Einsatz<br />

embryonaler Stammzellen<br />

Basel (ALfA). Wissenschaftler am<br />

Department für Biosysteme der ETH<br />

Zürich in Basel haben einen Labortest<br />

entwickelt, mit dem sich neue<br />

Wirkstoffe zuverlässiger als bisher auf<br />

mögliche toxische Eigenschaften für<br />

schwangere Frauen und ihre ungeborenen<br />

Kinder prüfen lassen sollen.<br />

Das berichtet die Hochschule auf ihrer<br />

Homepage (ethz.ch).<br />

Flagge von Mississippi<br />

Asa Hutchinson<br />

Beispiel bei Eileiterschwangerschaften<br />

immer wieder der Fall. Verstöße gegen<br />

das Gesetz können mit Haftstrafen bis<br />

zu zehn Jahren und Geldstrafen von bis<br />

zu 100.000 US-Dollar (rund 84.000 Euro)<br />

geahndet werden. Die vom ehemaligen<br />

US-Präsidenten Barack Obama ernannte<br />

Bezirksrichterin Kristine G. Baker<br />

begründete ihre Entscheidung damit,<br />

dass das Gesetz »verfassungswidrig«<br />

sei. Amanda Priest, Sprecherin von<br />

Generalstaatsanwältin Leslie Rutledge,<br />

sagte der »New York Times«, Rutledge<br />

sei über die Entscheidung »enttäuscht«<br />

und prüfe nun, was der »nächste angemessene<br />

Schritt« sei.<br />

reh<br />

SHANE T. MCCOY/US MARSHALS/LICENCE: CC BY-SA 2.0<br />

»Embryoid Bodies« als Testsysteme<br />

Bis dato zum Einsatz kommende<br />

Zellkulturtests seien »eine starke Vereinfachung<br />

dessen, was sich im Mutterleib«<br />

abspiele. Bislang gäben Forschende<br />

die zu testenden Substanzen<br />

einfach in Kulturschalen mit embryonalen<br />

Stammzellen. Dadurch könnten<br />

sie Substanzen entdecken, die embryonale<br />

Zellen direkt schädigen.<br />

In Wirklichkeit könnten Arzneistoffe<br />

im Köper einer schwangeren<br />

Frau aber auch von deren Stoffwechsel<br />

so verändert werden, dass sie dem<br />

Embryo indirekt schadeten, so etwa<br />

dann, wenn sie die »Funktion der Plazenta«<br />

beeinträchtigten oder in dieser<br />

»Stressreaktionen« auslösten.<br />

Um solche Wirkungen feststellen<br />

zu können, entwickelten die Forscher<br />

nun einen »Chip mit mehreren Kompartimenten,<br />

die durch winzige Kanäle<br />

miteinander verbunden sind«. Auf<br />

ihnen kombinierten sie »aus Zelllinien<br />

gewonnene menschliche Plazentazellen<br />

mit kleinen Gewebekügelchen<br />

aus embryonalen Stammzellen von<br />

Mäusen (Embryoid Bodies), welche<br />

die frühe Embryonalentwicklung widerspiegeln«.<br />

Die zu testenden Sub-<br />

12 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


BIOETHIK-SPLITTER<br />

stanzen erreichten so »zunächst eine<br />

Schicht Plazentazellen, müssen diese<br />

durchdringen und gelangen erst anschließend<br />

zu den Embryonalzellen<br />

– ähnlich wie dies auch im Mutterleib<br />

der Fall« sei.<br />

Wie es in dem auf der Homepage<br />

der ETH veröffentlichten Beitrag<br />

weiter heißt, sei es Ziel der Forscher,<br />

»einen neuen Test zu entwickeln, den<br />

auch die Pharmaindustrie einfach<br />

anwenden kann«. Und weiter: »Indem<br />

embryoschädigende Stoffe bei<br />

der Entwicklung von Medikamenten<br />

frühzeitig erkannt und ausgeschlossen<br />

werden können, müssen anschließend<br />

weniger Stoffe in Tierversuchen getestet<br />

werden. Dies hilft, die Zahl an<br />

Tierversuchen zu reduzieren.« Ferner<br />

heißt es, die Forscher dächten darüber<br />

nach, »für die Embryoid Bodies in Zukunft<br />

menschliche Stammzelllinien zu<br />

verwenden statt solche von der Maus«.<br />

Der Grund: Insbesondere in der Embryonalentwicklung<br />

und den Vorgängen<br />

in der Plazenta gebe es wesentliche<br />

Unterschiede zwischen Versuchstieren<br />

und dem Menschen.<br />

reh<br />

Genome Editing: WHO<br />

legt Empfehlungen vor<br />

Genf (ALfA). Die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) hat Empfehlungen<br />

für das ethisch heftig umstrittene<br />

Wirkweise des Genome Editing<br />

Genome Editing sowie einen Regulierungsrahmen<br />

(Framework for governance)<br />

zu deren Umsetzung veröffentlicht.<br />

Die überwiegend sehr allgemein<br />

gehaltenen Empfehlungen betreffen die<br />

Durchführung und Aufsicht von Eingriffen<br />

in die menschliche Keimbahn<br />

mit CRISPR/Cas-Technologie. Nach<br />

Vorstellung der WHO soll die Aufsicht<br />

über derartige Eingriffe in einer »internationalen<br />

Zusammenarbeit« organisiert<br />

werden. Die UN-Behörde spricht<br />

sich dafür aus, dass die Forschung nur<br />

in Ländern durchgeführt wird, in denen<br />

eine solche Aufsicht auch möglich<br />

ist. Für »illegale, nicht registrierte,<br />

unethische oder unsichere« Forschungen<br />

oder andere Aktivitäten soll<br />

ein Warnsystem eingerichtet werden.<br />

Besorgt zeigt sich die WHO darüber,<br />

dass die Forschungsergebnisse infolge<br />

des Patentschutzes und der damit verbundenen<br />

hohen Kosten nicht für die<br />

Länder verfügbar sein könnten, in denen<br />

sie benötigt würden. Dergleichen<br />

könnte beispielsweise bei der Entwicklung<br />

einer Gentherapie der Sichelzellanämie<br />

drohen, die vor allem in den<br />

ärmeren Ländern Afrikas südlich der<br />

Sahara verbreitet ist.<br />

reh<br />

Registrierungspflicht für<br />

Euthanasieverweigerer<br />

LIGHTFIELD STUDIOS/STOCK.ADOBE.COM<br />

Madrid/Wien (ALfA). In Spanien müssen<br />

sich Ärzte, die sich nicht an Euthanasie<br />

beteiligen wollen, in ein von der<br />

Regierung eingerichtetes Register eintragen.<br />

Das berichtet das Wiener Institut<br />

für Medizinische Anthropologie<br />

und Bioethik (IMABE) in seinem monatlichen<br />

Newsletter. Im März <strong>2021</strong><br />

hatte Spaniens Parlament die Euthanasie<br />

legalisiert. Am 25. Juni trat das<br />

entsprechende Gesetz in Kraft. Während<br />

die Regierung die Schaffung des<br />

Registers damit begründet, anders ließe<br />

sich die »Versorgung« Sterbewilliger<br />

nicht sicherstellen, fürchten Ärztevertreter<br />

nun die Diskriminierung<br />

von Ärzten, die Euthanasie ablehnen.<br />

Die spanische Ärztekammer, die bereits<br />

im Vorfeld scharfe Kritik an dem<br />

Gesetz übte, hält es sogar für möglich,<br />

dass die Einrichtung des Registers gegen<br />

die Verfassung verstoße. So schreibe<br />

Artikel 16, Absatz 2 der spanischen<br />

Verfassung vor, dass niemand gezwungen<br />

werden dürfe, »über seine Ideologie,<br />

Religion oder Weltanschauung<br />

auszusagen«.<br />

reh<br />

Bundesregierung will<br />

Stillen stärker fördern<br />

Berlin (ALfA). Die Bundesregierung will<br />

das Stillen von Babys stärker fördern.<br />

Ziel ist es, die Rahmenbedingungen für<br />

das Stillen zu verbessern und die Akzeptanz<br />

der Öffentlichkeit zu erhöhen.<br />

Konkret steht damit eine Überprüfung<br />

des Angebots der Stillberatung an. Auch<br />

soll sichergestellt werden, dass alle für<br />

das Thema relevanten Berufsgruppen<br />

aus den Bereichen Gesundheit, Pflege<br />

und Familie entsprechend qualifiziert<br />

sind. Arbeitgeber will die Bundesregierung<br />

anregen, das Stillen ebenfalls<br />

Höhere Akzeptanz für stillende Mütter<br />

zu fördern. Auch sollen künftig systematisch<br />

Daten zum Stillverhalten erhoben<br />

werden. Eine Studie hatte von<br />

2017 bis 2019 die Rahmenbedingungen<br />

des Stillens in Deutschland untersucht<br />

und ergeben, dass Deutschland<br />

bislang nur moderat stillfreundlich ist.<br />

Es sei wissenschaftlich gut belegt, dass<br />

Muttermilch die optimale Ernährung<br />

für Säuglinge sei und Stillen die Gesundheit<br />

von Mutter und Kind fördere.<br />

Langfristig gesehen seien gestillte<br />

Kinder im späteren Alter deutlich seltener<br />

übergewichtig als nicht gestillte<br />

Kinder. Auch litten sie seltener an Diabetes<br />

Typ 2. Bei Müttern sinke zudem<br />

das Risiko für Krebserkrankungen der<br />

Brust, der Eierstöcke und der Gebärmutterschleimhaut<br />

sowie das Erkrankungsrisiko<br />

für Diabetes Typ 2. reh<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

13


POLITIK<br />

CHRISTIAN SCHWIER/STOCK.ADOBE.COM<br />

Drum prüfe,<br />

wer sich bindet …<br />

Für Lebensrechtler ist der Schutz des Lebens von zentraler Bedeutung. Das gilt auch bei<br />

Wahlentscheidungen. In den Programmen der Parteien spielt er jedoch offenbar nur eine<br />

untergeordnete Rolle. »LebensForum« hat den Journalisten Michael Maximilian Sabel gebeten,<br />

sich die Programme von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen<br />

sowie Freie Wähler, ÖDP und Bündnis C diesbezüglich genauer anzuschauen.<br />

Von Michael Maximilian Sabel<br />

Im Wahlprogramm »Das Programm für<br />

Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam<br />

für ein modernes Deutschland« finden<br />

sich überraschenderweise keinerlei Aussagen<br />

zum Schutz des ungeborenen Lebens.<br />

Damit sind CDU und CSU die<br />

einzigen unter den großen Parteien,<br />

die sich nicht zum Lebensschutz – weder<br />

in bejahender noch in ablehnender<br />

Weise – positionieren. Das irritiert insofern,<br />

als die Unionsparteien für sich<br />

proklamieren, christliche Werte zu vertreten.<br />

Anfragen an verschiedene Abgeordnete<br />

und CDU-Gruppen bezüglich<br />

dieser Zurückhaltung wurden nicht<br />

beantwortet. Dabei müsste die Union<br />

ihrem Selbstverständnis entsprechend<br />

ihre Stimme für den Schutz des ungeborenen<br />

Lebens erheben.<br />

Das Themenfeld Sterbehilfe wird indes<br />

sehr wohl im Wahlprogramm behandelt.<br />

»Wir wollen eine lebensbejahende<br />

Beratung für Menschen, die unheilbar<br />

und mit begrenzter Lebenserwartung<br />

krank sind. Statt Sterbehilfe zu kommerzialisieren,<br />

werden wir dafür sorgen,<br />

dass wir den Zugang zu Hospizoder<br />

Palliativversorgung garantieren.«<br />

14 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


POLITIK<br />

Für die Sozialdemokraten gehören Abtreibungen<br />

zur Grundversorgung. Deshalb<br />

sollen, ginge es nach dem Willen<br />

der SPD, alle Krankenhäuser, die<br />

öffentliche Mittel erhalten, zukünftig<br />

Abtreibungen anbieten. Ergänzt werden<br />

soll dieses Angebot durch den kostenfreien<br />

Zugang zu Verhütungsmitteln.<br />

Ferner sehen die Sozialdemokraten<br />

im § 219a des Strafgesetzbuches ein<br />

Hindernis, welches ersatzlos gestrichen<br />

werden soll. Dieser Paragraf regelt das<br />

Werbeverbot für Abtreibungen. Ferner<br />

stellt die SPD mit Blick auf § 218<br />

StGB fest: »Schwangerschaftskonflikte<br />

gehören nicht ins Strafrecht.« Der umstrittene<br />

§ 218 StGB definiert, dass eine<br />

Abtreibung in Deutschland grundsätzlich<br />

rechtswidrig ist, aber unter gewissen<br />

Umständen straffrei sein kann.<br />

Straffrei wird eine Abtreibung dann,<br />

wenn sich die Schwangere zuvor beraten<br />

lässt, die Abtreibung durch einen<br />

Arzt vorgenommen wird und dies innerhalb<br />

der ersten zwölf Wochen nach<br />

der Empfängnis geschieht. Ob sich der<br />

Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch<br />

überhaupt entfernen lassen<br />

kann, ist indes nicht so sicher. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat hierzu bereits<br />

geurteilt: »Danach ist das Strafrecht regelmäßig<br />

der Ort, das grundsätzliche<br />

Verbot des Schwangerschaftsabbruchs<br />

und die darin enthaltene grundsätzliche<br />

Rechtspflicht der Frau zum Austragen<br />

des Kindes gesetzlich zu verankern.«<br />

Aktive Sterbehilfe wird von den Sozialdemokraten<br />

in ihrem Wahlprogramm<br />

nicht thematisiert.<br />

Die AfD nimmt als einzige der im Bundestag<br />

vertretenen Parteien eine eindeutige<br />

Position pro Lebensschutz in ihrem<br />

Wahlprogramm ein, gleichwohl auch<br />

sie Abtreibungen grundsätzlich nicht<br />

verhindern will. Unter der Überschrift<br />

»Willkommenskultur für Kinder« führt<br />

die AfD auf anderthalb Seiten aus, dass<br />

sie sich zum Lebensschutz bekennt. Die<br />

AfD benennt moralische, aber auch demographische<br />

Gründe dafür, für den<br />

Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten:<br />

»Die Gesellschaft muss in<br />

Familie, Schulen und Medien den Respekt<br />

vor dem Leben und ein positives<br />

Bild von Ehe und Elternschaft vermitteln.<br />

Diesen Bedarf erkennt man daran,<br />

dass seit Jahren in Deutschland jährlich<br />

rund 100.000 ungeborene Kinder<br />

getötet werden, was der Zahl der Einwohner<br />

einer Großstadt entspricht.«<br />

Die Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

sei zu einem »formalen Verwaltungsakt<br />

verkümmert«, ihre Wirksamkeit<br />

müsse regelmäßig überprüft werden,<br />

damit sie dem Schutz des Lebens<br />

diene. Abtreibungen sollen so nach dem<br />

Willen der AfD zur Ausnahme werden,<br />

diese hingegen weiterhin möglich bleiben:<br />

»Die Entscheidung über eine Abtreibung<br />

muss natürlich bei der Mutter<br />

bzw. bei den Eltern liegen«, so die AfD<br />

in ihrem Wahlprogramm »Deutschland.<br />

Aber normal«.<br />

Zum Lebensende in Würde äußert<br />

sich die Alternative für Deutschland<br />

ähnlich knapp wie die Union: »Der<br />

Prozess des Sterbens ist durch die bewährte<br />

Palliativmedizin und eine passive<br />

Sterbehilfe zu begleiten.«<br />

Sitz des Deutschen Bundestags und Ort der Gesetzgebung: Das Berliner Reichstagsgebäude im Stadtbezirk Mitte<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

15


POLITIK<br />

ihrer Homepage beworben hatte und<br />

trotz Verurteilung von ihrem Handeln<br />

weiterhin überzeugt ist. Die Abtreibung<br />

ist keine medizinische Behandlung wie<br />

jede andere, die problemlos beworben<br />

werden kann.<br />

Was den Schutz des Lebens am Lebensende<br />

anbetrifft, bleibt die FDP<br />

ihrer liberal-progressiven Linie treu:<br />

»Wir freie Demokraten fordern ein liberales<br />

Sterbehilfegesetz.« Dieses müsse<br />

mit klaren Regeln ermöglichen, dass<br />

Menschen Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch<br />

nehmen dürfen. »Es muss auch<br />

STEFFEN PRÖSSDORF/LICENCE: CC BY-SA 4.0<br />

fordert die Linke. Hierzu führt sie in<br />

ihrem Wahlprogramm »Zeit zu handeln.<br />

Für soziale Sicherheit, Frieden<br />

und Klimaschutz« aus, die §§ 218 und<br />

219 aus dem Strafgesetzbuch streichen<br />

zu wollen. Diese Paragrafen regeln Abtreibungen<br />

und Werbeverbot für Abtreibungen.<br />

Öffentliche Krankenhäuser will<br />

die Linke im Falle einer Regierungsbeteiligung<br />

dazu auffordern, Abtreibungen<br />

anzubieten. Darüber hinaus sollen Abtreibungen<br />

als Teil der Gesundheitsversorgung<br />

wie andere medizinische Leistungen<br />

geregelt werden. Ferner fordern<br />

die Linken, die Kosten sämtlicher<br />

Verhütungsmethoden sollten von den<br />

Krankenkassen übernommen werden.<br />

Zur Sterbehilfe äußert sich die Linke<br />

im Wahlprogramm nicht.<br />

Wird spannend: Am 26. September wählt Deutschland ein neues Parlament<br />

Nach Meinung der Liberalen müsse den<br />

Frauen in Deutschland ein »flächendeckendes<br />

und objektives Beratungsnetzwerk<br />

zur Verfügung« stehen. Die<br />

Freien Demokraten sprechen sich ferner<br />

für die Streichung des § 219a StGB<br />

aus. Dieser Paragraf regelt das Werbeverbot<br />

für Abtreibungsmaßnahmen<br />

und ist Abtreibungsbefürwortern schon<br />

lange ein Dorn im Auge. Es sei abwegig,<br />

so die Liberalen in ihrem Wahlprogramm<br />

zur Bundestagswahl <strong>2021</strong>,<br />

»dass sachliche Informationen auf der<br />

Homepage einer Ärztin oder eines Arztes<br />

über einen legalen ärztlichen Eingriff<br />

strafbares Unrecht sein sollen«.<br />

Das Werbeverbot ist jedoch ein wichtiger<br />

Bestandteil der gesetzlichen Regelung<br />

zum Schwangerschaftsabbruch.<br />

Mit Blick auf den Fall Dr. Hänel wird<br />

dies besonders deutlich. Hänel, Gießener<br />

Frauenärztin, war bundesweit in<br />

die Schlagzeilen geraten, weil sie verbotenerweise<br />

Abtreibungseingriffe auf<br />

die Möglichkeit geben, ein letal wirkendes<br />

Medikament zu erhalten«, fordern<br />

die Liberalen im Wahlprogramm. Das<br />

Selbstbestimmungsrecht gelte auch am<br />

Lebensende.<br />

»Wir wollen für Frauen*, trans und<br />

nichtbinäre Menschen einen legalen Zugang<br />

zum Schwangerschaftsabbruch«,<br />

In ihrem Wahlprogramm »Deutschland.<br />

Alles ist drin« bekennen sich die<br />

Bündnisgrünen eindeutig zum Recht<br />

auf Abtreibung. Dieses müsse durch<br />

eine »ausreichende und wohnortnahe<br />

Versorgung mit Ärzt*innen, Praxen<br />

und Kliniken« gewährleistet werden. Im<br />

Anschluss an diese Forderung benennt<br />

die Partei weitere Punkte, um eine umfassende<br />

Abtreibungspraxis anbieten zu<br />

können. Abtreibung soll, wenn es nach<br />

den Grünen geht, Bestandteil der Arztausbildung<br />

werden. Beratungsangebote<br />

sollen weiter ausgebaut werden. Für<br />

Abtreibungen müsse es eine »generelle<br />

Kostenübernahme« geben. Dies ist<br />

aber bereits verfassungsgerichtlich eindeutig<br />

geregelt worden: Demnach sind<br />

generelle Kostenübernahmen durch die<br />

Kassen nicht vorgesehen. Ferner fordern<br />

die Grünen, vor Abtreibungseinrichtungen<br />

»Schutzzonen vor Anfeindungen<br />

und Gehsteigbelästigungen«<br />

zu installieren. Ergänzt wird der grüne<br />

Forderungskatalog vom Willen, den<br />

§ 219a StGB aus dem Strafgesetzbuch<br />

zu streichen. All dies solle der »Entstigmatisierung<br />

und Entkriminalisie-<br />

16 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


POLITIK<br />

rung von selbstbestimmten Abbrüchen«<br />

dienen. Sterbehilfe wird im Wahlprogramm<br />

nicht weiter behandelt.<br />

Die Freien Wähler treten zum dritten<br />

Mal in Folge bei der Wahl des Deutschen<br />

Bundestages an. Nachdem sie<br />

2013 und 2017 ziemlich eindeutig an<br />

der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten,<br />

rechnen sie sich diesmal – nachdem sie<br />

bereits im bayerischen und rheinlandpfälzischen<br />

Landtag vertreten sind und<br />

sogar der bayerischen Staatsregierung<br />

als Juniorpartner der CSU angehören<br />

– größere Chancen bei der Bundestagswahl<br />

<strong>2021</strong> aus. Die Freien Wähler<br />

betrachten sich selbst als eine freiheitlich-bürgerliche<br />

Partei, die eindeutig<br />

dem bürgerlichen Lager zugerechnet<br />

werden könne.<br />

Einerseits bekennen sich die Freien<br />

Wähler klar zur Möglichkeit der Abtreibung:<br />

»Wir stehen bei Schwangerschaftsabbrüchen<br />

zum gesellschaftlichen<br />

Konsens in Deutschland und wollen die<br />

bestehenden gesetzlichen Regelungen<br />

beibehalten.« Gleichzeitig fordern sie,<br />

dass mehr unternommen werden müsse,<br />

damit sich Eltern für und nicht gegen<br />

das Kind entschieden. Die verpflichtende<br />

Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

müsse beibehalten werden,<br />

ebenso das kommerzielle Werbeverbot<br />

nach § 219a StGB. »Wir stehen für<br />

einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien<br />

Zugang zu einer sicheren<br />

medizinischen Versorgung bei dem<br />

Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch<br />

und setzen uns für die Rechtssicherheit<br />

von Ärzt*innen ein, die über ihr Leistungsangebot<br />

in diesem Bereich informieren«,<br />

schreibt die Partei in ihrem<br />

Wahlprogramm »Stabilität, Sicherheit,<br />

Freiheit: Die Kraft der Mitte«.<br />

Eine kommerzielle Bewerbung müsse<br />

weiterhin unterbleiben. Zur Sterbehilfe<br />

äußern sich die Freien Wähler nicht<br />

in ihrem Wahlprogramm.<br />

Die ökologisch-demokratische Partei<br />

vermochte es bisher nicht, in den Deutschen<br />

Bundestag einzuziehen. Auch bei<br />

der diesjährigen Wahl zum 20. Deutschen<br />

Bundestag wird ihr von den Demoskopen<br />

keine Chance auf einen Einzug<br />

beschieden. Als Kleinpartei füllt<br />

sie die Nische zwischen Bündnis 90/<br />

Die Grünen und den Unionsparteien<br />

und besetzt wertkonservative, christliche<br />

Positionen mit besonderem Fokus<br />

auf Umwelt-, Klimaschutz und Nachhaltigkeit.<br />

Zum Schutz des ungeborenen Lebens<br />

nimmt die ÖDP in ihrem Wahlprogramm<br />

keine Positionen ein. Sie äußert<br />

sich jedoch zum Schutz des Lebens<br />

am Lebensende. »Schwerstkranke und<br />

Sterbende haben ein Recht auf staatliche<br />

und gesellschaftliche Solidarität«,<br />

fordert die ÖDP. Durch hochwertige<br />

medizinische Betreuung und auch mithilfe<br />

finanzieller Unterstützung müsse<br />

ein Sterben in Würde ermöglicht werden<br />

– auch daheim in den eigenen vier<br />

Wänden, so die ÖDP. Deshalb setzen<br />

sich die Ökologisch-Demokratischen für<br />

eine bundesweit flächendeckende Versorgung<br />

mit Hospizplätzen und palliativmedizinischen<br />

Einrichtungen ein.<br />

Die Partei »Bündnis C – Christen für<br />

Deutschland« ist eine noch recht neue<br />

Partei, da sie 2015 aus der Fusion der<br />

Partei bibeltreuer Christen (PBC) sowie<br />

der Partei für Arbeit, Umwelt und<br />

Familie (AUF) entstanden ist. Für den<br />

Deutschen Bundestag konnte sie bisher<br />

kein Mandat erringen. Das Bündnis<br />

C wartet mit einem klaren Bekenntnis<br />

zum Lebensschutz in seinem »Kurzprogramm<br />

<strong>2021</strong>« auf: Die Würde des Menschen<br />

begründe »das Recht auf Leben<br />

von der Empfängnis bis zum natürlichen<br />

Tod«. Das Recht auf Selbstbestimmung<br />

stünde nicht über dem Recht auf Leben<br />

der ungeborenen Kinder. Ebenso<br />

entschieden spricht sich das Bündnis C<br />

gegen aktive Sterbehilfe aus. »Suizidbeihilfe«<br />

dürfe nicht legalisiert werden,<br />

so das Bündnis C.<br />

Fazit<br />

Einigkeit im linken Lager, Zurückhaltung<br />

bei der Union, Bekenntnisse bei<br />

AfD und Bündnis C – so ließe sich die<br />

grobe Richtung zusammenfassen. Sterbehilfe<br />

spielt im linken Lager keine große<br />

Rolle, denn weder SPD noch Grüne<br />

oder Linke äußern sich hierzu. Die<br />

FDP tritt als einzige Partei offen für die<br />

Suizidhilfe ein. Bündnis C und ÖDP<br />

vertreten hier ablehnende Positionen.<br />

Mit Blick auf den Schutz ungeborenen<br />

Lebens zeigt sich, dass die drei linken<br />

Parteien SPD, Grüne und Linke äußerst<br />

ähnliche Positionen einnehmen – mit<br />

klaren Bekenntnissen zur Abtreibung.<br />

Das bürgerliche Lager gibt ein gänzlich<br />

anderes Bild ab. Während die Union<br />

keinerlei Aussagen zum Schutz ungeborenen<br />

Lebens tätigt, positionieren<br />

sich die Liberalen als abtreibungsbefürwortende<br />

Partei. Allein die AfD<br />

erklärt, mehr unternehmen zu wollen,<br />

damit Eltern sich für Kinder entscheiden<br />

und nicht dagegen.<br />

Bei den Kleinparteien sticht Bündnis<br />

C mit konturierten Einstellungen<br />

für den Schutz des Lebens ungeborener<br />

Menschen hervor. Die ÖDP äußert<br />

sich zu diesem Themenkomplex nicht.<br />

Die Freien Wähler treten hier für die<br />

Beibehaltung des Status quo ein.<br />

Tipp der Redaktion<br />

Laut Verfassung sind Abgeordnete<br />

nur ihrem Gewissen verpflichtet.<br />

Es empfiehlt sich daher, die Direktkandidaten<br />

Ihres Wahlkreises<br />

zusätzlich zu fragen, welche Positionen<br />

sie persönlich in Fragen<br />

des Lebensschutzes vertreten.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

17


AUSLAND<br />

PRO-LIFE<br />

Congress<br />

17. – 19. SEPT. <strong>2021</strong> | BERLIN<br />

FR.,17. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />

SA.,18. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />

18.00 Uhr → Ankunft und Anmeldung der Teilnehmer<br />

19.30 Uhr → Abendessen in der Stadt – Die CDL und<br />

die JfdL stellen sich vor<br />

SO.,19. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />

bis 9:00 Uhr → Frühstück<br />

9.00 Uhr → Input – Was DU jetzt tun kannst<br />

9.30 Uhr → Feedbackrunde<br />

12.00 Uhr → Mittagessen und Abreise<br />

bis 9:00 Uhr → Frühstück<br />

9.00 Uhr → Ein Zellhaufen spricht über Abtreibung<br />

– Sabina Scherer<br />

10.00 Uhr → Workshops:<br />

1. CDL – Politik und Lebensschutz<br />

2. Vorsicht Falle: Wording und<br />

Framing im Lebensschutz<br />

3. Vita-L – Arbeit als Beraterin<br />

4. Männer und Abtreibung<br />

11.30 Uhr → Pause<br />

12.00 Uhr → Kick-off<br />

13.00 Uhr → Kundgebung und Marsch für das<br />

Leben<br />

18.00 Uhr → Abendessen<br />

19.30 Uhr → Entweder du treibst ab oder du<br />

fliegst raus – Zeugnis einer<br />

Betroffenen<br />

Anschließend geselliger Abend am Lagerfeuer<br />

Eine Kooperation der CDL<br />

und der Jugend für das Leben<br />

120 € für Schüler, Studenten, Auszubildende<br />

150 € für junge Berufstätige<br />

In den Kosten inbegriffen sind: Übernachtungen, Vollpension,<br />

Kaffeepause, Lunchpaket, Kongressgebühr und Material.<br />

Jugend für das Leben<br />

Ottmarsgäßchen 8 | 86152 Augsburg<br />

www.jugend.alfa-ev.de<br />

→ Anmeldung unter:<br />

KONTAKT@JUGENDFUERDASLEBEN.DE<br />

oder QR-Code scannen →<br />

www.marsch-fuer-das-leben.de<br />

www.eventbrite.com/e/pro-life-congress-<strong>2021</strong>-tickets-114601439992<br />

18 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


AUSLAND<br />

GEH DU<br />

FÜR MICH<br />

Für das<br />

Leben.<br />

Für die<br />

Fakten.<br />

MARSCH FÜR DAS LEBEN<br />

18. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />

Der Marsch für das Leben<br />

in Berlin ist Ihnen wichtig –<br />

aber Sie können nicht selbst mitgehen?<br />

Wir vertreten Sie!<br />

Unterstützen Sie unsere Aktion „Geh Du für mich“<br />

mit Ihrer Spende und ermöglichen Sie so<br />

einem Jugendlichen die Teilnahme.<br />

Spendenkonto:<br />

VR-Bank Augsburg-Ostallgäu<br />

DE85 7209 0000 0005 0409 90<br />

BIC: GENODEF1AUB<br />

Kennwort: Geh Du für mich <strong>2021</strong><br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

Vielen<br />

Dank!<br />

#PROLIFEFACTS<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8 | 86152 Augsburg<br />

www.alfa-ev.de<br />

www.marsch-fuer-das-leben.de<br />

19


AUSLAND<br />

MAKSYM YEMELYANOV/STOCK.ADOBE.COM<br />

Weder bio<br />

noch ethisch<br />

Für die einen ist es ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, für die anderen ist es das<br />

»Gesetz der Erwachsenen, die Kinder vergessen«. Nach zweijähriger Arbeit hat das<br />

französische Parlament Ende Juni ein neues Bioethikgesetz verabschiedet.<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

Unter dem Applaus der Abgeordneten<br />

wurde der Entwurf<br />

für das »Loi Bioéthique«,<br />

das neue französische Bioethikgesetz,<br />

nach rund 500 Stunden parlamentarischer<br />

Debatten mit 326 Ja-, 115 Nein-<br />

Stimmen und 42 Enthaltungen parteiübergreifend<br />

bestätigt. Es gab keinen<br />

Fraktionszwang, und Befürworter<br />

sowie Gegner des Gesetzes waren in<br />

allen politischen Lagern zu finden,<br />

wenn auch die Linke mehrheitlich dafür<br />

stimmte und die Rechte dagegen.<br />

Im Vorfeld hatte dieses Gesetz<br />

Zehntausende besorgte französische<br />

Bürger auf die Straßen getrieben, die<br />

gesamte französische Bischofskonferenz<br />

zu scharfen Protesten veranlasst<br />

und begründeten Anlass zur Sorge um<br />

Frauen- und Kinderrechte gegeben.<br />

Bisher galt auch in Frankreich das<br />

Diktum: »Es gibt kein Recht auf Kinder«.<br />

Diese Feststellung wurde jedoch<br />

aus dem Gesetzentwurf gestrichen,<br />

so dass im Umkehrschluss nun das<br />

Gegenteil gilt: Die französischen Abgeordneten<br />

haben ein Gesetz für Er-<br />

20 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


AUSLAND<br />

wachsene verabschiedet, welches ein<br />

Recht auf Kinder schafft. Kritiker sehen<br />

hierin einen schrecklichen Rückschritt,<br />

der Kinder zum Gegenstand<br />

eines Notarvertrags macht, zu einem<br />

Vermögenswert, der um jeden Preis<br />

und ohne Rahmen oder Begrenzung<br />

erworben werden kann, zu Objekten,<br />

die nach Belieben hergestellt, verzweckt,<br />

zerstört oder in die Endfertigung<br />

gegeben werden können.<br />

Worum geht es genau?<br />

In-vitro-Fertilisation für alle, Eizellenkonservierung,<br />

Forschung an Embryonen,<br />

Reform der Abstammung,<br />

deutlich vereinfachter Zugang zur<br />

chemischen Abtreibung: Das sind die<br />

wichtigsten Maßnahmen des am 29.<br />

Juni endgültig verabschiedeten Bioethikgesetzes.<br />

Die Eizellkonservierung ohne medizinische<br />

Gründe ist erlaubt worden.<br />

Frauen, die eine Schwangerschaft<br />

möglichst weit hinauszögern wollen,<br />

können dies nun aus jedem beliebigen<br />

Grund tun, beispielsweise um<br />

ihre Karriere erst voranzutreiben. Das<br />

macht es Arbeitgebern möglich, auf berufstätige<br />

Frauen Druck auszuüben, so<br />

wie es Apple und Facebook schon seit<br />

2014 machen: Sie bieten an, für die Eizellkonservierung<br />

zu bezahlen, damit<br />

Frauen ihren Kinderwunsch so weit<br />

wie möglich nach hinten verschieben,<br />

um den Unternehmen länger ohne Unterbrechung<br />

zur Verfügung zu stehen.<br />

Dass dies nicht im Interesse der Kinder<br />

und Frauen sein kann, liegt auf der<br />

Hand. Insbesondere dann, wenn man<br />

weiß, dass die künstliche Befruchtung<br />

kryokonservierter Eizellen mittlerweile<br />

überwiegend mittels Spermieninjektion<br />

(ICSI) erfolgt, einem Verfahren,<br />

das mit hohen Risiken für die Schwangere<br />

verbunden ist. Hierzu zählen<br />

Verwachsungen der Plazenta mit der<br />

Gebärmutterschleimhaut, was bei der<br />

Geburt zu bedrohlichen Blutungen für<br />

Mutter und Kind führen kann. Auch<br />

Präeklampsie (Bluthochdruck bei der<br />

Mutter, verbunden mit der Gefahr für<br />

Krampfanfälle) tritt gehäuft auf. Ohnehin<br />

gilt: Frauen zwischen 20 und 29 tragen<br />

das geringste Risiko während einer<br />

Schwangerschaft, ab 35 gelten Frauen<br />

bereits per se als Risikoschwangere.<br />

TIERO/STOCK.ADOBE.COM<br />

Die künstliche Befruchtung wird<br />

nun auch für lesbische Paare und alleinstehende<br />

Frauen zugelassen und<br />

nicht mehr nur heterosexuellen Paaren<br />

vorbehalten, die Kosten werden<br />

der Sozialversicherung aufgebürdet<br />

– der französische Staat geht von 15<br />

Millionen Euro jährlich aus. Auch<br />

hier spielen die Interessen der Kinder<br />

keine Rolle. In einem Beitrag für das<br />

»Deutsche Ärzteblatt« vom März 2020<br />

weisen dessen Autoren nach, dass<br />

IVF-Kinder erheblichen gesundheitlichen<br />

Risiken ausgesetzt sind: Neben<br />

Risiken wie erhöhtem Frühgeburtsrisiko<br />

und geringem Geburtsgewicht<br />

treten vermehrt Fehlbildungen, Herzfehler,<br />

kardio-vaskuläre Probleme und<br />

kognitive Störungen wie Autismus auf.<br />

Die Komplikationsrate vervierfacht<br />

sich nahezu, sofern das ICSI-Verfahren<br />

angewandt wird, wie eine Studie<br />

von Royster et al. (Fertility and Sterility,<br />

2016) zeigt.<br />

Die Autoren des Beitrags im »Deutschen<br />

Ärzteblatt« warnen eindringlich,<br />

dass IVF-Techniken nur angewandt<br />

werden sollten, wenn auf<br />

anderem Wege keine Schwangerschaft<br />

herbeigeführt werden kann. Auf das<br />

größte Risiko gehen die Autoren dabei<br />

nicht mal ein: Nach wie vor liegt die<br />

Baby-take-home-Rate bei In-vitro-<br />

Fertilisationen bei nur 20 Prozent. Somit<br />

sterben 80 von 100 aller auf diese<br />

Weise gezeugten Kinder entweder in<br />

der Petrischale, in der Gebärmutter<br />

oder werden aktiv durch selektive Reduktion<br />

getötet.<br />

Verlust des Vaters<br />

Neben den massiven gesundheitlichen<br />

Risiken, die eine künstliche Erzeugung<br />

im Labor für die so entstandenen<br />

Kinder daher bedeutet, sieht<br />

das neue französische Gesetz eine vaterlose<br />

Existenz vor. Statt eines Vaters<br />

und einer Mutter hat ein solches von<br />

einem lesbischen Paar in Auftrag gegebenes<br />

Kind nun nur noch eine Mutter.<br />

Eine weitere Mutterschaft kann von<br />

ihrer Partnerin beantragt und notariell<br />

beglaubigt werden, so wie dies bereits<br />

bei heterosexuell zusammenlebenden<br />

Eltern eines Kindes möglich ist – nur<br />

ist hier in der Regel der Partner der<br />

Mutter auch gleichzeitig der leibliche<br />

Die Kosten für die künstliche Befruchtung muss die Sozialversicherung tragen<br />

Vater des betreffenden Kindes. Das<br />

Recht auf Vater und Mutter haben<br />

Kinder nach dieser Gesetzgebung in<br />

Frankreich nicht mehr.<br />

Ebenfalls gefordert, aber abgelehnt<br />

wurde die Öffnung der künstlichen<br />

Befruchtung für Transgender-Männer.<br />

Die Transgenderlobby hatte gefordert,<br />

dass ein Mann, der als Frau geboren<br />

wurde und dann beschloss, das Geschlecht<br />

zu wechseln, seine immer<br />

noch vorhandene Gebärmutter dazu<br />

nutzen kann, ein Kind auszutragen.<br />

Angesichts der Vehemenz, mit der die<br />

Transgenderlobby für vermeintliche<br />

Rechte kämpft, stellt sich jedoch die<br />

Frage, wie lange diese rote Linie noch<br />

aufrechterhalten werden kann. Auch<br />

Forderungen nach einer Legalisierung<br />

der Leihmutterschaft konnten nicht<br />

durchgesetzt werden.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

21


AUSLAND<br />

Allerdings fragt sich auch hier, wie<br />

lange diese Entscheidungen Bestand<br />

haben wird. Die republikanischen Abgeordneten<br />

Xavier Breton und Annie<br />

Genevard hatten unablässig davor gewarnt,<br />

eine Gesellschaft zu schaffen,<br />

die ausschließlich von »individuellen<br />

Wünschen« geleitet wird, und hielten<br />

fest, die assistierte Reproduktion für<br />

alle Frauen werde unweigerlich zur<br />

Leihmutterschaft führen, weil Männer<br />

dies im Namen der Gleichberechtigung<br />

fordern würden. Schon jetzt ermögliche<br />

der Gesetzentwurf, Kinder,<br />

die im Ausland von einer Leihmutter<br />

geboren wurden, in Frankreich als<br />

eigene Kinder in die Abstammungsurkunde<br />

eintragen zu lassen. Gesundheitsminister<br />

Olivier Véran erklärte<br />

hierzu, dass die Leihmutterschaft »in<br />

fünf Jahren, zehn Jahren, fünfzehn<br />

Jahren« kommen werde, weil »die Gesellschaft<br />

sich entwickelt, so ist es«.<br />

Es gäbe also dann zwei Kategorien<br />

von Frauen: Diejenigen, die in den<br />

Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede im Deutschen Bundestag im Jahr 2011<br />

Rang von Sklaven degradiert werden<br />

können, die dazu bestimmt sind, Babys<br />

auszutragen, die von gewissenlosen<br />

Erwachsenen gekauft werden, und<br />

Frauen, die sich diesen Sklavendienst<br />

leisten können. Keine Frau nimmt<br />

ohne tiefe finanzielle Not und Sorge<br />

die Bürden einer neunmonatigen<br />

Schwangerschaft und schmerzhafter<br />

Geburt mit allen Risiken auf sich, um<br />

anschließend das Baby, das sie unter<br />

dem Herzen getragen hat, an die Besteller<br />

auszuliefern. Das Fortpflanzungsgeschäft<br />

lebt von Armut, Verletzlichkeit<br />

und menschlichem Elend,<br />

was es besonders unerträglich macht.<br />

Frauen als<br />

Rohstofflieferanten<br />

Wie sehr der Mensch in seinem<br />

frühen Stadium nur noch als ein Teil<br />

einer Produktionskette gesehen wird,<br />

in der Frauen als Rohstofflieferanten<br />

(Eizellspende) und Produktionsstätte<br />

DEUTSCHER BUNDESTAG/LICHTBLICK/ACHIM MELDE<br />

(Leihmutterschaft) betrachtet werden,<br />

zeigt ein Blick auf die Regelungen, die<br />

die Forschung an menschlichen Embryonen<br />

betreffen. Im französischen<br />

Bioethikgesetz wird der embryonale<br />

Mensch in Missachtung aller wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse und Fakten<br />

nicht als Mensch betrachtet, sondern<br />

als Rohstoff, aus dem sich in dieser<br />

Denkweise eben unter anderem auch<br />

ein Baby herstellen lässt. Artikel 20<br />

bis 23 des neuen Gesetzes bedienen<br />

daher konsequenterweise die Begehrlichkeiten<br />

der Forscher und erlauben,<br />

menschliche Embryonen für Forschungszwecke<br />

zu verwenden, ohne<br />

dass ihnen dies selbst in irgendeiner<br />

Weise nutzen würde. Dazu zählt nun<br />

explizit auch die Möglichkeit, menschliche<br />

Embryonen beispielsweise mittels<br />

der CRISPR/Cas-Technologie<br />

genetisch zu verändern oder Tier-<br />

Mensch-Chimären herzustellen.<br />

Es ist demnach nur folgerichtig, dass<br />

auch die Regelungen zur Beseitigung<br />

eines menschlichen Embryos, sollte<br />

er unerwünscht entstanden sein, angepasst<br />

wurden. Das neue Gesetz beinhaltet<br />

daher einen Passus, der die<br />

chemische Abtreibung erleichtert.<br />

Die bisher gültige Bedenkzeit von<br />

einer Woche zwischen Feststellung<br />

der Schwangerschaft und chemischer<br />

Abtreibung wurde gestrichen. Minderjährige<br />

können nun chemisch abtreiben,<br />

ohne vorher ihre Eltern zu<br />

informieren.<br />

Beides ist zutiefst frauenfeindlich.<br />

Die verzweifelten Anrufe von Frauen,<br />

die die Einnahme der Abtreibungspille<br />

bereuen und gern ungeschehen machen<br />

würden, häufen sich – allein in<br />

der telefonischen Beratungshotline vitaL<br />

der ALfA melden sich jede Woche<br />

betroffene Frauen. Eine Beratungsfrist<br />

lässt ihnen Zeit, sich über ihre Gefühle<br />

klar zu werden, Hilfe zu suchen und<br />

zu finden und die Entscheidung zu<br />

überdenken. Sie vermittelt zudem die<br />

Botschaft, dass eine Abtreibung per<br />

chemischer Keule nicht auf die leichte<br />

Schulter zu nehmen ist und dass auch<br />

der ungeborene Mensch nicht einfach<br />

nur eine lästige, körperfremde Einheit<br />

darstellt, die man gern beseitigen<br />

möchte. Chemische Abtreibungen<br />

sind riskant und psychisch hoch belastend,<br />

weil sie die Frauen zu alleini-<br />

22 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


AUSLAND<br />

gen Tätern machen und es Männern<br />

zudem massiv erleichtern, sich durch<br />

heimliche Verabreichung der Abtreibungspille<br />

einer ungewollten Vaterschaft<br />

zu entziehen.<br />

Premierminister Jean Castex begrüßte<br />

dennoch auf Twitter »ein Gesetz<br />

der Freiheit, des Fortschritts und<br />

der Gleichheit«. Der Chef der LREM-<br />

Abgeordneten, Christophe Castaner,<br />

sprach von »einem historischen Tag«<br />

in »einer fünfjährigen Periode des<br />

Fortschritts«.<br />

Kritiker kündigen<br />

Klage an<br />

Kritik hagelte es von den Organisatoren<br />

der »Manif Pour Tous«. In einer<br />

Pressemitteilung äußerte sich deren<br />

Vorsitzende, Ludovine de la Rochère,<br />

zum neuen Bioethikgesetz, das sie »ein<br />

Gesetz gegen Liebe, gegen Gleichheit<br />

und gegen Brüderlichkeit« nannte,<br />

welches überdies die Kinder vergesse.<br />

Sie kündigte weiteren Widerstand an.<br />

In einem Gespräch mit dem französischen<br />

Sender BFM-TV bezeichnete<br />

sie zudem die Art und Weise, wie<br />

dieses Gesetz durchgesetzt wurde, als<br />

wenig demokratisch. Eine demokratische<br />

Debatte, so de la Rochère, habe<br />

gar nicht stattgefunden. Zwischen den<br />

beiden Kammern des französischen<br />

Parlaments (Senat und Nationalversammlung)<br />

habe es radikale und<br />

zunehmend tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten<br />

gegeben. Die zwei<br />

Kammern sind nicht gleichberechtigt:<br />

Bei Uneinigkeit kann die Nationalversammlung<br />

den Senat überstimmen.<br />

Der Senat hatte das Gesetz am 24. Juni<br />

abgelehnt, die Nationalversammlung<br />

hat am 29. Juni von ihrem Recht Gebrauch<br />

gemacht, bei Uneinigkeit zwischen<br />

den beiden Kammern des französischen<br />

Parlaments den Senat zu<br />

überstimmen. De la Rochère kritisiert,<br />

hier sei mit der Brechstange vorgegangen<br />

worden, keinesfalls sei versucht<br />

worden, einen Konsens herzustellen.<br />

Auf den Hinweis, es handele sich<br />

hier doch um die Einlösung eines<br />

Wahlkampfversprechens von Staatspräsident<br />

Emmanuel Macron, antwortete<br />

de la Rochère, dies sei nicht Teil<br />

des offiziellen Wahlprogramms gewesen,<br />

das Macron an alle Bürger verschickt<br />

habe, er habe es lediglich hier<br />

und da in Interviews erwähnt. Mit anderen<br />

Worten: Macron wurde keineswegs<br />

gewählt, um dieses Programm<br />

umzusetzen, wie die Formulierung, er<br />

habe hier ein Versprechen an die Franzosen<br />

eingelöst, vermuten lässt.<br />

Die Umfrage, nach der eine Mehrheit<br />

der Franzosen sich für die künstliche<br />

Befruchtung für lesbische Paare<br />

ausgesprochen hätte, konterte de la<br />

Rochère mit anderen Daten: Demnach<br />

wünschen 85 Prozent der Franzosen,<br />

dass auch die Kinder einer künstlichen<br />

Befruchtung ein Recht auf Vater und<br />

Mutter haben.<br />

Trotz der Verabschiedung des Gesetzes<br />

durch das Parlament gibt de la<br />

Rochère sich kämpferisch und kündigte<br />

an, das Verfassungsgericht anzurufen<br />

und das neue Bioethikgesetz zum<br />

Wahlkampfthema zu machen.<br />

Die Regierung von Präsident Macron<br />

ist hier in einem Bereich vorgeprescht,<br />

der Signalwirkung auch<br />

für Deutschland haben dürfte. Die<br />

deutsche Forschungsgesellschaft Leopoldina<br />

hat in ihrer Stellungnahme<br />

zur »Neubewertung des Schutzes von<br />

In-vitro-Embryonen in Deutschland«<br />

(Mai <strong>2021</strong>) Forderungen formuliert,<br />

die denen des französischen Gesetzes<br />

in nichts nachstehen.<br />

Die »Ökologie des<br />

Menschen«<br />

Leopoldina-Mitglied Jochen Taupitz<br />

erklärt, warum: Ausländische Forscher<br />

sagten, deutsche Forscher würden zu<br />

internationalen Forschungsprojekten<br />

oft gar nicht eingeladen, da man sich<br />

aufgrund des strikten deutschen Gesetzes<br />

Sorgen mache, ob das möglicherweise<br />

rechtswidrig sei. Sie würden<br />

also gar nicht erst an der Forschung<br />

beteiligt und damit aus dem internationalen<br />

Diskurs ausgeschlossen. Zum<br />

Glück lebten wir in einer freiheitlichen<br />

Gesellschaft, und da sei die Ausgangsfrage<br />

nicht, dürfen wir alles, was wir<br />

können, ist das, was wir können, auch<br />

erlaubt, sondern gefragt werden müsse,<br />

ob der Staat gute Gründe habe, die<br />

Freiheit einzuschränken – und hier<br />

gehe es um die Freiheit der Forscher<br />

und der Eltern, und der Gesetzgeber<br />

habe keine guten Gründe mehr, den<br />

Embryo zu schützen.<br />

Das ist exakt die Argumentation, mit<br />

der in Frankreich sämtliche Schutzwälle<br />

für den menschlichen Embryo<br />

zerstört wurden: Rechte haben nur<br />

noch Forscher und Eltern, der Embryo<br />

hat weder Würde noch verdient er<br />

irgendeinen Schutz. Die Frage ist nur:<br />

Stimmt das eigentlich? Der Mensch, so<br />

Papst Benedikt in seiner Rede vor dem<br />

Deutschen Bundestag im September<br />

2011, sei »nicht nur sich selbst machende<br />

Freiheit«. Es gebe auch »eine<br />

Ökologie des Menschen«, eine Natur<br />

des Menschen, die es zu achten gelte<br />

und die nicht beliebig manipulierbar<br />

sei. Worte, die heute bedeutsamer<br />

denn je sind. Denn wem leuchtet ein,<br />

dass bei allem Einsatz für den Schutz<br />

der Natur, die uns umgibt, auf den<br />

Schutz der menschlichen Natur gerade<br />

exzessiv verzichtet wird?<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

23


GESELLSCHAFT<br />

KIEFERPIX/STOCK.ADOBE.COM<br />

Mutige Mütter<br />

Seit 20 Jahren berät die in der Schweiz lebende Hebamme Maria Grundberger Frauen im<br />

Schwangerschaftskonflikt. »LebensForum« bat sie, einmal aufzuschreiben, wann<br />

ungewollt schwangere Frauen sich für ihr ungeborenes Kind entscheiden.<br />

Von Maria Grundberger<br />

Als ich vor Jahren bei einer<br />

Operationsaufklärung vor einer<br />

Gebärmutterentfernung<br />

zugegen war, beeindruckte mich, wie<br />

ausführlich der Arzt über Risiken und<br />

Nebenwirkungen der OP informierte.<br />

Unter anderem sprach er davon, dass<br />

manche Frauen nach der Entfernung<br />

der Gebärmutter unerwartete psychische<br />

Folgen erleiden würden. Als ich<br />

ihn darauf ansprach, meinte er, jede<br />

Patientin habe das Recht auf detaillierte<br />

Aufklärung und er selbst als Arzt<br />

die Pflicht, über alle medizinischen<br />

Risiken und auch über eventuelle psychische<br />

Folgen einer Operation aufzuklären.<br />

Sonst könne die Patientin nicht<br />

frei und selbstbestimmt entscheiden,<br />

ob sie dem Eingriff zustimmt. Bis heute<br />

hilft mir jenes Gespräch bei der Beratung<br />

schwangerer Frauen. Manchmal,<br />

wenn eine Mutter, zur Abtreibung<br />

tendierend, kurz davor ist, das Beratungsgespräch<br />

zu beenden, erzähle ich<br />

ihr von dem oben erwähnten Arzt.<br />

So auch Lisa*, einer Frau mittleren<br />

Alters, die mit der ungeplanten<br />

24 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


GESELLSCHAFT<br />

Schwangerschaft völlig überfordert<br />

schien. Für sie kam nur Abtreibung<br />

in Betracht. Sie war bereits alleinerziehende<br />

Mutter einer behinderten<br />

Tochter. Melinda war gesund zur Welt<br />

gekommen, hatte jedoch innerhalb des<br />

ersten Lebensjahres Fieberkrämpfe<br />

und trug als Folge eine geistige Behinderung<br />

davon. Die Ehe scheiterte und<br />

Lisa stand völlig allein da. Sie fühlte<br />

sich sehr einsam, bis sie Christoph<br />

kennen lernte. Die Verhütung versagte,<br />

und als der Schwangerschaftstest<br />

positiv ausfiel, reagierte Christoph geschockt.<br />

Für ihn kam nur Abtreibung<br />

infrage. Er hatte ohnehin geplant, aus<br />

beruflichen Gründen für zwei Jahre<br />

nach Amerika zu ziehen. Lisa verließ<br />

das Restaurant und verbrachte<br />

den Rest des Tages mit Gedanken an<br />

Abtreibung. Eigentlich war sie früher<br />

gegen Abtreibung gewesen, doch die<br />

Verzweiflung ließ sie keinen anderen<br />

Ausweg sehen. Ihre gesamte Familie<br />

drängte zur Abtreibung. »Ich bin<br />

doch jetzt schon mit Melinda teilweise<br />

überfordert, sie wird niemals allein<br />

für sich sorgen können, jetzt noch<br />

ein Kind, und das ohne Vater, das ist<br />

unzumutbar!«, sagte sie. Ich verstand<br />

Lisas Argumentation und schwieg<br />

erst mal. Lisa weinte. Christoph hatte<br />

sich völlig von ihr distanziert, es war<br />

absehbar, dass ihr schwieriges Leben<br />

noch komplizierter würde. »Was würden<br />

Sie an meiner Stelle tun?«, fragte<br />

sie mich. »Ich würde trotzdem Ja zum<br />

Leben sagen«, antwortete ich. »Warum?«<br />

– »Weil ich der Überzeugung<br />

bin, dass unsere Freiheit dort aufhört,<br />

wo die Freiheit eines anderen beginnt,<br />

und Ihr ungeborenes Kind hat bereits<br />

seinen eigenen Herzschlag, die Organe<br />

bilden sich gerade aus.« Lisa erinnerte<br />

sich daran, dass eine Freundin<br />

von ihr vor Jahren abgetrieben hatte<br />

und dies bitter bereute. Sie erzählte<br />

mir, dass eine andere Mutter sie auf<br />

dem Spielplatz einmal gefragt habe,<br />

ob man Melindas Behinderung nicht<br />

bereits in der Schwangerschaft hätte<br />

erkennen können. Damals war Lisa<br />

entsetzt gewesen. Sie erzählte, dass sie<br />

ihre Tochter genauso liebe wie vor den<br />

Fieberkrämpfen. Ich sagte ihr, dass ich<br />

überzeugt sei, dass sie auch dieses Kind<br />

genauso lieben würde, und bot ihr Hilfe<br />

an. Die folgenden Tage erreichte ich<br />

Lisa nicht mehr. Nach einer Woche<br />

meldete sie sich wieder. Sie erzählte<br />

mir, dass sie beim Ultraschall gewesen<br />

war. Sie sah den Herzschlag ihres Kindes<br />

und wie es sich bewegte. »Es ist ein<br />

Mensch, und egal was weiterhin passiert,<br />

egal wie schwer mein Leben mit<br />

zwei Kindern werden wird, mein Herz<br />

sagt mir, dass ich kein Recht habe, es<br />

abzutreiben.« Leon wurde gesund geboren<br />

und Lisa schrieb mir, dass es die<br />

absolut richtige Entscheidung gewesen<br />

sei. Es sei wunderbar, in seine Augen<br />

schauen zu dürfen.<br />

Natürlich wird nicht alles<br />

einfach unkompliziert<br />

Lisas Geschichte ist eine von unzähligen,<br />

die ich erleben durfte. Oft werde<br />

ich gefragt, was der Grund gewesen<br />

sei, warum diese oder jene Frau sich<br />

trotz schwierigster Umstände für ihr<br />

Kind entschieden habe. Ich habe Frauen<br />

oft danach gefragt. Die meisten<br />

antworteten, sie hätten es nicht übers<br />

Herz gebracht, nachdem ihnen bewusst<br />

geworden sei, dass ihr ungeborenes<br />

Kind bereits ein Mensch sei und<br />

ihnen durch die Hilfsorganisationen,<br />

für die ich jeweils arbeitete, konkrete<br />

Hilfe angeboten worden sei.<br />

»Mut« sind die ersten drei Buchstaben<br />

des Wortes »Mutter«. Es braucht<br />

sehr viel Mut, sich für ein ungeplantes<br />

Kind zu entscheiden, und es braucht<br />

Menschen und Institutionen, die mutigen<br />

Müttern konkrete Hilfe anbieten.<br />

Ein wütender Vater sagte mir einmal,<br />

ich hätte kein Recht dazu, seiner Partnerin<br />

zum Kind zu raten. Die Beratung<br />

müsse neutral sein. Ich fragte ihn, was<br />

er tun würde, wenn er ein kleines Kind<br />

auf die Straße zu rennen sähe, das der<br />

Oma ausgebüxt sei: »Würden Sie erst<br />

die Oma fragen, ob Sie das Kind retten<br />

dürften?« – »Natürlich nicht, ich<br />

würde alles tun, es vor den Autos zu<br />

retten! Aber das ist etwas ganz anderes«,<br />

antwortete er mir. Freundlich<br />

erklärte ich ihm: »Sehen Sie, Sie sind<br />

auch schon Vater, Ihr Kind ist bereits<br />

zehn Wochen alt und in Gefahr, sein<br />

Leben durch Abtreibung zu verlieren.<br />

Ich versuche lediglich durch Aufklärung<br />

und Hilfsangebote zu helfen, damit<br />

Ihrem Kind nicht sein Recht auf<br />

Leben genommen wird.« Der Mann<br />

war perplex und begann aus seinem<br />

Leben zu erzählen. Sein Vater starb,<br />

als er sehr klein war. Er habe nie eine<br />

richtige Kindheit gehabt. Seine Freundin<br />

kenne er erst seit Kurzem.<br />

Natürlich wird nicht alles einfach<br />

und unkompliziert, wenn Frauen sich<br />

für das Leben ihres ungeborenen Kindes<br />

entscheiden. Es gibt viele Hürden<br />

zu meistern, viele Kämpfe zu kämpfen,<br />

und nicht selten fühlen sich besonders<br />

alleinerziehende Mütter im Stich gelassen.<br />

Trotzdem habe ich noch von<br />

keiner Mutter gehört, sie bereue, nicht<br />

abgetrieben zu haben. Leider sind es<br />

meist die Kindsväter, die massiven<br />

Druck ausüben. Junge Mütter werden<br />

oft auch von den eigenen Eltern zur<br />

Abtreibung gedrängt.<br />

Im Konflikt sieht man<br />

nur das Unglück<br />

Manchen Frauen hilft schon ein Gespräch<br />

mit einer anderen Mutter, die<br />

ihnen sagt, wie sehr ihr Kind sie bereichert.<br />

Im Schwangerschaftskonflikt<br />

sind die meisten Mütter jedoch überfordert.<br />

Sie sehnen sich nach einem<br />

Partner, der ihnen sagt, dass er zu dem<br />

Kind steht. Werden sie von Partner<br />

und Umfeld im Stich gelassen, sehen<br />

sie, verzweifelt und verängstigt, oft<br />

keinen anderen Ausweg als die Abtreibung.<br />

Ich frage Schwangere daher oft,<br />

wie denn ihre Einstellung zur Abtreibung<br />

gewesen sei, bevor sie ungeplant<br />

schwanger wurden. Die Mehrheit war<br />

dagegen, und meist höre ich dann den<br />

Satz, »weil es ja schon Leben« sei. Kurz<br />

darauf sagen viele aber, dass sie in ihrer<br />

jetzigen Situation eine Abtreibung jedoch<br />

erwögen. »Entkräftet Ihre jetzige<br />

Situation die Tatsache, dass es Leben<br />

ist?«, frage ich dann. Einmal antwortete<br />

mir eine Frau: »Nein, die Umstände<br />

entkräften die Tatsache nicht, aber<br />

man verliert den Blick dafür, weil die<br />

Umstände so schwierig sind und der<br />

Druck zur Abtreibung so riesig ist!«<br />

Als sie sich trotzdem für ihr Kind<br />

entschied, schrieb sie mir später: »Im<br />

Konflikt sieht man nur das Unglück,<br />

das mögliche Leid, jetzt, wo mein<br />

Sohn da ist, ist es das pure Glück.«<br />

* Alle Namen in diesem Text wurden von<br />

der Redaktion geändert.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

25


WISSENSCHAFT<br />

Ziemlich peinlich<br />

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien<br />

der Wissenschaften haben eine Stellungnahme vorgelegt, die von der Politik eine »Neubewertung<br />

des Schutzes« künstlich erzeugter Embryonen fordert. Im Ergebnis verlangen ihre Autoren um<br />

nicht weniger als die Aufhebung des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes.<br />

Von Stefan Rehder<br />

Sanft im Ton, brutal in der Sache.<br />

Mit dieser für biopolitische Forderungskataloge<br />

bislang eher<br />

ungewöhnlichen Kombination lässt<br />

sich die im Mai <strong>2021</strong> veröffentlichte<br />

Stellungnahme der Nationalen Akademie<br />

der Wissenschaften Leopoldina<br />

und der Union der deutschen Akademien<br />

der Wissenschaften zusammenfassen.<br />

Denn das 55-seitige Papier, das<br />

den Titel »Neubewertung des Schutzes<br />

von In-vitro-Embryonen in Deutschland«<br />

trägt, ist bei Licht betrachtet ein<br />

Frontalangriff auf den ohnehin nur<br />

noch rudimentär vorhandenen Embryonenschutz.<br />

Gelesen werden muss das Papier im<br />

Zusammenhang mit einer weiteren,<br />

2019 veröffentlichten Stellungnahme<br />

beider Institutionen, die ebenso wie<br />

die jetzige in der »Schriftenreihe zur<br />

wissenschaftsbasierten Politikberatung«<br />

erschien und mit »Fortpflanzungsmedizin<br />

in Deutschland – für<br />

eine zeitgemäße Gesetzgebung« überschrieben<br />

wurde. Las sich diese Stellungnahme<br />

wie ein zentnerschweres<br />

Konjunkturprogramm für die Reproduktionsmedizin,<br />

so geht es nun darum,<br />

die dabei in Serie produzierten<br />

Embryonen neuen Zwecken zuzuführen<br />

und die Wertungsschöpfungskette<br />

der Fortpflanzungsindustrie zu verlängern.<br />

Der Gesetzgeber solle – so die Empfehlung<br />

der Wissenschaftsakademien<br />

26 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


WISSENSCHAFT<br />

– Paaren, die sich für eine künstliche<br />

Befruchtung interessieren, die Möglichkeit<br />

eröffnen, sogenannte »überzählige«<br />

Embryonen für »hochrangige<br />

Forschungsziele« zu spenden. Als<br />

solche erachten die Akademien etwa<br />

»Grundlagen der Embryonalentwicklung<br />

und der frühen Krankheitsentstehung«.<br />

Ferner könne »diese Art der<br />

Forschung auch bei der Beantwortung<br />

wichtiger Fragen der Fortpflanzungsmedizin<br />

helfen« und dazu beitragen,<br />

»Unfruchtbarkeit besser zu behandeln,<br />

die Überlebensfähigkeit und gesunde<br />

Entwicklung von Embryonen<br />

bzw. Föten in der Schwangerschaft<br />

zu verbessern und Frühgeburten zu<br />

verhindern«. Letztlich wird hier die<br />

Fortpflanzungsindustrie als Perpetuum<br />

mobile gedacht, das aus der Verwertung<br />

seiner Überproduktion neue<br />

Energie für einen hochtourigeren Antrieb<br />

bezieht. Ein Konzept, das sich<br />

beinah bewundern ließe, wäre es nicht<br />

so pervers.<br />

Vergebliche<br />

Ehrenrettung<br />

Zweck des fremdnützigen Erkenntnisgewinns<br />

der Vernichtung anheimgeben<br />

will, welcher er selbst aufgrund<br />

glücklicher Umstände entkommen ist,<br />

zeugt von einer Brutalität des Denkens,<br />

die schwer zu übertreffen ist.<br />

Nicht brutal, aber auch nicht aufrichtig<br />

ist, wie die Akademien die<br />

Frage nach dem moralischen Status<br />

des Embryos behandeln. So heißt es<br />

etwa in der Stellungnahme: »Eine<br />

ethische und rechtliche Maximalposition<br />

schreibt dem Embryo von der<br />

Befruchtung der Eizelle an einen vollen<br />

moralischen Status zu. Nach dieser<br />

Auffassung hat bereits der frühe<br />

menschliche Embryo den Anspruch<br />

auf denselben Lebens- und Würdeschutz<br />

wie der geborene Mensch.«<br />

Die Bezeichnung »Maximalposition«<br />

rückt deren Vertreter – ob intendiert<br />

oder nicht – in ein nachteiliges<br />

Licht. Dies umso mehr, als die Akademien<br />

ihre Stellungnahme ja an die<br />

Politik adressiert haben, die gewohnt<br />

ist, Kompromisse auszuhandeln. In<br />

der Politik sind »Maximalpositionen«<br />

schlecht beleumundet und werden oft<br />

als Synonym für »radikal« betrachtet.<br />

Das lässt sich verstehen. Denn tatsächlich<br />

gibt es viele Politikfelder, auf denen<br />

man gut beraten ist, Kompromisse<br />

zwischen Maximal- und Minimalpositionen<br />

auszuhandeln, so etwa beim<br />

Mindestlohn, dem Spitzensteuersatz<br />

oder dem Bezug von Sozialleistungen.<br />

Die Frage, welchen moralischen Status<br />

ein menschlicher Embryo besitzt,<br />

ist jedoch von einer anderen Natur.<br />

Sie lässt sich nicht mit Kategorien wie<br />

»maximal« oder »minimal« und daher<br />

auch nicht mit »Kompromissen« beantworten,<br />

sondern nur mit solchen<br />

wie »zutreffend« oder »unzutreffend«<br />

Gerne würde man zur Ehrenrettung<br />

der Wissenschaftsakademien<br />

anführen, dass sie die Embryonen, die<br />

Forschern gespendet werden sollen,<br />

nicht als Menschen betrachten, sondern<br />

lediglich, wie es in der Stellungnahme<br />

heißt, als »01,–0,2 Millimeter<br />

große Zellkugeln«. Nur geht das leider<br />

nicht. Denn Wissenschaftsakademien<br />

müssen wissenschaftliche Thesen<br />

und Befunde reflektieren. Wer ihnen<br />

unterstellte, sie wüssten nicht, dass sie<br />

einen menschlichen Embryo unterbestimmen,<br />

wenn sie ihn als »0,1–0,2<br />

Millimeter große Zellkugel« ausgeben,<br />

nimmt sie nicht ernst.<br />

Jedes Mitglied der 15-köpfigen Arbeitsgruppe<br />

weiß, dass seine eigene<br />

Existenz genauso begann: nämlich als<br />

0,1–0,2 Millimeter große Zellkugel.<br />

Und jedes Mitglied weiß auch, dass<br />

sich alle diese »Zellkugeln«, die Paare<br />

künftig der Forschung spenden können<br />

sollen, unter normalen Bedingungen<br />

zu nichts anderem entwickeln als<br />

zu großen »Zellhaufen«. Zu Zellhaufen,<br />

die jenen, als die sie selbst erscheinen,<br />

in nichts nachstehen. Dass ein<br />

großer Zellhaufen einen kleinen zum<br />

Werden auf Kosten der Moral aufgelöst: Konflikte zwischen Moral und Interessen<br />

respektive »richtig« oder »falsch«.<br />

Wissenschaftler, die der Politik hier<br />

dennoch einen anderen Weg weisen<br />

wollen, nehmen sich selbst nicht ernst.<br />

Sie wechseln die Profession und werden<br />

zu Lobbyisten.<br />

»Moralische Intentionen«<br />

Für Wissenschaftler, die sich selbst<br />

ernst nehmen und von anderen ernst<br />

genommen werden wollen, dürfte<br />

auch die Verbreitung »moralischer Intuitionen«<br />

allenfalls als »Phänomen«<br />

von Interesse sein, nicht jedoch als<br />

»Argument«. Denn es liegt beispielsweise<br />

auf der Hand, dass sich die<br />

moralische Intuition, die den Menschenhandel<br />

für verwerflich erachtet,<br />

in Sklavenhaltergesellschaften keiner<br />

besonderen Verbreitung erfreut. Wäre<br />

es anders, wären sie keine Sklaven-<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

27


WISSENSCHAFT<br />

haltergesellschaften. Nur macht die<br />

mangelnde Verbreitung einer entsprechenden<br />

moralischen Intention den<br />

Sklavenhandel noch lange nicht zu einer<br />

moralisch akzeptablen Praxis. Und<br />

wer in solchen Gesellschaften dagegen<br />

aufbegehrte, verträte nicht etwa eine<br />

»Maximalposition«, sondern die einzig<br />

richtige.<br />

die Ansicht vertreten, ein im Labor erzeugter<br />

menschlicher Embryo besitze<br />

dasselbe Recht auf Leben und verdiene<br />

denselben Schutz seiner Würde wie<br />

geborene Menschen. Spezies, Kontinuität,<br />

Identität, Potentialität – so lauten<br />

die sogenannten SKIP-Argumente,<br />

mit denen sich der Anspruch eines<br />

Embryos auf Schutz von Leben und<br />

Würde begründen lässt.<br />

Einfaches<br />

Gedankenexperiment<br />

<strong>2021</strong><br />

Stellungnahme<br />

Neubewertung des Schutzes von<br />

In-vitro-Embryonen in Deutschland<br />

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina | www.leopoldina.org<br />

Union der deutschen Akademien der Wissenschaften | www.akademienunion.de<br />

Peinlich: Die Stellungnahme der deutschen Akademien der Wissenschaften<br />

Erstaunen darf auch, dass sich die<br />

Stellungnahme ausführlich nur mit<br />

dem sogenannten Potentialitätsargument<br />

befasst, das nach Ansicht der<br />

Autoren »ein zentrales Argument<br />

der Vertreterinnen und Vertreter des<br />

strikten Embryonenschutzes ist«. So<br />

heißt es in der Stellungnahme beispielsweise:<br />

»Die Befürwortung dieses<br />

Arguments kann mit der Vorstellung<br />

einhergehen, Embryonen entwickelten<br />

sich unter günstigen Bedingungen<br />

gewissermaßen aus eigener Kraft zu<br />

einem Baby, wenn man es nur zuließe.«<br />

Gerade In-vitro-Embryonen zeigten<br />

jedoch »augenfällig, wie wenig dies<br />

zutrifft: Sie müssten erst aktiv in den<br />

hormonell vorbereiteten Körper einer<br />

Frau übertragen werden, um überhaupt<br />

eine Chance auf die Einnistung<br />

in deren Gebärmutter zu haben. Und<br />

von da an bedarf es (...) permanenter<br />

biologischer Wechselwirkungen zwischen<br />

der schwangeren Frau und dem<br />

Embryo, um dessen Potenzial gegebenenfalls<br />

zur Entfaltung zu verhelfen.«<br />

In Wirklichkeit ist das Potentialitätsargument<br />

jedoch nur eines von<br />

vielen, die jene ins Feld führen, welche<br />

Begnügen wir uns anstelle ausführlicher<br />

Erläuterungen einmal mit einem<br />

Gedankenexperiment: Stellen wir uns<br />

einen ausgewachsenen Hochschullehrer<br />

vor. Denken wir zum Beispiel an<br />

Jochen Taupitz, maßgeblicher Autor<br />

beider Stellungnahmen und Rechtswissenschaftler<br />

an der Universität<br />

Mannheim. Herr Taupitz gilt als brillanter<br />

Kopf und steht – übrigens völlig<br />

zu Recht – im Ruf, der führende Medizinrechtler<br />

in Deutschland zu sein.<br />

Sperren wir ihn in unserem Gedankenexperiment<br />

allein in einen Hörsaal,<br />

kappen wir das W-LAN und konfiszieren<br />

wir sein Handy. Herr Taupitz hätte<br />

nun jede Möglichkeit verloren, Studenten<br />

in Medizinrecht zu unterrichten.<br />

Verliert er damit aber auch seinen<br />

Status als Rechtswissenschaftler und<br />

Hochschullehrer?<br />

Analog zu den SKIP-Argumenten<br />

tut er das aus vier Gründen nicht: Weil<br />

er a) zur Wissenschafts-Spezies der<br />

Rechtswissenschaftler zählt, er b) sich<br />

als solcher kontinuierlich entwickelt<br />

hat (Jurastudium, Examina, Promotion,<br />

Habilitation), er c) mit dem Jochen<br />

Taupitz identisch ist, dessen Existenz<br />

als 0,1–0,2 Millimeter große Zellkugel<br />

begann und der als großer Zellhaufen<br />

später einen Lehrstuhl erwarb. Und<br />

weil er, obgleich wir ihm aktuell die<br />

Möglichkeit dazu genommen haben,<br />

d) auch weiterhin tatsächlich das Potenzial<br />

besitzt, Studenten in Jura zu<br />

unterrichten.<br />

Es ist auch nicht korrekt und im<br />

Grunde sogar unredlich, wenn die Autoren<br />

der Stellungnahme das Potentialitätsargument<br />

als das »prominenteste<br />

und wichtigste der SKIP-Argumente«<br />

bezeichnen. Denn im Rahmen der<br />

SKIP-Argumente kommt dem Poten-<br />

28 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


WISSENSCHAFT<br />

tialitätsargument lediglich eine subsidiäre<br />

Aufgabe zu. Es richtet sich an<br />

jene, die sich zu akzeptieren weigern,<br />

dass der menschliche Embryo als Mitglied<br />

der Spezies Mensch (Spezies-<br />

Argument) bereits die Bedingungen<br />

erfüllt, die seine Artgenossen zwingen,<br />

seine Würde und die auf ihr basierenden<br />

Rechte, insbesondere jenes, nicht<br />

getötet zu werden, anzuerkennen.<br />

Von einer solchen Anerkennung<br />

sind die Autoren der Stellungnahme<br />

Lichtjahre entfernt. Die Wahl des Titels<br />

»Neubewertung des Schutzes von<br />

In-vitro-Embryonen« ist zwar formal<br />

korrekt, schließlich fordern die Akademien<br />

von der Politik genau dies,<br />

suggeriert jedoch zugleich, für diese<br />

Forderung gäbe es neue wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse. Nur ist eben dies<br />

nicht der Fall. Es gibt keine neuen wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse. Keine, die<br />

beispielsweise eine Erklärung dafür<br />

böten, wie oder – noch besser – wodurch<br />

aus einem »etwas« (Zellkugel)<br />

ein »jemand« (eine menschliche Person)<br />

würde.<br />

Man wird nicht Person,<br />

man ist es<br />

Auch Lebensrechtler haben übrigens<br />

keine Erklärung dafür. Auch sie vermögen<br />

nicht zu zeigen, wie aus einer<br />

Zellkugel der Spezies Homo sapiens<br />

sapiens ein Mensch beziehungsweise<br />

aus einem »etwas« ein »jemand« wird.<br />

Und dies höchstwahrscheinlich sogar<br />

aus exakt demselbem Grund, aus dem<br />

auch Taupitz und Co. in der gemeinsamen<br />

Stellungnahme der Nationalen<br />

Akademie der Wissenschaften und<br />

der Union der deutschen Akademien<br />

der Wissenschaften darauf verzichten:<br />

Weil es dort nämlich gar nichts zu zeigen<br />

gibt. Mit dem bedeutsamen Unterschied,<br />

dass Lebensrechtler aus diesem<br />

Unvermögen die richtigen Schlüsse<br />

ziehen. Anders formuliert: Man wird<br />

nicht Person. Man ist Person.<br />

»Nur weil der Embryo (…) schon<br />

immer eine menschliche Person<br />

ist«, könne er, so etwa der Schweizer<br />

Philosoph, Priester und katholische<br />

Theologe Martin Rhonheimer, im<br />

Verlauf seiner Entwicklung auch »die<br />

Eigenschaften von Personen« ausbilden.<br />

Oder wie es der Wiener Medizinethiker<br />

und Philosoph Günther<br />

Pöltner, der eine Dekade lang Mitglied<br />

der Bioethikkommission beim österreichischen<br />

Bundeskanzleramt war<br />

und diesem Gremium acht Jahr lang<br />

vorstand, formuliert: Um überhaupt<br />

menschliche Eigenschaften besitzen<br />

und entfalten zu können, müsse ein<br />

Subjekt bereits Mensch sein.<br />

In seiner im vergangenen Jahr bei<br />

Suhrkamp erschienenen Aufsatzsammlung<br />

»Verteidigung des Menschen.<br />

Grundfragen einer verkörperten<br />

Anthropologie« warnt der<br />

Heidelberger Philosoph und Psychologe<br />

Thomas Fuchs eindringlich<br />

Jochen Taupitz<br />

WWW.BUNDESAERZTEKAMMER.DE<br />

vor einer »Selbstverdinglichung« des<br />

Menschen. Fassten wir uns selbst »als<br />

Objekte« auf, lieferten wir uns »der<br />

Herrschaft derer aus«, die uns »zu manipulieren<br />

und sozialtechnologisch<br />

zu beherrschen« suchten. »Denn«,<br />

zitiert Fuchs Clive Staples Lewis, »die<br />

Macht des Menschen, aus sich zu machen,<br />

was ihm beliebt, bedeutet (...) die<br />

Macht einiger weniger, aus anderen zu<br />

machen, was ihnen beliebt«.<br />

Es gibt, wie hier bereits festgestellt<br />

wurde, keine neuen naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse. Was es gibt,<br />

sind neue Interessen. Die lassen sich<br />

verstehen, tolerieren oder gar gutheißen<br />

lassen sie sich nicht. Schlimmer<br />

noch: Wissenschaftler, die sie befriedigen<br />

wollen, indem sie Deutschlands<br />

Einstieg in eine embryonenverbrauchende<br />

Forschung den Weg bahnen,<br />

enttäuschen nicht bloß als Wissenschaftler.<br />

Sie versagen als Menschen.<br />

Den Konsequenzen dieses Versagens<br />

gilt es zu wehren. Und dies nicht<br />

etwa durch Verzicht auf Wissenschaft,<br />

sondern durch bessere Wissenschaft.<br />

Romano Guardini um 1920<br />

Um es mit Romano Guardini (1885–<br />

1968), einem Weisen des vergangenen<br />

Jahrhunderts, zu sagen: »Wahrheit<br />

leuchtet nur dann auf, wenn der<br />

Mensch der Wirklichkeit jeweils so gegenübertritt,<br />

wie sie selbst verlangt. Je<br />

höher das Wirkliche steht, desto größer<br />

ist die Anforderung, die es an den<br />

erkennenden Geist stellt: desto größer<br />

aber auch die Versuchung, sie auf die<br />

Ebene der tiefer stehenden Dinge herunterzuziehen,<br />

weil er es dann bequemer<br />

hat. So ist es zum Beispiel sehr<br />

verlockend, das Lebendige chemisch<br />

oder den Geist biologisch zu denken,<br />

denn man spart Arbeit und gewinnt<br />

den Schein strenger Wissenschaft; in<br />

Wahrheit war man geistig träge, hat<br />

dem Erkenntnisgewinn Gewalt angetan<br />

und das Eigentümliche des Gegenstandes<br />

verloren.«<br />

Was Guardini hier noch ganz allgemein<br />

formulierte, trifft, wenn nicht<br />

alles täuscht, vollumfänglich auch auf<br />

die gemeinsame Stellungnahme der<br />

Nationalen Akademie der Wissenschaften<br />

und der Union der deutschen<br />

Akademien der Wissenschaften zu.<br />

Ziemlich peinlich, eigentlich.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

29


ISBN 978-3-518-29951-7<br />

BÜCHERFORUM<br />

Der Widersprüchliche<br />

Mit »Joe Biden. Ein Katholik<br />

im Weißen Haus« hat der<br />

Journalist und USA-Experte<br />

Maximilian Lutz, der gelegentlich<br />

auch für »LebensForum« schreibt,<br />

Ende Juni dieses Jahres eine Biografie<br />

des 46. Präsidenten der Vereinigten<br />

Staaten von Amerika<br />

vorgelegt, die sich für<br />

Lebensrechtler jedweder<br />

Konfession als<br />

überaus interessant<br />

herausstellt. Zwar<br />

ruht der Schwerpunkt<br />

des facettenreichen<br />

Porträts, das<br />

der Autor zeichnet,<br />

auf der Besonderheit,<br />

dass Biden nach<br />

John F. Kennedy erst<br />

der zweite Katholik<br />

in diesem Amt ist.<br />

Doch daneben arbeitet<br />

Lutz vor allem<br />

die widersprüchliche<br />

Haltung heraus, die<br />

der amtierende US-Präsident beim<br />

Umgang mit dem Thema Abtreibung<br />

an den Tag legt.<br />

Die von Lutz angeführten Belege<br />

lassen keinen Zweifel daran, dass auch<br />

für Biden das Leben von Menschen<br />

im Moment der Zeugung beginnt und<br />

er eine Abtreibung als das betrachtet,<br />

was sie ist, nämlich die Tötung eines<br />

Menschen im Frühstadium seiner Entwicklung.<br />

Dennoch vertrat Biden, wie<br />

Lutz zeigt, schon in seinen Anfangsjahren<br />

als Senator den Standpunkt, ein<br />

Politiker dürfe eine solche Überzeugung<br />

der Gesellschaft nicht »aufzwingen«.<br />

Die Darstellung Bidens, er sei<br />

mehr als 30 Jahre lang auf einem »Mittelweg«<br />

geblieben,<br />

der darin bestanden<br />

habe, die staatliche<br />

Finanzierung von<br />

Abtreibungen abzulehnen,<br />

ohne den<br />

Zugang zu ihnen zu<br />

beschränken, nennt<br />

Lutz »nicht ganz korrekt«.<br />

So sei Biden<br />

bereits früher verschiedentlich<br />

»von<br />

seinem Mittelweg«<br />

abgewichen, »ehe er<br />

ihn in den letzten<br />

Jahren fast vollständig<br />

verließ«. Mit dem<br />

feinen Unterschied,<br />

dass Biden bei früheren<br />

Abweichungen noch in die entgegengesetzte<br />

Richtung blinkte. So<br />

habe er beispielsweise 1982 »im Justizausschuss<br />

des Senats für eine Verfassungsergänzung«<br />

gestimmt, »die ›Roe<br />

vs. Wade‹ rückgängig gemacht hätte«.<br />

Lutz, der für Biden, der mehrfach<br />

mit dem Gedanken gespielt hat, Priester<br />

zu werden, durchaus Sympathien zu<br />

besitzen scheint und etwa eindrucksvoll<br />

belegt, wie sehr der Glaube Biden<br />

geholfen hat, den Tod seiner ersten<br />

Frau und zweier Kinder zu bewältigen,<br />

zeigt sich beim Thema Abtreibung völlig<br />

unbestechlich. Präzise zeichnet der<br />

Autor die Entscheidungen nach, die<br />

Biden in den ersten Monaten seiner<br />

Präsidentschaft gefällt hat und mit denen<br />

er zahlreiche Erlasse der Trump-<br />

Administration wieder aufhob. Nach<br />

Ansicht des USA-Experten haben sich<br />

die Demokraten, Bidens Partei, in der<br />

Abtreibungsfrage noch einmal radikalisiert.<br />

Diesem neuen, verschärften<br />

Kurs fühle sich Biden inzwischen verpflichtet.<br />

So schreibt Lutz zum Beispiel:<br />

»Wohl auch unter dem Druck<br />

seiner progressiven demokratischen<br />

Konkurrenten um die Nominierung,<br />

die sich in der Abtreibungsfrage kontinuierlich<br />

weiter nach links bewegten,<br />

erklärte er 2019, ›Roe vs. Wade‹ zum<br />

unumkehrbaren ›Gesetz des Landes‹<br />

machen zu wollen. Ein Vorhaben, das<br />

er in seinem Statement zum Jahrestag<br />

des Urteils im Jahr <strong>2021</strong> nochmals bekräftigte.«<br />

Dass Biden mit dieser Politik<br />

das tief gespaltene Land wieder<br />

wird einen können, hält der Autor für<br />

ausgeschlossen.<br />

Stefan Rehder<br />

Maximilian Lutz: Joe Biden. Ein Katholik<br />

im Weißen Haus. Benno Verlag, Leipzig<br />

<strong>2021</strong>. Gebunden. 144 Seiten. 19,95 EUR.<br />

Gehirn und Geist<br />

Als der Neurowissenschaftler Maxwell Bennett<br />

und der Philosoph Peter Hacker im Jahre 20<strong>03</strong><br />

ihr gemeinsames Buch »Philosophical Foundations<br />

of Neuroscience« veröffentlichten, lieferte<br />

es den Auftakt für eine bis heute andauernde Debatte<br />

über Gehirn und Geist und die daraus resultierende<br />

Frage, wer der Mensch sei. Das vorliegende<br />

Buch dokumentiert und erläutert den ebenso<br />

interessanten wie bedeutsamen Schlagabtausch<br />

vier herausragender Akteure dieses Streits und<br />

informiert so über viele der maßgeblichen Menschliche Wesen, Personen, Argumente.<br />

denken und<br />

fühlen – nicht ihre Gehirne.<br />

Maxwell Bennett/Peter Hacker<br />

Dummerweise geben Bennett und<br />

reh<br />

Hacker<br />

keinerlei Auskunft darüber, was eine Person<br />

ist.<br />

John Searle<br />

Wir haben soviel gemeinsam, und dennoch<br />

äußern sich Bennett und Hacker ziemlich abschätzig<br />

über meine Arbeit. Wie läßt sich das<br />

erklären? Bin ich vom Weg abgekommen, seit<br />

ich Oxford verlassen habe? Daniel Dennett<br />

Maxwell Bennett / Daniel C. Dennett<br />

»Eine wunderbare<br />

/ Peter<br />

Einführung in die<br />

Hacker<br />

/ John R. Searle: Neurowissenschaft und Phi-<br />

Grundlagen<br />

der Neurobiologie.«<br />

Deutschlandfunk Kultur<br />

losophie. Gehirn, Geist und Sprache.<br />

stw<br />

Mit einer<br />

Einleitung und Schlussbetrachtung von Daniel Robinson.<br />

Verlag Suhrkamp, Berlin <strong>2021</strong>. 277 Seiten.<br />

22,00 EUR.<br />

9 7 8 3 5 1 8 2 9 9 5 1 7<br />

€ XX,00 [D] € XX,00 [A]<br />

www.suhrkamp.de<br />

st<br />

w<br />

0000 2351<br />

Bennett u.a. Neurowissenschaft und Autor Philosophie Titel<br />

Maxwell Bennett<br />

Daniel Dennett<br />

Peter Hacker<br />

John Searle<br />

Neurowissenschaft<br />

und<br />

Philosophie<br />

suhrkamp taschenbuch<br />

wissenschaft<br />

30 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


BÜCHERFORUM<br />

Vergiftetes Geschenk<br />

Das Urteil des Zweiten Senats<br />

des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 26. Februar 2020 (2<br />

BvR 2347/15) zur Suizidhilfe hat selbst<br />

eingefleischte Befürworter derselben<br />

überrascht. Viele andere, insbesondere<br />

Christen, hat es erschüttert. So ging<br />

es offenbar auch den<br />

drei Herausgebern<br />

des vorliegenden Bandes,<br />

der eine Tagung<br />

dokumentiert, die die<br />

Katholische Deutsche<br />

Studentenverbindung<br />

Saarland zu Jena im<br />

CV in Kooperation<br />

mit der CV-Akademie<br />

im Januar <strong>2021</strong><br />

durchführte. In ihrem<br />

Vorwort schreiben<br />

sie, das Urteil berühre<br />

»zentral unseren<br />

Glauben von der Unverfügbarkeit<br />

des von<br />

Gott geschenkten Lebens«.<br />

Zwar spiegele<br />

das Urteil »in seiner Anerkennung eines<br />

selbstbestimmten Sterbens (= Suizid)<br />

als Grundrecht (!) offensichtlich eine<br />

gesellschaftliche Einstellung im Gefolge<br />

der allgemeinen Säkularisierung der<br />

Verhältnisse. (…) Aber es entspricht<br />

wohl weder christlich-katholischem<br />

Denken, noch berücksichtigt es z. B.<br />

die Praxis moderner palliativmedizinischer<br />

Sterbebegleitung. Zumindest ist<br />

eine Fehlentwicklung durch verkürzte<br />

Interpretation des Urteils und missbräuchliche<br />

Nutzung zu befürchten.«<br />

Um Auswüchsen vorzubeugen, bedürfe<br />

es »sehr konkreter rechtlicher Normen<br />

zur objektiven Überprüfbarkeit des<br />

Sterbewunsches eines Menschen und<br />

dessen eingehender<br />

Beratung«.<br />

Die Autoren des<br />

Bandes sind Juristen,<br />

Ärzte, Ethiker und<br />

Theologen. Vor dem<br />

Hintergrund ihrer<br />

jeweiligen Profession<br />

beleuchten sie aus unterschiedlichen<br />

Perspektiven<br />

relevante<br />

Aspekte des Urteils.<br />

Einen Mehrwert stellt<br />

auch die Zusammenfassung<br />

der Aussprachen<br />

und Diskussionen<br />

dar, die sich an die<br />

Beiträge anschließt.<br />

Dabei werden auch<br />

die Unterschiede bei der Bewertung<br />

der Selbsttötung thematisiert, die katholische<br />

und protestantische Theologen<br />

vornehmen. Last but noch least<br />

wird in dem Band auch die Rolle kritisch<br />

gewürdigt, die Medien mit ihrer<br />

Berichterstattung über das Urteil sowie<br />

eine sich bislang erst in Grundzügen<br />

abzeichnende gesetzliche Neuregelung<br />

der Suizidhilfe spielen.<br />

Erstaunen darf, dass bei all dem<br />

auf die Fruchtbarmachung der teilweise<br />

über Jahrzehnte bestehenden<br />

Erfahrungen, die mit Ausnahme von<br />

Österreich sämtliche direkte Nachbarn<br />

Deutschlands – angefangen bei<br />

den Benelux-Staaten, aber auch die<br />

Schweiz – mit der Suizidhilfe gesammelt<br />

haben, verzichtet wurde. Das<br />

ist mehr als bloß bedauerlich. Denn<br />

eine nüchterne Analyse der Entwicklung<br />

der Zahlen sowie des jeweiligen<br />

gesetzlichen Rahmens in den Niederlanden,<br />

Belgien, Luxemburg und der<br />

Schweiz zeigt, trotz mancher Unterschiede,<br />

eines klar: Die Hoffnung, eine<br />

gesetzliche Beihilfe zum Suizid ließe<br />

sich auf wenige, gänzlich tragische<br />

Fälle begrenzen, ist eine Fiktion, die<br />

sich in der Wirklichkeit auf kein Fundament<br />

stützen kann. Wer das Urteil<br />

für einen Zugewinn an Freiheit hält,<br />

übersieht, dass es sich bei ihm um ein<br />

vergiftetes Geschenk handelt.<br />

Stefan Rehder<br />

Norbert K. Schöndorf / Hans-Günther<br />

Pfeifer / Veit Neumann (Hrsg.): Würde,<br />

Tod und Heil. Zum assistierten Suizid<br />

nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.<br />

Beiträge zum 8.<br />

Seminar des Collegium Catholicum<br />

<strong>2021</strong>. Echter Verlag, Würzburg <strong>2021</strong>. 115<br />

Seiten. 15,00 EUR.<br />

Medizin der Zuwendung<br />

Es gibt Krankheiten, die können Menschen in<br />

eine tiefe existenzielle Krise stürzen. Krebs zum<br />

Beispiel. Oder auch Demenz. Die moderne Medizin<br />

reagiere darauf mit Naturwissenschaft und<br />

perfekter Technik, lasse aber die Patienten in ihren<br />

Lebenskrisen oft allein, kritisiert der Freiburger<br />

Medizinethiker Giovanni Maio in seinem 2015<br />

erstmals erschienenen Buch. Der modernen Medizin<br />

setzt er eine viel beachtete Medizin der Zuwendung<br />

entgegen, die die Patienten ganzheitlich in<br />

den Blick nimmt. Nun hat der Arzt und Philosoph<br />

eine überarbeitete und aktualisierte Ausgabe dieses<br />

lesenswerten Werkes vorgelegt.<br />

reh<br />

Giovanni Maio: Den kranken Menschen verstehen.<br />

Für eine Medizin der Zuwendung. Überarbeitete<br />

Neuausgabe. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau<br />

2020. 240 Seiten. 24,00 EUR.<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis<br />

verbis<br />

Ein Kind abzutreiben ist eine schwierige<br />

Entscheidung, aber sie muss möglich<br />

sein.«<br />

Der kroatische Sozialist Predrag Fred<br />

Matić im Europäischen Parlament in der<br />

Debatte über seinen Bericht<br />

Das Gesetz schützt nicht die Frau und<br />

unterwirft sie einer falschen Freiheit.«<br />

Die spanische Konservative Margarita<br />

de la Pisa Carrión in derselben Debatte<br />

Tops & Flops<br />

Großbritannien<br />

Anfang Juli sind radikale Abtreibungsbefürworter<br />

im britischen<br />

Parlament mit dem Versuch gescheitert,<br />

einen Gesetzentwurf zu kapern,<br />

um Abtreibungen in Großbritannien<br />

vollständig zu liberalisieren. Die<br />

Labour-Abgeordnete Diana Johnson<br />

hatte vor der Abstimmung über einen<br />

Gesetzentwurf, der die Verfolgung<br />

von Gewaltverbrechen zum Gegenstand<br />

hatte, einen Änderungsantrag<br />

(New Clause 55) eingebracht, der<br />

Spanien<br />

In Spanien müssen sich Ärzte, die<br />

sich nicht an Euthanasie beteiligen<br />

wollen, in ein von der Regierung<br />

dafür eigens eingerichtetes Register<br />

eintragen. Das berichtet das Wiener<br />

Institut für Medizinische Anthropologie<br />

und Bioethik (IMABE) Anfang<br />

Juli in seinem monatlichen Newsletter.<br />

Im März <strong>2021</strong> hatte Spaniens<br />

Parlament die Euthanasie legalisiert.<br />

Das entsprechende Gesetz trat am<br />

25. Juni in Kraft. Menschen mit einer<br />

Der Mensch ist ab der Befruchtung ein<br />

Mensch.«<br />

Die AfD-Europaabgeordnete Christine<br />

Anderson in derselben Debatte<br />

Wir müssen wachsam bleiben gegenüber<br />

Versuchen, den Zugang zur Abtreibung<br />

durch die ›Entführung‹ anderer<br />

Gesetze zu erweitern.«<br />

Der Weihbischof von Westminister, John<br />

Sherrrington, in einer Presseerklärung<br />

vom 6. Juli<br />

So ist es zum Beispiel sehr verlockend,<br />

das Lebendige chemisch oder den Geist<br />

biologisch zu denken, denn man spart<br />

Arbeit und gewinnt den Schein strenger<br />

Wissenschaft; in Wahrheit war<br />

man geistig träge, hat dem Erkenntnisgewinn<br />

Gewalt angetan und das Eigentümliche<br />

des Gegenstandes verloren.«<br />

Romano Guardini (1885–1968):<br />

Die letzten Dinge, Würzburg 1952, S. 47<br />

vorgeburtliche Kindstötungen bis zur<br />

Geburt vollständig legalisiert hätte.<br />

Der Weihbischof von Westminster,<br />

John Sherrington, in der Bischofskonferenz<br />

von England und Wales<br />

für Fragen des Lebensschutzes zuständig,<br />

hatte öffentlich vor der neuen<br />

Klausel 55 gewarnt und die Bürger<br />

aufgerufen, sich an ihre Abgeordneten<br />

zu wenden und gegen den Änderungsantrag<br />

zu protestieren. Offenbar<br />

mit Erfolg. Abgeordnete sprachen<br />

während der Debatte im Unterhaus<br />

von einem »Tsunami des Protests«.<br />

Ein weiterer Änderungsantrag (New<br />

Clause 42) sollte Bannmeilen um<br />

Abtreibungseinrichtungen erreichen.<br />

Der »Abortion Act« aus dem Jahr<br />

1967 erlaubt vorgeburtliche Kindstötungen<br />

bis zur 24. Schwangerschaftswoche,<br />

wenn zwei Ärzte zu der Überzeugung<br />

gelangen, dass die gesetzlich<br />

festgelegten Kriterien erfüllt seien.<br />

Angesichts der drohenden Niederlage<br />

zogen die Initiatoren ihre Änderungsanträge<br />

wieder zurück. reh<br />

»schweren und unheilbaren« Krankheit<br />

oder »chronischen, stark einschränkenden<br />

Schmerzen« sollen auf<br />

eigenen Wunsch Beihilfe zum Suizid<br />

erhalten oder von Ärzten auf ihr Verlangen<br />

hin getötet werden können,<br />

um »unerträgliches Leid« zu vermeiden.<br />

Die Kosten werden von den<br />

staatlichen Krankenkassen getragen.<br />

Während die Regierung die Schaffung<br />

des Registers damit begründet,<br />

anders ließe sich eine »Versorgung«<br />

Sterbewilliger nicht sicherstellen,<br />

befürchten Ärztevertreter nun eine<br />

Diskriminierung von Ärzten, die<br />

Euthanasie ablehnen. Die spanische<br />

Ärztekammer, die bereits im Vorfeld<br />

scharfe Kritik an dem Gesetz übte,<br />

hält es für möglich, dass die Einrichtung<br />

des Registers sogar gegen<br />

die Verfassung verstoße. Artikel 16,<br />

Absatz 2 der spanischen Verfassung<br />

schreibe vor, dass niemand gezwungen<br />

werden dürfe, »über seine Ideologie,<br />

Religion oder Weltanschauung<br />

auszusagen«.<br />

reh<br />

32 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Aus dem Netz<br />

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung (1979)<br />

»(...) Das Geheimnis oder die Paradoxie<br />

der Moral ist, daß das Selbst über der<br />

Sache vergessen werden muß, um ein<br />

höheres Selbst (das in der Tat auch ein<br />

Gut-an-sich ist) werden zu lassen. Wohl<br />

ist es statthaft zu sagen ›Ich möchte mir<br />

selbst ins Auge sehen (oder: vor Gottes<br />

Prüfung bestehen) können‹,<br />

aber eben dies wird<br />

mir nur möglich sein, wenn<br />

es mir um die ›Sache‹ und<br />

nicht um mich selbst ging<br />

(…). Der gute Mensch ist<br />

nicht der, der sich gut gemacht<br />

hat, sondern der, der<br />

das Gute um seinetwillen<br />

getan hat. Das Gute aber ist<br />

die Sache in der Welt, ja die<br />

Sache der Welt. Moralität<br />

kann sich nie selber zum<br />

Ziel haben. (…) Nicht das<br />

Sittengesetz motiviert das<br />

sittliche Handeln, sondern der Appell<br />

des möglichen An-sich-Guten in der<br />

Welt, das meinem Willen gegenübersteht<br />

und Gehör verlangt – gemäß dem<br />

Sittengesetz. Jenem Appell Gehör zu<br />

geben, ist genau, was das Sittengesetz<br />

gebietet (…).<br />

Das Gesetz als solches kann weder<br />

Ursache noch Gegenstand der Ehrfurcht<br />

sein; aber das Sein, erkannt in<br />

seiner Fülle oder seiner Einzelerscheinung<br />

derselben, begegnend einem Sehvermögen,<br />

das nicht durch Selbstsucht<br />

verengt oder durch Stumpfheit getrübt<br />

ist, kann wohl Ehrfurcht erzeugen –<br />

und kann mit der Affizierung unseres<br />

Gefühls dem sonst kraftlosen Sittengesetz<br />

zuhilfe kommen, das da gebietet,<br />

dem innewohnenden Anspruch von<br />

Seiendem mit unserem eigenen Sein<br />

Genüge zu tun. ›Heteronom‹<br />

in diesem Sinne zu<br />

sein, nämlich sich vom<br />

rechtmäßigen Anruf wahrgenommener<br />

Entitäten bewegen<br />

zu lassen, braucht<br />

nicht dem Prinzip der Autonomie<br />

zuliebe gescheut<br />

oder geleugnet zu werden.<br />

Doch nicht einmal Ehrfurcht<br />

genügt, denn solche<br />

Gefühlsbejahung der<br />

wahrgenommenen Würde<br />

des Gegenstandes, so lebhaft<br />

sie sei, kann doch ganz<br />

untätig bleiben. Erst das hinzutretende<br />

Gefühl der Verantwortung, welches<br />

dieses Subjekt an ein Objekt bindet,<br />

wird uns seinethalben handeln machen.<br />

Wir behaupten, daß es die Gefühl<br />

mehr als irgendein anderes ist, welches<br />

eine Willigkeit in uns erzeugen kann,<br />

den Anspruch des Objektes auf Existenz<br />

durch unser Tun zu unterstützen.«<br />

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung.<br />

Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 20<strong>03</strong>,<br />

7. Edition. 426 Seiten. 14,00 EUR.<br />

»Die Welt. Die von morgen« (51)<br />

Kurz & bündig<br />

Keine Suizidhilfe<br />

in katholischen<br />

Krankenhäusern<br />

Bernadette Rümmelin<br />

Freiburg/Berlin (ALfA). In katholischen<br />

Krankenhäusern wird es keine<br />

Angebote professioneller oder<br />

ehrenamtlicher Suizidbeihilfe geben.<br />

Das erklärt Bernadette Rümmelin,<br />

Geschäftsführerin des Katholischen<br />

Krankenhausverbandes<br />

(KKVB), in der »Herder Korrespondenz«.<br />

»Die Assistenz zum Suizid<br />

ist nicht mit den Werten vereinbar,<br />

die uns als christliche Einrichtung<br />

leiten«, so Rümmelin. Es dürfe für<br />

Ärzte, Pflegekräfte oder Einrichtungen<br />

keine Verpflichtung geben, Suizidbeihilfe<br />

leisten zu müssen, sagte<br />

Rümmelin mit Blick auf die noch<br />

ausstehende gesetzliche Neuordnung<br />

des assistierten Suizids. Es<br />

sei ein Schutzkonzept nötig, das<br />

verhindere, dass sich Menschen<br />

zum Suizid gedrängt fühlten. reh<br />

GLOSSE<br />

HTTPS://KKVD.DE<br />

In der Welt von morgen widmen sich<br />

Menschen vor allem technischen<br />

Großprojekten. Neben der Bekämpfung<br />

des Klimawandels mittels Terraforming<br />

wird die Verschmelzung von<br />

Mensch und Maschine vorangetrieben.<br />

Um die gewaltigen finanziellen<br />

Mittel aufzubringen, die dafür benötigt<br />

werden, haben sich China, die USA<br />

und Europa darauf verständigt, die<br />

Notenpressen heiß laufen zu lassen.<br />

Die Wirtschaft steht ohnehin wieder<br />

still. Grund dafür ist diesmal eine Ypsilon-Variante<br />

des Virus SAR-CoV-7, das<br />

Gain-of-function-Forscher in einem<br />

US-amerikanischen Hochsicherheitslabor<br />

mit Hilfe der CRISPR/Cas-Technologie<br />

erschufen und versehentlich<br />

freisetzten. Ziel der Gain-of-function-<br />

Forschung ist es, Viren für den Menschen<br />

»gefährlicher« zu machen und<br />

ihnen Fähigkeiten zu verleihen, die sie<br />

in der Natur (noch) nicht besitzen. Der<br />

Mensch müsse Viren und ihren unkontrollierbaren<br />

Mutationen immer einen<br />

Schritt voraus sein, heißt es. Ausgeschrieben<br />

hatte den Auftrag ein internationales<br />

Konsortium von Impfstoffherstellern.<br />

Das wollte für die nächste<br />

Welle der fünften weltweiten SARS-<br />

CoV-Pandemie »rechtzeitig« gerüstet<br />

sein. Das Konsortium bedauerte den<br />

Vorfall. Allerdings habe man durch ihn<br />

nun wichtige Erkenntnisse für die Optimierung<br />

von Hochsicherheitslaboren<br />

gewonnen.<br />

Stefan Rehder<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />

33


LESERFORUM<br />

Skandalös<br />

Vielen Dank für die ausführliche Warnung<br />

vor der Annahme des Matić-<br />

Berichts durch das Europäische Parlament.<br />

Ich hätte das sonst gar nicht<br />

mitbekommen. Es ist wirklich skandalös,<br />

was das Europäische Parlament<br />

mit der Annahme dieses Berichts –<br />

trotz aller Warnungen – tatsächlich<br />

beschlossen hat. Dass Frauen, die<br />

ungewollt schwanger geworden sind,<br />

auch verzweifeln können, ist sicher<br />

für jeden mitfühlenden Menschen<br />

nachvollziehbar. Auch, dass manche<br />

Frauen in ihrer Verzweiflung eine<br />

Abtreibung für die Lösung aller ihrer<br />

Probleme halten, ist noch nachvollziehbar<br />

oder sollte es jedenfalls sein.<br />

Und dass Staaten sich schwertun, die<br />

de facto ja vorhandene Möglichkeit eines<br />

Schwangerschaftsabbruchs rechtlich<br />

so zu regeln, dass ein Gesetz Kind<br />

und Mutter in allen Lagen, die man<br />

sich vorstellen kann, jeweils gerecht<br />

wird, mag man auch noch verstehen<br />

können.<br />

Aber dass ein Parlament wie das<br />

Europäische, das all dieser Probleme<br />

enthoben ist, die Tötung eines ungeborenen<br />

Menschen im Mutterleib für<br />

»rechtmäßig« erachtet, das zieht einem<br />

schon die Schuhe aus.<br />

Wie, frage ich mich, kann die Tötung<br />

eines unschuldigen und wehrlosen<br />

Menschen »rechtmäßig« sein?<br />

Ich kannte Ihre<br />

Zeitschrift noch<br />

nicht. Wie ich<br />

feststelle, ein<br />

Fehler. Bin sehr<br />

beeindruckt.<br />

Bitte, machen<br />

Sie weiter so.<br />

Frank Fässler, Zürich<br />

Was hat dieser Mensch verbrochen,<br />

dass er »rechtmäßig« mit dem Tode<br />

bestraft werden kann? Wie überhaupt<br />

kann die Tötung eines Unschuldigen<br />

»rechtmäßig« sein, wenn selbst die<br />

Todesstrafe von Schwerverbrechern<br />

– wofür es gute Gründe gibt – heute<br />

vielfach als abzuschaffendes Unrecht<br />

betrachtet wird?<br />

Manche meinen hier einwenden zu<br />

können, der ungeborene Mensch sei<br />

ja gar kein Mensch, weshalb auch der<br />

Vergleich mit der Todesstrafe nicht<br />

zulässig sei. Nun, das ist allerdings<br />

zunächst eine bloße Behauptung. Bedeutsam<br />

würde sie erst, wenn jemand<br />

zeigte, wie aus der befruchteten Eizelle<br />

einer Frau, aus der sich niemals ein<br />

Hund oder eine Katze entwickelt, ein<br />

Mensch »wird«. Wo dies nicht gezeigt<br />

werden kann, muss davon ausgegangen<br />

werden, dass diese Behauptung<br />

falsch ist, beziehungsweise<br />

es jedenfalls sehr<br />

viel wahrscheinlicher<br />

ist, dass man nicht<br />

»Mensch« wird, sondern<br />

»ist«. Auch Hunde<br />

werden nicht zu<br />

Hunden, sondern sind<br />

es. Aber auch wenn<br />

man diesen Punkt<br />

einmal ausklammert, Matić<br />

bleibt unbestreitbar:<br />

Auch für Herrn Matić hat das Leben<br />

einmal in der Gebärmutter einer Frau<br />

begonnen. Er selbst jedenfalls hat seine<br />

Existenz genauso wenig geplant wie<br />

jedes andere Kind, das – beabsichtigt<br />

oder unbeabsichtigt – gezeugt wird.<br />

Wenn nun aber Herr Matić ein Recht<br />

hat, zu leben, warum dann nicht auch<br />

jeder andere Mensch. Es kann doch<br />

nicht sein, dass die Entscheidung von<br />

Herrn Matićs Mutter, ihn damals nicht<br />

töten zu lassen, das Recht von Herrn<br />

Matić auf Leben begründet. Und wenn<br />

doch, was wäre eine Mutter dann. Eine<br />

Göttin? Eine als gottgleich verehrte römische<br />

Kaiserin, die – allem irdischen<br />

Recht enthoben – den Daumen hebt<br />

oder senkt, wann sie will?<br />

Birte Sackmann, Mannheim<br />

A N Z E I G E<br />

34 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>LEBENSFORUM</strong><br />

Ausgabe Nr. <strong>139</strong>, 3. Quartal <strong>2021</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski (V. i. S. d. P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle<br />

z.H. Dr. med. Karl Renner<br />

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Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: k.renner@aerzte-fuer-das-leben.de<br />

www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder M. A.<br />

Redaktion<br />

Alexandra Maria Linder M. A., Stefan Matthaei,<br />

Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

E-Mail: lebensforum@alfa-ev.de<br />

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»LebensForum« 140 erscheint am 18. Dezember <strong>2021</strong>.<br />

Redaktionsschluss ist der 12. November <strong>2021</strong>.<br />

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