ALFA E.V. MAGAZIN - LEBENSFORUM / 139 / 03/2021
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Nr. <strong>139</strong> | 3. Quartal <strong>2021</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 5,– E B 42890<br />
Ausland<br />
Kinder für alle<br />
in Frankreich<br />
Politik<br />
Das steht in den<br />
Wahlprogrammen<br />
Gesellschaft<br />
Mutige<br />
Mütter<br />
ABTREIBUNG IN DER EU<br />
Tödliche Logik<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V.<br />
1<br />
www.alfa-ev.de
INHALT<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
TITELTHEMA<br />
POLITIK<br />
GESELLSCHAFT<br />
Tödliche Logik<br />
4<br />
Mit 378 gegen 255 Stimmen hat<br />
das Europäische Parlament am<br />
24. Juni den Matić-Bericht angenommen.<br />
Mit der Annahme des Matić-<br />
Berichts ist der Abtreibungslobby eine<br />
Frontverschiebung im Stellungskrieg<br />
um das Recht auf Leben gelungen.<br />
Von Stephan Baier<br />
»Anschlag«,<br />
»fatales Signal«<br />
8<br />
Lebensrechtler und kirchliche<br />
Verbände aus Deutschland und<br />
Österreich haben die Annahme des<br />
Matić-Berichts durch das Europäische<br />
Parlament in Brüssel scharf kritisiert<br />
oder gar verurteilt.<br />
Von Sebastian Sander<br />
So haben die<br />
Abgeordneten gestimmt<br />
10<br />
Linke, Sozialisten, Grüne<br />
und Liberale stimmten im<br />
Europäischen Parlament<br />
geschlossen für den Matić-Bericht,<br />
Konservative und Christdemokraten<br />
votierten überwiegend dagegen.<br />
Drum prüfe,<br />
wer sich bindet …<br />
14<br />
Am 26. September ist<br />
Bundestagswahl. »Lebens-<br />
Forum« wirft daher einen Blick in die<br />
Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD,<br />
AfD, FDP, Linkspartei und Bündnis 90/<br />
Die Grünen sowie in die der Freien<br />
Wähler, der ÖDP und von Bündnis C.<br />
Von Michael Maximilian Sabel<br />
AUSLAND<br />
Weder bio noch ethisch<br />
20<br />
Nach zwei Jahren Arbeit hat<br />
das französische Parlament<br />
Ende Juni mit 326 gegen 115 Stimmen<br />
bei 42 Enthaltungen ein neues Bioethikgesetz<br />
verabschiedet, das zutiefst<br />
frauenfeindlich ist.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
Mutige Mütter<br />
24<br />
Die in der Schweiz lebende<br />
Hebamme Maria Grundberger<br />
weiß, wann ungewollt schwangere<br />
Frauen sich für ihr ungeborenes Kind<br />
entscheiden. Seit 20 Jahren berät<br />
Grundberger Frauen in Schwangerschaftskonflikten.<br />
Von Maria Grundberger<br />
2 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
EDITORIAL<br />
Es gibt viel zu tun!<br />
WISSENSCHAFT<br />
Ziemlich peinlich<br />
26<br />
Die Nationale Akademie der<br />
Wissenschaften Leopoldina<br />
und die Union der deutschen Akademien<br />
der Wissenschaften haben eine<br />
Stellungnahme vorgelegt, die von der<br />
Politik eine »Neubewertung des Schutzes«<br />
künstlich erzeugter Embryonen<br />
fordert.<br />
Von Stefan Rehder<br />
WEITERE THEMEN<br />
12<br />
30<br />
32<br />
34<br />
35<br />
Bioethik-Splitter<br />
Bücherforum<br />
Kurz vor Schluss<br />
Leserforum<br />
Impressum<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
»Im Westen nichts Gutes« – so lautet<br />
der Titel des ALfA-Podcasts »LifeTalks«,<br />
in dem wir im Juni über die Abstimmung<br />
im Brüsseler EU-Parlament zum<br />
Matić-Bericht informiert haben. Mit<br />
dem lapidaren Satz »Der Matić-Bericht<br />
wurde angenommen« wurde Europa<br />
eine neue Wirklichkeit verkündet. Der<br />
Sturm, zu dem die Abtreibungslobby<br />
in Europa geblasen hatte, hinterlässt<br />
eine Schneise der Verwüstung, die so<br />
einfach nicht zu beheben ist. Dass diese<br />
Abtreibungslobby intensiv am Werk<br />
war, ergibt sich aus dem Redebeitrag<br />
der irischen EVP-Abgeordneten Frances<br />
Fitzgerald, die sich zunächst bei<br />
ihrem Kollegen Matić für seine Anstrengungen<br />
und Arbeit bedankte, um<br />
dann zu erläutern, dass viel Lobbyarbeit<br />
stattgefunden habe. Wir berichten<br />
ausführlich über die Hintergründe, das<br />
Abstimmungsverhalten der Europaparlamentarier<br />
und die Reaktionen aus Kirche,<br />
Politik und Gesellschaft (S. 4 ff.).<br />
Auch weiter südlich im Westen gibt<br />
es nichts Gutes: Nur kurze Zeit später<br />
stimmte die französische Nationalversammlung<br />
einem Bioethikgesetz zu,<br />
das den Namen nicht verdient. Im ursprünglichen<br />
Text des Gesetzes wurde<br />
die Formulierung, nach der es kein<br />
Recht auf ein Kind gibt, gestrichen, dafür<br />
ist dieses Kind jetzt in seiner frühesten<br />
Form – als menschlicher Embryo<br />
– nur noch ein Produkt, das nach<br />
Belieben verwertet oder vernichtet werden<br />
kann; sei es, um als Forschungsobjekt<br />
zur Verfügung zu stehen, um bei<br />
ungewollter Schwangerschaft entsorgt<br />
zu werden oder aber um den Wunsch<br />
nach einem »eigenen« Kind bei Paaren<br />
oder Einzelpersonen aller Art zu stillen<br />
(S. 20 ff.).<br />
Dass diese Entwicklungen im Westen<br />
Europas Auswirkungen auf Deutschland<br />
haben werden, ist sehr wahrscheinlich.<br />
Leider lässt ein Blick in<br />
die Wahlprogramme der meisten Parteien,<br />
die zur Bundestagswahl kandidieren,<br />
keinen anderen Schluss zu.<br />
Für führende Vertreter der Grünen wie<br />
Ulle Schauws gibt es schlicht keinen<br />
Grund, ungeborene Kinder zu schützen.<br />
Sie forderte, auch im Bildungsauftrag<br />
für junge Menschen<br />
müsse klar sein, dass die<br />
Frage, ob eine Schwangerschaft<br />
abgebrochen wird<br />
oder nicht, keine moralische<br />
ist. Mit einer solchen<br />
Äußerung verlässt sie die<br />
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,<br />
steht aber in trauter Einigkeit<br />
neben der Nationalen<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
Leopoldina, die<br />
in ihrer jüngsten Stellungnahme dem<br />
künstlich erzeugten Embryo ein Recht<br />
auf Leben abspricht, um ihn für die Forschung<br />
verfügbar zu machen (S. 26 ff.).<br />
Bemerkenswert ist auch, dass CDU/<br />
CSU in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm<br />
zum Thema Schutz des ungeborenen<br />
Lebens rein gar nichts zu sagen<br />
haben (S. 14 ff.).<br />
Um doch im Westen etwas Gutes zu<br />
entdecken, muss man weit reisen. In<br />
Irland hat der parlamentarische Justizausschuss<br />
einen Gesetzentwurf zum<br />
assistierten Suizid rundheraus abgelehnt.<br />
Und noch weiter westlich, in den<br />
USA, hat die Generalstaatsanwältin<br />
von Mississippi den US-Supreme-Court<br />
gebeten, die bahnbrechende Abtreibungsentscheidung<br />
»Roe vs. Wade«<br />
aufzuheben. Der Fall wird – so Gott will<br />
– von einem Höchstgericht entschieden<br />
werden, dessen Richter mehrheitlich<br />
pro-life sind.<br />
Uns lehrt dies: Veränderung ist möglich.<br />
Wir haben viel zu tun. Danke, dass<br />
Sie uns dabei unterstützen!<br />
Ihre<br />
Cornelia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der ALfA e.V.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
3
TITELTHEMA<br />
Tödliche Logik<br />
Schlachtfeld Europapolitik: Linke, Sozialisten, Grüne und Liberale im Europäischen Parlament<br />
stimmten geschlossen für den Matić-Bericht, der Abtreibung als Menschenrecht proklamiert. Konservative<br />
und Christdemokraten votierten in großer Mehrheit dagegen.<br />
Von Stephan Baier<br />
Ursula von der Leyen, die Präsidentin<br />
der EU-Kommission,<br />
weiß die ganze Klaviatur von<br />
sanfter Emotion bis großem Pathos zu<br />
spielen, wie sie zuletzt in Reden gegen<br />
die neuen ungarischen Kinderschutzgesetze<br />
bewies. Doch zum Matić-Bericht<br />
sagte sie kein Wort. Den meisten Medien<br />
war er keinen größeren Bericht<br />
wert, und selbst jene Parteien, die sich<br />
nach der Abstimmung als Sieger fühlen<br />
durften, jubelten ausgesprochen leise.<br />
Ist der Bericht des kroatischen Sozialisten<br />
Predrag Fred Matić, der am 24. Juni<br />
in Brüssel mit 378 gegen 255 Stimmen<br />
(bei 42 Enthaltungen) vom Europäischen<br />
Parlament angenommen wurde,<br />
vielleicht gar nicht der Rede wert?<br />
Sollte man still zur Tagesordnung übergehen,<br />
zumal diese »Entschließung zu<br />
der Lage im Hinblick auf die sexuelle<br />
und reproduktive Gesundheit und die<br />
damit verbundenen Rechte in der EU<br />
im Zusammenhang mit der Gesundheit<br />
von Frauen« keine direkten legislativen<br />
Folgen hat?<br />
Der Text mündet nicht unmittelbar<br />
in eine EU-Richtlinie oder Verordnung.<br />
Gleichwohl ist der Abtreibungslobby<br />
mit dem Matić-Bericht eine Frontverschiebung<br />
im Stellungskrieg um das<br />
Recht auf Leben gelungen, zumal dieses<br />
hier weder dem Wortlaut noch der<br />
Idee nach überhaupt vorkommt. Das<br />
Recht des ungeborenen Kindes auf Leben<br />
ist – das ist mit der Endabstimmung<br />
amtlich dokumentiert – für eine Mehrheit<br />
im Europäischen Parlament unter<br />
dem Radar und kein Erwägungsgrund<br />
mehr. Stattdessen beruht die logische<br />
Tektonik des Textes auf der Annahme,<br />
dass Abtreibung ein Menschenrecht<br />
4 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
TITELTHEMA<br />
sei, dass darum jede Form der gesetzlichen<br />
oder praktischen Beschränkung<br />
eine Menschenrechtsverletzung, ja eine<br />
Form geschlechtsspezifischer Gewalt<br />
sei, und dass die Gewissensfreiheit vielleicht<br />
im Einzelfall toleriert, aber keinesfalls<br />
gebilligt werden könne.<br />
Obwohl den sichtbaren wie unsichtbaren<br />
Verfassern des Berichts bewusst<br />
war, »dass Abtreibungsgesetze auf innerstaatlichen<br />
Rechtsvorschriften beruhen«,<br />
wie es im finalen Text heißt, werden<br />
hier EU-Staaten gerügt, die durch<br />
»sehr restriktive Gesetze, die Abtreibungen<br />
außer unter genau festgelegten<br />
Umständen verbieten und Frauen somit<br />
zwingen, heimlich abzutreiben, in andere<br />
Länder zu reisen oder ihre Schwangerschaft<br />
gegen ihren Willen zu Ende zu<br />
führen, was eine Verletzung der Menschenrechte<br />
und eine Form geschlechtsspezifischer<br />
Gewalt darstellt«. Bereits<br />
an dieser Formulierung wird klar, warum<br />
Matić & Co. den Weg einer legislativen<br />
Initiative vermieden haben: In<br />
keinem rechtsrelevanten Text könnte<br />
das Europäische Parlament EU-Mitgliedstaaten<br />
der Menschenrechtsverletzung<br />
beschuldigen. Also wählten sie<br />
den Weg der Propaganda und der Appelle,<br />
der Uminterpretation und Prägung<br />
von Rechtsbewusstsein.<br />
Der Text fordert die für diese Gesetzgebung<br />
zuständigen Staaten auf,<br />
»einen allgemeinen Zugang zu sicherer<br />
und legaler Abtreibung« zu gewährleisten,<br />
»Abtreibung zu entkriminalisieren<br />
und Hindernisse für legale Abtreibungen<br />
zu beseitigen« sowie sicherzustellen,<br />
»dass eine Abtreibung auf Antrag<br />
in der frühen Schwangerschaft und darüber<br />
hinaus, wenn die Gesundheit oder<br />
das Leben der schwangeren Person gefährdet<br />
ist, rechtmäßig ist«. Solche das<br />
Subsidiaritätsprinzip verletzende Übergriffigkeit<br />
auf das Recht der Mitgliedstaaten<br />
rechtfertigt der Bericht damit,<br />
dass es sich um eine Frage der Menschenrechte,<br />
ja »internationaler Menschenrechtsstandards«<br />
handle.<br />
Eine Gewissensfrage<br />
Diese fragwürdige Argumentation<br />
wird auch dazu benutzt, ein verbrieftes<br />
Menschenrecht in Frage zu stellen:<br />
die Gewissensfreiheit. Zunächst wollte<br />
Matić das Recht von Ärzten, unter<br />
Berufung auf ihr Gewissen die Mitwirkung<br />
an Abtreibungen zu verweigern,<br />
generell als Verweigerung einer medizinischen<br />
Leistung brandmarken. Von<br />
dieser radikalen Linie wich er ab, wohl<br />
um die parlamentarische Mehrheit für<br />
seinen Bericht nicht zu gefährden. Der<br />
nun verabschiedete Text anerkennt,<br />
»dass sich einzelne Ärzte aus persönlichen<br />
Gründen auf eine Gewissensklausel<br />
berufen können«. Er betont jedoch,<br />
»dass eine Gewissensklausel für Einzelpersonen<br />
nicht das Recht eines Patienten<br />
auf vollständigen Zugang zu medizinischer<br />
Versorgung und Gesundheitsdienstleistungen<br />
beeinträchtigen darf«.<br />
Er bedauert weiter, »dass Ärzte und<br />
manchmal ganze medizinische Einrichtungen<br />
Gesundheitsdienstleistungen auf<br />
Basis einer sogenannten Gewissensklausel<br />
ablehnen«. Das führe dazu, dass die<br />
Betreuung einer Abtreibung »aus religiösen<br />
oder Gewissensgründen verweigert<br />
wird«, wodurch »das Leben und die<br />
Rechte der Frauen gefährdet werden«.<br />
Mehr noch: Der Text behauptet, dass<br />
»die Verweigerung der Betreuung eines<br />
Schwangerschaftsabbruchs eine Form<br />
von geschlechtsspezifischer Gewalt ist«.<br />
Wenn das Lebensrecht des ungeborenen<br />
Kindes rückstandsfrei ausgeblendet<br />
wird und Abtreibung zum Grund-<br />
oder Menschenrecht erhoben wird, ist<br />
der Kampf gegen die Gewissensfreiheit<br />
der (anders denkenden) Ärzte und der<br />
(etwa konfessionellen) Gesundheitseinrichtungen<br />
nur logisch.<br />
Dann ist auch die Empörungsrhetorik<br />
erklärbar, mit der Befürworter des<br />
Matić-Berichts im Europäischen Parlament<br />
die dort ebenfalls zu Wort kommenden<br />
Kritiker überzogen. Da sagte<br />
etwa die niederländische Europaabgeordnete<br />
Samira Rafaela von der Renew-<br />
Schwieg zum Bericht: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen<br />
Fraktion (früher »Liberale Fraktion«<br />
genannt), die »Frauen auf der rechten<br />
Seite des Parlaments sollten sich schämen«.<br />
Die Abgeordneten der Linksfraktion,<br />
der Sozialisten, der Grünen und<br />
der Liberalen stellten klar, dass sie den<br />
Zugang zu legalen Abtreibungen für<br />
»eine Frage der Gesundheit und der<br />
Gerechtigkeit« halten, wie die liberale<br />
Französin Irène Tolleret sagte. Sie warf<br />
»konservativen Plattformen« (gemeint<br />
sind Lebensrechtsverbände) vor, Millionen<br />
auszugeben, um die sexuellen und<br />
reproduktiven Rechte von Frauen einzuschränken.<br />
Die spanische Sozialistin<br />
Iratxe García Pérez dankte ihrem Parteifreund<br />
Matić für seinen Mut »als feministischer<br />
Mann«. Es sei auf ihn viel<br />
Druck ausgeübt worden. Matić selbst,<br />
einst Veteranenminister einer sozialis-<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
5
TITELTHEMA<br />
tischen Regierung Kroatiens, klagte, er<br />
sei zur Zielscheibe heftiger Kritik und<br />
vieler Briefe geworden. Lügen seien<br />
über seinen Bericht verbreitet worden.<br />
Die Rechtsfolgen<br />
Deshalb wird die EU-Kommission<br />
hier aufgefordert, die »Rechte« im<br />
Kontext der sexuellen und reproduktiven<br />
Gesundheit »im gesamten außenpolitischen<br />
Handeln und sämtlichen Außenbeziehungen<br />
der EU« zu einer Priorität<br />
zu machen. Die Kommission soll<br />
dafür sorgen, »dass der neue Sonderbeauftragte<br />
für Religions- und Weltanschauungsfreiheit<br />
sich einem menschenrechtsbasierten<br />
Ansatz verschreibt und<br />
somit die sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />
und die damit verbundenen<br />
Rechte respektiert«. Das ist nicht nur<br />
eine versteckte Polemik gegen den früheren<br />
Amtsinhaber, den slowakischen<br />
Katholiken Ján Figel, sondern auch eine<br />
Warnung an den neuen Amtsinhaber,<br />
den griechischen Ex-EU-Kommissar<br />
Christos Stylianides.<br />
Das Netzwerk dahinter<br />
Als Hebel zur Durchsetzung der beschriebenen<br />
Interessen setzt der Matić-<br />
Buch-Tipp<br />
Fühlt sich falsch verstanden: Der kroatische Sozialist Predrag Fred Matić<br />
Die beschriebene Logik, die darauf beruht,<br />
das Lebensrecht des Kindes auszublenden<br />
und es als reines Objekt zu betrachten,<br />
wird im Matić-Bericht in Richtung<br />
Reproduktionsmedizin verlängert.<br />
Der verabschiedete Text geht davon aus,<br />
dass Erwachsene einen Rechtsanspruch<br />
auf ein Kind haben können. Ihnen wird<br />
hier das Recht zugesprochen, »sichere<br />
sexuelle Erfahrungen zu machen sowie<br />
zu entscheiden (…), ob und mit welchen<br />
Mitteln sie ein Kind oder mehrere Kinder<br />
bekommen, und wie viele Kinder sie<br />
haben möchten«. Das Wörtchen »ob«<br />
zielt auf Verhütung und Abtreibung;<br />
das Wort »mit welchen Mitteln« auf<br />
die Möglichkeiten der Fortpflanzungsund<br />
Reproduktionsmedizin, grundsätzlich<br />
– vielleicht sogar intendiert – auch<br />
auf die Option der Leihmutterschaft.<br />
Auch wenn hier weder eine Öffnung des<br />
Adoptionsrechts noch eine Öffnung in<br />
Richtung Leihmutterschaft thematisiert<br />
wird, werden sich künftige Offensiven in<br />
dieser Richtung auf solche Formulierungen<br />
berufen. Eine bereits gestartete Initiative<br />
der EU-Kommission zur wechselseitigen<br />
Anerkennung von Elternschaft<br />
in der EU wird diese Debatte auslösen<br />
und die vermeintlich restriktiveren Bestimmungen<br />
mancher Mitgliedstaaten<br />
unter Druck bringen.<br />
Wenngleich die Abtreibungsgesetzgebung<br />
nicht in der legislativen Kompetenz<br />
der EU, sondern ihrer Mitgliedstaaten<br />
liegt, hat der Bericht doch gewichtige<br />
Konsequenzen. Und das nicht<br />
nur durch den zusätzlichen Druck, der<br />
auf EU-Mitglieder entsteht. Das Europäische<br />
Parlament beansprucht nämlich,<br />
»dass die EU unmittelbar dafür zuständig<br />
ist, in ihrem auswärtigen Handeln<br />
die sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />
und die damit verbundenen Rechte<br />
zu fördern«. Darum verlangt der verabschiedete<br />
Text, die EU müsse »in ihrer<br />
Politik zur Entwicklungszusammenarbeit<br />
sowie in ihren Instrumenten des<br />
auswärtigen Handelns (…) angemessene<br />
und gezielte Mittel« dafür bereitstellen.<br />
Dabei wird unter den Begriff der sexuellen<br />
und reproduktiven Rechte allerlei<br />
gefasst, aber eben auch das Recht auf<br />
»einen allgemeinen Zugang zu sicherer<br />
und legaler Abtreibung«.<br />
Die Seele Europas<br />
Stephan Baier: Die Seele Europas.<br />
Von Sinn und Sendung des Abendlandes.<br />
Fe-Medienverlag, Kißlegg<br />
2017. 196. Seiten. 8,95 EUR.<br />
Bericht auf das Geld der EU-Steuerzahler:<br />
Eben das ist gemeint, wenn es<br />
heißt, die EU solle in ihrer Entwicklungszusammenarbeit<br />
»angemessene<br />
und gezielte Mittel für die sexuelle und<br />
reproduktive Gesundheit und die damit<br />
verbundenen Rechte vorsehen«. Dabei<br />
sollen »die Organisationen der Zivilgesellschaft<br />
einbezogen werden, die sich in<br />
den Entwicklungsländern direkt für die<br />
6 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
TITELTHEMA<br />
Verteidigung der sexuellen und reproduktiven<br />
Gesundheit einsetzen«. Eben<br />
solche »Organisationen der Zivilgesellschaft«<br />
solle die EU fördern, denn ihnen<br />
komme »bei der Schaffung von Gesellschaften,<br />
in denen die Geschlechter<br />
gleichgestellt sind, eine Schlüsselrolle<br />
zu«. EU-Gelder sollen also in die Taschen<br />
jener Organisationen fließen, die<br />
eine offensive Abtreibungsagenda zur<br />
Transformierung der Gesellschaften<br />
anderer Kontinente einsetzen.<br />
Eine dreiste Forderung, wenn man<br />
bedenkt, welches Netzwerk hinter den<br />
Abtreibungsbefürwortern im Europaparlament<br />
steht. Matić und 555 weitere<br />
europäische, nationale oder regionale<br />
Abgeordnete aus allen Ländern des<br />
Europarates gehören dem sogenannten<br />
European Parliamentary Forum for Sexual<br />
& Reproductive Rights (EPF) an,<br />
das sich selbst als Nichtregierungsorganisation<br />
bezeichnet und nach eigenen<br />
Angaben von der Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO, der International<br />
Planned Parenthood Federation (IPPF),<br />
der Bill & Melinda Gates Stiftung sowie<br />
der Deutschen Gesellschaft für Internationale<br />
Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt<br />
wird.<br />
Kurz vor der Verabschiedung des<br />
Matić-Berichts verbreitete das EPF<br />
die Behauptung, die Gegenseite verfüge<br />
über mehr als 700 Millionen US-<br />
Dollar an Spenden aus den Vereinigten<br />
Staaten, Russland und Europa für Anti-<br />
Gender-Aktivitäten. Hier operiere ein<br />
internationales Netzwerk von Abtreibungsgegnern<br />
und Widersachern der<br />
Homo-Ehe. Tatsächlich ist das EPF<br />
selbst ein internationales Netzwerk<br />
von Abtreibungsbefürwortern, dessen<br />
Gruppe im Europaparlament von der<br />
niederländischen Liberalen Sophie in<br />
’t Veld geleitet wird.<br />
Die Widerstände<br />
Den Frauenausschuss des Europaparlaments<br />
hatte Matićs Bericht noch ohne<br />
heftigere Widerstände – wenngleich<br />
nach mehr als 500 Änderungsanträgen<br />
und einer monatelangen Prozedur –<br />
passiert. Im Plenum jedoch regte sich<br />
gewichtigerer Widerstand. Wohl auch,<br />
weil Demonstrationen in mehreren Städten<br />
Europas, Appelle etlicher Bischofskonferenzen<br />
und eine Welle von Petitionen<br />
und Briefen so manchen Parlamentarier<br />
aufschreckten. Zwei Fraktionen<br />
versuchten in letzter Minute, den<br />
Bericht zu Fall zu bringen: Die konservative<br />
ECR-Fraktion (unter Führung<br />
Sophie in ’t Veld<br />
der polnischen Regierungspartei PiS)<br />
brachte gemeinsam mit den ungarischen<br />
Fidesz-Abgeordneten einen alternativen<br />
Entschließungsantrag ein,<br />
der mit dem Subsidiaritätsprinzip argumentierte.<br />
Er mahnte an, »dass die EU<br />
über keine Zuständigkeit für die Ausarbeitung<br />
von Strategien in den Bereichen<br />
sexuelle Gesundheit und Sexualerziehung,<br />
Fortpflanzung und Abtreibung<br />
verfügt«.<br />
Ein zweiter alternativer Entschließungsantrag<br />
der christdemokratischen<br />
EVP-Fraktion verwies auf das »Recht<br />
auf Leben« als »grundlegendes Menschenrecht«<br />
und erinnerte daran, dass<br />
»Abtreibungsgesetze und die Bestimmungen<br />
für die sexuelle und reproduktive<br />
Gesundheit und die damit verbundenen<br />
Rechte auf innerstaatlichen<br />
Rechtsvorschriften beruhen«, also nicht<br />
in die Kompetenz der EU fallen. Es sollten<br />
»alle Anstrengungen unternommen<br />
werden, um die Zahl der Abtreibungen<br />
zu senken«. Auch sei Abtreibung »keine<br />
Form der Empfängnisverhütung«.<br />
Beide Anträge zielten einzig und allein<br />
darauf, Matićs Bericht vollständig<br />
zu ersetzen. Nach der Abstimmungslogik<br />
des Parlaments hätte die Annahme<br />
eines der beiden alternativen Entschließungsanträge<br />
jede weitere Abstimmung<br />
hinfällig gemacht. Der ECR-Antrag<br />
scheiterte jedoch in Brüssel mit 267<br />
Ja-Stimmen an 402 Nein-Stimmen, der<br />
EVP-Antrag mit 288 Ja-Stimmen an<br />
373 Gegenstimmen. Aufschlussreich ist<br />
das auf der Homepage des Parlaments<br />
nachlesbare Stimmverhalten der Europaabgeordneten:<br />
In eindrucksvoller<br />
Geschlossenheit stimmten die Fraktionen<br />
der Linken, Sozialisten, Grünen<br />
und Liberalen (Renew) gegen die Anträge<br />
von ECR und EVP sowie für Matić.<br />
Die Konservativen (ECR) lehnten Matić<br />
geschlossen ab, die Christdemokraten<br />
(EVP) immerhin mit großer Mehrheit.<br />
Sind nun die Europäische Union<br />
und ihr Parlament unrettbar an die Abtreibungslobby<br />
verloren? Sind die Lebensrechtler<br />
gescheitert? Ist jedes weitere<br />
Engagement auf dieser Ebene vergebliche<br />
Liebesmüh? Im Gegenteil:<br />
Das Abstimmungsergebnis zeigt, dass<br />
es Europaabgeordnete gibt, die es verdient<br />
haben, dass Lebensschützer ihnen<br />
den Rücken stärken. Und solche,<br />
die es nötig haben. Es zeigt, dass Europa<br />
ein weltanschaulicher Kampfplatz<br />
ist, dem nicht weniger, sondern mehr<br />
Aufmerksamkeit und Aufklärungsarbeit<br />
gewidmet werden muss. Und es<br />
dokumentiert, dass hier reale Gefahren<br />
drohen, die abzuwehren heute zur Berufung<br />
werden kann.<br />
Im Portrait<br />
Stephan Baier<br />
Stephan Baier ist Theologe, Journalist<br />
und Sachbuchautor. Bei der<br />
katholischen Zeitung »Die Tagespost«<br />
ist er seit 1999 u.a. für Europapolitik<br />
zuständig. Zuvor war<br />
er als Parlamentarischer Assistent<br />
und Pressesprecher für Otto von<br />
Habsburg am Europäischen Parlament<br />
tätig.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
7
TITELTHEMA<br />
»Anschlag«,<br />
»fatales Signal«<br />
Lebensrechtler und kirchliche Verbände aus Deutschland und Österreich haben die<br />
Annahme des Matić-Berichts durch das Europäische Parlament am 24. Juni in Brüssel<br />
scharf kritisiert oder gar verurteilt<br />
Von Sebastian Sander<br />
Die Bundesvorsitzende der Aktion<br />
Lebensrecht für Alle (ALfA),<br />
Cornelia Kaminski, sprach<br />
von »einem brutalen Anschlag auf das<br />
Recht eines jeden Menschen auf Leben«.<br />
Darüber könnten auch die positiven<br />
Anliegen, die der Bericht enthalte,<br />
nicht hinwegtäuschen. Dass der<br />
Bericht »ein Menschenrecht auf vorgeburtliche<br />
Kindstötungen« proklamiere<br />
und die EU-Mitgliedstaaten auffordere,<br />
sämtliche »›Hindernisse zu beseitigen‹,<br />
die dem ›im Wege stehen‹«, sei<br />
»eine Schande für Europa, welche die<br />
Pioniere und Gründungsväter der Europäischen<br />
Union eigentlich in ihren<br />
Gräbern rotieren lassen müsste«. Dies<br />
nicht nur, weil Fragen, die die Gesundheitspolitik<br />
und Abtreibungsgesetzgebung<br />
beträfen, nicht in den Kompetenzbereich<br />
der EU, sondern in jenen der<br />
Mitgliedstaaten fielen, »sondern vor allem,<br />
weil die Tötung eines unschuldigen<br />
und wehrlosen Menschen niemals<br />
ein Recht und schon gar kein Grundrecht<br />
sein kann«. Kaminski: »Konrad<br />
Adenauer, Alcide de Gasperi und Robert<br />
Schuman, der spätere Gründungspräsident<br />
des Europäischen Parlaments,<br />
dem dieses den Ehrentitel ›Vater Europas‹<br />
verlieh, wären tief beschämt, wenn<br />
sie wüssten, welchen Weg in die Barbarei<br />
das Europäische Parlament heute<br />
eingeschlagen hat.«<br />
Der Vorsitzende der Ärzte für das<br />
Leben (ÄfdL), Professor Dr. med. Paul<br />
Cullen, bezeichnete das Ergebnis der<br />
Abstimmung als »großen Rückschlag<br />
für die Menschenrechte, das Lebensrecht<br />
und die ärztliche Gewissensfreiheit<br />
in Europa«. Der Bericht postuliere<br />
»erstmalig ein ›Menschenrecht auf Abtreibung‹«.<br />
Die Annahme des Berichts<br />
werde dazu führen, »das in der Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention verankerte<br />
Recht von Ärztinnen und Ärzten,<br />
Cornelia Kaminski<br />
aus Gewissensgründen eine Mitwirkung<br />
an Abtreibungen abzulehnen, EU-weit<br />
zu beschneiden«. Dies müsse alle Ärztinnen<br />
und Ärzte in Europa alarmieren.<br />
»Denn ist die Gewissensfreiheit in einem<br />
Bereich des ärztlichen Tuns angetastet,<br />
so ist sie in allen anderen Gebieten der<br />
Medizin kaum aufrechtzuerhalten. Die<br />
Tötung eines wehrlosen Menschen kann<br />
nie ein Recht sein und ist das Gegenteil<br />
von einem Menschenrecht, denn sie bedeutet<br />
immer, einen anderen mutwillig<br />
aus der Menschheitsfamilie auszuschließen.<br />
Eine solche sprachliche Konstruktion<br />
ist nur möglich, wenn man in<br />
der komplexen Situation der Schwangerschaft<br />
das elementarste Menschenrecht<br />
eines der Beteiligten, nämlich das<br />
Recht, überhaupt zu existieren, vollkommen<br />
ausblendet«, so Cullen weiter. So<br />
wie es Gewissensfreiheit für Ärzte entweder<br />
für alle Bereiche der Medizin gebe<br />
oder für keinen, so hätten auch entweder<br />
alle Menschen die gleichen Menschenrechte<br />
oder niemand.<br />
Paul Cullen<br />
Die Christdemokraten für das Leben<br />
(CDL) sprachen von einem »fatalen<br />
Signal gegen den Schutz des Lebens«<br />
und einem »Angriff auf die freiheitlich-demokratische<br />
Grundordnung<br />
der EU«. Der Geist der christlichen<br />
Gründerväter der Europäischen Union<br />
werde in sein absolutes Gegenteil verkehrt.<br />
Bei vielen Unionsbürgern werde<br />
das Abstimmungsergebnis »zu einer<br />
weiteren inneren Abkehr von Europa«<br />
8 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
TITELTHEMA<br />
führen, erklärte die ehemalige Pressesprecherin<br />
und neue Bundesvorsitzende<br />
der CDL, Susanne Wenzel. Wenzel<br />
sprach von einer »dunklen Stunde Europas«,<br />
in der das Töten zum Recht erklärt<br />
und das uneingeschränkte Recht<br />
auf Leben faktisch abgeschafft worden<br />
sei. Auch die Umkehrung des Rechts<br />
auf die Gewissensfreiheit, das sowohl<br />
im deutschen Grundgesetz als auch im<br />
Schwangerschaftskonfliktgesetz verankert<br />
sei, in einen Straftatbestand der<br />
»Unterlassung einer medizinischen Behandlung«<br />
widerspreche dem viel beschworenen<br />
europäischen Geist.<br />
Auch die Vorsitzende des Bundesverbands<br />
Lebensrecht (BVL), Alexandra<br />
Linder, kritisierte die Annahme<br />
des Matić-Berichts durch das EU-Parlament.<br />
Statt Frauen Hilfe anzubieten<br />
und die Umgebung zur Hilfe zu verpflichten,<br />
Menschenwürde und Menschenrechte<br />
konsequent anzuwenden,<br />
preschten inhumane Ideologen vor, um<br />
Menschenrechte und Menschenwürde<br />
abzuschaffen und umzudefinieren. Linder:<br />
»Eine Gesellschaft, die ernsthaft<br />
der Ansicht ist, die Tötung der eigenen<br />
Kinder sei eine ›Gesundheitsleistung‹<br />
und ein wichtiges Angebot für Frauen,<br />
um selbstbestimmt und emanzipiert zu<br />
sein, verachtet und diskriminiert Frauen,<br />
missachtet die Rechte der Kinder<br />
und hat keine Zukunft.«<br />
Das »Salzburger Ärzteforum« sprach<br />
von »einem wohl historisch zu nennenden<br />
Anschlag auf die Menschenrechte<br />
und auch auf das ethische Selbstverständnis<br />
der Ärzteschaft«. Gerade unter<br />
Verweis auf die Menschenrechte werde<br />
im Bericht des Sozialisten Predrag<br />
Fred Matić durch Zuhilfenahme einer<br />
manipulativen Terminologie und Verwendung<br />
unzutreffender Begrifflichkeiten<br />
der Zugang von Frauen zu einer Abtreibung<br />
als ein »gesetzlich zustehendes<br />
Recht auf eine medizinische Versorgung«<br />
proklamiert. Bemerkenswert sei,<br />
dass der Entschließungsantrag inhaltlich<br />
selbst mehrfach gegen tatsächliche<br />
Rechte, wie etwa das Grundrecht auf Leben,<br />
auf Gewissensfreiheit und auf Religionsfreiheit,<br />
und auch gegen das Toleranzgebot<br />
gegenüber Andersdenkenden<br />
verstoße. Ebenso bemerkenswert sei die<br />
Tatsache, dass die Grenzen der Zuständigkeit<br />
des EU-Parlaments offensichtlich<br />
bewusst überschritten worden seien,<br />
»da Themen wie Gesundheit, Sexualerziehung,<br />
Reproduktion und Abtreibung<br />
der souveränen Legislativbefugnis<br />
der einzelnen Mitgliedstaaten<br />
unterliegen«.<br />
Auch der neu gewählte Präsident<br />
des Katholischen Laienrates Österreich<br />
(KLRÖ), Wolfgang Mazal, kritisiert den<br />
Bericht. In einem Gastkommentar für<br />
die Zeitung »Die Furche« bezeichnet<br />
Mazal die vom EU-Parlament verabschiedete<br />
Resolution als »menschlich,<br />
politisch und juristisch unbefriedigend«.<br />
Wie der Wiener Arbeits- und Sozialrechtler<br />
darlegt, fehle dem Bericht die<br />
nach der europäischen Grundrechtsordnung<br />
erforderliche Interessenabwägung,<br />
wodurch der Text sehr »unausgewogen«<br />
sei. Der Wunsch, Frauen im<br />
Susanne Wenzel<br />
Schwangerschaftskonflikt zu helfen, sei<br />
verständlich. Doch hätte dies nicht mit<br />
einem »Recht auf Abtreibung« und einem<br />
Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit<br />
von Ärzten verknüpft<br />
werden dürfen. Der Komplexität der<br />
Situation, in die zahlreiche Interessen<br />
sowie psychische, physische und soziale<br />
Faktoren verwoben seien, werde der<br />
Resolutionstext nicht gerecht. Erkennen<br />
könne man vielmehr ein »Menschenbild,<br />
das dem Embryo das Lebensinteresse<br />
abspricht, sowie ein Gesellschaftsverständnis,<br />
das schützenswerte Interessen<br />
einer Gruppe verabsolutiert und<br />
die Interessen anderer ignoriert«.<br />
In Deutschland kritisierten der Sozialdienst<br />
katholischer Frauen (SkF) und<br />
der Deutsche Caritas-Verband Teile des<br />
Matić-Berichts in einer gemeinsamen<br />
HTTPS://WWW.OIF.AC.AT<br />
Wolfgang Mazal<br />
Pressemitteilung. Nach Einschätzung<br />
der Caritas benenne der Bericht zwar<br />
wichtige Forderungen mit Blick auf die<br />
sexuelle und reproduktive Gesundheit<br />
von Frauen. »Nicht akzeptabel ist allerdings<br />
das im Bericht formulierte grundsätzliche<br />
Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch,<br />
da die Rechte des ungeborenen<br />
Kindes außer Acht gelassen<br />
werden«, erklärte die Bundesvorsitzende<br />
des SkF, Hildegard Eckert. Zwar begrüße<br />
der SkF das Recht auf sexuelle<br />
Selbstbestimmung, das Recht auf sexualpädagogische<br />
Bildung und Prävention<br />
sowie das Recht auf Beratung, das<br />
in dem Bericht für alle Frauen in den<br />
Mitgliedstaaten der Europäischen Union<br />
gefordert werde. »Daraus aber ein<br />
Recht auf Schwangerschaftsabbruch abzuleiten,<br />
ist falsch. Es kann kein ›Menschenrecht<br />
auf einen Schwangerschaftsabbruch‹<br />
geben. Insofern sehen wir mit<br />
großer Sorge den Auswirkungen des Berichts<br />
entgegen«, so Eckert weiter. Bei<br />
einem Schwangerschaftsabbruch stoße<br />
das Selbstbestimmungsrecht an seine<br />
Grenze, da es auch um das Leben<br />
und die Rechte des Ungeborenen gehe.<br />
Caritas-Präsident Peter Neher erklärte,<br />
Frauen, die sich nach einer Beratung<br />
für einen Schwangerschaftsabbruch<br />
entschieden, müssten das Recht<br />
haben, dass dieser medizinisch sicher<br />
durchgeführt werde. »Doch ein grundsätzliches<br />
Recht auf Schwangerschaftsabbruch,<br />
wie im Bericht gefordert, verstößt<br />
gegen die Menschenwürde und das<br />
Recht des Kindes. Dem widersprechen<br />
wir in aller Entschiedenheit.«<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
9
TITELTHEMA<br />
So haben die<br />
Abgeordneten gestimmt<br />
Nachfolgend dokumentiert »LebensForum« die namentliche Abstimmung des<br />
Europäischen Parlaments über die Annahme des Berichts »Sexuelle und reproduktive<br />
Gesundheit und die damit verbundenen Rechte in der EU im Zusammenhang mit der<br />
Gesundheit von Frauen – A9-0169/<strong>2021</strong> – Predrag Fred Matić«<br />
PRO (+)<br />
Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />
Bonfrisco<br />
Fraktionslos<br />
Beghin, Buschmann, Castaldo, Comín i Oliveres,<br />
Ferrara, Furore, Gemma, Giarrusso,<br />
Pignedoli, Ponsatí Obiols, Puigdemont i Casamajó,<br />
Rondinelli, Sonneborn<br />
Fraktion der Europäischen<br />
Volkspartei (PPE)<br />
Adamowicz, Adinolfi Isabella, Arłukowicz,<br />
Asimakopoulou, Bilčík, Christoforou, Clune,<br />
Fitzgerald, Fourlas, Hübner, Kefalogiannis,<br />
Kelly, Kopacz, Kympouropoulos, Kyrtsos, Lega,<br />
Łukacijewska, Manders, Markey, Meimarakis,<br />
Niedermayer, Ochojska, Pietikäinen,<br />
Polfjärd, Pospíšil, Sarvamaa, Sikorski,<br />
Spyraki, Thun und Hohenstein, Tobé, Virkkunen,<br />
Vozemberg-Vrionidi, Walsh, Warborn,<br />
Wiezik, Zagorakis<br />
Fraktion Renew Europe<br />
Alieva-Veli, Al-Sahlani, Andrews, Ansip,<br />
Auštrevičius, Azmani, Bauzá Díaz, Beer, Bijoux,<br />
Bilbao Barandica, Botoş, Boyer, Brunet,<br />
Cañas, Canfin, Chabaud, Charanzová,<br />
Chastel, Christensen, Cicurel, Cioloş, Cseh,<br />
Danti, Decerle, Dlabajová, Donáth, Durand,<br />
Ďuriš Nicholsonová, Eroglu, Farreng, Flego,<br />
Gade, Gamon, Garicano, Gheorghe, Glück,<br />
Goerens, Gozi, Groothuis, Grošelj, Grudler,<br />
Guetta, Hahn Svenja, Hayer, Hlaváček,<br />
Hojsík, Huitema, Ijabs, in ‚ t Veld, Joveva,<br />
Karleskind, Karlsbro, Katainen, Kelleher,<br />
Keller Fabienne, Knotek, Körner, Kovařík, Kyuchyuk,<br />
Loiseau, Løkkegaard, Melchior, Mihaylova,<br />
Mitut‚a, Müller, Nagtegaal, Oetjen,<br />
Paet, Pekkarinen, Petersen, Rafaela, Ries,<br />
Riquet, Rodríguez Ramos, Schreinemacher,<br />
Séjourné, Semedo, Šimečka, Solís Pérez,<br />
Ştefǎnut‚ǎ, Strugariu, Søgaard-Lidell, Tolleret,<br />
Toom, Torvalds, Trillet-Lenoir, Tudorache,<br />
Vautmans, Vedrenne, Verhofstadt, Vázquez<br />
Lázara, Wiesner, Yon-Courtin, Zacharopoulou,<br />
Zullo<br />
Fraktion der Progressiven Allianz der<br />
Sozialdemokraten im Europäischen<br />
Parlament (S&D)<br />
Aguilera, Andrieu, Androulakis, Angel, Ara-<br />
Kovács, Arena, Balt, Barley, Bartolo, Belka,<br />
Benifei, Benǒvá, Bergkvist, Biedroń, Bischoff,<br />
Blinkevičiūtė, Bonafè, Borzan, Brglez, Burkhardt,<br />
Calenda, Carvalhais, Cerdas, Chahim,<br />
Chinnici, Cimoszewicz, Cíž, Cozzolino, Danielsson,<br />
De Castro, Dobrev, Durá Ferrandis,<br />
Engerer, Ertug, Fajon, Fernández, Ferrandino,<br />
Fritzon, Fuglsang, Gálvez Muñoz, García Del<br />
Blanco, García Muñoz, García Pérez, Gardiazabal<br />
Rubial, Gebhardt, Geier, Glucksmann,<br />
González, González Casares, Gualmini,<br />
Guillaume, Guteland, Hajšel, Heide, Heinäluoma,<br />
Homs Ginel, Incir, Jerkovič, Jongerius,<br />
Kaili, Kaljurand, Kammerevert, Kohut,<br />
Köster, Krehl, Kumpula-Natri, Lalucq, Lange,<br />
Larrouturou, Leitão-Marques, Liberadzki,<br />
López, López Aguilar, Luena, Maestre Martín<br />
De Almagro, Majorino, Maldonado López,<br />
Marques Margarida, Marques Pedro, Matič,<br />
Mavrides, Maxová, Mebarek, Mikser, Miller,<br />
Molnár, Moreno Sánchez, Moretti, Neuser,<br />
10 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
TITELTHEMA<br />
Noichl, Olekas, Papadakis Demetris, Penkova,<br />
Picierno, Picula, Pisapia, Pizarro, Regner,<br />
Reuten, Roberti, Rodríguez-Piñero, Rónai,<br />
Ros Sempere, Ruiz Devesa, Sánchez Amor,<br />
Santos, Schaldemose, Schieder, Schuster,<br />
Sidl, Silva Pereira, Sippel, Smeriglio, Stanishev,<br />
Tang, Tarabella, Tax, Tinagli, Ujhelyi,<br />
Ušakovs, Van Brempt, Vind, Vitanov, Vollath,<br />
Wölken, Wolters, Yoncheva, Zorrinho<br />
Fraktion Die Linke im<br />
Europäischen Parlament<br />
Arvanitis, Aubry, Barrena Arza, Björk, Bompard,<br />
Botenga, Chaibi, Daly, Demirel, Ernst,<br />
Ferreira, Flanagan, Georgiou, Georgoulis,<br />
Gusmão, Hazekamp, Kizilyürek, Kokkalis, Kouloglou,<br />
Kountoura, MacManus, Matias, Maurel,<br />
Michels, Modig, Omarjee, Papadimoulis,<br />
Pelletier, Pereira Sandra, Pineda, Rego,<br />
Rodríguez Palop, Schirdewan, Scholz, Urbán<br />
Crespo, Villanueva Ruiz, Villumsen, Wallace<br />
Fraktion der Grünen / Europäische Freie<br />
Allianz (Verts/ALE)<br />
Alametsä, Andresen, Auken, Biteau, Bloss,<br />
Boeselager, Breyer, Bricmont, Bütikofer, Carême,<br />
Cavazzini, Cormand, Corrao, Cuffe, Dalunde,<br />
D‘Amato, Delbos-Corfield, Delli, Deparnay-Grunenberg,<br />
Eickhout, Evi, Franz, Freund,<br />
Geese, Gregorová, Gruffat, Guerreiro, Hahn<br />
Henrike, Häusling, Hautala, Herzberger-Fofana,<br />
Holmgren, Jadot, Keller Ska, Kolaja, Kuhnke,<br />
Lagodinsky, Lamberts, Langensiepen,<br />
Marquardt, Matthieu, Metz, Neumann, Nienaß,<br />
Niinistö, O‘Sullivan, Paulus, Pedicini,<br />
Peksa, Peter-Hansen, Reintke, Riba i Giner, Rivasi,<br />
Roose, Satouri, Semsrott, Solé, Spurek,<br />
Strik, Toussaint, Urtasun, Vana, Von Cramon-<br />
Taubadel, Waitz, Wiener, Yenbou, Ždanoka<br />
CONTRA (-)<br />
Fraktion der Europäischen<br />
Konservativen und Reformer (ECR)<br />
Aguilar, Berg, Berlato, Bielan, Brudziński,<br />
Buxadé Villalba, Czarnecki, de la Pisa Carrión,<br />
Dzhambazki, Fidanza, Fiocchi, Fitto, Fotyga,<br />
Fragkos, Hoogeveen, Jaki, Jurgiel, Karski,<br />
Kempa, Kloc, Kopcińska, Krasnodębski,<br />
Kruk, Kuźmiuk, Legutko, Mazurek, Milazzo,<br />
Możdżanowska, Poręba, Procaccini, Rafalska,<br />
Rooken, Roos, Ruissen, Rzońca, Saryusz-<br />
Wolski, Slabakov, Sofo, Stancanelli, Szydło,<br />
Tarczyński, Terheş, Tertsch, Tobiszowski,<br />
Tomaševski, Tomašič, Vondra, Waszczykowski,<br />
Wiśniewska, Zalewska, Zīle, Złotowski<br />
Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />
Adinolfi Matteo, Anderson, Androuët, Annemans,<br />
Baldassarre, Bardella, Basso, Bay,<br />
Beck, Beigneux, Bilde, Bizzotto, Blaško, Borchia,<br />
Bruna, Buchheit, Campomenosi, Casanova,<br />
Ceccardi, Ciocca, Collard, Conte, Da<br />
Re, De Man, Donato, Dreosto, Fest, Gancia,<br />
Garraud, de Graaff, Grant, Griset, Haider,<br />
Hakkarainen, Huhtasaari, Jalkh, Jamet,<br />
Joron, Juvin, Kofod, Krah, Kuhs, Lacapelle,<br />
Lancini, Laporte, Lebreton, Lechanteux, Limmer,<br />
Lizzi, Madison, Mariani, Mayer, Mélin,<br />
Meuthen, Olivier, Panza, Reil, Rinaldi, Rivière,<br />
Rougé, Sardone, Tardino, Tovaglieri,<br />
Vandendriessche, Vilimsky, Zambelli, Zanni,<br />
Zimniok<br />
Fraktionslos<br />
Bocskor, Deli, Deutsch, Gál, Gyöngyösi, Gyüri,<br />
Gyürk, Hidvéghi, Járóka, Kolakušić, Kósa,<br />
Lagos, Radačovský, Schaller-Baross, Sinčić,<br />
Tóth, Trócsányi, Uhrík, Uspaskich, Vuolo<br />
Fraktion der Europäischen<br />
Volkspartei (PPE)<br />
Ademov, Alexandrov Yordanov, Amaro,<br />
Arias Echeverría, Bǎsescu, Bellamy, Benjumea<br />
Benjumea, Bentele, Berger, Bernhuber,<br />
Blaga, Bogdan, Bogovič, Buda, Buşoi,<br />
Buzek, Caroppo, Carvalho, Casa, Caspary,<br />
del Castillo Vera, van Dalen, Danjean,<br />
De Meo, Doleschal, Dorfmann, Duda, Düpont,<br />
Ehler, Estaràs Ferragut, Falcǎ, Ferber,<br />
Fernandes, Gahler, García-Margallo<br />
y Marfil, Gieseke, Glavak, González Pons,<br />
Hava, Herbst, Hohlmeier, Hölvényi, Hortefeux,<br />
Jahr, Juknevičienė, Kalniete, Kanev,<br />
Karas, Kovatchev, Kubilius, Lewandowski,<br />
Lexmann, Liese, Lins, López Gil, López-<br />
Istúriz White, Lutgen, McAllister, Maldeikienė,<br />
Mandl, Martusciello, Mato, Maydell,<br />
Mažylis, Melo, Metsola, Millán Mon, Monteiro<br />
de Aguiar, Montserrat, Mortler, Motreanu,<br />
Niebler, Nistor, Novak, Novakov, Olbrycht,<br />
Patriciello, Pereira Lídia, Pieper, Pollák,<br />
Radtke, Rangel, Ressler, Sagartz, Salini,<br />
Schmiedtbauer, Schreijer-Pierik, Schulze,<br />
Schwab, Seekatz, Simon, Šojdrová, Sokol,<br />
Štefanec, Tajani, Terras, Thaler, Tomac,<br />
Tomc, Vaidere, Verheyen, Vincze, Voss,<br />
Walsmann, Weber, Weiss, Winkler, Winzig,<br />
Zarzalejos, Zdechovský, Zoido Álvarez,<br />
Zovko, Zver<br />
Fraktion der Progressiven Allianz der<br />
Sozialdemokraten im Europäischen<br />
Parlament (S&D)<br />
Agius Saliba, Grapini<br />
Enthaltung/nicht anwesend (0)<br />
Fraktion der Europäischen Konservativen<br />
und Reformer (ECR)<br />
Bourgeois, Jurzyca, Kanko, Lundgren,<br />
Melbārde, Stegrud, Tošenovský, Van Overtveldt,<br />
Vrecionová, Weimers, Zahradil<br />
Fraktion Identität und Demokratie (ID)<br />
David<br />
Fraktionslos<br />
Nikolaou-Alavanos, Papadakis Kostas, Regimenti,<br />
Rookmaker<br />
Fraktion der Europäischen<br />
Volkspartei (PPE)<br />
Arimont, Berendsen, Colin-Oesterlé, Didier,<br />
Evren, Frankowski, Franssen, Halicki, Hansen,<br />
de Lange, Lenaers, Marinescu, Morano,<br />
Polčák, Sander, Schneider, Vandenkendelaere,<br />
Wiseler-Lima<br />
Fraktion Renew Europe<br />
Nart, Pîslaru<br />
Fraktion der Progressiven Allianz der<br />
Sozialdemokraten im Europäischen<br />
Parlament (S&D)<br />
Benea, Cutajar, Sant<br />
Fraktion der Grünen / Europäische Freie<br />
Allianz (Verts/ALE)<br />
Jakeliūnas, Ripa, Ropė<br />
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<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
11
BIOETHIK-SPLITTER<br />
Mississippi wirbt für<br />
Abtreibungsverbot<br />
Washington/Jackson (ALfA). Der US-<br />
Bundesstaat Mississippi setzt sich in<br />
einem beim Obersten Gerichtshof der<br />
Vereinigten Staaten von Amerika anhängigen<br />
Fall für ein Verbot von Abtreibungen<br />
ein. Das berichtet unter anderem<br />
die »Deutsche Welle«. Der Sender<br />
beruft sich auf ein Schreiben, das<br />
die Generalstaatsanwältin des US-amerikanischen<br />
Bundesstaates, Lynn Fitch,<br />
am 22. Juli beim US-Supreme-Court<br />
eingereicht habe. Darin heiße es unter<br />
anderem: »Abtreibung als verfassungsmäßiges<br />
Recht hat keine Grundlage in<br />
Text, (...) Geschichte oder Tradition.«<br />
Im Mai hatte der Supreme Court für<br />
viele überraschend angekündigt, den<br />
»Gestational Age Act« des US-Bundesstaates<br />
Mississippi in seiner im Oktober<br />
beginnenden nächsten Amtszeit<br />
verfassungsrechtlich prüfen zu wollen.<br />
Das Gesetz verbietet, von wenigen Ausnahmen<br />
abgesehen, Abtreibungen ab<br />
der 15. Schwangerschaftswoche. Es war,<br />
nachdem Abtreibungsbefürworter dagegen<br />
Klage erhoben hatten, von Gerichten<br />
gestoppt worden.<br />
Wie die »Deutsche Welle« berichtet,<br />
bezeichnet Fitch das Grundsatzurteil des<br />
Obersten Gerichtshofs im Fall »Roe vs.<br />
Wade« aus dem Jahre 1973, das Abtreibungen<br />
in den USA praktisch legalisierte,<br />
in ihrem Schreiben als »ungeheuerlich<br />
falsch«. Für den Fall, dass der Supreme<br />
Court sein vorheriges Urteil nicht<br />
aufhebe, solle er zumindest das Abtreibungsverbot<br />
in Mississippi ohne eine<br />
Beschränkung aufgrund der Lebensfähigkeit<br />
des Kindes anerkennen. Derzeit<br />
gelten sechs der neun Richter des Supreme<br />
Courts als konservativ, was die<br />
Chancen für eine Aufhebung oder Abschwächung<br />
des »Roe vs. Wade«-Urteils<br />
erhöhe. Eine Entscheidung werde<br />
nicht vor Juni 2022 erwartet. reh<br />
Arkansas: Richterin<br />
stoppt Novelle<br />
Little Rock (ALfA). Eine US-Bezirksrichterin<br />
hat vorläufig das Inkrafttreten<br />
eines Gesetzes verhindert, das Abtreibungen<br />
im US-Bundesstaat Arkansas fast<br />
vollständig verboten hätte. Das berichtet<br />
unter anderem die »New York Times«.<br />
Der im März von Arkansas‘ Gouverneur<br />
Asa Hutchinson unterzeichnete »Arkansas<br />
Unborn Child Protection Act«<br />
erlaubt vorgeburtliche Kindstötungen<br />
nur noch in Fällen, in denen diese medizinisch<br />
erforderlich sind, um das Leben<br />
der Mutter zu retten. Dies ist zum<br />
Forscher erwägen Einsatz<br />
embryonaler Stammzellen<br />
Basel (ALfA). Wissenschaftler am<br />
Department für Biosysteme der ETH<br />
Zürich in Basel haben einen Labortest<br />
entwickelt, mit dem sich neue<br />
Wirkstoffe zuverlässiger als bisher auf<br />
mögliche toxische Eigenschaften für<br />
schwangere Frauen und ihre ungeborenen<br />
Kinder prüfen lassen sollen.<br />
Das berichtet die Hochschule auf ihrer<br />
Homepage (ethz.ch).<br />
Flagge von Mississippi<br />
Asa Hutchinson<br />
Beispiel bei Eileiterschwangerschaften<br />
immer wieder der Fall. Verstöße gegen<br />
das Gesetz können mit Haftstrafen bis<br />
zu zehn Jahren und Geldstrafen von bis<br />
zu 100.000 US-Dollar (rund 84.000 Euro)<br />
geahndet werden. Die vom ehemaligen<br />
US-Präsidenten Barack Obama ernannte<br />
Bezirksrichterin Kristine G. Baker<br />
begründete ihre Entscheidung damit,<br />
dass das Gesetz »verfassungswidrig«<br />
sei. Amanda Priest, Sprecherin von<br />
Generalstaatsanwältin Leslie Rutledge,<br />
sagte der »New York Times«, Rutledge<br />
sei über die Entscheidung »enttäuscht«<br />
und prüfe nun, was der »nächste angemessene<br />
Schritt« sei.<br />
reh<br />
SHANE T. MCCOY/US MARSHALS/LICENCE: CC BY-SA 2.0<br />
»Embryoid Bodies« als Testsysteme<br />
Bis dato zum Einsatz kommende<br />
Zellkulturtests seien »eine starke Vereinfachung<br />
dessen, was sich im Mutterleib«<br />
abspiele. Bislang gäben Forschende<br />
die zu testenden Substanzen<br />
einfach in Kulturschalen mit embryonalen<br />
Stammzellen. Dadurch könnten<br />
sie Substanzen entdecken, die embryonale<br />
Zellen direkt schädigen.<br />
In Wirklichkeit könnten Arzneistoffe<br />
im Köper einer schwangeren<br />
Frau aber auch von deren Stoffwechsel<br />
so verändert werden, dass sie dem<br />
Embryo indirekt schadeten, so etwa<br />
dann, wenn sie die »Funktion der Plazenta«<br />
beeinträchtigten oder in dieser<br />
»Stressreaktionen« auslösten.<br />
Um solche Wirkungen feststellen<br />
zu können, entwickelten die Forscher<br />
nun einen »Chip mit mehreren Kompartimenten,<br />
die durch winzige Kanäle<br />
miteinander verbunden sind«. Auf<br />
ihnen kombinierten sie »aus Zelllinien<br />
gewonnene menschliche Plazentazellen<br />
mit kleinen Gewebekügelchen<br />
aus embryonalen Stammzellen von<br />
Mäusen (Embryoid Bodies), welche<br />
die frühe Embryonalentwicklung widerspiegeln«.<br />
Die zu testenden Sub-<br />
12 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
BIOETHIK-SPLITTER<br />
stanzen erreichten so »zunächst eine<br />
Schicht Plazentazellen, müssen diese<br />
durchdringen und gelangen erst anschließend<br />
zu den Embryonalzellen<br />
– ähnlich wie dies auch im Mutterleib<br />
der Fall« sei.<br />
Wie es in dem auf der Homepage<br />
der ETH veröffentlichten Beitrag<br />
weiter heißt, sei es Ziel der Forscher,<br />
»einen neuen Test zu entwickeln, den<br />
auch die Pharmaindustrie einfach<br />
anwenden kann«. Und weiter: »Indem<br />
embryoschädigende Stoffe bei<br />
der Entwicklung von Medikamenten<br />
frühzeitig erkannt und ausgeschlossen<br />
werden können, müssen anschließend<br />
weniger Stoffe in Tierversuchen getestet<br />
werden. Dies hilft, die Zahl an<br />
Tierversuchen zu reduzieren.« Ferner<br />
heißt es, die Forscher dächten darüber<br />
nach, »für die Embryoid Bodies in Zukunft<br />
menschliche Stammzelllinien zu<br />
verwenden statt solche von der Maus«.<br />
Der Grund: Insbesondere in der Embryonalentwicklung<br />
und den Vorgängen<br />
in der Plazenta gebe es wesentliche<br />
Unterschiede zwischen Versuchstieren<br />
und dem Menschen.<br />
reh<br />
Genome Editing: WHO<br />
legt Empfehlungen vor<br />
Genf (ALfA). Die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) hat Empfehlungen<br />
für das ethisch heftig umstrittene<br />
Wirkweise des Genome Editing<br />
Genome Editing sowie einen Regulierungsrahmen<br />
(Framework for governance)<br />
zu deren Umsetzung veröffentlicht.<br />
Die überwiegend sehr allgemein<br />
gehaltenen Empfehlungen betreffen die<br />
Durchführung und Aufsicht von Eingriffen<br />
in die menschliche Keimbahn<br />
mit CRISPR/Cas-Technologie. Nach<br />
Vorstellung der WHO soll die Aufsicht<br />
über derartige Eingriffe in einer »internationalen<br />
Zusammenarbeit« organisiert<br />
werden. Die UN-Behörde spricht<br />
sich dafür aus, dass die Forschung nur<br />
in Ländern durchgeführt wird, in denen<br />
eine solche Aufsicht auch möglich<br />
ist. Für »illegale, nicht registrierte,<br />
unethische oder unsichere« Forschungen<br />
oder andere Aktivitäten soll<br />
ein Warnsystem eingerichtet werden.<br />
Besorgt zeigt sich die WHO darüber,<br />
dass die Forschungsergebnisse infolge<br />
des Patentschutzes und der damit verbundenen<br />
hohen Kosten nicht für die<br />
Länder verfügbar sein könnten, in denen<br />
sie benötigt würden. Dergleichen<br />
könnte beispielsweise bei der Entwicklung<br />
einer Gentherapie der Sichelzellanämie<br />
drohen, die vor allem in den<br />
ärmeren Ländern Afrikas südlich der<br />
Sahara verbreitet ist.<br />
reh<br />
Registrierungspflicht für<br />
Euthanasieverweigerer<br />
LIGHTFIELD STUDIOS/STOCK.ADOBE.COM<br />
Madrid/Wien (ALfA). In Spanien müssen<br />
sich Ärzte, die sich nicht an Euthanasie<br />
beteiligen wollen, in ein von der<br />
Regierung eingerichtetes Register eintragen.<br />
Das berichtet das Wiener Institut<br />
für Medizinische Anthropologie<br />
und Bioethik (IMABE) in seinem monatlichen<br />
Newsletter. Im März <strong>2021</strong><br />
hatte Spaniens Parlament die Euthanasie<br />
legalisiert. Am 25. Juni trat das<br />
entsprechende Gesetz in Kraft. Während<br />
die Regierung die Schaffung des<br />
Registers damit begründet, anders ließe<br />
sich die »Versorgung« Sterbewilliger<br />
nicht sicherstellen, fürchten Ärztevertreter<br />
nun die Diskriminierung<br />
von Ärzten, die Euthanasie ablehnen.<br />
Die spanische Ärztekammer, die bereits<br />
im Vorfeld scharfe Kritik an dem<br />
Gesetz übte, hält es sogar für möglich,<br />
dass die Einrichtung des Registers gegen<br />
die Verfassung verstoße. So schreibe<br />
Artikel 16, Absatz 2 der spanischen<br />
Verfassung vor, dass niemand gezwungen<br />
werden dürfe, »über seine Ideologie,<br />
Religion oder Weltanschauung<br />
auszusagen«.<br />
reh<br />
Bundesregierung will<br />
Stillen stärker fördern<br />
Berlin (ALfA). Die Bundesregierung will<br />
das Stillen von Babys stärker fördern.<br />
Ziel ist es, die Rahmenbedingungen für<br />
das Stillen zu verbessern und die Akzeptanz<br />
der Öffentlichkeit zu erhöhen.<br />
Konkret steht damit eine Überprüfung<br />
des Angebots der Stillberatung an. Auch<br />
soll sichergestellt werden, dass alle für<br />
das Thema relevanten Berufsgruppen<br />
aus den Bereichen Gesundheit, Pflege<br />
und Familie entsprechend qualifiziert<br />
sind. Arbeitgeber will die Bundesregierung<br />
anregen, das Stillen ebenfalls<br />
Höhere Akzeptanz für stillende Mütter<br />
zu fördern. Auch sollen künftig systematisch<br />
Daten zum Stillverhalten erhoben<br />
werden. Eine Studie hatte von<br />
2017 bis 2019 die Rahmenbedingungen<br />
des Stillens in Deutschland untersucht<br />
und ergeben, dass Deutschland<br />
bislang nur moderat stillfreundlich ist.<br />
Es sei wissenschaftlich gut belegt, dass<br />
Muttermilch die optimale Ernährung<br />
für Säuglinge sei und Stillen die Gesundheit<br />
von Mutter und Kind fördere.<br />
Langfristig gesehen seien gestillte<br />
Kinder im späteren Alter deutlich seltener<br />
übergewichtig als nicht gestillte<br />
Kinder. Auch litten sie seltener an Diabetes<br />
Typ 2. Bei Müttern sinke zudem<br />
das Risiko für Krebserkrankungen der<br />
Brust, der Eierstöcke und der Gebärmutterschleimhaut<br />
sowie das Erkrankungsrisiko<br />
für Diabetes Typ 2. reh<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
13
POLITIK<br />
CHRISTIAN SCHWIER/STOCK.ADOBE.COM<br />
Drum prüfe,<br />
wer sich bindet …<br />
Für Lebensrechtler ist der Schutz des Lebens von zentraler Bedeutung. Das gilt auch bei<br />
Wahlentscheidungen. In den Programmen der Parteien spielt er jedoch offenbar nur eine<br />
untergeordnete Rolle. »LebensForum« hat den Journalisten Michael Maximilian Sabel gebeten,<br />
sich die Programme von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen<br />
sowie Freie Wähler, ÖDP und Bündnis C diesbezüglich genauer anzuschauen.<br />
Von Michael Maximilian Sabel<br />
Im Wahlprogramm »Das Programm für<br />
Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam<br />
für ein modernes Deutschland« finden<br />
sich überraschenderweise keinerlei Aussagen<br />
zum Schutz des ungeborenen Lebens.<br />
Damit sind CDU und CSU die<br />
einzigen unter den großen Parteien,<br />
die sich nicht zum Lebensschutz – weder<br />
in bejahender noch in ablehnender<br />
Weise – positionieren. Das irritiert insofern,<br />
als die Unionsparteien für sich<br />
proklamieren, christliche Werte zu vertreten.<br />
Anfragen an verschiedene Abgeordnete<br />
und CDU-Gruppen bezüglich<br />
dieser Zurückhaltung wurden nicht<br />
beantwortet. Dabei müsste die Union<br />
ihrem Selbstverständnis entsprechend<br />
ihre Stimme für den Schutz des ungeborenen<br />
Lebens erheben.<br />
Das Themenfeld Sterbehilfe wird indes<br />
sehr wohl im Wahlprogramm behandelt.<br />
»Wir wollen eine lebensbejahende<br />
Beratung für Menschen, die unheilbar<br />
und mit begrenzter Lebenserwartung<br />
krank sind. Statt Sterbehilfe zu kommerzialisieren,<br />
werden wir dafür sorgen,<br />
dass wir den Zugang zu Hospizoder<br />
Palliativversorgung garantieren.«<br />
14 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
POLITIK<br />
Für die Sozialdemokraten gehören Abtreibungen<br />
zur Grundversorgung. Deshalb<br />
sollen, ginge es nach dem Willen<br />
der SPD, alle Krankenhäuser, die<br />
öffentliche Mittel erhalten, zukünftig<br />
Abtreibungen anbieten. Ergänzt werden<br />
soll dieses Angebot durch den kostenfreien<br />
Zugang zu Verhütungsmitteln.<br />
Ferner sehen die Sozialdemokraten<br />
im § 219a des Strafgesetzbuches ein<br />
Hindernis, welches ersatzlos gestrichen<br />
werden soll. Dieser Paragraf regelt das<br />
Werbeverbot für Abtreibungen. Ferner<br />
stellt die SPD mit Blick auf § 218<br />
StGB fest: »Schwangerschaftskonflikte<br />
gehören nicht ins Strafrecht.« Der umstrittene<br />
§ 218 StGB definiert, dass eine<br />
Abtreibung in Deutschland grundsätzlich<br />
rechtswidrig ist, aber unter gewissen<br />
Umständen straffrei sein kann.<br />
Straffrei wird eine Abtreibung dann,<br />
wenn sich die Schwangere zuvor beraten<br />
lässt, die Abtreibung durch einen<br />
Arzt vorgenommen wird und dies innerhalb<br />
der ersten zwölf Wochen nach<br />
der Empfängnis geschieht. Ob sich der<br />
Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch<br />
überhaupt entfernen lassen<br />
kann, ist indes nicht so sicher. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat hierzu bereits<br />
geurteilt: »Danach ist das Strafrecht regelmäßig<br />
der Ort, das grundsätzliche<br />
Verbot des Schwangerschaftsabbruchs<br />
und die darin enthaltene grundsätzliche<br />
Rechtspflicht der Frau zum Austragen<br />
des Kindes gesetzlich zu verankern.«<br />
Aktive Sterbehilfe wird von den Sozialdemokraten<br />
in ihrem Wahlprogramm<br />
nicht thematisiert.<br />
Die AfD nimmt als einzige der im Bundestag<br />
vertretenen Parteien eine eindeutige<br />
Position pro Lebensschutz in ihrem<br />
Wahlprogramm ein, gleichwohl auch<br />
sie Abtreibungen grundsätzlich nicht<br />
verhindern will. Unter der Überschrift<br />
»Willkommenskultur für Kinder« führt<br />
die AfD auf anderthalb Seiten aus, dass<br />
sie sich zum Lebensschutz bekennt. Die<br />
AfD benennt moralische, aber auch demographische<br />
Gründe dafür, für den<br />
Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten:<br />
»Die Gesellschaft muss in<br />
Familie, Schulen und Medien den Respekt<br />
vor dem Leben und ein positives<br />
Bild von Ehe und Elternschaft vermitteln.<br />
Diesen Bedarf erkennt man daran,<br />
dass seit Jahren in Deutschland jährlich<br />
rund 100.000 ungeborene Kinder<br />
getötet werden, was der Zahl der Einwohner<br />
einer Großstadt entspricht.«<br />
Die Schwangerschaftskonfliktberatung<br />
sei zu einem »formalen Verwaltungsakt<br />
verkümmert«, ihre Wirksamkeit<br />
müsse regelmäßig überprüft werden,<br />
damit sie dem Schutz des Lebens<br />
diene. Abtreibungen sollen so nach dem<br />
Willen der AfD zur Ausnahme werden,<br />
diese hingegen weiterhin möglich bleiben:<br />
»Die Entscheidung über eine Abtreibung<br />
muss natürlich bei der Mutter<br />
bzw. bei den Eltern liegen«, so die AfD<br />
in ihrem Wahlprogramm »Deutschland.<br />
Aber normal«.<br />
Zum Lebensende in Würde äußert<br />
sich die Alternative für Deutschland<br />
ähnlich knapp wie die Union: »Der<br />
Prozess des Sterbens ist durch die bewährte<br />
Palliativmedizin und eine passive<br />
Sterbehilfe zu begleiten.«<br />
Sitz des Deutschen Bundestags und Ort der Gesetzgebung: Das Berliner Reichstagsgebäude im Stadtbezirk Mitte<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
15
POLITIK<br />
ihrer Homepage beworben hatte und<br />
trotz Verurteilung von ihrem Handeln<br />
weiterhin überzeugt ist. Die Abtreibung<br />
ist keine medizinische Behandlung wie<br />
jede andere, die problemlos beworben<br />
werden kann.<br />
Was den Schutz des Lebens am Lebensende<br />
anbetrifft, bleibt die FDP<br />
ihrer liberal-progressiven Linie treu:<br />
»Wir freie Demokraten fordern ein liberales<br />
Sterbehilfegesetz.« Dieses müsse<br />
mit klaren Regeln ermöglichen, dass<br />
Menschen Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch<br />
nehmen dürfen. »Es muss auch<br />
STEFFEN PRÖSSDORF/LICENCE: CC BY-SA 4.0<br />
fordert die Linke. Hierzu führt sie in<br />
ihrem Wahlprogramm »Zeit zu handeln.<br />
Für soziale Sicherheit, Frieden<br />
und Klimaschutz« aus, die §§ 218 und<br />
219 aus dem Strafgesetzbuch streichen<br />
zu wollen. Diese Paragrafen regeln Abtreibungen<br />
und Werbeverbot für Abtreibungen.<br />
Öffentliche Krankenhäuser will<br />
die Linke im Falle einer Regierungsbeteiligung<br />
dazu auffordern, Abtreibungen<br />
anzubieten. Darüber hinaus sollen Abtreibungen<br />
als Teil der Gesundheitsversorgung<br />
wie andere medizinische Leistungen<br />
geregelt werden. Ferner fordern<br />
die Linken, die Kosten sämtlicher<br />
Verhütungsmethoden sollten von den<br />
Krankenkassen übernommen werden.<br />
Zur Sterbehilfe äußert sich die Linke<br />
im Wahlprogramm nicht.<br />
Wird spannend: Am 26. September wählt Deutschland ein neues Parlament<br />
Nach Meinung der Liberalen müsse den<br />
Frauen in Deutschland ein »flächendeckendes<br />
und objektives Beratungsnetzwerk<br />
zur Verfügung« stehen. Die<br />
Freien Demokraten sprechen sich ferner<br />
für die Streichung des § 219a StGB<br />
aus. Dieser Paragraf regelt das Werbeverbot<br />
für Abtreibungsmaßnahmen<br />
und ist Abtreibungsbefürwortern schon<br />
lange ein Dorn im Auge. Es sei abwegig,<br />
so die Liberalen in ihrem Wahlprogramm<br />
zur Bundestagswahl <strong>2021</strong>,<br />
»dass sachliche Informationen auf der<br />
Homepage einer Ärztin oder eines Arztes<br />
über einen legalen ärztlichen Eingriff<br />
strafbares Unrecht sein sollen«.<br />
Das Werbeverbot ist jedoch ein wichtiger<br />
Bestandteil der gesetzlichen Regelung<br />
zum Schwangerschaftsabbruch.<br />
Mit Blick auf den Fall Dr. Hänel wird<br />
dies besonders deutlich. Hänel, Gießener<br />
Frauenärztin, war bundesweit in<br />
die Schlagzeilen geraten, weil sie verbotenerweise<br />
Abtreibungseingriffe auf<br />
die Möglichkeit geben, ein letal wirkendes<br />
Medikament zu erhalten«, fordern<br />
die Liberalen im Wahlprogramm. Das<br />
Selbstbestimmungsrecht gelte auch am<br />
Lebensende.<br />
»Wir wollen für Frauen*, trans und<br />
nichtbinäre Menschen einen legalen Zugang<br />
zum Schwangerschaftsabbruch«,<br />
In ihrem Wahlprogramm »Deutschland.<br />
Alles ist drin« bekennen sich die<br />
Bündnisgrünen eindeutig zum Recht<br />
auf Abtreibung. Dieses müsse durch<br />
eine »ausreichende und wohnortnahe<br />
Versorgung mit Ärzt*innen, Praxen<br />
und Kliniken« gewährleistet werden. Im<br />
Anschluss an diese Forderung benennt<br />
die Partei weitere Punkte, um eine umfassende<br />
Abtreibungspraxis anbieten zu<br />
können. Abtreibung soll, wenn es nach<br />
den Grünen geht, Bestandteil der Arztausbildung<br />
werden. Beratungsangebote<br />
sollen weiter ausgebaut werden. Für<br />
Abtreibungen müsse es eine »generelle<br />
Kostenübernahme« geben. Dies ist<br />
aber bereits verfassungsgerichtlich eindeutig<br />
geregelt worden: Demnach sind<br />
generelle Kostenübernahmen durch die<br />
Kassen nicht vorgesehen. Ferner fordern<br />
die Grünen, vor Abtreibungseinrichtungen<br />
»Schutzzonen vor Anfeindungen<br />
und Gehsteigbelästigungen«<br />
zu installieren. Ergänzt wird der grüne<br />
Forderungskatalog vom Willen, den<br />
§ 219a StGB aus dem Strafgesetzbuch<br />
zu streichen. All dies solle der »Entstigmatisierung<br />
und Entkriminalisie-<br />
16 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
POLITIK<br />
rung von selbstbestimmten Abbrüchen«<br />
dienen. Sterbehilfe wird im Wahlprogramm<br />
nicht weiter behandelt.<br />
Die Freien Wähler treten zum dritten<br />
Mal in Folge bei der Wahl des Deutschen<br />
Bundestages an. Nachdem sie<br />
2013 und 2017 ziemlich eindeutig an<br />
der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten,<br />
rechnen sie sich diesmal – nachdem sie<br />
bereits im bayerischen und rheinlandpfälzischen<br />
Landtag vertreten sind und<br />
sogar der bayerischen Staatsregierung<br />
als Juniorpartner der CSU angehören<br />
– größere Chancen bei der Bundestagswahl<br />
<strong>2021</strong> aus. Die Freien Wähler<br />
betrachten sich selbst als eine freiheitlich-bürgerliche<br />
Partei, die eindeutig<br />
dem bürgerlichen Lager zugerechnet<br />
werden könne.<br />
Einerseits bekennen sich die Freien<br />
Wähler klar zur Möglichkeit der Abtreibung:<br />
»Wir stehen bei Schwangerschaftsabbrüchen<br />
zum gesellschaftlichen<br />
Konsens in Deutschland und wollen die<br />
bestehenden gesetzlichen Regelungen<br />
beibehalten.« Gleichzeitig fordern sie,<br />
dass mehr unternommen werden müsse,<br />
damit sich Eltern für und nicht gegen<br />
das Kind entschieden. Die verpflichtende<br />
Schwangerschaftskonfliktberatung<br />
müsse beibehalten werden,<br />
ebenso das kommerzielle Werbeverbot<br />
nach § 219a StGB. »Wir stehen für<br />
einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien<br />
Zugang zu einer sicheren<br />
medizinischen Versorgung bei dem<br />
Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch<br />
und setzen uns für die Rechtssicherheit<br />
von Ärzt*innen ein, die über ihr Leistungsangebot<br />
in diesem Bereich informieren«,<br />
schreibt die Partei in ihrem<br />
Wahlprogramm »Stabilität, Sicherheit,<br />
Freiheit: Die Kraft der Mitte«.<br />
Eine kommerzielle Bewerbung müsse<br />
weiterhin unterbleiben. Zur Sterbehilfe<br />
äußern sich die Freien Wähler nicht<br />
in ihrem Wahlprogramm.<br />
Die ökologisch-demokratische Partei<br />
vermochte es bisher nicht, in den Deutschen<br />
Bundestag einzuziehen. Auch bei<br />
der diesjährigen Wahl zum 20. Deutschen<br />
Bundestag wird ihr von den Demoskopen<br />
keine Chance auf einen Einzug<br />
beschieden. Als Kleinpartei füllt<br />
sie die Nische zwischen Bündnis 90/<br />
Die Grünen und den Unionsparteien<br />
und besetzt wertkonservative, christliche<br />
Positionen mit besonderem Fokus<br />
auf Umwelt-, Klimaschutz und Nachhaltigkeit.<br />
Zum Schutz des ungeborenen Lebens<br />
nimmt die ÖDP in ihrem Wahlprogramm<br />
keine Positionen ein. Sie äußert<br />
sich jedoch zum Schutz des Lebens<br />
am Lebensende. »Schwerstkranke und<br />
Sterbende haben ein Recht auf staatliche<br />
und gesellschaftliche Solidarität«,<br />
fordert die ÖDP. Durch hochwertige<br />
medizinische Betreuung und auch mithilfe<br />
finanzieller Unterstützung müsse<br />
ein Sterben in Würde ermöglicht werden<br />
– auch daheim in den eigenen vier<br />
Wänden, so die ÖDP. Deshalb setzen<br />
sich die Ökologisch-Demokratischen für<br />
eine bundesweit flächendeckende Versorgung<br />
mit Hospizplätzen und palliativmedizinischen<br />
Einrichtungen ein.<br />
Die Partei »Bündnis C – Christen für<br />
Deutschland« ist eine noch recht neue<br />
Partei, da sie 2015 aus der Fusion der<br />
Partei bibeltreuer Christen (PBC) sowie<br />
der Partei für Arbeit, Umwelt und<br />
Familie (AUF) entstanden ist. Für den<br />
Deutschen Bundestag konnte sie bisher<br />
kein Mandat erringen. Das Bündnis<br />
C wartet mit einem klaren Bekenntnis<br />
zum Lebensschutz in seinem »Kurzprogramm<br />
<strong>2021</strong>« auf: Die Würde des Menschen<br />
begründe »das Recht auf Leben<br />
von der Empfängnis bis zum natürlichen<br />
Tod«. Das Recht auf Selbstbestimmung<br />
stünde nicht über dem Recht auf Leben<br />
der ungeborenen Kinder. Ebenso<br />
entschieden spricht sich das Bündnis C<br />
gegen aktive Sterbehilfe aus. »Suizidbeihilfe«<br />
dürfe nicht legalisiert werden,<br />
so das Bündnis C.<br />
Fazit<br />
Einigkeit im linken Lager, Zurückhaltung<br />
bei der Union, Bekenntnisse bei<br />
AfD und Bündnis C – so ließe sich die<br />
grobe Richtung zusammenfassen. Sterbehilfe<br />
spielt im linken Lager keine große<br />
Rolle, denn weder SPD noch Grüne<br />
oder Linke äußern sich hierzu. Die<br />
FDP tritt als einzige Partei offen für die<br />
Suizidhilfe ein. Bündnis C und ÖDP<br />
vertreten hier ablehnende Positionen.<br />
Mit Blick auf den Schutz ungeborenen<br />
Lebens zeigt sich, dass die drei linken<br />
Parteien SPD, Grüne und Linke äußerst<br />
ähnliche Positionen einnehmen – mit<br />
klaren Bekenntnissen zur Abtreibung.<br />
Das bürgerliche Lager gibt ein gänzlich<br />
anderes Bild ab. Während die Union<br />
keinerlei Aussagen zum Schutz ungeborenen<br />
Lebens tätigt, positionieren<br />
sich die Liberalen als abtreibungsbefürwortende<br />
Partei. Allein die AfD<br />
erklärt, mehr unternehmen zu wollen,<br />
damit Eltern sich für Kinder entscheiden<br />
und nicht dagegen.<br />
Bei den Kleinparteien sticht Bündnis<br />
C mit konturierten Einstellungen<br />
für den Schutz des Lebens ungeborener<br />
Menschen hervor. Die ÖDP äußert<br />
sich zu diesem Themenkomplex nicht.<br />
Die Freien Wähler treten hier für die<br />
Beibehaltung des Status quo ein.<br />
Tipp der Redaktion<br />
Laut Verfassung sind Abgeordnete<br />
nur ihrem Gewissen verpflichtet.<br />
Es empfiehlt sich daher, die Direktkandidaten<br />
Ihres Wahlkreises<br />
zusätzlich zu fragen, welche Positionen<br />
sie persönlich in Fragen<br />
des Lebensschutzes vertreten.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
17
AUSLAND<br />
PRO-LIFE<br />
Congress<br />
17. – 19. SEPT. <strong>2021</strong> | BERLIN<br />
FR.,17. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />
SA.,18. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />
18.00 Uhr → Ankunft und Anmeldung der Teilnehmer<br />
19.30 Uhr → Abendessen in der Stadt – Die CDL und<br />
die JfdL stellen sich vor<br />
SO.,19. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />
bis 9:00 Uhr → Frühstück<br />
9.00 Uhr → Input – Was DU jetzt tun kannst<br />
9.30 Uhr → Feedbackrunde<br />
12.00 Uhr → Mittagessen und Abreise<br />
bis 9:00 Uhr → Frühstück<br />
9.00 Uhr → Ein Zellhaufen spricht über Abtreibung<br />
– Sabina Scherer<br />
10.00 Uhr → Workshops:<br />
1. CDL – Politik und Lebensschutz<br />
2. Vorsicht Falle: Wording und<br />
Framing im Lebensschutz<br />
3. Vita-L – Arbeit als Beraterin<br />
4. Männer und Abtreibung<br />
11.30 Uhr → Pause<br />
12.00 Uhr → Kick-off<br />
13.00 Uhr → Kundgebung und Marsch für das<br />
Leben<br />
18.00 Uhr → Abendessen<br />
19.30 Uhr → Entweder du treibst ab oder du<br />
fliegst raus – Zeugnis einer<br />
Betroffenen<br />
Anschließend geselliger Abend am Lagerfeuer<br />
Eine Kooperation der CDL<br />
und der Jugend für das Leben<br />
120 € für Schüler, Studenten, Auszubildende<br />
150 € für junge Berufstätige<br />
In den Kosten inbegriffen sind: Übernachtungen, Vollpension,<br />
Kaffeepause, Lunchpaket, Kongressgebühr und Material.<br />
Jugend für das Leben<br />
Ottmarsgäßchen 8 | 86152 Augsburg<br />
www.jugend.alfa-ev.de<br />
→ Anmeldung unter:<br />
KONTAKT@JUGENDFUERDASLEBEN.DE<br />
oder QR-Code scannen →<br />
www.marsch-fuer-das-leben.de<br />
www.eventbrite.com/e/pro-life-congress-<strong>2021</strong>-tickets-114601439992<br />
18 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
AUSLAND<br />
GEH DU<br />
FÜR MICH<br />
Für das<br />
Leben.<br />
Für die<br />
Fakten.<br />
MARSCH FÜR DAS LEBEN<br />
18. SEPTEMBER <strong>2021</strong><br />
Der Marsch für das Leben<br />
in Berlin ist Ihnen wichtig –<br />
aber Sie können nicht selbst mitgehen?<br />
Wir vertreten Sie!<br />
Unterstützen Sie unsere Aktion „Geh Du für mich“<br />
mit Ihrer Spende und ermöglichen Sie so<br />
einem Jugendlichen die Teilnahme.<br />
Spendenkonto:<br />
VR-Bank Augsburg-Ostallgäu<br />
DE85 7209 0000 0005 0409 90<br />
BIC: GENODEF1AUB<br />
Kennwort: Geh Du für mich <strong>2021</strong><br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
Vielen<br />
Dank!<br />
#PROLIFEFACTS<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8 | 86152 Augsburg<br />
www.alfa-ev.de<br />
www.marsch-fuer-das-leben.de<br />
19
AUSLAND<br />
MAKSYM YEMELYANOV/STOCK.ADOBE.COM<br />
Weder bio<br />
noch ethisch<br />
Für die einen ist es ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, für die anderen ist es das<br />
»Gesetz der Erwachsenen, die Kinder vergessen«. Nach zweijähriger Arbeit hat das<br />
französische Parlament Ende Juni ein neues Bioethikgesetz verabschiedet.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
Unter dem Applaus der Abgeordneten<br />
wurde der Entwurf<br />
für das »Loi Bioéthique«,<br />
das neue französische Bioethikgesetz,<br />
nach rund 500 Stunden parlamentarischer<br />
Debatten mit 326 Ja-, 115 Nein-<br />
Stimmen und 42 Enthaltungen parteiübergreifend<br />
bestätigt. Es gab keinen<br />
Fraktionszwang, und Befürworter<br />
sowie Gegner des Gesetzes waren in<br />
allen politischen Lagern zu finden,<br />
wenn auch die Linke mehrheitlich dafür<br />
stimmte und die Rechte dagegen.<br />
Im Vorfeld hatte dieses Gesetz<br />
Zehntausende besorgte französische<br />
Bürger auf die Straßen getrieben, die<br />
gesamte französische Bischofskonferenz<br />
zu scharfen Protesten veranlasst<br />
und begründeten Anlass zur Sorge um<br />
Frauen- und Kinderrechte gegeben.<br />
Bisher galt auch in Frankreich das<br />
Diktum: »Es gibt kein Recht auf Kinder«.<br />
Diese Feststellung wurde jedoch<br />
aus dem Gesetzentwurf gestrichen,<br />
so dass im Umkehrschluss nun das<br />
Gegenteil gilt: Die französischen Abgeordneten<br />
haben ein Gesetz für Er-<br />
20 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
AUSLAND<br />
wachsene verabschiedet, welches ein<br />
Recht auf Kinder schafft. Kritiker sehen<br />
hierin einen schrecklichen Rückschritt,<br />
der Kinder zum Gegenstand<br />
eines Notarvertrags macht, zu einem<br />
Vermögenswert, der um jeden Preis<br />
und ohne Rahmen oder Begrenzung<br />
erworben werden kann, zu Objekten,<br />
die nach Belieben hergestellt, verzweckt,<br />
zerstört oder in die Endfertigung<br />
gegeben werden können.<br />
Worum geht es genau?<br />
In-vitro-Fertilisation für alle, Eizellenkonservierung,<br />
Forschung an Embryonen,<br />
Reform der Abstammung,<br />
deutlich vereinfachter Zugang zur<br />
chemischen Abtreibung: Das sind die<br />
wichtigsten Maßnahmen des am 29.<br />
Juni endgültig verabschiedeten Bioethikgesetzes.<br />
Die Eizellkonservierung ohne medizinische<br />
Gründe ist erlaubt worden.<br />
Frauen, die eine Schwangerschaft<br />
möglichst weit hinauszögern wollen,<br />
können dies nun aus jedem beliebigen<br />
Grund tun, beispielsweise um<br />
ihre Karriere erst voranzutreiben. Das<br />
macht es Arbeitgebern möglich, auf berufstätige<br />
Frauen Druck auszuüben, so<br />
wie es Apple und Facebook schon seit<br />
2014 machen: Sie bieten an, für die Eizellkonservierung<br />
zu bezahlen, damit<br />
Frauen ihren Kinderwunsch so weit<br />
wie möglich nach hinten verschieben,<br />
um den Unternehmen länger ohne Unterbrechung<br />
zur Verfügung zu stehen.<br />
Dass dies nicht im Interesse der Kinder<br />
und Frauen sein kann, liegt auf der<br />
Hand. Insbesondere dann, wenn man<br />
weiß, dass die künstliche Befruchtung<br />
kryokonservierter Eizellen mittlerweile<br />
überwiegend mittels Spermieninjektion<br />
(ICSI) erfolgt, einem Verfahren,<br />
das mit hohen Risiken für die Schwangere<br />
verbunden ist. Hierzu zählen<br />
Verwachsungen der Plazenta mit der<br />
Gebärmutterschleimhaut, was bei der<br />
Geburt zu bedrohlichen Blutungen für<br />
Mutter und Kind führen kann. Auch<br />
Präeklampsie (Bluthochdruck bei der<br />
Mutter, verbunden mit der Gefahr für<br />
Krampfanfälle) tritt gehäuft auf. Ohnehin<br />
gilt: Frauen zwischen 20 und 29 tragen<br />
das geringste Risiko während einer<br />
Schwangerschaft, ab 35 gelten Frauen<br />
bereits per se als Risikoschwangere.<br />
TIERO/STOCK.ADOBE.COM<br />
Die künstliche Befruchtung wird<br />
nun auch für lesbische Paare und alleinstehende<br />
Frauen zugelassen und<br />
nicht mehr nur heterosexuellen Paaren<br />
vorbehalten, die Kosten werden<br />
der Sozialversicherung aufgebürdet<br />
– der französische Staat geht von 15<br />
Millionen Euro jährlich aus. Auch<br />
hier spielen die Interessen der Kinder<br />
keine Rolle. In einem Beitrag für das<br />
»Deutsche Ärzteblatt« vom März 2020<br />
weisen dessen Autoren nach, dass<br />
IVF-Kinder erheblichen gesundheitlichen<br />
Risiken ausgesetzt sind: Neben<br />
Risiken wie erhöhtem Frühgeburtsrisiko<br />
und geringem Geburtsgewicht<br />
treten vermehrt Fehlbildungen, Herzfehler,<br />
kardio-vaskuläre Probleme und<br />
kognitive Störungen wie Autismus auf.<br />
Die Komplikationsrate vervierfacht<br />
sich nahezu, sofern das ICSI-Verfahren<br />
angewandt wird, wie eine Studie<br />
von Royster et al. (Fertility and Sterility,<br />
2016) zeigt.<br />
Die Autoren des Beitrags im »Deutschen<br />
Ärzteblatt« warnen eindringlich,<br />
dass IVF-Techniken nur angewandt<br />
werden sollten, wenn auf<br />
anderem Wege keine Schwangerschaft<br />
herbeigeführt werden kann. Auf das<br />
größte Risiko gehen die Autoren dabei<br />
nicht mal ein: Nach wie vor liegt die<br />
Baby-take-home-Rate bei In-vitro-<br />
Fertilisationen bei nur 20 Prozent. Somit<br />
sterben 80 von 100 aller auf diese<br />
Weise gezeugten Kinder entweder in<br />
der Petrischale, in der Gebärmutter<br />
oder werden aktiv durch selektive Reduktion<br />
getötet.<br />
Verlust des Vaters<br />
Neben den massiven gesundheitlichen<br />
Risiken, die eine künstliche Erzeugung<br />
im Labor für die so entstandenen<br />
Kinder daher bedeutet, sieht<br />
das neue französische Gesetz eine vaterlose<br />
Existenz vor. Statt eines Vaters<br />
und einer Mutter hat ein solches von<br />
einem lesbischen Paar in Auftrag gegebenes<br />
Kind nun nur noch eine Mutter.<br />
Eine weitere Mutterschaft kann von<br />
ihrer Partnerin beantragt und notariell<br />
beglaubigt werden, so wie dies bereits<br />
bei heterosexuell zusammenlebenden<br />
Eltern eines Kindes möglich ist – nur<br />
ist hier in der Regel der Partner der<br />
Mutter auch gleichzeitig der leibliche<br />
Die Kosten für die künstliche Befruchtung muss die Sozialversicherung tragen<br />
Vater des betreffenden Kindes. Das<br />
Recht auf Vater und Mutter haben<br />
Kinder nach dieser Gesetzgebung in<br />
Frankreich nicht mehr.<br />
Ebenfalls gefordert, aber abgelehnt<br />
wurde die Öffnung der künstlichen<br />
Befruchtung für Transgender-Männer.<br />
Die Transgenderlobby hatte gefordert,<br />
dass ein Mann, der als Frau geboren<br />
wurde und dann beschloss, das Geschlecht<br />
zu wechseln, seine immer<br />
noch vorhandene Gebärmutter dazu<br />
nutzen kann, ein Kind auszutragen.<br />
Angesichts der Vehemenz, mit der die<br />
Transgenderlobby für vermeintliche<br />
Rechte kämpft, stellt sich jedoch die<br />
Frage, wie lange diese rote Linie noch<br />
aufrechterhalten werden kann. Auch<br />
Forderungen nach einer Legalisierung<br />
der Leihmutterschaft konnten nicht<br />
durchgesetzt werden.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
21
AUSLAND<br />
Allerdings fragt sich auch hier, wie<br />
lange diese Entscheidungen Bestand<br />
haben wird. Die republikanischen Abgeordneten<br />
Xavier Breton und Annie<br />
Genevard hatten unablässig davor gewarnt,<br />
eine Gesellschaft zu schaffen,<br />
die ausschließlich von »individuellen<br />
Wünschen« geleitet wird, und hielten<br />
fest, die assistierte Reproduktion für<br />
alle Frauen werde unweigerlich zur<br />
Leihmutterschaft führen, weil Männer<br />
dies im Namen der Gleichberechtigung<br />
fordern würden. Schon jetzt ermögliche<br />
der Gesetzentwurf, Kinder,<br />
die im Ausland von einer Leihmutter<br />
geboren wurden, in Frankreich als<br />
eigene Kinder in die Abstammungsurkunde<br />
eintragen zu lassen. Gesundheitsminister<br />
Olivier Véran erklärte<br />
hierzu, dass die Leihmutterschaft »in<br />
fünf Jahren, zehn Jahren, fünfzehn<br />
Jahren« kommen werde, weil »die Gesellschaft<br />
sich entwickelt, so ist es«.<br />
Es gäbe also dann zwei Kategorien<br />
von Frauen: Diejenigen, die in den<br />
Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede im Deutschen Bundestag im Jahr 2011<br />
Rang von Sklaven degradiert werden<br />
können, die dazu bestimmt sind, Babys<br />
auszutragen, die von gewissenlosen<br />
Erwachsenen gekauft werden, und<br />
Frauen, die sich diesen Sklavendienst<br />
leisten können. Keine Frau nimmt<br />
ohne tiefe finanzielle Not und Sorge<br />
die Bürden einer neunmonatigen<br />
Schwangerschaft und schmerzhafter<br />
Geburt mit allen Risiken auf sich, um<br />
anschließend das Baby, das sie unter<br />
dem Herzen getragen hat, an die Besteller<br />
auszuliefern. Das Fortpflanzungsgeschäft<br />
lebt von Armut, Verletzlichkeit<br />
und menschlichem Elend,<br />
was es besonders unerträglich macht.<br />
Frauen als<br />
Rohstofflieferanten<br />
Wie sehr der Mensch in seinem<br />
frühen Stadium nur noch als ein Teil<br />
einer Produktionskette gesehen wird,<br />
in der Frauen als Rohstofflieferanten<br />
(Eizellspende) und Produktionsstätte<br />
DEUTSCHER BUNDESTAG/LICHTBLICK/ACHIM MELDE<br />
(Leihmutterschaft) betrachtet werden,<br />
zeigt ein Blick auf die Regelungen, die<br />
die Forschung an menschlichen Embryonen<br />
betreffen. Im französischen<br />
Bioethikgesetz wird der embryonale<br />
Mensch in Missachtung aller wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse und Fakten<br />
nicht als Mensch betrachtet, sondern<br />
als Rohstoff, aus dem sich in dieser<br />
Denkweise eben unter anderem auch<br />
ein Baby herstellen lässt. Artikel 20<br />
bis 23 des neuen Gesetzes bedienen<br />
daher konsequenterweise die Begehrlichkeiten<br />
der Forscher und erlauben,<br />
menschliche Embryonen für Forschungszwecke<br />
zu verwenden, ohne<br />
dass ihnen dies selbst in irgendeiner<br />
Weise nutzen würde. Dazu zählt nun<br />
explizit auch die Möglichkeit, menschliche<br />
Embryonen beispielsweise mittels<br />
der CRISPR/Cas-Technologie<br />
genetisch zu verändern oder Tier-<br />
Mensch-Chimären herzustellen.<br />
Es ist demnach nur folgerichtig, dass<br />
auch die Regelungen zur Beseitigung<br />
eines menschlichen Embryos, sollte<br />
er unerwünscht entstanden sein, angepasst<br />
wurden. Das neue Gesetz beinhaltet<br />
daher einen Passus, der die<br />
chemische Abtreibung erleichtert.<br />
Die bisher gültige Bedenkzeit von<br />
einer Woche zwischen Feststellung<br />
der Schwangerschaft und chemischer<br />
Abtreibung wurde gestrichen. Minderjährige<br />
können nun chemisch abtreiben,<br />
ohne vorher ihre Eltern zu<br />
informieren.<br />
Beides ist zutiefst frauenfeindlich.<br />
Die verzweifelten Anrufe von Frauen,<br />
die die Einnahme der Abtreibungspille<br />
bereuen und gern ungeschehen machen<br />
würden, häufen sich – allein in<br />
der telefonischen Beratungshotline vitaL<br />
der ALfA melden sich jede Woche<br />
betroffene Frauen. Eine Beratungsfrist<br />
lässt ihnen Zeit, sich über ihre Gefühle<br />
klar zu werden, Hilfe zu suchen und<br />
zu finden und die Entscheidung zu<br />
überdenken. Sie vermittelt zudem die<br />
Botschaft, dass eine Abtreibung per<br />
chemischer Keule nicht auf die leichte<br />
Schulter zu nehmen ist und dass auch<br />
der ungeborene Mensch nicht einfach<br />
nur eine lästige, körperfremde Einheit<br />
darstellt, die man gern beseitigen<br />
möchte. Chemische Abtreibungen<br />
sind riskant und psychisch hoch belastend,<br />
weil sie die Frauen zu alleini-<br />
22 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
AUSLAND<br />
gen Tätern machen und es Männern<br />
zudem massiv erleichtern, sich durch<br />
heimliche Verabreichung der Abtreibungspille<br />
einer ungewollten Vaterschaft<br />
zu entziehen.<br />
Premierminister Jean Castex begrüßte<br />
dennoch auf Twitter »ein Gesetz<br />
der Freiheit, des Fortschritts und<br />
der Gleichheit«. Der Chef der LREM-<br />
Abgeordneten, Christophe Castaner,<br />
sprach von »einem historischen Tag«<br />
in »einer fünfjährigen Periode des<br />
Fortschritts«.<br />
Kritiker kündigen<br />
Klage an<br />
Kritik hagelte es von den Organisatoren<br />
der »Manif Pour Tous«. In einer<br />
Pressemitteilung äußerte sich deren<br />
Vorsitzende, Ludovine de la Rochère,<br />
zum neuen Bioethikgesetz, das sie »ein<br />
Gesetz gegen Liebe, gegen Gleichheit<br />
und gegen Brüderlichkeit« nannte,<br />
welches überdies die Kinder vergesse.<br />
Sie kündigte weiteren Widerstand an.<br />
In einem Gespräch mit dem französischen<br />
Sender BFM-TV bezeichnete<br />
sie zudem die Art und Weise, wie<br />
dieses Gesetz durchgesetzt wurde, als<br />
wenig demokratisch. Eine demokratische<br />
Debatte, so de la Rochère, habe<br />
gar nicht stattgefunden. Zwischen den<br />
beiden Kammern des französischen<br />
Parlaments (Senat und Nationalversammlung)<br />
habe es radikale und<br />
zunehmend tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten<br />
gegeben. Die zwei<br />
Kammern sind nicht gleichberechtigt:<br />
Bei Uneinigkeit kann die Nationalversammlung<br />
den Senat überstimmen.<br />
Der Senat hatte das Gesetz am 24. Juni<br />
abgelehnt, die Nationalversammlung<br />
hat am 29. Juni von ihrem Recht Gebrauch<br />
gemacht, bei Uneinigkeit zwischen<br />
den beiden Kammern des französischen<br />
Parlaments den Senat zu<br />
überstimmen. De la Rochère kritisiert,<br />
hier sei mit der Brechstange vorgegangen<br />
worden, keinesfalls sei versucht<br />
worden, einen Konsens herzustellen.<br />
Auf den Hinweis, es handele sich<br />
hier doch um die Einlösung eines<br />
Wahlkampfversprechens von Staatspräsident<br />
Emmanuel Macron, antwortete<br />
de la Rochère, dies sei nicht Teil<br />
des offiziellen Wahlprogramms gewesen,<br />
das Macron an alle Bürger verschickt<br />
habe, er habe es lediglich hier<br />
und da in Interviews erwähnt. Mit anderen<br />
Worten: Macron wurde keineswegs<br />
gewählt, um dieses Programm<br />
umzusetzen, wie die Formulierung, er<br />
habe hier ein Versprechen an die Franzosen<br />
eingelöst, vermuten lässt.<br />
Die Umfrage, nach der eine Mehrheit<br />
der Franzosen sich für die künstliche<br />
Befruchtung für lesbische Paare<br />
ausgesprochen hätte, konterte de la<br />
Rochère mit anderen Daten: Demnach<br />
wünschen 85 Prozent der Franzosen,<br />
dass auch die Kinder einer künstlichen<br />
Befruchtung ein Recht auf Vater und<br />
Mutter haben.<br />
Trotz der Verabschiedung des Gesetzes<br />
durch das Parlament gibt de la<br />
Rochère sich kämpferisch und kündigte<br />
an, das Verfassungsgericht anzurufen<br />
und das neue Bioethikgesetz zum<br />
Wahlkampfthema zu machen.<br />
Die Regierung von Präsident Macron<br />
ist hier in einem Bereich vorgeprescht,<br />
der Signalwirkung auch<br />
für Deutschland haben dürfte. Die<br />
deutsche Forschungsgesellschaft Leopoldina<br />
hat in ihrer Stellungnahme<br />
zur »Neubewertung des Schutzes von<br />
In-vitro-Embryonen in Deutschland«<br />
(Mai <strong>2021</strong>) Forderungen formuliert,<br />
die denen des französischen Gesetzes<br />
in nichts nachstehen.<br />
Die »Ökologie des<br />
Menschen«<br />
Leopoldina-Mitglied Jochen Taupitz<br />
erklärt, warum: Ausländische Forscher<br />
sagten, deutsche Forscher würden zu<br />
internationalen Forschungsprojekten<br />
oft gar nicht eingeladen, da man sich<br />
aufgrund des strikten deutschen Gesetzes<br />
Sorgen mache, ob das möglicherweise<br />
rechtswidrig sei. Sie würden<br />
also gar nicht erst an der Forschung<br />
beteiligt und damit aus dem internationalen<br />
Diskurs ausgeschlossen. Zum<br />
Glück lebten wir in einer freiheitlichen<br />
Gesellschaft, und da sei die Ausgangsfrage<br />
nicht, dürfen wir alles, was wir<br />
können, ist das, was wir können, auch<br />
erlaubt, sondern gefragt werden müsse,<br />
ob der Staat gute Gründe habe, die<br />
Freiheit einzuschränken – und hier<br />
gehe es um die Freiheit der Forscher<br />
und der Eltern, und der Gesetzgeber<br />
habe keine guten Gründe mehr, den<br />
Embryo zu schützen.<br />
Das ist exakt die Argumentation, mit<br />
der in Frankreich sämtliche Schutzwälle<br />
für den menschlichen Embryo<br />
zerstört wurden: Rechte haben nur<br />
noch Forscher und Eltern, der Embryo<br />
hat weder Würde noch verdient er<br />
irgendeinen Schutz. Die Frage ist nur:<br />
Stimmt das eigentlich? Der Mensch, so<br />
Papst Benedikt in seiner Rede vor dem<br />
Deutschen Bundestag im September<br />
2011, sei »nicht nur sich selbst machende<br />
Freiheit«. Es gebe auch »eine<br />
Ökologie des Menschen«, eine Natur<br />
des Menschen, die es zu achten gelte<br />
und die nicht beliebig manipulierbar<br />
sei. Worte, die heute bedeutsamer<br />
denn je sind. Denn wem leuchtet ein,<br />
dass bei allem Einsatz für den Schutz<br />
der Natur, die uns umgibt, auf den<br />
Schutz der menschlichen Natur gerade<br />
exzessiv verzichtet wird?<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
23
GESELLSCHAFT<br />
KIEFERPIX/STOCK.ADOBE.COM<br />
Mutige Mütter<br />
Seit 20 Jahren berät die in der Schweiz lebende Hebamme Maria Grundberger Frauen im<br />
Schwangerschaftskonflikt. »LebensForum« bat sie, einmal aufzuschreiben, wann<br />
ungewollt schwangere Frauen sich für ihr ungeborenes Kind entscheiden.<br />
Von Maria Grundberger<br />
Als ich vor Jahren bei einer<br />
Operationsaufklärung vor einer<br />
Gebärmutterentfernung<br />
zugegen war, beeindruckte mich, wie<br />
ausführlich der Arzt über Risiken und<br />
Nebenwirkungen der OP informierte.<br />
Unter anderem sprach er davon, dass<br />
manche Frauen nach der Entfernung<br />
der Gebärmutter unerwartete psychische<br />
Folgen erleiden würden. Als ich<br />
ihn darauf ansprach, meinte er, jede<br />
Patientin habe das Recht auf detaillierte<br />
Aufklärung und er selbst als Arzt<br />
die Pflicht, über alle medizinischen<br />
Risiken und auch über eventuelle psychische<br />
Folgen einer Operation aufzuklären.<br />
Sonst könne die Patientin nicht<br />
frei und selbstbestimmt entscheiden,<br />
ob sie dem Eingriff zustimmt. Bis heute<br />
hilft mir jenes Gespräch bei der Beratung<br />
schwangerer Frauen. Manchmal,<br />
wenn eine Mutter, zur Abtreibung<br />
tendierend, kurz davor ist, das Beratungsgespräch<br />
zu beenden, erzähle ich<br />
ihr von dem oben erwähnten Arzt.<br />
So auch Lisa*, einer Frau mittleren<br />
Alters, die mit der ungeplanten<br />
24 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
GESELLSCHAFT<br />
Schwangerschaft völlig überfordert<br />
schien. Für sie kam nur Abtreibung<br />
in Betracht. Sie war bereits alleinerziehende<br />
Mutter einer behinderten<br />
Tochter. Melinda war gesund zur Welt<br />
gekommen, hatte jedoch innerhalb des<br />
ersten Lebensjahres Fieberkrämpfe<br />
und trug als Folge eine geistige Behinderung<br />
davon. Die Ehe scheiterte und<br />
Lisa stand völlig allein da. Sie fühlte<br />
sich sehr einsam, bis sie Christoph<br />
kennen lernte. Die Verhütung versagte,<br />
und als der Schwangerschaftstest<br />
positiv ausfiel, reagierte Christoph geschockt.<br />
Für ihn kam nur Abtreibung<br />
infrage. Er hatte ohnehin geplant, aus<br />
beruflichen Gründen für zwei Jahre<br />
nach Amerika zu ziehen. Lisa verließ<br />
das Restaurant und verbrachte<br />
den Rest des Tages mit Gedanken an<br />
Abtreibung. Eigentlich war sie früher<br />
gegen Abtreibung gewesen, doch die<br />
Verzweiflung ließ sie keinen anderen<br />
Ausweg sehen. Ihre gesamte Familie<br />
drängte zur Abtreibung. »Ich bin<br />
doch jetzt schon mit Melinda teilweise<br />
überfordert, sie wird niemals allein<br />
für sich sorgen können, jetzt noch<br />
ein Kind, und das ohne Vater, das ist<br />
unzumutbar!«, sagte sie. Ich verstand<br />
Lisas Argumentation und schwieg<br />
erst mal. Lisa weinte. Christoph hatte<br />
sich völlig von ihr distanziert, es war<br />
absehbar, dass ihr schwieriges Leben<br />
noch komplizierter würde. »Was würden<br />
Sie an meiner Stelle tun?«, fragte<br />
sie mich. »Ich würde trotzdem Ja zum<br />
Leben sagen«, antwortete ich. »Warum?«<br />
– »Weil ich der Überzeugung<br />
bin, dass unsere Freiheit dort aufhört,<br />
wo die Freiheit eines anderen beginnt,<br />
und Ihr ungeborenes Kind hat bereits<br />
seinen eigenen Herzschlag, die Organe<br />
bilden sich gerade aus.« Lisa erinnerte<br />
sich daran, dass eine Freundin<br />
von ihr vor Jahren abgetrieben hatte<br />
und dies bitter bereute. Sie erzählte<br />
mir, dass eine andere Mutter sie auf<br />
dem Spielplatz einmal gefragt habe,<br />
ob man Melindas Behinderung nicht<br />
bereits in der Schwangerschaft hätte<br />
erkennen können. Damals war Lisa<br />
entsetzt gewesen. Sie erzählte, dass sie<br />
ihre Tochter genauso liebe wie vor den<br />
Fieberkrämpfen. Ich sagte ihr, dass ich<br />
überzeugt sei, dass sie auch dieses Kind<br />
genauso lieben würde, und bot ihr Hilfe<br />
an. Die folgenden Tage erreichte ich<br />
Lisa nicht mehr. Nach einer Woche<br />
meldete sie sich wieder. Sie erzählte<br />
mir, dass sie beim Ultraschall gewesen<br />
war. Sie sah den Herzschlag ihres Kindes<br />
und wie es sich bewegte. »Es ist ein<br />
Mensch, und egal was weiterhin passiert,<br />
egal wie schwer mein Leben mit<br />
zwei Kindern werden wird, mein Herz<br />
sagt mir, dass ich kein Recht habe, es<br />
abzutreiben.« Leon wurde gesund geboren<br />
und Lisa schrieb mir, dass es die<br />
absolut richtige Entscheidung gewesen<br />
sei. Es sei wunderbar, in seine Augen<br />
schauen zu dürfen.<br />
Natürlich wird nicht alles<br />
einfach unkompliziert<br />
Lisas Geschichte ist eine von unzähligen,<br />
die ich erleben durfte. Oft werde<br />
ich gefragt, was der Grund gewesen<br />
sei, warum diese oder jene Frau sich<br />
trotz schwierigster Umstände für ihr<br />
Kind entschieden habe. Ich habe Frauen<br />
oft danach gefragt. Die meisten<br />
antworteten, sie hätten es nicht übers<br />
Herz gebracht, nachdem ihnen bewusst<br />
geworden sei, dass ihr ungeborenes<br />
Kind bereits ein Mensch sei und<br />
ihnen durch die Hilfsorganisationen,<br />
für die ich jeweils arbeitete, konkrete<br />
Hilfe angeboten worden sei.<br />
»Mut« sind die ersten drei Buchstaben<br />
des Wortes »Mutter«. Es braucht<br />
sehr viel Mut, sich für ein ungeplantes<br />
Kind zu entscheiden, und es braucht<br />
Menschen und Institutionen, die mutigen<br />
Müttern konkrete Hilfe anbieten.<br />
Ein wütender Vater sagte mir einmal,<br />
ich hätte kein Recht dazu, seiner Partnerin<br />
zum Kind zu raten. Die Beratung<br />
müsse neutral sein. Ich fragte ihn, was<br />
er tun würde, wenn er ein kleines Kind<br />
auf die Straße zu rennen sähe, das der<br />
Oma ausgebüxt sei: »Würden Sie erst<br />
die Oma fragen, ob Sie das Kind retten<br />
dürften?« – »Natürlich nicht, ich<br />
würde alles tun, es vor den Autos zu<br />
retten! Aber das ist etwas ganz anderes«,<br />
antwortete er mir. Freundlich<br />
erklärte ich ihm: »Sehen Sie, Sie sind<br />
auch schon Vater, Ihr Kind ist bereits<br />
zehn Wochen alt und in Gefahr, sein<br />
Leben durch Abtreibung zu verlieren.<br />
Ich versuche lediglich durch Aufklärung<br />
und Hilfsangebote zu helfen, damit<br />
Ihrem Kind nicht sein Recht auf<br />
Leben genommen wird.« Der Mann<br />
war perplex und begann aus seinem<br />
Leben zu erzählen. Sein Vater starb,<br />
als er sehr klein war. Er habe nie eine<br />
richtige Kindheit gehabt. Seine Freundin<br />
kenne er erst seit Kurzem.<br />
Natürlich wird nicht alles einfach<br />
und unkompliziert, wenn Frauen sich<br />
für das Leben ihres ungeborenen Kindes<br />
entscheiden. Es gibt viele Hürden<br />
zu meistern, viele Kämpfe zu kämpfen,<br />
und nicht selten fühlen sich besonders<br />
alleinerziehende Mütter im Stich gelassen.<br />
Trotzdem habe ich noch von<br />
keiner Mutter gehört, sie bereue, nicht<br />
abgetrieben zu haben. Leider sind es<br />
meist die Kindsväter, die massiven<br />
Druck ausüben. Junge Mütter werden<br />
oft auch von den eigenen Eltern zur<br />
Abtreibung gedrängt.<br />
Im Konflikt sieht man<br />
nur das Unglück<br />
Manchen Frauen hilft schon ein Gespräch<br />
mit einer anderen Mutter, die<br />
ihnen sagt, wie sehr ihr Kind sie bereichert.<br />
Im Schwangerschaftskonflikt<br />
sind die meisten Mütter jedoch überfordert.<br />
Sie sehnen sich nach einem<br />
Partner, der ihnen sagt, dass er zu dem<br />
Kind steht. Werden sie von Partner<br />
und Umfeld im Stich gelassen, sehen<br />
sie, verzweifelt und verängstigt, oft<br />
keinen anderen Ausweg als die Abtreibung.<br />
Ich frage Schwangere daher oft,<br />
wie denn ihre Einstellung zur Abtreibung<br />
gewesen sei, bevor sie ungeplant<br />
schwanger wurden. Die Mehrheit war<br />
dagegen, und meist höre ich dann den<br />
Satz, »weil es ja schon Leben« sei. Kurz<br />
darauf sagen viele aber, dass sie in ihrer<br />
jetzigen Situation eine Abtreibung jedoch<br />
erwögen. »Entkräftet Ihre jetzige<br />
Situation die Tatsache, dass es Leben<br />
ist?«, frage ich dann. Einmal antwortete<br />
mir eine Frau: »Nein, die Umstände<br />
entkräften die Tatsache nicht, aber<br />
man verliert den Blick dafür, weil die<br />
Umstände so schwierig sind und der<br />
Druck zur Abtreibung so riesig ist!«<br />
Als sie sich trotzdem für ihr Kind<br />
entschied, schrieb sie mir später: »Im<br />
Konflikt sieht man nur das Unglück,<br />
das mögliche Leid, jetzt, wo mein<br />
Sohn da ist, ist es das pure Glück.«<br />
* Alle Namen in diesem Text wurden von<br />
der Redaktion geändert.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
25
WISSENSCHAFT<br />
Ziemlich peinlich<br />
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien<br />
der Wissenschaften haben eine Stellungnahme vorgelegt, die von der Politik eine »Neubewertung<br />
des Schutzes« künstlich erzeugter Embryonen fordert. Im Ergebnis verlangen ihre Autoren um<br />
nicht weniger als die Aufhebung des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes.<br />
Von Stefan Rehder<br />
Sanft im Ton, brutal in der Sache.<br />
Mit dieser für biopolitische Forderungskataloge<br />
bislang eher<br />
ungewöhnlichen Kombination lässt<br />
sich die im Mai <strong>2021</strong> veröffentlichte<br />
Stellungnahme der Nationalen Akademie<br />
der Wissenschaften Leopoldina<br />
und der Union der deutschen Akademien<br />
der Wissenschaften zusammenfassen.<br />
Denn das 55-seitige Papier, das<br />
den Titel »Neubewertung des Schutzes<br />
von In-vitro-Embryonen in Deutschland«<br />
trägt, ist bei Licht betrachtet ein<br />
Frontalangriff auf den ohnehin nur<br />
noch rudimentär vorhandenen Embryonenschutz.<br />
Gelesen werden muss das Papier im<br />
Zusammenhang mit einer weiteren,<br />
2019 veröffentlichten Stellungnahme<br />
beider Institutionen, die ebenso wie<br />
die jetzige in der »Schriftenreihe zur<br />
wissenschaftsbasierten Politikberatung«<br />
erschien und mit »Fortpflanzungsmedizin<br />
in Deutschland – für<br />
eine zeitgemäße Gesetzgebung« überschrieben<br />
wurde. Las sich diese Stellungnahme<br />
wie ein zentnerschweres<br />
Konjunkturprogramm für die Reproduktionsmedizin,<br />
so geht es nun darum,<br />
die dabei in Serie produzierten<br />
Embryonen neuen Zwecken zuzuführen<br />
und die Wertungsschöpfungskette<br />
der Fortpflanzungsindustrie zu verlängern.<br />
Der Gesetzgeber solle – so die Empfehlung<br />
der Wissenschaftsakademien<br />
26 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
WISSENSCHAFT<br />
– Paaren, die sich für eine künstliche<br />
Befruchtung interessieren, die Möglichkeit<br />
eröffnen, sogenannte »überzählige«<br />
Embryonen für »hochrangige<br />
Forschungsziele« zu spenden. Als<br />
solche erachten die Akademien etwa<br />
»Grundlagen der Embryonalentwicklung<br />
und der frühen Krankheitsentstehung«.<br />
Ferner könne »diese Art der<br />
Forschung auch bei der Beantwortung<br />
wichtiger Fragen der Fortpflanzungsmedizin<br />
helfen« und dazu beitragen,<br />
»Unfruchtbarkeit besser zu behandeln,<br />
die Überlebensfähigkeit und gesunde<br />
Entwicklung von Embryonen<br />
bzw. Föten in der Schwangerschaft<br />
zu verbessern und Frühgeburten zu<br />
verhindern«. Letztlich wird hier die<br />
Fortpflanzungsindustrie als Perpetuum<br />
mobile gedacht, das aus der Verwertung<br />
seiner Überproduktion neue<br />
Energie für einen hochtourigeren Antrieb<br />
bezieht. Ein Konzept, das sich<br />
beinah bewundern ließe, wäre es nicht<br />
so pervers.<br />
Vergebliche<br />
Ehrenrettung<br />
Zweck des fremdnützigen Erkenntnisgewinns<br />
der Vernichtung anheimgeben<br />
will, welcher er selbst aufgrund<br />
glücklicher Umstände entkommen ist,<br />
zeugt von einer Brutalität des Denkens,<br />
die schwer zu übertreffen ist.<br />
Nicht brutal, aber auch nicht aufrichtig<br />
ist, wie die Akademien die<br />
Frage nach dem moralischen Status<br />
des Embryos behandeln. So heißt es<br />
etwa in der Stellungnahme: »Eine<br />
ethische und rechtliche Maximalposition<br />
schreibt dem Embryo von der<br />
Befruchtung der Eizelle an einen vollen<br />
moralischen Status zu. Nach dieser<br />
Auffassung hat bereits der frühe<br />
menschliche Embryo den Anspruch<br />
auf denselben Lebens- und Würdeschutz<br />
wie der geborene Mensch.«<br />
Die Bezeichnung »Maximalposition«<br />
rückt deren Vertreter – ob intendiert<br />
oder nicht – in ein nachteiliges<br />
Licht. Dies umso mehr, als die Akademien<br />
ihre Stellungnahme ja an die<br />
Politik adressiert haben, die gewohnt<br />
ist, Kompromisse auszuhandeln. In<br />
der Politik sind »Maximalpositionen«<br />
schlecht beleumundet und werden oft<br />
als Synonym für »radikal« betrachtet.<br />
Das lässt sich verstehen. Denn tatsächlich<br />
gibt es viele Politikfelder, auf denen<br />
man gut beraten ist, Kompromisse<br />
zwischen Maximal- und Minimalpositionen<br />
auszuhandeln, so etwa beim<br />
Mindestlohn, dem Spitzensteuersatz<br />
oder dem Bezug von Sozialleistungen.<br />
Die Frage, welchen moralischen Status<br />
ein menschlicher Embryo besitzt,<br />
ist jedoch von einer anderen Natur.<br />
Sie lässt sich nicht mit Kategorien wie<br />
»maximal« oder »minimal« und daher<br />
auch nicht mit »Kompromissen« beantworten,<br />
sondern nur mit solchen<br />
wie »zutreffend« oder »unzutreffend«<br />
Gerne würde man zur Ehrenrettung<br />
der Wissenschaftsakademien<br />
anführen, dass sie die Embryonen, die<br />
Forschern gespendet werden sollen,<br />
nicht als Menschen betrachten, sondern<br />
lediglich, wie es in der Stellungnahme<br />
heißt, als »01,–0,2 Millimeter<br />
große Zellkugeln«. Nur geht das leider<br />
nicht. Denn Wissenschaftsakademien<br />
müssen wissenschaftliche Thesen<br />
und Befunde reflektieren. Wer ihnen<br />
unterstellte, sie wüssten nicht, dass sie<br />
einen menschlichen Embryo unterbestimmen,<br />
wenn sie ihn als »0,1–0,2<br />
Millimeter große Zellkugel« ausgeben,<br />
nimmt sie nicht ernst.<br />
Jedes Mitglied der 15-köpfigen Arbeitsgruppe<br />
weiß, dass seine eigene<br />
Existenz genauso begann: nämlich als<br />
0,1–0,2 Millimeter große Zellkugel.<br />
Und jedes Mitglied weiß auch, dass<br />
sich alle diese »Zellkugeln«, die Paare<br />
künftig der Forschung spenden können<br />
sollen, unter normalen Bedingungen<br />
zu nichts anderem entwickeln als<br />
zu großen »Zellhaufen«. Zu Zellhaufen,<br />
die jenen, als die sie selbst erscheinen,<br />
in nichts nachstehen. Dass ein<br />
großer Zellhaufen einen kleinen zum<br />
Werden auf Kosten der Moral aufgelöst: Konflikte zwischen Moral und Interessen<br />
respektive »richtig« oder »falsch«.<br />
Wissenschaftler, die der Politik hier<br />
dennoch einen anderen Weg weisen<br />
wollen, nehmen sich selbst nicht ernst.<br />
Sie wechseln die Profession und werden<br />
zu Lobbyisten.<br />
»Moralische Intentionen«<br />
Für Wissenschaftler, die sich selbst<br />
ernst nehmen und von anderen ernst<br />
genommen werden wollen, dürfte<br />
auch die Verbreitung »moralischer Intuitionen«<br />
allenfalls als »Phänomen«<br />
von Interesse sein, nicht jedoch als<br />
»Argument«. Denn es liegt beispielsweise<br />
auf der Hand, dass sich die<br />
moralische Intuition, die den Menschenhandel<br />
für verwerflich erachtet,<br />
in Sklavenhaltergesellschaften keiner<br />
besonderen Verbreitung erfreut. Wäre<br />
es anders, wären sie keine Sklaven-<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
27
WISSENSCHAFT<br />
haltergesellschaften. Nur macht die<br />
mangelnde Verbreitung einer entsprechenden<br />
moralischen Intention den<br />
Sklavenhandel noch lange nicht zu einer<br />
moralisch akzeptablen Praxis. Und<br />
wer in solchen Gesellschaften dagegen<br />
aufbegehrte, verträte nicht etwa eine<br />
»Maximalposition«, sondern die einzig<br />
richtige.<br />
die Ansicht vertreten, ein im Labor erzeugter<br />
menschlicher Embryo besitze<br />
dasselbe Recht auf Leben und verdiene<br />
denselben Schutz seiner Würde wie<br />
geborene Menschen. Spezies, Kontinuität,<br />
Identität, Potentialität – so lauten<br />
die sogenannten SKIP-Argumente,<br />
mit denen sich der Anspruch eines<br />
Embryos auf Schutz von Leben und<br />
Würde begründen lässt.<br />
Einfaches<br />
Gedankenexperiment<br />
<strong>2021</strong><br />
Stellungnahme<br />
Neubewertung des Schutzes von<br />
In-vitro-Embryonen in Deutschland<br />
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina | www.leopoldina.org<br />
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften | www.akademienunion.de<br />
Peinlich: Die Stellungnahme der deutschen Akademien der Wissenschaften<br />
Erstaunen darf auch, dass sich die<br />
Stellungnahme ausführlich nur mit<br />
dem sogenannten Potentialitätsargument<br />
befasst, das nach Ansicht der<br />
Autoren »ein zentrales Argument<br />
der Vertreterinnen und Vertreter des<br />
strikten Embryonenschutzes ist«. So<br />
heißt es in der Stellungnahme beispielsweise:<br />
»Die Befürwortung dieses<br />
Arguments kann mit der Vorstellung<br />
einhergehen, Embryonen entwickelten<br />
sich unter günstigen Bedingungen<br />
gewissermaßen aus eigener Kraft zu<br />
einem Baby, wenn man es nur zuließe.«<br />
Gerade In-vitro-Embryonen zeigten<br />
jedoch »augenfällig, wie wenig dies<br />
zutrifft: Sie müssten erst aktiv in den<br />
hormonell vorbereiteten Körper einer<br />
Frau übertragen werden, um überhaupt<br />
eine Chance auf die Einnistung<br />
in deren Gebärmutter zu haben. Und<br />
von da an bedarf es (...) permanenter<br />
biologischer Wechselwirkungen zwischen<br />
der schwangeren Frau und dem<br />
Embryo, um dessen Potenzial gegebenenfalls<br />
zur Entfaltung zu verhelfen.«<br />
In Wirklichkeit ist das Potentialitätsargument<br />
jedoch nur eines von<br />
vielen, die jene ins Feld führen, welche<br />
Begnügen wir uns anstelle ausführlicher<br />
Erläuterungen einmal mit einem<br />
Gedankenexperiment: Stellen wir uns<br />
einen ausgewachsenen Hochschullehrer<br />
vor. Denken wir zum Beispiel an<br />
Jochen Taupitz, maßgeblicher Autor<br />
beider Stellungnahmen und Rechtswissenschaftler<br />
an der Universität<br />
Mannheim. Herr Taupitz gilt als brillanter<br />
Kopf und steht – übrigens völlig<br />
zu Recht – im Ruf, der führende Medizinrechtler<br />
in Deutschland zu sein.<br />
Sperren wir ihn in unserem Gedankenexperiment<br />
allein in einen Hörsaal,<br />
kappen wir das W-LAN und konfiszieren<br />
wir sein Handy. Herr Taupitz hätte<br />
nun jede Möglichkeit verloren, Studenten<br />
in Medizinrecht zu unterrichten.<br />
Verliert er damit aber auch seinen<br />
Status als Rechtswissenschaftler und<br />
Hochschullehrer?<br />
Analog zu den SKIP-Argumenten<br />
tut er das aus vier Gründen nicht: Weil<br />
er a) zur Wissenschafts-Spezies der<br />
Rechtswissenschaftler zählt, er b) sich<br />
als solcher kontinuierlich entwickelt<br />
hat (Jurastudium, Examina, Promotion,<br />
Habilitation), er c) mit dem Jochen<br />
Taupitz identisch ist, dessen Existenz<br />
als 0,1–0,2 Millimeter große Zellkugel<br />
begann und der als großer Zellhaufen<br />
später einen Lehrstuhl erwarb. Und<br />
weil er, obgleich wir ihm aktuell die<br />
Möglichkeit dazu genommen haben,<br />
d) auch weiterhin tatsächlich das Potenzial<br />
besitzt, Studenten in Jura zu<br />
unterrichten.<br />
Es ist auch nicht korrekt und im<br />
Grunde sogar unredlich, wenn die Autoren<br />
der Stellungnahme das Potentialitätsargument<br />
als das »prominenteste<br />
und wichtigste der SKIP-Argumente«<br />
bezeichnen. Denn im Rahmen der<br />
SKIP-Argumente kommt dem Poten-<br />
28 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
WISSENSCHAFT<br />
tialitätsargument lediglich eine subsidiäre<br />
Aufgabe zu. Es richtet sich an<br />
jene, die sich zu akzeptieren weigern,<br />
dass der menschliche Embryo als Mitglied<br />
der Spezies Mensch (Spezies-<br />
Argument) bereits die Bedingungen<br />
erfüllt, die seine Artgenossen zwingen,<br />
seine Würde und die auf ihr basierenden<br />
Rechte, insbesondere jenes, nicht<br />
getötet zu werden, anzuerkennen.<br />
Von einer solchen Anerkennung<br />
sind die Autoren der Stellungnahme<br />
Lichtjahre entfernt. Die Wahl des Titels<br />
»Neubewertung des Schutzes von<br />
In-vitro-Embryonen« ist zwar formal<br />
korrekt, schließlich fordern die Akademien<br />
von der Politik genau dies,<br />
suggeriert jedoch zugleich, für diese<br />
Forderung gäbe es neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse. Nur ist eben dies<br />
nicht der Fall. Es gibt keine neuen wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse. Keine, die<br />
beispielsweise eine Erklärung dafür<br />
böten, wie oder – noch besser – wodurch<br />
aus einem »etwas« (Zellkugel)<br />
ein »jemand« (eine menschliche Person)<br />
würde.<br />
Man wird nicht Person,<br />
man ist es<br />
Auch Lebensrechtler haben übrigens<br />
keine Erklärung dafür. Auch sie vermögen<br />
nicht zu zeigen, wie aus einer<br />
Zellkugel der Spezies Homo sapiens<br />
sapiens ein Mensch beziehungsweise<br />
aus einem »etwas« ein »jemand« wird.<br />
Und dies höchstwahrscheinlich sogar<br />
aus exakt demselbem Grund, aus dem<br />
auch Taupitz und Co. in der gemeinsamen<br />
Stellungnahme der Nationalen<br />
Akademie der Wissenschaften und<br />
der Union der deutschen Akademien<br />
der Wissenschaften darauf verzichten:<br />
Weil es dort nämlich gar nichts zu zeigen<br />
gibt. Mit dem bedeutsamen Unterschied,<br />
dass Lebensrechtler aus diesem<br />
Unvermögen die richtigen Schlüsse<br />
ziehen. Anders formuliert: Man wird<br />
nicht Person. Man ist Person.<br />
»Nur weil der Embryo (…) schon<br />
immer eine menschliche Person<br />
ist«, könne er, so etwa der Schweizer<br />
Philosoph, Priester und katholische<br />
Theologe Martin Rhonheimer, im<br />
Verlauf seiner Entwicklung auch »die<br />
Eigenschaften von Personen« ausbilden.<br />
Oder wie es der Wiener Medizinethiker<br />
und Philosoph Günther<br />
Pöltner, der eine Dekade lang Mitglied<br />
der Bioethikkommission beim österreichischen<br />
Bundeskanzleramt war<br />
und diesem Gremium acht Jahr lang<br />
vorstand, formuliert: Um überhaupt<br />
menschliche Eigenschaften besitzen<br />
und entfalten zu können, müsse ein<br />
Subjekt bereits Mensch sein.<br />
In seiner im vergangenen Jahr bei<br />
Suhrkamp erschienenen Aufsatzsammlung<br />
»Verteidigung des Menschen.<br />
Grundfragen einer verkörperten<br />
Anthropologie« warnt der<br />
Heidelberger Philosoph und Psychologe<br />
Thomas Fuchs eindringlich<br />
Jochen Taupitz<br />
WWW.BUNDESAERZTEKAMMER.DE<br />
vor einer »Selbstverdinglichung« des<br />
Menschen. Fassten wir uns selbst »als<br />
Objekte« auf, lieferten wir uns »der<br />
Herrschaft derer aus«, die uns »zu manipulieren<br />
und sozialtechnologisch<br />
zu beherrschen« suchten. »Denn«,<br />
zitiert Fuchs Clive Staples Lewis, »die<br />
Macht des Menschen, aus sich zu machen,<br />
was ihm beliebt, bedeutet (...) die<br />
Macht einiger weniger, aus anderen zu<br />
machen, was ihnen beliebt«.<br />
Es gibt, wie hier bereits festgestellt<br />
wurde, keine neuen naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse. Was es gibt,<br />
sind neue Interessen. Die lassen sich<br />
verstehen, tolerieren oder gar gutheißen<br />
lassen sie sich nicht. Schlimmer<br />
noch: Wissenschaftler, die sie befriedigen<br />
wollen, indem sie Deutschlands<br />
Einstieg in eine embryonenverbrauchende<br />
Forschung den Weg bahnen,<br />
enttäuschen nicht bloß als Wissenschaftler.<br />
Sie versagen als Menschen.<br />
Den Konsequenzen dieses Versagens<br />
gilt es zu wehren. Und dies nicht<br />
etwa durch Verzicht auf Wissenschaft,<br />
sondern durch bessere Wissenschaft.<br />
Romano Guardini um 1920<br />
Um es mit Romano Guardini (1885–<br />
1968), einem Weisen des vergangenen<br />
Jahrhunderts, zu sagen: »Wahrheit<br />
leuchtet nur dann auf, wenn der<br />
Mensch der Wirklichkeit jeweils so gegenübertritt,<br />
wie sie selbst verlangt. Je<br />
höher das Wirkliche steht, desto größer<br />
ist die Anforderung, die es an den<br />
erkennenden Geist stellt: desto größer<br />
aber auch die Versuchung, sie auf die<br />
Ebene der tiefer stehenden Dinge herunterzuziehen,<br />
weil er es dann bequemer<br />
hat. So ist es zum Beispiel sehr<br />
verlockend, das Lebendige chemisch<br />
oder den Geist biologisch zu denken,<br />
denn man spart Arbeit und gewinnt<br />
den Schein strenger Wissenschaft; in<br />
Wahrheit war man geistig träge, hat<br />
dem Erkenntnisgewinn Gewalt angetan<br />
und das Eigentümliche des Gegenstandes<br />
verloren.«<br />
Was Guardini hier noch ganz allgemein<br />
formulierte, trifft, wenn nicht<br />
alles täuscht, vollumfänglich auch auf<br />
die gemeinsame Stellungnahme der<br />
Nationalen Akademie der Wissenschaften<br />
und der Union der deutschen<br />
Akademien der Wissenschaften zu.<br />
Ziemlich peinlich, eigentlich.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
29
ISBN 978-3-518-29951-7<br />
BÜCHERFORUM<br />
Der Widersprüchliche<br />
Mit »Joe Biden. Ein Katholik<br />
im Weißen Haus« hat der<br />
Journalist und USA-Experte<br />
Maximilian Lutz, der gelegentlich<br />
auch für »LebensForum« schreibt,<br />
Ende Juni dieses Jahres eine Biografie<br />
des 46. Präsidenten der Vereinigten<br />
Staaten von Amerika<br />
vorgelegt, die sich für<br />
Lebensrechtler jedweder<br />
Konfession als<br />
überaus interessant<br />
herausstellt. Zwar<br />
ruht der Schwerpunkt<br />
des facettenreichen<br />
Porträts, das<br />
der Autor zeichnet,<br />
auf der Besonderheit,<br />
dass Biden nach<br />
John F. Kennedy erst<br />
der zweite Katholik<br />
in diesem Amt ist.<br />
Doch daneben arbeitet<br />
Lutz vor allem<br />
die widersprüchliche<br />
Haltung heraus, die<br />
der amtierende US-Präsident beim<br />
Umgang mit dem Thema Abtreibung<br />
an den Tag legt.<br />
Die von Lutz angeführten Belege<br />
lassen keinen Zweifel daran, dass auch<br />
für Biden das Leben von Menschen<br />
im Moment der Zeugung beginnt und<br />
er eine Abtreibung als das betrachtet,<br />
was sie ist, nämlich die Tötung eines<br />
Menschen im Frühstadium seiner Entwicklung.<br />
Dennoch vertrat Biden, wie<br />
Lutz zeigt, schon in seinen Anfangsjahren<br />
als Senator den Standpunkt, ein<br />
Politiker dürfe eine solche Überzeugung<br />
der Gesellschaft nicht »aufzwingen«.<br />
Die Darstellung Bidens, er sei<br />
mehr als 30 Jahre lang auf einem »Mittelweg«<br />
geblieben,<br />
der darin bestanden<br />
habe, die staatliche<br />
Finanzierung von<br />
Abtreibungen abzulehnen,<br />
ohne den<br />
Zugang zu ihnen zu<br />
beschränken, nennt<br />
Lutz »nicht ganz korrekt«.<br />
So sei Biden<br />
bereits früher verschiedentlich<br />
»von<br />
seinem Mittelweg«<br />
abgewichen, »ehe er<br />
ihn in den letzten<br />
Jahren fast vollständig<br />
verließ«. Mit dem<br />
feinen Unterschied,<br />
dass Biden bei früheren<br />
Abweichungen noch in die entgegengesetzte<br />
Richtung blinkte. So<br />
habe er beispielsweise 1982 »im Justizausschuss<br />
des Senats für eine Verfassungsergänzung«<br />
gestimmt, »die ›Roe<br />
vs. Wade‹ rückgängig gemacht hätte«.<br />
Lutz, der für Biden, der mehrfach<br />
mit dem Gedanken gespielt hat, Priester<br />
zu werden, durchaus Sympathien zu<br />
besitzen scheint und etwa eindrucksvoll<br />
belegt, wie sehr der Glaube Biden<br />
geholfen hat, den Tod seiner ersten<br />
Frau und zweier Kinder zu bewältigen,<br />
zeigt sich beim Thema Abtreibung völlig<br />
unbestechlich. Präzise zeichnet der<br />
Autor die Entscheidungen nach, die<br />
Biden in den ersten Monaten seiner<br />
Präsidentschaft gefällt hat und mit denen<br />
er zahlreiche Erlasse der Trump-<br />
Administration wieder aufhob. Nach<br />
Ansicht des USA-Experten haben sich<br />
die Demokraten, Bidens Partei, in der<br />
Abtreibungsfrage noch einmal radikalisiert.<br />
Diesem neuen, verschärften<br />
Kurs fühle sich Biden inzwischen verpflichtet.<br />
So schreibt Lutz zum Beispiel:<br />
»Wohl auch unter dem Druck<br />
seiner progressiven demokratischen<br />
Konkurrenten um die Nominierung,<br />
die sich in der Abtreibungsfrage kontinuierlich<br />
weiter nach links bewegten,<br />
erklärte er 2019, ›Roe vs. Wade‹ zum<br />
unumkehrbaren ›Gesetz des Landes‹<br />
machen zu wollen. Ein Vorhaben, das<br />
er in seinem Statement zum Jahrestag<br />
des Urteils im Jahr <strong>2021</strong> nochmals bekräftigte.«<br />
Dass Biden mit dieser Politik<br />
das tief gespaltene Land wieder<br />
wird einen können, hält der Autor für<br />
ausgeschlossen.<br />
Stefan Rehder<br />
Maximilian Lutz: Joe Biden. Ein Katholik<br />
im Weißen Haus. Benno Verlag, Leipzig<br />
<strong>2021</strong>. Gebunden. 144 Seiten. 19,95 EUR.<br />
Gehirn und Geist<br />
Als der Neurowissenschaftler Maxwell Bennett<br />
und der Philosoph Peter Hacker im Jahre 20<strong>03</strong><br />
ihr gemeinsames Buch »Philosophical Foundations<br />
of Neuroscience« veröffentlichten, lieferte<br />
es den Auftakt für eine bis heute andauernde Debatte<br />
über Gehirn und Geist und die daraus resultierende<br />
Frage, wer der Mensch sei. Das vorliegende<br />
Buch dokumentiert und erläutert den ebenso<br />
interessanten wie bedeutsamen Schlagabtausch<br />
vier herausragender Akteure dieses Streits und<br />
informiert so über viele der maßgeblichen Menschliche Wesen, Personen, Argumente.<br />
denken und<br />
fühlen – nicht ihre Gehirne.<br />
Maxwell Bennett/Peter Hacker<br />
Dummerweise geben Bennett und<br />
reh<br />
Hacker<br />
keinerlei Auskunft darüber, was eine Person<br />
ist.<br />
John Searle<br />
Wir haben soviel gemeinsam, und dennoch<br />
äußern sich Bennett und Hacker ziemlich abschätzig<br />
über meine Arbeit. Wie läßt sich das<br />
erklären? Bin ich vom Weg abgekommen, seit<br />
ich Oxford verlassen habe? Daniel Dennett<br />
Maxwell Bennett / Daniel C. Dennett<br />
»Eine wunderbare<br />
/ Peter<br />
Einführung in die<br />
Hacker<br />
/ John R. Searle: Neurowissenschaft und Phi-<br />
Grundlagen<br />
der Neurobiologie.«<br />
Deutschlandfunk Kultur<br />
losophie. Gehirn, Geist und Sprache.<br />
stw<br />
Mit einer<br />
Einleitung und Schlussbetrachtung von Daniel Robinson.<br />
Verlag Suhrkamp, Berlin <strong>2021</strong>. 277 Seiten.<br />
22,00 EUR.<br />
9 7 8 3 5 1 8 2 9 9 5 1 7<br />
€ XX,00 [D] € XX,00 [A]<br />
www.suhrkamp.de<br />
st<br />
w<br />
0000 2351<br />
Bennett u.a. Neurowissenschaft und Autor Philosophie Titel<br />
Maxwell Bennett<br />
Daniel Dennett<br />
Peter Hacker<br />
John Searle<br />
Neurowissenschaft<br />
und<br />
Philosophie<br />
suhrkamp taschenbuch<br />
wissenschaft<br />
30 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
BÜCHERFORUM<br />
Vergiftetes Geschenk<br />
Das Urteil des Zweiten Senats<br />
des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 26. Februar 2020 (2<br />
BvR 2347/15) zur Suizidhilfe hat selbst<br />
eingefleischte Befürworter derselben<br />
überrascht. Viele andere, insbesondere<br />
Christen, hat es erschüttert. So ging<br />
es offenbar auch den<br />
drei Herausgebern<br />
des vorliegenden Bandes,<br />
der eine Tagung<br />
dokumentiert, die die<br />
Katholische Deutsche<br />
Studentenverbindung<br />
Saarland zu Jena im<br />
CV in Kooperation<br />
mit der CV-Akademie<br />
im Januar <strong>2021</strong><br />
durchführte. In ihrem<br />
Vorwort schreiben<br />
sie, das Urteil berühre<br />
»zentral unseren<br />
Glauben von der Unverfügbarkeit<br />
des von<br />
Gott geschenkten Lebens«.<br />
Zwar spiegele<br />
das Urteil »in seiner Anerkennung eines<br />
selbstbestimmten Sterbens (= Suizid)<br />
als Grundrecht (!) offensichtlich eine<br />
gesellschaftliche Einstellung im Gefolge<br />
der allgemeinen Säkularisierung der<br />
Verhältnisse. (…) Aber es entspricht<br />
wohl weder christlich-katholischem<br />
Denken, noch berücksichtigt es z. B.<br />
die Praxis moderner palliativmedizinischer<br />
Sterbebegleitung. Zumindest ist<br />
eine Fehlentwicklung durch verkürzte<br />
Interpretation des Urteils und missbräuchliche<br />
Nutzung zu befürchten.«<br />
Um Auswüchsen vorzubeugen, bedürfe<br />
es »sehr konkreter rechtlicher Normen<br />
zur objektiven Überprüfbarkeit des<br />
Sterbewunsches eines Menschen und<br />
dessen eingehender<br />
Beratung«.<br />
Die Autoren des<br />
Bandes sind Juristen,<br />
Ärzte, Ethiker und<br />
Theologen. Vor dem<br />
Hintergrund ihrer<br />
jeweiligen Profession<br />
beleuchten sie aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven<br />
relevante<br />
Aspekte des Urteils.<br />
Einen Mehrwert stellt<br />
auch die Zusammenfassung<br />
der Aussprachen<br />
und Diskussionen<br />
dar, die sich an die<br />
Beiträge anschließt.<br />
Dabei werden auch<br />
die Unterschiede bei der Bewertung<br />
der Selbsttötung thematisiert, die katholische<br />
und protestantische Theologen<br />
vornehmen. Last but noch least<br />
wird in dem Band auch die Rolle kritisch<br />
gewürdigt, die Medien mit ihrer<br />
Berichterstattung über das Urteil sowie<br />
eine sich bislang erst in Grundzügen<br />
abzeichnende gesetzliche Neuregelung<br />
der Suizidhilfe spielen.<br />
Erstaunen darf, dass bei all dem<br />
auf die Fruchtbarmachung der teilweise<br />
über Jahrzehnte bestehenden<br />
Erfahrungen, die mit Ausnahme von<br />
Österreich sämtliche direkte Nachbarn<br />
Deutschlands – angefangen bei<br />
den Benelux-Staaten, aber auch die<br />
Schweiz – mit der Suizidhilfe gesammelt<br />
haben, verzichtet wurde. Das<br />
ist mehr als bloß bedauerlich. Denn<br />
eine nüchterne Analyse der Entwicklung<br />
der Zahlen sowie des jeweiligen<br />
gesetzlichen Rahmens in den Niederlanden,<br />
Belgien, Luxemburg und der<br />
Schweiz zeigt, trotz mancher Unterschiede,<br />
eines klar: Die Hoffnung, eine<br />
gesetzliche Beihilfe zum Suizid ließe<br />
sich auf wenige, gänzlich tragische<br />
Fälle begrenzen, ist eine Fiktion, die<br />
sich in der Wirklichkeit auf kein Fundament<br />
stützen kann. Wer das Urteil<br />
für einen Zugewinn an Freiheit hält,<br />
übersieht, dass es sich bei ihm um ein<br />
vergiftetes Geschenk handelt.<br />
Stefan Rehder<br />
Norbert K. Schöndorf / Hans-Günther<br />
Pfeifer / Veit Neumann (Hrsg.): Würde,<br />
Tod und Heil. Zum assistierten Suizid<br />
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.<br />
Beiträge zum 8.<br />
Seminar des Collegium Catholicum<br />
<strong>2021</strong>. Echter Verlag, Würzburg <strong>2021</strong>. 115<br />
Seiten. 15,00 EUR.<br />
Medizin der Zuwendung<br />
Es gibt Krankheiten, die können Menschen in<br />
eine tiefe existenzielle Krise stürzen. Krebs zum<br />
Beispiel. Oder auch Demenz. Die moderne Medizin<br />
reagiere darauf mit Naturwissenschaft und<br />
perfekter Technik, lasse aber die Patienten in ihren<br />
Lebenskrisen oft allein, kritisiert der Freiburger<br />
Medizinethiker Giovanni Maio in seinem 2015<br />
erstmals erschienenen Buch. Der modernen Medizin<br />
setzt er eine viel beachtete Medizin der Zuwendung<br />
entgegen, die die Patienten ganzheitlich in<br />
den Blick nimmt. Nun hat der Arzt und Philosoph<br />
eine überarbeitete und aktualisierte Ausgabe dieses<br />
lesenswerten Werkes vorgelegt.<br />
reh<br />
Giovanni Maio: Den kranken Menschen verstehen.<br />
Für eine Medizin der Zuwendung. Überarbeitete<br />
Neuausgabe. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau<br />
2020. 240 Seiten. 24,00 EUR.<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
31
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis<br />
verbis<br />
Ein Kind abzutreiben ist eine schwierige<br />
Entscheidung, aber sie muss möglich<br />
sein.«<br />
Der kroatische Sozialist Predrag Fred<br />
Matić im Europäischen Parlament in der<br />
Debatte über seinen Bericht<br />
Das Gesetz schützt nicht die Frau und<br />
unterwirft sie einer falschen Freiheit.«<br />
Die spanische Konservative Margarita<br />
de la Pisa Carrión in derselben Debatte<br />
Tops & Flops<br />
Großbritannien<br />
Anfang Juli sind radikale Abtreibungsbefürworter<br />
im britischen<br />
Parlament mit dem Versuch gescheitert,<br />
einen Gesetzentwurf zu kapern,<br />
um Abtreibungen in Großbritannien<br />
vollständig zu liberalisieren. Die<br />
Labour-Abgeordnete Diana Johnson<br />
hatte vor der Abstimmung über einen<br />
Gesetzentwurf, der die Verfolgung<br />
von Gewaltverbrechen zum Gegenstand<br />
hatte, einen Änderungsantrag<br />
(New Clause 55) eingebracht, der<br />
Spanien<br />
In Spanien müssen sich Ärzte, die<br />
sich nicht an Euthanasie beteiligen<br />
wollen, in ein von der Regierung<br />
dafür eigens eingerichtetes Register<br />
eintragen. Das berichtet das Wiener<br />
Institut für Medizinische Anthropologie<br />
und Bioethik (IMABE) Anfang<br />
Juli in seinem monatlichen Newsletter.<br />
Im März <strong>2021</strong> hatte Spaniens<br />
Parlament die Euthanasie legalisiert.<br />
Das entsprechende Gesetz trat am<br />
25. Juni in Kraft. Menschen mit einer<br />
Der Mensch ist ab der Befruchtung ein<br />
Mensch.«<br />
Die AfD-Europaabgeordnete Christine<br />
Anderson in derselben Debatte<br />
Wir müssen wachsam bleiben gegenüber<br />
Versuchen, den Zugang zur Abtreibung<br />
durch die ›Entführung‹ anderer<br />
Gesetze zu erweitern.«<br />
Der Weihbischof von Westminister, John<br />
Sherrrington, in einer Presseerklärung<br />
vom 6. Juli<br />
So ist es zum Beispiel sehr verlockend,<br />
das Lebendige chemisch oder den Geist<br />
biologisch zu denken, denn man spart<br />
Arbeit und gewinnt den Schein strenger<br />
Wissenschaft; in Wahrheit war<br />
man geistig träge, hat dem Erkenntnisgewinn<br />
Gewalt angetan und das Eigentümliche<br />
des Gegenstandes verloren.«<br />
Romano Guardini (1885–1968):<br />
Die letzten Dinge, Würzburg 1952, S. 47<br />
vorgeburtliche Kindstötungen bis zur<br />
Geburt vollständig legalisiert hätte.<br />
Der Weihbischof von Westminster,<br />
John Sherrington, in der Bischofskonferenz<br />
von England und Wales<br />
für Fragen des Lebensschutzes zuständig,<br />
hatte öffentlich vor der neuen<br />
Klausel 55 gewarnt und die Bürger<br />
aufgerufen, sich an ihre Abgeordneten<br />
zu wenden und gegen den Änderungsantrag<br />
zu protestieren. Offenbar<br />
mit Erfolg. Abgeordnete sprachen<br />
während der Debatte im Unterhaus<br />
von einem »Tsunami des Protests«.<br />
Ein weiterer Änderungsantrag (New<br />
Clause 42) sollte Bannmeilen um<br />
Abtreibungseinrichtungen erreichen.<br />
Der »Abortion Act« aus dem Jahr<br />
1967 erlaubt vorgeburtliche Kindstötungen<br />
bis zur 24. Schwangerschaftswoche,<br />
wenn zwei Ärzte zu der Überzeugung<br />
gelangen, dass die gesetzlich<br />
festgelegten Kriterien erfüllt seien.<br />
Angesichts der drohenden Niederlage<br />
zogen die Initiatoren ihre Änderungsanträge<br />
wieder zurück. reh<br />
»schweren und unheilbaren« Krankheit<br />
oder »chronischen, stark einschränkenden<br />
Schmerzen« sollen auf<br />
eigenen Wunsch Beihilfe zum Suizid<br />
erhalten oder von Ärzten auf ihr Verlangen<br />
hin getötet werden können,<br />
um »unerträgliches Leid« zu vermeiden.<br />
Die Kosten werden von den<br />
staatlichen Krankenkassen getragen.<br />
Während die Regierung die Schaffung<br />
des Registers damit begründet,<br />
anders ließe sich eine »Versorgung«<br />
Sterbewilliger nicht sicherstellen,<br />
befürchten Ärztevertreter nun eine<br />
Diskriminierung von Ärzten, die<br />
Euthanasie ablehnen. Die spanische<br />
Ärztekammer, die bereits im Vorfeld<br />
scharfe Kritik an dem Gesetz übte,<br />
hält es für möglich, dass die Einrichtung<br />
des Registers sogar gegen<br />
die Verfassung verstoße. Artikel 16,<br />
Absatz 2 der spanischen Verfassung<br />
schreibe vor, dass niemand gezwungen<br />
werden dürfe, »über seine Ideologie,<br />
Religion oder Weltanschauung<br />
auszusagen«.<br />
reh<br />
32 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Aus dem Netz<br />
Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung (1979)<br />
»(...) Das Geheimnis oder die Paradoxie<br />
der Moral ist, daß das Selbst über der<br />
Sache vergessen werden muß, um ein<br />
höheres Selbst (das in der Tat auch ein<br />
Gut-an-sich ist) werden zu lassen. Wohl<br />
ist es statthaft zu sagen ›Ich möchte mir<br />
selbst ins Auge sehen (oder: vor Gottes<br />
Prüfung bestehen) können‹,<br />
aber eben dies wird<br />
mir nur möglich sein, wenn<br />
es mir um die ›Sache‹ und<br />
nicht um mich selbst ging<br />
(…). Der gute Mensch ist<br />
nicht der, der sich gut gemacht<br />
hat, sondern der, der<br />
das Gute um seinetwillen<br />
getan hat. Das Gute aber ist<br />
die Sache in der Welt, ja die<br />
Sache der Welt. Moralität<br />
kann sich nie selber zum<br />
Ziel haben. (…) Nicht das<br />
Sittengesetz motiviert das<br />
sittliche Handeln, sondern der Appell<br />
des möglichen An-sich-Guten in der<br />
Welt, das meinem Willen gegenübersteht<br />
und Gehör verlangt – gemäß dem<br />
Sittengesetz. Jenem Appell Gehör zu<br />
geben, ist genau, was das Sittengesetz<br />
gebietet (…).<br />
Das Gesetz als solches kann weder<br />
Ursache noch Gegenstand der Ehrfurcht<br />
sein; aber das Sein, erkannt in<br />
seiner Fülle oder seiner Einzelerscheinung<br />
derselben, begegnend einem Sehvermögen,<br />
das nicht durch Selbstsucht<br />
verengt oder durch Stumpfheit getrübt<br />
ist, kann wohl Ehrfurcht erzeugen –<br />
und kann mit der Affizierung unseres<br />
Gefühls dem sonst kraftlosen Sittengesetz<br />
zuhilfe kommen, das da gebietet,<br />
dem innewohnenden Anspruch von<br />
Seiendem mit unserem eigenen Sein<br />
Genüge zu tun. ›Heteronom‹<br />
in diesem Sinne zu<br />
sein, nämlich sich vom<br />
rechtmäßigen Anruf wahrgenommener<br />
Entitäten bewegen<br />
zu lassen, braucht<br />
nicht dem Prinzip der Autonomie<br />
zuliebe gescheut<br />
oder geleugnet zu werden.<br />
Doch nicht einmal Ehrfurcht<br />
genügt, denn solche<br />
Gefühlsbejahung der<br />
wahrgenommenen Würde<br />
des Gegenstandes, so lebhaft<br />
sie sei, kann doch ganz<br />
untätig bleiben. Erst das hinzutretende<br />
Gefühl der Verantwortung, welches<br />
dieses Subjekt an ein Objekt bindet,<br />
wird uns seinethalben handeln machen.<br />
Wir behaupten, daß es die Gefühl<br />
mehr als irgendein anderes ist, welches<br />
eine Willigkeit in uns erzeugen kann,<br />
den Anspruch des Objektes auf Existenz<br />
durch unser Tun zu unterstützen.«<br />
Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung.<br />
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 20<strong>03</strong>,<br />
7. Edition. 426 Seiten. 14,00 EUR.<br />
»Die Welt. Die von morgen« (51)<br />
Kurz & bündig<br />
Keine Suizidhilfe<br />
in katholischen<br />
Krankenhäusern<br />
Bernadette Rümmelin<br />
Freiburg/Berlin (ALfA). In katholischen<br />
Krankenhäusern wird es keine<br />
Angebote professioneller oder<br />
ehrenamtlicher Suizidbeihilfe geben.<br />
Das erklärt Bernadette Rümmelin,<br />
Geschäftsführerin des Katholischen<br />
Krankenhausverbandes<br />
(KKVB), in der »Herder Korrespondenz«.<br />
»Die Assistenz zum Suizid<br />
ist nicht mit den Werten vereinbar,<br />
die uns als christliche Einrichtung<br />
leiten«, so Rümmelin. Es dürfe für<br />
Ärzte, Pflegekräfte oder Einrichtungen<br />
keine Verpflichtung geben, Suizidbeihilfe<br />
leisten zu müssen, sagte<br />
Rümmelin mit Blick auf die noch<br />
ausstehende gesetzliche Neuordnung<br />
des assistierten Suizids. Es<br />
sei ein Schutzkonzept nötig, das<br />
verhindere, dass sich Menschen<br />
zum Suizid gedrängt fühlten. reh<br />
GLOSSE<br />
HTTPS://KKVD.DE<br />
In der Welt von morgen widmen sich<br />
Menschen vor allem technischen<br />
Großprojekten. Neben der Bekämpfung<br />
des Klimawandels mittels Terraforming<br />
wird die Verschmelzung von<br />
Mensch und Maschine vorangetrieben.<br />
Um die gewaltigen finanziellen<br />
Mittel aufzubringen, die dafür benötigt<br />
werden, haben sich China, die USA<br />
und Europa darauf verständigt, die<br />
Notenpressen heiß laufen zu lassen.<br />
Die Wirtschaft steht ohnehin wieder<br />
still. Grund dafür ist diesmal eine Ypsilon-Variante<br />
des Virus SAR-CoV-7, das<br />
Gain-of-function-Forscher in einem<br />
US-amerikanischen Hochsicherheitslabor<br />
mit Hilfe der CRISPR/Cas-Technologie<br />
erschufen und versehentlich<br />
freisetzten. Ziel der Gain-of-function-<br />
Forschung ist es, Viren für den Menschen<br />
»gefährlicher« zu machen und<br />
ihnen Fähigkeiten zu verleihen, die sie<br />
in der Natur (noch) nicht besitzen. Der<br />
Mensch müsse Viren und ihren unkontrollierbaren<br />
Mutationen immer einen<br />
Schritt voraus sein, heißt es. Ausgeschrieben<br />
hatte den Auftrag ein internationales<br />
Konsortium von Impfstoffherstellern.<br />
Das wollte für die nächste<br />
Welle der fünften weltweiten SARS-<br />
CoV-Pandemie »rechtzeitig« gerüstet<br />
sein. Das Konsortium bedauerte den<br />
Vorfall. Allerdings habe man durch ihn<br />
nun wichtige Erkenntnisse für die Optimierung<br />
von Hochsicherheitslaboren<br />
gewonnen.<br />
Stefan Rehder<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong><br />
33
LESERFORUM<br />
Skandalös<br />
Vielen Dank für die ausführliche Warnung<br />
vor der Annahme des Matić-<br />
Berichts durch das Europäische Parlament.<br />
Ich hätte das sonst gar nicht<br />
mitbekommen. Es ist wirklich skandalös,<br />
was das Europäische Parlament<br />
mit der Annahme dieses Berichts –<br />
trotz aller Warnungen – tatsächlich<br />
beschlossen hat. Dass Frauen, die<br />
ungewollt schwanger geworden sind,<br />
auch verzweifeln können, ist sicher<br />
für jeden mitfühlenden Menschen<br />
nachvollziehbar. Auch, dass manche<br />
Frauen in ihrer Verzweiflung eine<br />
Abtreibung für die Lösung aller ihrer<br />
Probleme halten, ist noch nachvollziehbar<br />
oder sollte es jedenfalls sein.<br />
Und dass Staaten sich schwertun, die<br />
de facto ja vorhandene Möglichkeit eines<br />
Schwangerschaftsabbruchs rechtlich<br />
so zu regeln, dass ein Gesetz Kind<br />
und Mutter in allen Lagen, die man<br />
sich vorstellen kann, jeweils gerecht<br />
wird, mag man auch noch verstehen<br />
können.<br />
Aber dass ein Parlament wie das<br />
Europäische, das all dieser Probleme<br />
enthoben ist, die Tötung eines ungeborenen<br />
Menschen im Mutterleib für<br />
»rechtmäßig« erachtet, das zieht einem<br />
schon die Schuhe aus.<br />
Wie, frage ich mich, kann die Tötung<br />
eines unschuldigen und wehrlosen<br />
Menschen »rechtmäßig« sein?<br />
Ich kannte Ihre<br />
Zeitschrift noch<br />
nicht. Wie ich<br />
feststelle, ein<br />
Fehler. Bin sehr<br />
beeindruckt.<br />
Bitte, machen<br />
Sie weiter so.<br />
Frank Fässler, Zürich<br />
Was hat dieser Mensch verbrochen,<br />
dass er »rechtmäßig« mit dem Tode<br />
bestraft werden kann? Wie überhaupt<br />
kann die Tötung eines Unschuldigen<br />
»rechtmäßig« sein, wenn selbst die<br />
Todesstrafe von Schwerverbrechern<br />
– wofür es gute Gründe gibt – heute<br />
vielfach als abzuschaffendes Unrecht<br />
betrachtet wird?<br />
Manche meinen hier einwenden zu<br />
können, der ungeborene Mensch sei<br />
ja gar kein Mensch, weshalb auch der<br />
Vergleich mit der Todesstrafe nicht<br />
zulässig sei. Nun, das ist allerdings<br />
zunächst eine bloße Behauptung. Bedeutsam<br />
würde sie erst, wenn jemand<br />
zeigte, wie aus der befruchteten Eizelle<br />
einer Frau, aus der sich niemals ein<br />
Hund oder eine Katze entwickelt, ein<br />
Mensch »wird«. Wo dies nicht gezeigt<br />
werden kann, muss davon ausgegangen<br />
werden, dass diese Behauptung<br />
falsch ist, beziehungsweise<br />
es jedenfalls sehr<br />
viel wahrscheinlicher<br />
ist, dass man nicht<br />
»Mensch« wird, sondern<br />
»ist«. Auch Hunde<br />
werden nicht zu<br />
Hunden, sondern sind<br />
es. Aber auch wenn<br />
man diesen Punkt<br />
einmal ausklammert, Matić<br />
bleibt unbestreitbar:<br />
Auch für Herrn Matić hat das Leben<br />
einmal in der Gebärmutter einer Frau<br />
begonnen. Er selbst jedenfalls hat seine<br />
Existenz genauso wenig geplant wie<br />
jedes andere Kind, das – beabsichtigt<br />
oder unbeabsichtigt – gezeugt wird.<br />
Wenn nun aber Herr Matić ein Recht<br />
hat, zu leben, warum dann nicht auch<br />
jeder andere Mensch. Es kann doch<br />
nicht sein, dass die Entscheidung von<br />
Herrn Matićs Mutter, ihn damals nicht<br />
töten zu lassen, das Recht von Herrn<br />
Matić auf Leben begründet. Und wenn<br />
doch, was wäre eine Mutter dann. Eine<br />
Göttin? Eine als gottgleich verehrte römische<br />
Kaiserin, die – allem irdischen<br />
Recht enthoben – den Daumen hebt<br />
oder senkt, wann sie will?<br />
Birte Sackmann, Mannheim<br />
A N Z E I G E<br />
34 <strong>LEBENSFORUM</strong> <strong>139</strong>
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>LEBENSFORUM</strong><br />
Ausgabe Nr. <strong>139</strong>, 3. Quartal <strong>2021</strong><br />
ISSN 0945-4586<br />
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Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.<br />
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Herausgeber<br />
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