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AUSGABE <strong>22</strong> 28. Mai 20<strong>22</strong><br />

EUROPEAN MAGAZINE AWA R D WINNER 20<strong>22</strong> POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />

EXKLUSIV<br />

Finanzminister Lindner<br />

über Inflation und die<br />

Fehler der Ampel<br />

DIE<br />

100-MILLIARDEN-<br />

FRAGE<br />

Wie wird die Bundeswehr<br />

wieder einsatzfähig?<br />

„Wir sind<br />

Krisenhelfer“,<br />

Rheinmetall-Chef<br />

Armin Papperger<br />

im <strong>FOCUS</strong>-<br />

Gespräch<br />

It’s Only<br />

Rock ’n’ Roll<br />

60 Jahre Rolling Stones<br />

60 Gründe, sie zu feiern


Alle <strong>FOCUS</strong>-Titel to go.<br />

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E-PAPER LESEN:


FÜR<br />

Seite 4<br />

Seite 2<br />

Seite 5<br />

Wie sich die Bundesregierung<br />

um die Wahrheit mogelt<br />

EDITORIAL<br />

Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />

Fotos: Peter Rigaud/<strong>FOCUS</strong>-Magazin, action press<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

kennen Sie Siemtje Victoria Regine Ilse<br />

Santjer Möller? Ich muss gestehen, auch<br />

mir war die in Emden geborene Gymnasiallehrerin,<br />

die 2010 in die SPD eintrat<br />

und 2021 zur Parlamentarischen Staatssekretärin<br />

im Bundesverteidigungsministerium<br />

berufen wurde, bis vor Kurzem<br />

kein Begriff.<br />

Doch seit vergangenem Sonntag kennt<br />

Siemtje Möller – so die Kurzfassung ihres<br />

Namens – zumindest jeder in der Nato.<br />

Denn an diesem Tag verkündete die enge<br />

Mitarbeiterin von Verteidigungsministerin<br />

Christine Lambrecht (SPD) im ZDF<br />

eine kleine Sensation. Ihren Worten zu -<br />

folge gibt es eine „einheitliche Position“<br />

in der Nato, „keine Schützenpanzer oder<br />

Kampfpanzer westlichen Modells zu liefern“<br />

– also an die Ukraine.<br />

Eine „dreiste Panzer-Lüge“, wie „Bild“<br />

schrieb? Oder die Enthüllung einer<br />

roten Linie, eines kleinen schmutzigen<br />

Geheimnisses der Nato, die die wortreichen<br />

Bekundungen führender westlicher<br />

Politiker zur vollen Solidarität mit der<br />

Ukraine in einem fahlen Licht erscheinen<br />

lassen? Ein echtes Dementi gab es jedenfalls<br />

zunächst weder aus Washington,<br />

London oder dem Nato-Hauptquartier<br />

in Brüssel. Nur das Bundesverteidigungsministerium<br />

schränkte die Äußerungen<br />

der Staatssekretärin ein, von einer formalen<br />

Übereinkunft innerhalb der Nato<br />

sei nicht die Rede gewesen.<br />

Das sind Nebelkerzen, die man wirft,<br />

um unbequeme Wahrheiten zu verstecken.<br />

Denn Tatsache ist, dass bisher<br />

kein Nato-Land westliche Schützen- und<br />

Kampfpanzer an die Ukraine geliefert<br />

hat, auch die USA nicht. Bei deren M113<br />

handelt es sich – so Möller auf Twitter –<br />

um gepanzerte Mannschaftstransporter.<br />

Tatsache ist aber auch, dass die USA und<br />

Deutschland der Ukraine modernste Panzerhaubitzen<br />

zur Verfügung stellen. Formal<br />

mögen das keine Kampfpanzer sein,<br />

doch das wird deren Opfer auf<br />

den Schlachtfeldern der Ukraine<br />

und erst recht nicht den Kriegstreiber<br />

im Kreml scheren.<br />

Zwei unter Druck Staatssekretärin<br />

Siemtje Möller und Verteidigungsministerin<br />

Christine Lambrecht (l.)<br />

Und was bedeutet das alles für den<br />

Ringtausch, dem zufolge Polen an die<br />

Ukraine Panzer sowjetischer Bauart<br />

liefert und dafür Leopard-Panzer aus<br />

Deutschland erhält? Kein Geringerer als<br />

der polnische Präsident Andrzej Duda<br />

hat Berlin am Dienstag glatten Wortbruch<br />

vorgeworfen, weil die Ersatzpanzer nicht<br />

geliefert würden. Das ist schon deshalb<br />

überraschend, weil Leopard-Panzer an<br />

Polen keinen Bruch der angeblichen<br />

Nato-Absprache darstellen würden, keine<br />

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HELIKOPTERELTERN<br />

Günter Bannas über<br />

das Politische<br />

und das Private<br />

SCHANDE<br />

DER HAUPTSTADTBRIEF<br />

EXKLUSIV<br />

<strong>FOCUS</strong><br />

ABONNENTEN<br />

Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch<br />

28. Mai 20<strong>22</strong> | #29<br />

westlichen Kampfpanzer an die Ukraine<br />

zu liefern. Hier steht die Glaubwürdigkeit<br />

Deutschlands auf dem Spiel!<br />

Was mich zutiefst irritiert, ist der Mangel<br />

an Aufrichtigkeit in der Diskussion,<br />

der weder der Ukraine in ihrem heldenhaften<br />

Kampf gegen den russischen<br />

Aggressor noch den Werten der westlichen<br />

Allianz und damit auch unseren<br />

Werten gerecht wird. Dabei geht es längst<br />

um mehr als um Siemtje Möller. Es geht<br />

um nichts Geringeres als die Frage, ob<br />

der Bundeskanzler mit seiner Behauptung,<br />

Berlin handele stets im Einklang<br />

mit den Nato-Verbündeten, die Wahrheit<br />

gesagt oder gelogen hat. Und es geht<br />

um die Frage, ob Deutschland eine eher<br />

zwielichtige Rolle oder die eines zuverlässigen<br />

Verbündeten spielt.<br />

Anspruch auf mehr Klarheit haben wir<br />

auch in der Frage, welche Kriegsziele die<br />

Nato mit ihrer Unterstützung der Ukraine<br />

verfolgt. Olaf Scholz beschränkt sich dabei<br />

auf die vieldeutige Aussage, die Ukraine<br />

dürfe den Krieg nicht verlieren und Russland<br />

nicht gewinnen. Die USA hätten hingegen<br />

sicher nichts dagegen, wenn die<br />

Ukraine den Krieg gewinnen und Putin<br />

ihn verlieren sollte. Was nach Wortklauberei<br />

klingt, macht einen erheblichen<br />

Unterschied. Denn „nicht verlieren“<br />

bedeutet eben nicht zwingend, dass<br />

die Ukraine alle russischen Truppen<br />

von ihrem Territorium vertreibt. Es<br />

kann allerdings auch die Rückkehr<br />

zum Status quo vor dem Überfall im<br />

Februar – mit einer russisch besetzten<br />

Krim und den russisch dominierten<br />

Gebieten in der Ostukraine – bedeuten.<br />

Möglicherweise deckt die Formel des<br />

Kanzlers auch weitere territoriale Zugeständnisse<br />

an Putin im Rahmen eines<br />

Friedensabkommens ab, wie sie Henry<br />

Kissinger diese Woche ins Spiel brachte.<br />

Man sagt, zu den ersten Opfern im<br />

Krieg gehört die Wahrheit. Das dürfen<br />

wir nicht akzeptieren!<br />

Anne Wizorek über<br />

das Kriegsverbrechen<br />

sexualisierte Gewalt<br />

Ansetzen<br />

zum Sprung<br />

Oder lieber noch etwas abwarten, bis alle<br />

soweit sind? Olaf Scholz und die Ampel<br />

verharren in Zeitenwenden-Lauerstellung<br />

Von Henning Hoff<br />

Herzlich Ihr<br />

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<strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong> 3


Doppelrolle<br />

Sparfuchs und Zahlemann,<br />

FDP-Chef und<br />

Finanzminister: Christian<br />

Lindner über die richtige<br />

Balance in harten Zeiten<br />

Seite 36<br />

Kriegskasse<br />

Seine Firma Rheinmetall<br />

profitiert<br />

von der Aufrüstung.<br />

Trotzdem will Armin<br />

Papperger helfen<br />

Seite 60<br />

Rocklegende<br />

Die Rolling Stones feiern<br />

60 Jahre – und die eigene<br />

Unverwüstlichkeit<br />

Seite 82<br />

Fingerfood<br />

Alles wird teurer.<br />

Deswegen backt<br />

Ottolenghi genial<br />

günstige Pizza<br />

Seite 104<br />

Parallelwelt<br />

Wie auf der DLD-<br />

Konferenz die Zukunft<br />

des Internets<br />

diskutiert wird<br />

Seite <strong>22</strong><br />

Partylöwe Hotelkatze Kléopatre lädt ins „Brenners“ ein Seite 100<br />

4 <strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong>


INHALT NR. <strong>22</strong> | 28. MAI 20<strong>22</strong><br />

ANZEIGE<br />

Titelthema<br />

Wissen<br />

Titel: Shutterstock, ddp, Jason Koerner/Getty Images<br />

Fotos: Roman Goebel für <strong>FOCUS</strong>-Magazin, Hannes Jung für <strong>FOCUS</strong>-Magazin, Elias Hassos/Hubert Burda Media, Louise Hagger/Photography,<br />

Emily Kydd/Food Styling, Jennifer Kay/Prop Styling, Katy Gilhooly/Food Stylist Assistant, Getty Images, The Rolling Stones/Universal Music<br />

54 Warten auf das große Geld<br />

100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr<br />

bekommen – aber wer kriegt was? Ein<br />

Manöverbesuch liefert erste Antworten<br />

60 „Schon genug Zeit verloren“<br />

Rheinmetall-Chef Armin Papperger über<br />

den desolaten Zustand der Truppe<br />

Agenda<br />

<strong>22</strong> Die Neuvermessung des Internets<br />

Big Tech schwächelt, dabei geht der Hype um<br />

das Web3 erst los. Auf der DLD-Konferenz<br />

wurde die nächste Revolution verhandelt<br />

28 Impfstoff gegen Alzheimer<br />

Die Forscherin Andrea Pfeifer kommt ihrem<br />

Traum vom Sieg über die Krankheit näher<br />

Politik<br />

30 Die Sinnlosigkeit des Krieges<br />

Der legendäre Kriegsfotograf James Nachtwey<br />

dokumentierte die Gräuel in der Ukraine<br />

36 Mister Money<br />

Keinen Cent mehr! Christian Lindner über<br />

Inflation, Krieg und die Notwendigkeit, sich<br />

von Ampelprojekten zu verabschieden<br />

42 Drei Tage Afrika<br />

Der Kanzler sucht nach Verbündeten und<br />

trifft auf widerspenstige Gastgeber<br />

45 Der politische Datenstrudel<br />

Söder geht baden und Biden reicht es<br />

46 Der Preis der Wahrheit<br />

Dan McCrum brachte Wirecard zu Fall. Wie<br />

schwer das war, hat er nun aufgeschrieben<br />

50 Antisemitismus ist keine Meinung<br />

Maram Stern fordert, Judenfeindlichkeit<br />

nicht mehr als Sichtweise zu verharmlosen<br />

Wirtschaft<br />

66 Unter Hochspannung<br />

Strom und Gas werden immer teurer. Drei<br />

Start-ups zeigen, wie Energiesparen geht<br />

70 Geldmarkt<br />

74 Vom Geisterjäger zum Gejagten<br />

Jahrzehntelang erforschte der Physiker<br />

Walter von Lucadou Spukphänomene.<br />

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft<br />

gegen ihn – wegen Betrugs<br />

78 „Bloß nicht ärgern“<br />

Mediziner Ingo Fietze erklärt, wie man<br />

richtig einschläft und sich dabei erholt<br />

81 Schaulaufen einer Galaxie<br />

Fotografen porträtieren die Milchstraße<br />

Kultur<br />

82 It’s only Rock ’n’ Roll<br />

Die größte Rockband der Geschichte geht<br />

auf Jubiläumstour. Wir haben 60 Gründe<br />

gesammelt, warum man die Rolling Stones<br />

auf gar keinen Fall verpassen darf<br />

88 Sommerhaus, früher<br />

Miranda Cowley Heller wirkte an den besten<br />

US-Serien mit. Jetzt fand sie zum Schreiben<br />

92 Gutes im Namen des Bösen<br />

Unsere Tipps der Woche bringen etwas<br />

Dunkel ins Licht dieser Frühlingstage<br />

94 „Kultur darf nicht Opfer werden“<br />

Startenor Rolando Villazón spricht sich<br />

gegen einen Boykott russischer Kunst aus<br />

Leben<br />

100 Badens Beletage<br />

Vor 150 Jahren gründete Anton Brenner das<br />

„Brenners Park-Hotel“ in Baden-Baden. Es<br />

wurde zu einer Bühne der Weltgeschichte<br />

104 Selbst gekocht ist smart gespart<br />

Ottolenghis Rezept gegen steigende<br />

Lebensmittelpreise heißt Käse-Panzerotti<br />

106 Die Formel 1 sieht wieder rot<br />

Wie Ferrari mit Charles Leclerc<br />

ein eindrucksvolles Comeback gelingt<br />

108 Cayman-o-Mann!<br />

Porsches Neuer hat 500 PS, die<br />

gewaltig Spaß machen<br />

Rubriken<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von<br />

Jan Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

10 Fotos der Woche<br />

16 Grafik der Woche<br />

Twitter<br />

18 Menschen<br />

80 Wir müssen reden<br />

91 Bestseller<br />

93 Mein Salon<br />

110 Die Einflussreichen<br />

112 Leserbriefe/<br />

Impressum<br />

113 Nachrufe/<br />

Servicenummern<br />

114 Tagebuch<br />

DER NEUE<br />

FORD<br />

E-TRANSIT<br />

Produktivität komplett neu gedacht.<br />

52 Revolution im Nutzfahrzeugsegment.<br />

Der vollelektrische Ford E-Transit und das<br />

neue Vertriebs-und Serviceangebot Ford Pro.<br />

52 Mehr Produktivität für Businesskunden.<br />

Drastische Reduktion von servicebedingten<br />

Ausfall- und Standzeiten.<br />

53 Europaweites Servicenetzwerk.<br />

Als Bestandteil von Ford Pro verbindet<br />

Ford Liive Sie europaweit mit Ihrem<br />

Transit Center vor Ort.<br />

53 Viel Leistung pro Ladung.<br />

Die hohe Reichweite und das enorme<br />

Laderaumvolumen des Ford E-Transit<br />

sprechen für sich.<br />

53 Überzeugen Sie sich selbst.<br />

Entdecken Sie die zahlreichen Vorteile<br />

des Ford E-Transit bei einer Probefahrt.<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von Jan<br />

Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

8 Fotos der Woche<br />

16 Grafik der Woche<br />

18 Menschen<br />

48 Leserbriefe<br />

Rubriken<br />

90 Salon<br />

95 Buch & Welt<br />

96 Kultur-Macher<br />

102 Bestseller<br />

124 Die Einflussreichen<br />

128 Nachrufe/ Namen<br />

129 Impressum<br />

130 Tagebuch<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong> 5


WIRTSCHAFT<br />

Warten auf<br />

100 Milliarden Euro<br />

Erst wurde die Bundeswehr kaputtgespart.<br />

Jetzt soll sie ein gigantisches Sondervermögen<br />

bekommen. Nur: Wann kommt das Geld und wohin<br />

damit? Das Geschacher hat längst begonnen.<br />

Zeit für einen Truppenbesuch an vorderster Front<br />

54<br />

TEXT VON THOMAS TUMA UND MARCEL WOLLSCHEID<br />

FOTOS VON INGMAR BJÖRN NOLTING


TITEL<br />

Wo ist der Feind?<br />

Auf dem Truppenübungsplatz<br />

Bergen in der Heide<br />

hat die Panzergrenadierbrigade<br />

37 jüngst mit<br />

anderen europäischen<br />

Verbänden den Ernstfall<br />

geprobt – als schnelle<br />

Nato-Eingreiftruppe. Hier wird<br />

auch scharf geschossen.<br />

Rechts neben dem Sicherheitsposten<br />

sondieren<br />

zwei Soldaten gerade<br />

die Lage, ihre Waffen<br />

im Anschlag<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong> 55


KULTUR<br />

It’s Only<br />

Rock ’n’ Roll<br />

… aber was für einer. Die Rolling Stones<br />

feiern ihr 60-jähriges Bandjubiläum mit<br />

einer ausgedehnten Europatour.<br />

Für zwei Stadion-Konzerte kommen sie<br />

auch nach Deutschland. Hingehen? Aber klar<br />

doch! Wir erklären in 60 Punkten, warum sie<br />

die größte Rockband aller Zeiten sind<br />

TEXT VON JOACHIM HENTSCHEL<br />

Ron Wood<br />

Der Gitarrist ist seit<br />

1975 Juniorpartner<br />

in der Band. Am 1. Juni<br />

feiert er seinen<br />

75. Geburtstag<br />

82 <strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong>


Steve Jordan, 65<br />

Der enge Freund der Band<br />

ersetzt den verstorbenen<br />

Charlie Watts am Schlagzeug<br />

Nimm dies,<br />

Pandemie!<br />

Die Stones beim<br />

letzten Auftritt ihrer<br />

„No Filter“-Tour<br />

am 23.11.2021 im<br />

„Hard Rock Live“<br />

in Hollywood<br />

Mick Jagger<br />

Ewiger Frontmann und<br />

Rockvolkstribun:<br />

78 Jahre alt inzwischen,<br />

aber durchtrainiert<br />

wie stets<br />

Keith Richards<br />

Wird nächstes Jahr 80<br />

– was bei seinem<br />

Lebenswandel nicht<br />

viele für möglich<br />

gehalten hätten<br />

Foto: Jason Koerner/WireImage<br />

83


LEBEN<br />

Dieses Haus hat die<br />

Hotellerie in Deutschland<br />

geprägt wie<br />

kaum ein anderes<br />

Direkt vor der Boutique<br />

Schaibles,<br />

un weit der Lichtentaler<br />

Allee,<br />

steht ein schwarz<br />

glänzender Rolls-<br />

Royce-Oldtimer.<br />

Nicht so einer, der<br />

für Hochzeitsfotos gemietet wird, weniger<br />

museal, sondern ernst gemeinter Luxus.<br />

Darin sitzt ein Herr im Anzug mit nachgeschwärztem<br />

Haar und schaut auf seinem<br />

Smartphone die Aufzeichnung eines klassischen<br />

Konzerts auf YouTube an. Es wird<br />

wild dirigiert auf seinem kleinen Bildschirm,<br />

derweil die Gattin vermutlich elegante<br />

Nachtwäsche bei Schaibles kauft.<br />

In jeder anderen Stadt als Baden-Baden<br />

würde eine Szene wie diese Aufmerksamkeit<br />

schüren. In Hannover oder Berlin<br />

fährt man ja eher E-Roller als Rolls-<br />

Royce. Als Bewohner dieses Kurorts im<br />

Schwarzwald aber, mit seinen mondänen<br />

Thermalbädern, den am Hügel gelegenen<br />

Villen und dem Schloss Versailles<br />

nachempfundenen Casino, der Stadt mit<br />

der – nach Heidelberg – höchsten Millionärsdichte<br />

Baden-Württembergs, ist man<br />

derlei Straßenszene gewohnt.<br />

Es ist eine andere Welt, hier ist der alte<br />

Luxus zu Hause. Und das hat auch mit<br />

„Brenners Park-Hotel“ zu tun, das gerade<br />

sein 150. Jubiläumsjahr feiert. Es gehört zu<br />

den teuersten Hotels in Deutschland, war<br />

das erste mit Pool, Miterfinder der Spa-<br />

Kultur, sicher aber auch ein Haus, an dem<br />

sich deutsche Geschichte erzählen lässt.<br />

Das „Brenners“, wie es in liebevoller<br />

Kurzform genannt wird, liegt an der Oos,<br />

einem lieblich plätschernden Flüsschen,<br />

in den schon mal ein Tisch gestellt wird,<br />

wenn ein Gast ausgerechnet dort dinieren<br />

möchte. Und zum Dessert kann man seiner<br />

Liebsten einen Diamanten servieren<br />

lassen. Es sind Geschichten wie diese,<br />

von der ein historisches Haus lebt. Man<br />

könnte das „Brenners“ die Mutter der<br />

Grandhotellerie nennen.<br />

Pralinen, frische Blumen, Champagner<br />

„Unser Anspruch ist nicht Zufriedenheit,<br />

sondern Begeisterung“, sagt Hoteldirektor<br />

Henning Matthiesen beim Afternoon Tea<br />

in der „Oleander Bar“, benannt nach dem<br />

Tierfreundlich<br />

Hotelkatze Kléopatre<br />

mit Bambi:<br />

2019 wurde die<br />

Trophäe in Baden-<br />

Baden verliehen<br />

Weitläufig<br />

Der Hotelpark<br />

an der Lichtentaler<br />

Allee reicht<br />

bis an die Oos<br />

legendären Galopper, der zwischen 1927<br />

und 1929 dreimal den Großen Preis von<br />

Baden in Iffezheim gewann. Weiche Teppiche,<br />

vor dem Kamin ein weißes Sofa, auf<br />

der Etagere Tramezzini und Macaron Forêt<br />

Noire, kreiert von Pierre Hermé in Paris.<br />

„Wir sind nur so gut wie die Suppe,<br />

die wir gerade serviert haben“, sagt der<br />

Chef in seinem in hanseatischer Perfektion<br />

sitzenden Anzug. 300 Mitarbeiter erfüllen<br />

alle Wünsche, und das auf eine besondere<br />

Art. Wer zum Dinner allein am Tisch<br />

sitzt, wird in eine freundliche Unterhaltung<br />

verwickelt, darf sich den Grill in der<br />

Küche anschauen und mit dem Kellner<br />

über diese fantastische Kaffeesauce zum<br />

Rind schwärmen. Wer zum Frühstück zwei<br />

Kaffee beim Roomservice bestellt und nur<br />

einen bekommt, wird bei der Nachlieferung<br />

mit einem Schokoladengeschenk<br />

bedacht. Auf dem Zimmer Pralinen, frische<br />

Blumenbouquets, Champagner<br />

sowieso. Wünsche der Gäste aufspüren,<br />

bevor sie selbst merken, dass sie welche<br />

haben: So geht Luxushotellerie.<br />

Stammgäste sind eine wichtige Zielgruppe.<br />

Wie Lady Hermé de Wyman Miró,<br />

die seit 1937 herkommt und vor ein paar<br />

Jahren ihren 100. Geburtstag hier feierte.<br />

Es gibt Herren, die ihren Tee jeden Tag<br />

zur selben Zeit am selben Tisch in der<br />

„Oleander Bar“ einnehmen, dabei lesen,<br />

ein bisschen beobachten, die Flasche<br />

Wasser bleibt den Tag über am Tisch stehen<br />

bis zum Abend. Es gibt Stammgäste,<br />

die über Monate bleiben, Witwen in Pelz<br />

und mit schwerem Schmuck, jeden Abend<br />

mit neuer Begleitung, an wechselnden<br />

Tischen – immer herzlich empfangen.<br />

Drei Restaurants gehören zum Hotel.<br />

Eines ist außerhalb des Hauses im Park<br />

gelegen. Eines im Wintergarten. Dort<br />

kocht sich Küchenchef Alexander Mayer<br />

in Richtung Stern. Zur Livemusik am<br />

Piano gibt es Zweierlei vom Wagyu-Rind.<br />

Nebenan im „Fritz&Felix“wird ein Rindertartar<br />

serviert, das manche Gäste als Vorund<br />

als Nachspeise bestellen.<br />

Die Geschichte des „Brenners Park-<br />

Ho tel & Spa“ beginnt 1872 mit der Ersteigerung<br />

des Hotels „Stéphanie-les-Bains“<br />

durch den Hofkleidermacher Anton Alois<br />

Brenner. Sein Sohn Camille übernimmt<br />

1883, erweitert das Hotel um den benachbarten<br />

Kurhof, macht es in den Jahren bis<br />

zum Ersten Weltkrieg zu einem international<br />

anerkannten Haus. Er stellt es in den<br />

USA vor, hält Kontakte zum benachbar ten<br />

Frankreich, nach Russland. Nach Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges gehört Baden-Baden<br />

zur französischen Besatzungszone, das<br />

Militär nutzt das Hotel jahrelang als Ver-<br />

Fotos: Brenner's Park Hotel, Jürgen Feuerer/Prisma<br />

102 <strong>FOCUS</strong> <strong>22</strong>/20<strong>22</strong>

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