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Nullerjahre • Programmheft

Zuschlagen oder selbst zum Opfer werden? Für Hendrik und seine Freunde ist die Antwort klar. Als Teenager im Stralsund der 2000er Jahre müssen sie bereit sein, wenn die Fäuste fliegen. Denn im Ernstfall hilft ihnen niemand. In Knieper West, einer Plattenbausiedlung, ziehen ältere Jugendliche mit Bomberjacken durch die Straßen und machen alle fertig, die ihnen in den Weg kommen. Zuhause werden solche Probleme ignoriert, weil die Eltern mit ihren eigenen Sorgen überfordert sind. Von den Verantwortlichen in den Schulen hört man nur gut gemeinte Ratschläge. Wer überleben will, muss also härter werden. Deswegen gehen Hendrik und seine Clique zum Kampfsport und trainieren. Das kommt auch bei den Mädchen – wie Caro – gut an. Die restliche Freizeit verbringen sie mit Rap und Drogen, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Dabei beschäftigen sie sich wie alle anderen in ihrem Alter auch mit den Fragen des Erwachsenwerdens: Wer bin ich? Und wo gehöre ich hin? Im rasenden Rhythmus eines Rap-Songs erzählt Hendrik Bolz von seiner rauen Jugend im Osten der Nachwendezeit. Obwohl diese Generation bereits in einem vereinigten Land aufgewachsen ist, hatte sie andere Voraussetzungen als die Gleichaltrigen in den westlichen Bundesländern. Ein schonungsloser, ehrlicher und kluger Blick auf ein vergangenes Jahrzehnt, der zum Verständnis der heutigen bundesrepublikanischen Gegenwart beiträgt. Regie: Karin Herrmann Bühnen- und Kostümbild: Sebastian Schrader Dramaturgie: Karoline Felsmann Theaterpädagogik: Franziska Golk Hendrik: Tom Bartels Caro, Trainer, Junge, Lippe, Nadja, Janine, Laura, Lehrerin: Clara LunaDeina Tino, Kramer, Renzow, Basti: Patrick Gees

Zuschlagen oder selbst zum Opfer werden? Für Hendrik und seine Freunde ist die Antwort klar. Als Teenager im Stralsund der 2000er Jahre müssen sie bereit sein, wenn die Fäuste fliegen. Denn im Ernstfall hilft ihnen niemand. In Knieper West, einer Plattenbausiedlung, ziehen ältere Jugendliche mit Bomberjacken durch die Straßen und machen alle fertig, die ihnen in den Weg kommen. Zuhause werden solche Probleme ignoriert, weil die Eltern mit ihren eigenen Sorgen überfordert sind. Von den Verantwortlichen in den Schulen hört man nur gut gemeinte Ratschläge. Wer überleben will, muss also härter werden. Deswegen gehen Hendrik und seine Clique zum Kampfsport und trainieren. Das kommt auch bei den Mädchen – wie Caro – gut an. Die restliche Freizeit verbringen sie mit Rap und Drogen, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Dabei beschäftigen sie sich wie alle anderen in ihrem Alter auch mit den Fragen des Erwachsenwerdens: Wer bin ich? Und wo gehöre ich hin? Im rasenden Rhythmus eines Rap-Songs erzählt Hendrik Bolz von seiner rauen Jugend im Osten der Nachwendezeit. Obwohl diese Generation bereits in einem vereinigten Land aufgewachsen ist, hatte sie andere Voraussetzungen als die Gleichaltrigen in den westlichen Bundesländern. Ein schonungsloser, ehrlicher und kluger Blick auf ein vergangenes Jahrzehnt, der zum Verständnis der heutigen bundesrepublikanischen Gegenwart beiträgt.

Regie: Karin Herrmann
Bühnen- und Kostümbild: Sebastian Schrader
Dramaturgie: Karoline Felsmann
Theaterpädagogik: Franziska Golk

Hendrik: Tom Bartels
Caro, Trainer, Junge, Lippe, Nadja, Janine, Laura, Lehrerin: Clara LunaDeina
Tino, Kramer, Renzow, Basti: Patrick Gees

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Nullerjahre –

14+

Jugend in blühenden

Landschaften

nach dem Roman von Hendrik Bolz

Bühnenfassung von Karin Herrmann

Hendrik

Caro, Trainer, Junge, Lippe, Nadja, Janine,

Laura, Lehrerin

Tino, Kramer, Renzow, Basti

Tom Bartels

Clara Luna Deina

Ferdinand Nowitzky

Regie Karin Herrmann

Bühnen- & Kostümbild Sebastian Schrader

Dramaturgie Karoline Felsmann

Theaterpädagogik Franziska Golk

Regieassistenz/Soufflage/Inspizienz Vladislav Weis/Sandra Vogel

Technische Leitung Peter Jeske Werkstattleitung Steffen Wolf Produktionsleiterin

Helene Seitz Technische Einrichtung Sven Kirchhöfer Beleuchtung Christian

Koschinsky Tontechnik Luke-Gene Krause Leitung der Kostümabteilung (kommissarisch)

& Gewandmeisterin Cornelia Weise Maske Claudia Schönberg Requisite

Andreas Ellerfeld Remix „Mein Herz tanzt“ Leon Haller

Premiere am 19. Januar 2024, Studio

Dauer 1 h 35 min (keine Pause)

Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

„Nullerjahre“ von Hendrik Bolz © 2022, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Hinweis zum Aufführungsbesuch

In der Inszenierung gibt es mehrere Stellen expliziter Beschreibungen und szenische Umsetzungen

von Gewalt und Diskriminierung.

Impressum

→ Die neue Bühne dankt

Blumen Mädler für die Premierenrosen.

neue Bühne Senftenberg, Theaterpassage 1, 01968 Senftenberg

Intendant Daniel Ris Gestaltung www.pingundpong.de, Öffentlichkeitsarbeit Redaktion Dramaturgie

Foto Steffen Rasche Textnachweis Intro aus: Hendrik Bolz: Nullerjahre – Jugend in blühenden Landschaften,

Köln 2022; Songtext Teenage Werwolf aus: Zugezogen Maskulin – alle gegen alle, Four Music 2017

→ Gefördert mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.


„I can’t

stop

raving“

Intro von „Nullerjahre“

[…] Ich komme aus dem Osten, und zwar

nicht Friedrichshain oder Prenzlauer Berg,

nicht Potsdam oder Connewitz. Nein, ein

anderer Osten, ganz am Rande von Deutschland,

wo man zu DDR-Zeiten nicht mal mehr

Westfernsehen empfangen konnte, das

Tal der Ahnungslosen in Vorpommern. Ich

komme aus der wunderschönen Hansestadt

Stralsund, dem Durchschnittsdeutschen

nur von den tollen Urlauben bekannt, die

man hier machen kann, Meeresmuseum,

Ozeaneum, Weltkulturerbe, Backsteingotik,

Störtebeker, Wallenstein, Fischbrötchen,

Hafenrundfahrt. Die wenigsten Touristen

verirren sich wohl in mein altes Viertel

Knieper West, zwischen dessen Blöcken,

einst gebaut für über zwanzigtausend DDR-

Bürger, ich aufgewachsen bin.

In Ostdeutschland spielt meine Geschichte

und die meiner Vorfahren, hier hat die DDR

mich noch 1988 in Leipzig auf ihrem Sterbebett

auf die Welt geworfen, während draußen

die montäglichen Friedensgebete in der

Nikolaikirche schon stetig mehr Besucher

anlockten. Hier bin ich in einer Umbruchgesellschaft

groß geworden, in einer Zeit, die

den neuen Bundesländern und den neuen

Bürgern einiges abverlangte, zerrieben im

Chaos der kollidierenden Systeme, mit all

seinen Verwüstungen und Verwerfungen:

Kalte mahlende Transformationsprozesse,

luftleerer Raum, anomische Zustände,

rechte Gewalt, Deindustrialisierung, leer

stehende Fabrikhallen, Grasbewuchs auf

rostigen Schienen, ausgepackte Ellbogen,

Vereinzelung, soziale Entmischung, Drogenschwemme,

Diktaturprägungen, Politikverdrossenheit,

Resignation, Geburtenknick,

Gangsterrap, ausblutende Landstriche, Massenarbeitslosigkeit,

Abwertung, Abstieg,

Scham, Schuld, Schweigen, Schweigen,

Schweigen. […]

Es ist 2021 und nach wie vor strampelt etwas

in mir, das ich in all meinen Häutungen nicht

einfach abstreifen konnte, das ungeduldig

auf seine Bearbeitung wartet. Aber was

genau eigentlich? Hinter den Erinnerungen

[…], da liegt noch ein anderer Teil meiner

Jugend vergraben. Ein Teil, von dem ich

irgendwann nicht mehr sprechen wollte und

nach dem niemand je ernsthaft gefragt hat,

ein anderer Hendrik, ein dunkler Fleck, verscharrt,

kaschiert, überschminkt. Ein Ort,

an dem Schneeregen an ungeputzte Fenster

prasselt, taube Gesichter ins Leere starren,

scharfe Worte sich in die Seele brennen,

höhnisches Lachen erklingt. Ein Ort mit

überquellenden Aschenbechern, dem

Klingeln leerer Bierflaschen, wo eine Bong

umkippt und Schmandwasser in den Teppich

sickert. Ein Ort mit Chemiegeschmack

im Rachen, harten Fäusten, die in wehrlose

Körper krachen, kaputt gekloppten,

beschmierten Spielplätzen, Blut auf Gummiboden,

stumpfen Kinderaugen, Knochenknacken,

OP-Licht. Mit Scheißegeruch von den

umliegenden Feldern, pastellgepinselten

Plattenbauten, Bomberjacken, Möwengeschrei,

Hafenglocken, Sprottenköpfen,

Donnergrollen, Sturmflut, Filmriss. […]

Hendrik Bolz


Songtext von Zugezogen Maskulin

Ich bin ein Teenage Werwolf

Der Mond scheint auf Golf und Garten

Die gelben Laternen zerschneiden die

Nacht

Schluckt jedes Geräusch, nur mein Atmen

Umringt von Bauern, mit Fackeln und

Stöcken und Schlägern

Auf meim‘ Schädel

Bleib‘ liegen im Schlamm und der Pisse von

Uwe & Heiko

Mein Fell tropft im Nebel

Und Punk war tot und die Zeit stand still

In diesem Dorf am Rande vom Wald

Da warn‘ nur du und ich gegen alle

Loser in Menschengestalt

Doch wenn der Mond durch die

Baumkronen schien

Heult‘ ich wütend und gleichsam verzückt

Die Bauern bebten vor Angst

Doch wir holten uns uns‘re Würde zurück

[…]

Was bringt mir dein scheiß Ärztelied

Wenn ich im Dreck liege und auf meine

Fresse krieg

Schreie nach Liebe, ja geil, du bist schlau

Ich schrei zurück, denn Liebe will ich auch

Wir laufen über Autos, wenn wieder paar

mucken

Und spring‘ in die Fresse

Wer ist jetzt die Schwuchtel?

So wie deine Drecksgymnasiasten warn‘

wir nie

Und jetzt gib mir mal die Bong, Sido ist bei

MTV

Mein Zimmer war eng, klein und muffig

Punk war tot und das Lego verstaubt

Durch die Straßen dröhnte die Stille

Und dann kam da dieser Sound

Drück auf Play, wir zeigen‘s dir

[…]

Hendrik Bolz

Biografie des Autors

Hendrik Bolz, geboren 1988 in Leipzig, wuchs in der Plattenbausiedlung Knieper West in

Stralsund auf und zog Ende der Nullerjahre nach Berlin, wo er ein Studium in den Sand

setzte, in der Redaktion der Internetseite rap.de arbeitete und schließlich beschloss,

selbst Rapper zu werden. Heute bildet er unter dem Namen Testo eine Hälfte der Band

„Zugezogen Maskulin“ und wurde vor allem mit dem Song „Plattenbau Ost“ bekannt.

2019 hat Bolz in einem Essay in der Wochenzeitung „Der Freitag“ von Gewalterfahrungen

in seiner ostdeutschen Jugend erzählt. Der Journalist Christian Bangel hat daraufhin

den Hashtag #Baseballschlägerjahre initiiert. Im Februar 2022 erschien Bolz literarisches

Erstlingswerk „Nullerjahre“, das bereits mehrfach an verschiedenen Theatern auf

die Bühne gebracht wurde. Hendrik Bolz wirkte bei den Podcasts „Zum Dorfkrug – Der

Podcast von Zugezogen Maskulin“ und „Springerstiefel – Fascho oder Punk?“ mit und

verbreitet damit weitere Perspektiven und Geschichten auf die Nachwendezeit und die

Nullerjahre in der ehemaligen DDR.

@hendrik.bolz


v.l.n.r. Ferdinand Nowitzky, Tom Bartels & Clara Luna Deina


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