04.06.2018 Views

Spectrum #1 2018

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Freiheit braucht das Forum SRG<br />

Zwang gegen Freiheit – zu diesem grossen Kampf<br />

rufen die Initianten von „No Billag“ in einem aussergewöhnlich<br />

intensiven Abstimmungskampf auf.<br />

Die Entscheidung am 4. März sollte also allen Liberalen<br />

leichtfallen – wären sie leichtsinnige, libertäre<br />

Ideologen. Ein freiheitliches politisches System bedingt<br />

ein demokratisches öffentliches Forum, wo<br />

sich in einem Wettstreit der Argumente schliesslich<br />

die beste Position durchsetzt. Es stimmt, dass die<br />

Programme der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft<br />

in einem klassischen ökonomischen<br />

Modell den Markt verzerren. Bloss: Informationen<br />

sind kein Produkt wie eine Aubergine oder<br />

ein Besen, Informationen erfüllen eine öffentliche<br />

Funktion. Sie stellen sicher, dass die Bevölkerung<br />

der Schweiz unabhängig von Wohnort, Muttersprache<br />

oder allfälliger Seh- oder Hörbehinderungen in<br />

den Meinungsbildungsprozess involviert sein kann.<br />

Sollte sich das Staatsverständnis der libertären „No<br />

Billag“-Initianten durchsetzen, dürfen wir uns<br />

bald auf Crowdfunding-Kampagnen zur Finanzierung<br />

der neuen Kantonsstrasse zwischen Bulle und<br />

Greyerz oder zum Erhalt der Theologischen Fakultät<br />

Freiburg freuen. Nur Staatsausgaben, welche der<br />

Sicherung des Eigentums (lies: des Reichtums der<br />

privilegierten Oberschicht) dienen, sollen natürlich<br />

weiterhin von der Allgemeinheit finanziert werden.<br />

Punktejagd statt Studium durch Bologna<br />

Die Zürcher Studierendenzeitung berichtete im<br />

vergangenen Dezember von einem Studenten,<br />

der in seinem Jus-Master an der Universität Zürich<br />

84 ECTS-Punkte in nur einem Semester gemacht<br />

hat. Gegenüber der Sonntagszeitung, die die Geschichte<br />

Ende Januar ebenfalls aufgegriffen hat, appellierte<br />

die Dekanin der Rechtswissenschaftlichen<br />

Fakultät an die Eigenverantwortung der Studierenden,<br />

sich vertieft mit der Materie auseinanderzusetzen<br />

und meinte, es handle sich beim zitierten<br />

Beispiel um einen Einzelfall.<br />

Bei 84 Kreditpunkten in einem Semester mag<br />

es sich aufgrund des Ausmasses tatsächlich um<br />

einen Einzelfall handeln. Dem ist aber nicht so,<br />

wenn man das Konzept dahinter betrachtet: Die<br />

Praxis, möglichst viele Punkte in ein Semester zu<br />

packen, ist verbreitet – auch an der Uni Freiburg.<br />

Dass Studierende ihre Eigenverantwortung wahrnehmen<br />

und ihr Studium nach inhaltlichen statt<br />

effizienzsteigernden Kriterien organisieren, wäre<br />

zweifelsohne wünschenswert. Eine Mehrheit der<br />

Studierenden tut dies auch – nichtsdestotrotz<br />

wäre es falsch, die grossen akademischen Punktejägerinnen<br />

und Punktejäger als Einzelfälle abzutun.<br />

Bestünden tatsächlich Zweifel daran, dass die öffentlichen<br />

Fernseh- und Radiokanäle einen anderen<br />

Auftrag verfolgen, als durch ihre Programme auf<br />

sachgerechte, neutrale Weise zur Bildung, Kultur,<br />

Meinungsbildung und Unterhaltung des Landes<br />

beizutragen, können diese bis vor Bundesgericht<br />

vorgebracht werden. Die effektiv gerügten Inhalte<br />

bewegen sich jedoch jedes Jahr im niedrigen einstelligen<br />

Bereich. Das zeigt, dass die Initianten zwar<br />

vorgeben, gegen ein einseitiges Staatsmedienhaus<br />

anzukämpfen, tatsächlich aber mit ihrem Wunsch<br />

nach einem freien Medienmarkt tendenziösen<br />

Massenmedien Tür und Tor öffnen. Anhand der<br />

Entwicklungen bei der gedruckten Presse lässt sich<br />

unschwer erahnen, dass die öffentliche Finanzierung<br />

nicht nur von Abonnementslösungen, sondern<br />

auch von Financiers mit politischen Intentionen<br />

abgelöst werden würde. Es stehen sich bei<br />

der kommenden Abstimmung also nicht Zwang<br />

und Freiheit gegenüber. Gefällt wird der Entscheid<br />

zwischen einem Medienhaus, das für die Werte<br />

der Schweiz einsteht und der Ausgewogenheit<br />

verpflichtet ist und einer ungewissen medienpolitischen<br />

Zukunft, welche zwar keinen demokratischen,<br />

dafür umso intensiveren ökonomischen<br />

Zwängen unterworfen ist.<br />

Das Problem der Bolognaschen Punktejagd liegt<br />

denn auch tiefer als nur gerade bei der angeblich<br />

mangelnden Eigenverantwortung der Studierenden:<br />

Zum einen im Bologna-System selbst, das<br />

durch das konsequente Quantifizieren universitärer<br />

Leistungen das ökonomische Effizienzdenken<br />

unter Studierenden begünstigt. Zum anderen wird<br />

diese Denkweise verstärkt durch die oftmals auf rein<br />

ökonomischer Ebene geführten Diskussionen und<br />

Massnahmen in der Bildungspolitik: Stellenabbau,<br />

Einsparungen, Erhöhung von Studiengebühren.<br />

Und gleichzeitig sollen Studierende in Eigenverantwortung<br />

jegliche ökonomische Denkweise bei<br />

der Organisation ihres Studiums im Keim ersticken.<br />

Um der grossen Punktejagd ein Ende zu setzen,<br />

macht Michael Hengartner, Rektor der Uni Zürich,<br />

gegenüber Radio SRF mehrere Vorschläge. Der grosse<br />

Haken: Er versucht, Feuer mit Feuer zu bekämpfen<br />

und schlägt etwa die Einführung von Abschlussprüfungen<br />

vor, um Studierende dazu zu bringen,<br />

vernetzt zu denken.<br />

Es geht bei dieser Kritik nicht um Vor-Bologna-Nostalgien,<br />

aber Fakt ist: Das Bologna-System offenbart<br />

mit der ständigen Quantifizierung aller Leistungen<br />

eine gravierende Schwäche.<br />

KOMMENTAR<br />

Lorenz Tobler<br />

Noah Fend<br />

02-03.<strong>2018</strong><br />

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