29.10.2019 Views

Spectrum_5_2019

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

DEBATTE<br />

Text Selina Grossrieder<br />

Foto Valentina Scheiwiller und Linda Mürset<br />

Ein Gesetz mit Anlaufschwierigkeiten<br />

In der Herbstsession erarbeitete der Ständerat einen neuen Vorschlag zur Revision des CO 2<br />

-Gesetzes. Dies<br />

nachdem ein Entwurf des Nationalrates letzten Dezember kläglich scheiterte. Eine Debatte mit Sergio<br />

Rossi und Ivo Wallimann-Helmer.<br />

Demonstrantinnen und Demonstranten<br />

fordern eine Flugsteuer und ein<br />

Vorschlag vom Ständerat will dies<br />

ins neue CO 2<br />

-Gesetz aufnehmen.<br />

Eine sinnvolle Massnahme?<br />

WH: Steuern können in einem liberalen<br />

Staat einen sinnvollen Hinweis darstellen,<br />

wie wir uns klimafreundlicher verhalten<br />

können. Die Belastung der einzelnen Personen<br />

darf aber nicht so ausfallen, dass<br />

weniger finanzstarke Menschen stärker<br />

belastet sind als Besserverdienende. Im<br />

Rahmen der Flugsteuer müsste also eine<br />

Umverteilung stattfinden, um soziale Ungleichheiten<br />

auszugleichen. Trotzdem<br />

muss eine Steuer wehtun, sonst bewirkt<br />

sie nichts.<br />

R: Dieser Vorschlag basiert auf dem Verursacherprinzip:<br />

Wer die Umwelt belastet,<br />

muss auch dafür bezahlen. Konkret wird<br />

die Steuer wahrscheinlich kaum Auswirkungen<br />

haben, abgesehen von einem<br />

Transfer im Haushaltsbudget. Die Massnahme<br />

ist ein Wassertropfen im Meer und<br />

bleibt ein symbolischer Akt, um zu zeigen,<br />

dass wir besorgt um unsere Umwelt sind.<br />

Warum fordern dann viele Demonstrantinnen<br />

und Demonstranten die<br />

Flugsteuer?<br />

R: Die Massnahme ist scheinbar wirksam,<br />

unkompliziert und in ihrer Umsetzung<br />

gerecht. Doch wie auch bei der Mehrwertsteuer<br />

würde eine Abgabe auf Flugtickets<br />

nicht alle in gleicher Weise treffen,<br />

sondern disproportional auf der Mittelschicht<br />

lasten. Wirksam ist die Steuer<br />

wahrscheinlich auch nicht, schliesslich<br />

trennen sich viele Raucherinnen und<br />

Raucher auch nicht von ihren Zigaretten,<br />

nur weil eine Steuer darauf erhoben wird.<br />

WH: Die Flugsteuer ist eine Massnahme,<br />

die sich sehr bildlich verkaufen lässt. Dabei<br />

vergisst man andere Bereiche der Klimapolitik<br />

wie Anpassungsmassnahmen<br />

oder die technische Manipulation des<br />

Klimas, die genauso wichtig sind. Grundsätzlich<br />

ist jeder Schritt in Richtung Emissionsreduktion<br />

ein Schritt in die richtige<br />

Richtung. Ich denke, dass eine Flugsteuer<br />

Sergio Rossi (links) und Ivo Wallimann-Helmer (rechts)<br />

auch dann Auswirkungen auf unsere<br />

Emissionen haben wird, wenn sie nicht<br />

allzu hoch angesetzt ist. Wenn sie dementsprechend<br />

kommuniziert wird, dann<br />

trägt sie zumindest zur Bewusstseinsbildung<br />

bei.<br />

Wie schon von Ihnen erwähnt, Herr<br />

Rossi, basiert das CO 2<br />

-Gesetz 2020<br />

auf dem Verursacherprinzip. Was<br />

halten Sie davon?<br />

R: Es ist ein schlechtes Prinzip. Implizit<br />

gibt es Menschen, deren Verhalten umweltschädlich<br />

ist, das Recht, nichts daran<br />

zu ändern, sofern sie es sich leisten können.<br />

Unser Motto sollte stattdessen lauten:<br />

Wir verschmutzen die Umwelt nicht.<br />

Punkt. Dafür müssen wir unsere Einstellung<br />

zur Natur grundlegend ändern.<br />

Das ist allerdings schwierig, denn Besitz<br />

ist zum Prestigesymbol geworden. Dass<br />

die Auswirkungen des Klimawandels in<br />

unserer Region noch kaum merkbar sind,<br />

erschwert ein verändertes Bewusstsein<br />

gegenüber der Umwelt zusätzlich.<br />

WH: Wenn es um unsere Emissionen geht,<br />

ist das Verursacherprinzip ein plausibles<br />

Gerechtigkeitsprinzip. Gleichzeitig muss<br />

die Politik zu Emissionsreduktionen aber<br />

auch an andere Gerechtigkeitsfragen gekoppelt<br />

bleiben. Wir dürfen niemanden<br />

mit Steuern belasten, die oder der unterhalb<br />

des Existenzminimums lebt. Ein gutes<br />

CO 2<br />

-Gesetz berücksichtigt also auch<br />

Fragen wie soziale Ungerechtigkeiten und<br />

Umverteilung. ■<br />

Sergio Rossi<br />

Sergio Rossi ist Professor für Makroökonomie,<br />

Geldtheorie und Geldpolitik an<br />

der Universität Freiburg.<br />

Ivo Wallimann-Helmer<br />

Ivo Wallimann-Helmer ist ausgebildeter<br />

Philosoph und angewandter Ethiker und<br />

forscht an der Universität Freiburg zu Fragen<br />

der Klima- und Umweltgerechtigkeit.<br />

11.<strong>2019</strong><br />

5

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!