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DEBATTE<br />
Text Selina Grossrieder<br />
Foto Valentina Scheiwiller und Linda Mürset<br />
Ein Gesetz mit Anlaufschwierigkeiten<br />
In der Herbstsession erarbeitete der Ständerat einen neuen Vorschlag zur Revision des CO 2<br />
-Gesetzes. Dies<br />
nachdem ein Entwurf des Nationalrates letzten Dezember kläglich scheiterte. Eine Debatte mit Sergio<br />
Rossi und Ivo Wallimann-Helmer.<br />
Demonstrantinnen und Demonstranten<br />
fordern eine Flugsteuer und ein<br />
Vorschlag vom Ständerat will dies<br />
ins neue CO 2<br />
-Gesetz aufnehmen.<br />
Eine sinnvolle Massnahme?<br />
WH: Steuern können in einem liberalen<br />
Staat einen sinnvollen Hinweis darstellen,<br />
wie wir uns klimafreundlicher verhalten<br />
können. Die Belastung der einzelnen Personen<br />
darf aber nicht so ausfallen, dass<br />
weniger finanzstarke Menschen stärker<br />
belastet sind als Besserverdienende. Im<br />
Rahmen der Flugsteuer müsste also eine<br />
Umverteilung stattfinden, um soziale Ungleichheiten<br />
auszugleichen. Trotzdem<br />
muss eine Steuer wehtun, sonst bewirkt<br />
sie nichts.<br />
R: Dieser Vorschlag basiert auf dem Verursacherprinzip:<br />
Wer die Umwelt belastet,<br />
muss auch dafür bezahlen. Konkret wird<br />
die Steuer wahrscheinlich kaum Auswirkungen<br />
haben, abgesehen von einem<br />
Transfer im Haushaltsbudget. Die Massnahme<br />
ist ein Wassertropfen im Meer und<br />
bleibt ein symbolischer Akt, um zu zeigen,<br />
dass wir besorgt um unsere Umwelt sind.<br />
Warum fordern dann viele Demonstrantinnen<br />
und Demonstranten die<br />
Flugsteuer?<br />
R: Die Massnahme ist scheinbar wirksam,<br />
unkompliziert und in ihrer Umsetzung<br />
gerecht. Doch wie auch bei der Mehrwertsteuer<br />
würde eine Abgabe auf Flugtickets<br />
nicht alle in gleicher Weise treffen,<br />
sondern disproportional auf der Mittelschicht<br />
lasten. Wirksam ist die Steuer<br />
wahrscheinlich auch nicht, schliesslich<br />
trennen sich viele Raucherinnen und<br />
Raucher auch nicht von ihren Zigaretten,<br />
nur weil eine Steuer darauf erhoben wird.<br />
WH: Die Flugsteuer ist eine Massnahme,<br />
die sich sehr bildlich verkaufen lässt. Dabei<br />
vergisst man andere Bereiche der Klimapolitik<br />
wie Anpassungsmassnahmen<br />
oder die technische Manipulation des<br />
Klimas, die genauso wichtig sind. Grundsätzlich<br />
ist jeder Schritt in Richtung Emissionsreduktion<br />
ein Schritt in die richtige<br />
Richtung. Ich denke, dass eine Flugsteuer<br />
Sergio Rossi (links) und Ivo Wallimann-Helmer (rechts)<br />
auch dann Auswirkungen auf unsere<br />
Emissionen haben wird, wenn sie nicht<br />
allzu hoch angesetzt ist. Wenn sie dementsprechend<br />
kommuniziert wird, dann<br />
trägt sie zumindest zur Bewusstseinsbildung<br />
bei.<br />
Wie schon von Ihnen erwähnt, Herr<br />
Rossi, basiert das CO 2<br />
-Gesetz 2020<br />
auf dem Verursacherprinzip. Was<br />
halten Sie davon?<br />
R: Es ist ein schlechtes Prinzip. Implizit<br />
gibt es Menschen, deren Verhalten umweltschädlich<br />
ist, das Recht, nichts daran<br />
zu ändern, sofern sie es sich leisten können.<br />
Unser Motto sollte stattdessen lauten:<br />
Wir verschmutzen die Umwelt nicht.<br />
Punkt. Dafür müssen wir unsere Einstellung<br />
zur Natur grundlegend ändern.<br />
Das ist allerdings schwierig, denn Besitz<br />
ist zum Prestigesymbol geworden. Dass<br />
die Auswirkungen des Klimawandels in<br />
unserer Region noch kaum merkbar sind,<br />
erschwert ein verändertes Bewusstsein<br />
gegenüber der Umwelt zusätzlich.<br />
WH: Wenn es um unsere Emissionen geht,<br />
ist das Verursacherprinzip ein plausibles<br />
Gerechtigkeitsprinzip. Gleichzeitig muss<br />
die Politik zu Emissionsreduktionen aber<br />
auch an andere Gerechtigkeitsfragen gekoppelt<br />
bleiben. Wir dürfen niemanden<br />
mit Steuern belasten, die oder der unterhalb<br />
des Existenzminimums lebt. Ein gutes<br />
CO 2<br />
-Gesetz berücksichtigt also auch<br />
Fragen wie soziale Ungerechtigkeiten und<br />
Umverteilung. ■<br />
Sergio Rossi<br />
Sergio Rossi ist Professor für Makroökonomie,<br />
Geldtheorie und Geldpolitik an<br />
der Universität Freiburg.<br />
Ivo Wallimann-Helmer<br />
Ivo Wallimann-Helmer ist ausgebildeter<br />
Philosoph und angewandter Ethiker und<br />
forscht an der Universität Freiburg zu Fragen<br />
der Klima- und Umweltgerechtigkeit.<br />
11.<strong>2019</strong><br />
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