ST:A:R_28
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Städteplanung / Architektur / Religion<br />
Buch V – EHALT 33<br />
Кристиан Хуберт Эхальт, науный референт города Вены, координатор Венских лекций, воодушевленный преподаватель университета<br />
*<strong>ST</strong>/A/R* Gespräch mit Christian Hubert Ehalt<br />
Wissenschaftsreferent der Stadt Wien, Koordinator der Wiener Vorlesungen, begeisterter Universitätslehrer.<br />
Fragen von Christian Denker<br />
Welches Buch hast Du als Kind gerne gelesen?<br />
Die griechischen Götter- und Heldensagen (König Ödipus,<br />
Herakles); König Artus und seine Tafelrunde – meine Sympathien<br />
hatten die Ritter Gawein, Iwein, weil er einen Löwen<br />
hatte, der an seiner Seite war, Parzival und Tristan; aber auch<br />
der finstere Hagen aus der Nibelungensage war interessant für<br />
mich; bis zum Alter von 12 Jahren habe ich Comics mit Rittern<br />
gezeichnet. Ich liebte auch die Mickey Mouse, Onkel Donald<br />
mit seiner wunderbaren entschleunigten Lebensphilosophie<br />
und die Neffen Tick, Trick und Track („wir pfeifen auf Pomade,<br />
auf Seife, Kamm und Schwamm und bleiben lieber dreckig<br />
und wälzen uns im Schlamm“, ca. 1957/58).<br />
Welche Dichter liest Du gerne?<br />
Ich lese Bücher und Texte von meinen Freunden, besonders<br />
von Franz Schuh, weiter zurück: Michel de Montaigne, Voltaire,<br />
besonders gern Diderot (Jacques le fataliste), Flaubert<br />
(Bouvard et Pécuchet), Theodor Fontane, Thorstein Veblen,<br />
natürlich Jean-Paul Sartre und Albert Camus, Tom Wolfe und<br />
Jonathan Franzen, von Michel Houellebecqs ersten Büchern<br />
(Ausweitung der Kampfzone) war ich sehr beeindruckt, und<br />
Botho Strauss schätze ich sehr... Das ist natürlich nur die Spitze<br />
eines mächtigen Eisberges.<br />
Wo machst Du Urlaub?<br />
Urlaub mache ich nie oder immer; ich versuche stets mein Umfeld<br />
als fremdes Land zu sehen, was meistens nicht schwer fällt;<br />
meine Arbeitswelten, das Rathaus und die Universitätshäuser,<br />
beobachte ich als Ethnologe wie „fremde Stammesgesellschaften“,<br />
und in fast jede Kommunikation versuche ich Momente<br />
der Ritualstörung oder der (selbst)Reflexion zu integrieren und<br />
damit etwas tendenziell punktuell Neues zu ermöglichen; so<br />
werden viele „normale“ Tage zu ungewöhnlichen Tagen. Die<br />
große Zahl von Arbeitsaufgaben, die ich als Wissenschaftsreferent<br />
der Stadt Wien für meinen Arbeitgeber zu bewältigen<br />
habe, fordert jedoch Routine genauso wie Originalität und<br />
Organisations- und Managementfähigkeit. Ich versuche, durch<br />
die Freude an Problemlösung und den Kontakt mit meinen ArbeitspartnerInnen<br />
ein größtmögliches Maß an Vergnügen, das<br />
dem Urlaubsvergnügen vergleichbar ist, aus meiner Arbeit zu<br />
ziehen. Urlaub mache ich also eigentlich nicht, weil ich meine<br />
Arbeitsaufgaben ständig mitnehme und Probleme, wenn sie<br />
auftreten, am liebsten am selben Tag löse, damit sie mich nicht<br />
in die Nacht verfolgen.<br />
Gerne aber bin ich „on the road“, als Wanderer, als Radfahrer<br />
und natürlich auch als Autofahrer. Ich liebe Autobahnstationen<br />
südlich von Neapel um 2 Uhr in der Früh zum Beispiel.<br />
Sehr gerne bin ich in Italien, drei-, viermal im Jahr in Venedig,<br />
die Frauen in einem normalen Supermarkt wie z.B. Coop sind<br />
so schön, so charmant, so freundlich, wie man sie in keinem<br />
Werbefilm für Italien besetzen könnte. Italienerinnen und Italiener<br />
gehen so liebevoll und verständnisvoll mit Kindern um, und<br />
ich kann mich kaum daran erinnern, jemals betrunkene oder<br />
randalierende Jugendliche in Italien erlebt zu haben (Vorsicht,<br />
Ehalt’s Romantisierung). In Italien begrüßt und verabschiedet<br />
man sich jetzt mit „ciao bello“, „ciao bella“. Ich verstehe nicht,<br />
warum dieses Land gegenwärtig diesen Regierungschef hat. Sie<br />
hatten doch vorher mit Romano Prodi einen sachverständigen,<br />
kompetenten, demokratischen, charmanten und auch gut aussehenden<br />
Spitzenpolitiker... Die Welt wird von Widersprüchen<br />
regiert.<br />
Sehr gerne und möglichst oft bin ich natürlich in Paris, über 250<br />
Theaterplätze, ca. 50 kenne ich bereits.<br />
Welches Land würdest Du gerne besuchen?<br />
Ich hätte gerne eine feste außereuropäische Aussichtswarte<br />
auf die Welt, die für mich auch Heimat ist; vielleicht wird das<br />
Buenos Aires oder Montevideo.<br />
Was ist für Dich wichtig bei der Forschung (Lehre?)<br />
Ein enger konzentrischer Kreis meiner Identität und Persönlichkeit<br />
ist Wissenschaft und Vermittlung, Forschung und Lehre.<br />
Meine kulturwissenschaftlichen Analysen des Alltäglichen aus<br />
historischer Perspektive, meine ethnographischen Untersuchungen<br />
der „fremden Stämme“, die mich umgeben, sind für mich<br />
Forschungs- und Vermittlungsgegenstand. Der „Alltag der Menschen“<br />
war und ist ein unbekannter Kontinent. Die Herrschaftsinstanzen<br />
und Institutionen haben ihre Selbstdarstellungsrituale<br />
und ihre Repräsentationsrhetorik. Dabei kommen die Interessen<br />
der Machtträger, der Funktionäre zum Ausdruck, nicht so sehr<br />
aber die Strukturen und Interdependenzen, in denen sich das<br />
Handeln der Akteurinnen und Akteure manifestiert; kaum<br />
kommt zum Ausdruck, wie es den Menschen geht, die sich auf<br />
dieser Welt in einer schlechten Situation befinden, „ganz unten“.<br />
Ich interessiere mich bei meinen Beobachtungen und wissenschaftlichen<br />
Analysen der Welt für Theorie und Praxis der Gesellschaft,<br />
insbesondere dort, wo Gesellschaft ein „oben“ und ein<br />
„unten“ formiert, wo doch mehr Symmetrie, mehr Gleichrangigkeit,<br />
mehr Akzeptanz und Menschlichkeit jedenfalls möglich<br />
wäre. Die Ausgangsthese für meine Arbeit ist, dass die (Welt-)<br />
Geschichte voll ist von Millionen Situationen, die zeigen, welche<br />
Interaktionen, welche Handlungsabläufe, welcher Umgang der<br />
Menschen miteinander möglich waren und sind: da spannt sich<br />
ein Spektrum auf zwischen Gewalt, Diktatur, Gewaltlegitimation<br />
und Gewaltdurchsetzung mit neuer Gewalt auf der einen Seite,<br />
und von jedenfalls versuchten demokratischen Ordnungen mit<br />
weniger Gewalt, größerer gegenseitiger Akzeptanz auf der anderen<br />
Seite. Diktaturen und Gewalt einerseits und Demokratie und<br />
Symmetrie andererseits sind nicht durch Biologie und Evolution<br />
festgeschrieben. Geschichte ist ein gestaltbarer Prozess, in dem<br />
es jeden Tag die Möglichkeit für alle Akteurinnen und Akteure<br />
gibt, das Demokratische anzupeilen. Die Geistes-, Kultur- und<br />
Sozialwissenschaften können in Forschung und Lehre bei der<br />
Aufklärung der Verhältnisse durch Analyse und Dokumentation<br />
und im Hinblick auf die Gestaltung demokratischer Verhältnisse<br />
wichtige Anstöße geben. Für mich sind die Geistes-, Kultur- und<br />
Sozialwissenschaften Aufklärungsinstanzen, die die Etablierung<br />
und Bewahrung demokratischer Gesellschaftssysteme untersuchen,<br />
unterstützen und begleiten können.<br />
Universitäre Lehre sehe ich als möglichen „Paradiesraum“. Es<br />
besteht für eine bestimmte zeitlich begrenzte Zeitspanne die<br />
Möglichkeit, mit Studentinnen und Studenten in einer herrschaftsfreien<br />
kollegialen, oft freundschaftlichen Kommunikation<br />
ein Thema zu erarbeiten. Stundenlang mit hoher Konzentration<br />
und Vergnügen an der Aufhellung ein Thema einzugrenzen, die<br />
Probleme deutlicher zu sehen, die Fragen deutlicher zu formulieren.<br />
Wie lautete der Titel Deiner letzten<br />
Lehrveranstaltung?<br />
Kunst und Aggression: Sublimierung, Aktion, Zivilisationsprozess<br />
Wie viel Zeit verbringst Du vor dem Computer?<br />
Der Schreibtisch steht neben dem Computer, die Geschichte<br />
eines Arbeitstages lässt sich also auch mit der Arbeit vor und<br />
mit dem Computer darstellen: Fragen werden gestellt, Anfragen<br />
beantwortet, Sachverhalte werden zusammengefasst, Probleme<br />
werden aus einer Perspektive strukturiert. So entsteht<br />
über den Computer als Medium ein ununterbrochener Dialog<br />
in Echtzeit mit vielen Akteurinnen und Akteuren.<br />
Wie viele Bücher hast Du in etwa editiert?<br />
In den Buchreihen, die ich herausgebe und einleite, sind etwa<br />
350 Bücher erschienen. Dort, wo ich Struktur, Thema und<br />
MitautorInnen plane, einlade und als bandverantwortlicher<br />
Herausgeber fungiere, sind’s über 50 Bücher.<br />
Wo fühlst Du Dich besonders wohl? Warum?<br />
Mit meiner Frau zu Hause an einem Samstag oder Sonntag<br />
bei Sonnenschein im Garten, wenn ich Projekte strukturiere,<br />
Texte schreibe, Korrekturen lese; im Kreise meiner<br />
KollegInnen in meinem Büro, bei der Gestaltung und<br />
Erledigung der Arbeitsaufgaben, immer dann, wenn der<br />
Erledigungszeitdruck nicht extrem groß ist; in meinen<br />
Lehrveranstaltungen: gegenwärtig gibt es seit ein paar<br />
Jahren wieder einen intellektuellen Paradiesraum für mich<br />
an der Universität für angewandte Kunst Wien, wo ich<br />
besonders bunte, schillernde interessierte und liebenswerte<br />
StudentInnen habe.<br />
Welche Musik hörst Du gerne?<br />
Claudio Monteverdi, Orfeo, Poppea; Mozart, Don Giovanni;<br />
Verdi, Rigoletto; Schubert, Winterreise, Müllerin; Jacques<br />
Offenbach, Hoffmanns Erzählungen; Richard Strauss, Rosenkavalier,<br />
Arabella, Frau ohne Schatten; Eric Satie, die Beatles,<br />
Jacques Brel, Georges Brassens, Hip-Hop und The Distillers,<br />
z.B. City of Angels.<br />
Christian Ehalt<br />
Mit welchen Wiener Vorlesenden hast Du Dich<br />
besonders gut verstanden?<br />
Vilém Flusser, Marion Dönhoff, Pierre Bourdieu, Heinz von<br />
Foerster, Eric J. Hobsbawm, Ruth Klüger...<br />
Wen würdest Du zukünftig gerne zu den Wiener<br />
Vorlesungen einladen?<br />
Giorgio Agamben, Jürgen Habermas, Juli Zeh,...<br />
Wer waren Deine Eltern? Hast Du Geschwister?<br />
Mein Vater war Geschäftsführer einer internationalen Speditionsfirma,<br />
meine Mutter im Haushalt, hat sich intensiv für<br />
bildende Kunst und Literatur interessiert. Meine Schwester,<br />
die leider früh verstorben ist, war Englisch-Professorin an der<br />
Pädagogischen Akademie.<br />
Welchen Kinofilm wirst Du demnächst ansehen? Wo?<br />
„Habemus Papam“ von Nanni Moretti. Meine Lieblingskinos<br />
sind das Stadtkino, das De France, das Votiv-Kino und das Filmcasino.<br />
Dort habe ich zuletzt „El Secreto de sus Ojos“ von Juan<br />
José Campanella über die Diktatur in Argentinien gesehen. Das<br />
Kino war bis zum letzten Platz besetzt, vor allem junge Leute.<br />
Der Film und die Stimmung im Kino haben mich erinnert an<br />
den Film „Z“ von Constantin Costa-Gavras.<br />
Hast Du einen bevorzugten Filmregisseur?<br />
Fellini, Amarcord; Bergman, Abend der Gaukler; Bertolucci,<br />
1900 und Il conformista; Jim Jarmusch, Coffee and Cigarettes<br />
und Dead Man; Bent Hamer, O Horten;<br />
Welches Buch hast Du zuletzt gekauft?<br />
Sönke Neitzel, Harald Welzer: Soldaten; Kwame Anthony Appiah,<br />
Eine Frage der Ehre oder Wie es zu moralischen Revolutionen<br />
kommt;<br />
Welches Museum besuchst Du gerne?<br />
Im Kunsthistorischen Museum bin ich gleichsam aufgewachsen,<br />
habe dort stets Freundinnen und Freunde getroffen, habe<br />
dort geführt, war mit den LeiterInnen bekannt und befreundet,<br />
stehe mit vielen Bildern in einem ständigen Dialog. Fasziniert<br />
bin ich von den beiden „Wiener Pelzchen“, spärlich mit Pelz<br />
bekleidete Damen; die eine, die mir sehr gut gefällt, hat Tizian<br />
gemalt, und Hélène Fourment von Rubens. Tintoretto, der halb<br />
Venedig mit großformatigen Bildern ausgestattet hat, hat mit<br />
„Susanna im Bade“ ein gleichermaßen erotisches, delikates,<br />
feines Bild gemalt. Wunderbar sind Tizians Porträt des Herrn<br />
Parma und die Rosenkranzmadonna von Caravaggio, aber auch<br />
die niederländischen Landschaftsbilder...<br />
Univ. Prof. Dr. Hubert Christian Ehalt wurde 1949 in Wien geboren. Er studierte Geschichte,<br />
Kunstgeschichte, Soziologie, Philosophie, Psychologie und Pädagogik. Seit 1984 ist er als Wissenschaftsreferent<br />
der Stadt Wien für die Förderung von Wissenschaft und Forschung verantwortlich. Gemeinsam mit seinem<br />
Team in der Kulturabteilung hat er das Projekt der Wiener Vorlesungen kontinuierlich ausgebaut. Er ist ein<br />
begeisterter Lehrender an verschiedenen Universitäten, u.a. am Ludwig Boltzmann Institut für historische<br />
Anthropologie. Er ist Vorsitzender einer Vielzahl von Förderungsfonds, Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze<br />
und Herausgeber mehrerer Buchreihen zu kulturwissenschaftlichen Themen. Der Dreh • und Angelpunkt seiner<br />
breitgefächerten Forschungsinteressen, zur Geschichte von Kultur, Bildung, Mentalität, Zivilisation, Kunst,<br />
Alltag, Politik, Wissen und Wissenschaft, ist das Geschehen in und um Wien. Für seine Arbeit wurde er vielfach<br />
ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderungspreis der Arbeiterkammer Wien (1978, für seine Dissertation<br />
„Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft“), dem Förderungspreis der Stadt Wien für Wissenschaft und<br />
Volksbildung (1979), dem Theodor-Körner-Preis (1981), dem Leopold-Kunschak-Preis (1997), der Ehrenmedaille<br />
der Internationalen Nestroy Gesellschaft (2000), dem Goldenen Ehrenzeichen der Wirtschaftsuniversität<br />
Wien (2003), als Ehrensenator der Technischen Universität Wien (2006), der Medaille „Bene merito“ der<br />
Österreichischen Akademie der Wissenschaften (2007).<br />
Welches Museum besuchst Du öfter?<br />
Ich liebe Museen, weil sie sich professionell und – jedenfalls<br />
vom Wunschhorizont am aktuellen Stand der Zeit – mit Geschichte,<br />
mit Erinnerung, mit Gedächtnis, mit der materiellen<br />
Kultur der Vergangenheit auseinandersetzen. Geschichte ist ja,<br />
wenn sie im alltäglichen Handeln geschieht, ständig unter Zugzwang,<br />
alles schnell, schnell, nicht genau zu Ende gedacht, nur<br />
rasch zum bestmöglichen in der Kürze erreichbaren Ergebnis;<br />
die Voraussetzungen und die Folgen von Handlungen können<br />
nur unzureichend bedacht werden. Die wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit Geschichte bietet Zeit und Raum, sich<br />
mit dem, was im gegenwärtigen Handeln mehr oder weniger<br />
improvisiert geschieht, in extenso, im Detail unter Berücksichtigung<br />
von Faktoren, die den Handelnden nicht bekannt waren<br />
und sind, auseinanderzusetzen. Und diese Auseinandersetzung<br />
kann tendenziell ständig neu begonnen, von einer anderen Seite<br />
her entwickelt werden. Die Museen sind ein Ort dafür: Ort der<br />
„permanenten Konferenz“ (Joseph Beuys) über Geschichte und<br />
Gegenwart. Gute Museen können sich kritisch mit Mythen und<br />
Mythologisierungen auseinandersetzen, wie das z.B. dem Wien-<br />
Museum mit der Ausstellung „Alt-Wien, die Stadt, die niemals<br />
war“ gelungen ist.<br />
Was isst Du gerne<br />
(zum Frühstück, zu Mittag, am Abend)?<br />
Als Kind war ich sehr heikel, und vom Garten der Essenslüste<br />
war mir nur ein kleiner Ausschnitt zugänglich. Bei meinen<br />
ersten frühen abenteuerlichen Reisen im Alter von 15 – 20<br />
Jahren bin ich im Hinblick auf die Objekte des Verzehrs und<br />
deren Zubereitungsarten polyglott geworden. Mittlerweile mag<br />
ich alles, was frisch und gut zubereitet ist. Ernsthaft überlege<br />
ich mir zur vegetarischen Ernährung überzugehen, da fehlen<br />
aber noch ein paar wichtige Schritte.<br />
Wo speist Du gerne?<br />
Ich esse sehr sehr gerne mit Menschen, die ich liebe, schätze,<br />
mit denen ich gerne zusammen bin; ganz ganz selten habe<br />
ich bisher alleine gegessen. Schön für mich ist ein langes<br />
Gespräch bei einem langen und guten Essen, in etwa so, wie<br />
es Louis Malle in „Essen mit André“ beschreibt. Man sollte<br />
gut sitzen können, ein weißes Tischtuch und Stoffservietten<br />
habe ich sehr gerne, und einen architektonisch interessant<br />
und freundlich, warm gestalteten Raum; das Ambiente kann<br />
aber auch radikal einfach sein – wie die arabischen Häuser, die<br />
Albert Camus beschreibt –; dann ist nur der Gastgeber und die<br />
Speise da (z.B. auf einer Schutzhütte im Gebirge). Ich liebe sie<br />
alle, die schönen Essens-Orte zwischen dem Unterschlupf, der<br />
vor Regen und Kälte schützt, und den Villen z.B. im Veneto.<br />
Apropos Villen im Veneto: die List der Vernunft hat diese<br />
schönen Orte – nachdem die Gesellschaften demokratisiert, die<br />
Dynastien zum Teil ausgestorben sind – jedenfalls zum Teil<br />
der Allgemeinheit zugänglich gemacht.<br />
Meine Lieblingslokale sind die „Oliva Verde“, ein italienisches<br />
Restaurant, das von einem Türken (Le monde méditerrané!)<br />
geführt wird, der die besten Seezungen in Wien zubereitet, das<br />
„Salzamt“, wo zwei wunderbare serbische Köchinnen wirken,<br />
das Café Landtmann, das mir von meinem Stammtisch (Tisch<br />
17) Aussicht auf die beiden Häuser meines Lebens – Rathaus<br />
und Universität Wien – gewährt.<br />
Hat Dich die Lektüre eines Philosophen<br />
beeinflusst?<br />
Ja, selbstverständlich. Albert Camus (Der Fremde, Die Pest,<br />
Der Mythos des Sisyphos, Der Mensch in der Revolte), auf<br />
meiner Promotionsanzeige habe ich Camus zitiert: „Die<br />
Freiheit ist ein Gefängnis, so lange ein einziger Mensch in<br />
Unfreiheit lebt“, Jean-Paul Sartre, Friedrich Nietzsche, dem<br />
man als junger Mann kaum ausweichen kann, Horkheimer,<br />
Adorno, deren Dialektik der Aufklärung (1944) in den letzten<br />
20 Jahren ständig wachsende Aktualität gewonnen hat, und<br />
natürlich Michel Foucault, Norbert Elias, Pierre Bourdieu und<br />
Richard Sennett, die ich ja auch noch persönlich kennengelernt<br />
habe.<br />
Wie wichtig ist für Dich Deine eigene<br />
künstlerische Produktion?<br />
Meine künstlerische Arbeit ist für mich wichtiger als alles<br />
andere; obwohl ich in meinem Leben nur vielleicht 10 größere<br />
Kunstprojekte mit Ausschließlichkeitsanspruch durchgeführt,<br />
gestaltet habe, ist mein ganzes Leben durch künstlerische<br />
Perspektive, künstlerische Arbeit, künstlerische Gestaltung<br />
durchdrungen, ohne dass ich damit etwas über die Qualität<br />
meiner Arbeit sagen möchte. Im Grunde sehe ich alle Gestaltungsaufgaben,<br />
die mir aufgetragen sind, auch aus dieser<br />
künstlerischen Perspektive zwischen Ästhetik und „Existenzanalyse“,<br />
Auseinandersetzung mit Tabus, etc.<br />
Gehst Du in die Oper?<br />
Die Oper habe ich bis zu meinem 30. Lebensjahr als antiquierte<br />
Kunstform bekämpft; nach einer Übergangsphase von<br />
einigen Jahren hole ich das Versäumte nach. Ich kenne die<br />
meisten Opernhäuser der Welt und deren Eigentümlichkeiten<br />
in Architektur, Akustik, Publikum, Programm, Regie, etc.<br />
Was gibt es sonst zu tun?<br />
Das ist eine fast unzulässige Grundsatzfrage. Man/frau<br />
sollten die ihnen aufgegebenen Fragen und Aufgaben<br />
kompetent, menschenfreundlich, in der Kommunikation<br />
demokratisch und symmetrisch beantworten bzw. lösen. Intellektuelle<br />
Fragen lassen sich nicht definitiv beantworten.<br />
Je differenzierter der Umgang mit ihnen ist, umso mehr<br />
Fragen tun sich auf. Beziehungen lassen sich nicht nach<br />
einem „Beziehungshandbuch“ optimal leben; da sind Reglements<br />
und Ratschläge sowieso falsch. Man kann sich nur<br />
von Situation zu Situation, von Stunde zu Stunde aufs Neue<br />
bemühen, und wahrscheinlich macht man trotzdem viele<br />
Fehler. Im Hinblick auf deine Frage bin ich völlig ratlos.<br />
Ich glaube jedenfalls nicht an Ratgeber und schon gar nicht<br />
an folgende Wegweiser:<br />
- Ich glaube nicht, dass es möglich ist, eine ausgewogene<br />
„Work-Life-Balance“ zu finden. Das entspricht doch den<br />
neoliberalen Verhältnissen, die „Work“ und „Life“ einerseits<br />
trennen wollen, weil Work ja das Feld ist, bei dem<br />
Arbeitgeber/Management/Shareholder maximale Profite<br />
generieren, aber nicht teilen wollen, andererseits aber den<br />
ArbeitnehmerInnen weiß machen wollen, dass diese möglichst<br />
viel von ihren Life-Qualitäten (Wissen, Kenntnisse,<br />
soziale Kompetenzen) dem Work, also den von anderen<br />
privatisierten Profiten zur Verfügung stellen mögen, besser<br />
zur Verfügung zu stellen haben.<br />
- Ich glaube nicht, dass die Befolgung des Ratschlages<br />
„simplify your life“ aufgehen kann. Das Leben, pathetisch<br />
gesprochen „die menschliche Existenz“ ist gleichermaßen<br />
komplex und kompliziert. Liebe, Altern, menschliche Verluste<br />
sind nicht einfach, sollen nicht vereinfacht werden,<br />
sind nur selten wirklich bewältigbar, aufarbeitbar, alle<br />
simplen und simplifizierenden Ratschläge sind mir total<br />
suspekt.<br />
- „Burn out“ kommt vor. Es kommt sogar immer häufiger<br />
vor, weil das, was zu bewältigen ist, in vielen Bereichen<br />
von den einzelnen Menschen nicht mehr bewältigt werden<br />
kann! Aber, eine Burn-out-Gesellschaft ist nicht durch Psychotherapie,<br />
sondern nur durch Gesellschaftsveränderung<br />
zu verbessern. Psychotherapie in diesem Zusammenhang<br />
bedeutet, die Menschen wieder brauchbar zu machen, wo<br />
Gesellschaftsveränderung notwendig wäre. Es gilt, wieder<br />
Arbeits- und Lebensverhältnisse zu gestalten, die für die<br />
Menschen Offenheit und Freiheit ermöglichen:<br />
„Deheinen Rât kond ich gegeben“, heißt es bei Walther von<br />
der Vogelweide. Ich sage meine Einschätzung: man stelle<br />
sich der Komplexität des Lebens und der Aufgabenstellungen,<br />
die einem begegnen. Das ist abenteuerlich, konfrontiert<br />
ständig mit Neuem, schafft interessante Begegnungen<br />
und Perspektiven, schleudert uns ständig in neue Situationen,<br />
für die allesamt gilt, was Schnitzler einmal notiert hat:<br />
„Sicherheit ist nirgends“, und Botho Strauss im Titel eines<br />
Stückes festgehalten hat: „Das blinde Geschehen“.<br />
Seit wann liest Du den <strong>ST</strong>/A/R?<br />
Vom Beginn an. Besonders gut gefällt mir der <strong>ST</strong>/A/R, seit er<br />
das Riesenformat hat. Ich bin auch bei Print-Produkten notorisch<br />
fasziniert vom großen Format.