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Edizione Vergani No. 13

Das Vergani Wein- und Genuss-Magazin ist ein Printwerk, bei dem alles darum geht, die Philosophie unseres Traditionshauses kennenzulernen und in die «Vergani Welt» einzutauchen. Wir wünschen Ihnen viel Spass bei der Lektüre.

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Vino e Vita<br />

<strong>Edizione</strong> <strong>Vergani</strong><br />

Nº <strong>13</strong><br />

CHF <strong>13</strong>.50


Vino e Vita<br />

<strong>Edizione</strong> <strong>Vergani</strong><br />

Nº <strong>13</strong>


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Gemeinsam für die Aufklärung von Brustkrebs<br />

PINK RIBBON<br />

SCHWEIZ


Gute Weine, gutes Gewissen<br />

«Culture eats strategy for breakfast –<br />

die Kultur verspeist die Strategie zum<br />

Frühstück», dieser Spruch taucht heute<br />

sogar an renommierten Wirtschaftsuniversitäten<br />

auf. Bei <strong>Vergani</strong> käme<br />

dafür allenfalls das Abendessen infrage,<br />

ein Glas Wein würde sicher nicht<br />

fehlen, aber die Kraft der Aussage bleibt<br />

dieselbe.<br />

Kontinuierlich haben wir an<br />

unseren Werten gearbeitet, sie sind uns<br />

wichtig, weil sie unsere Unternehmenskultur<br />

prägen. Kultur ist der Teil einer<br />

Firma, der abläuft, wenn der Chef<br />

ausser Haus ist. Bei uns ist aber immer<br />

irgendein Mitglied der Familie im Haus<br />

und so definiert sich ein wichtiger Teil<br />

der <strong>Vergani</strong>-Kultur durch das Denken in<br />

und das Vorleben der Generationen.<br />

Als Familienunternehmen möchten wir<br />

nur dann Erfolg haben, wenn wir dies<br />

nicht auf Kosten von Ressourcen tun,<br />

welche das Fundament unseres künftigen<br />

Schaffens gefährden. Die nächste,<br />

sechste Generation steht bereits am Start<br />

und sie schaut uns schon jetzt auf die<br />

Finger.<br />

Wein ist ein Naturprodukt, welches<br />

dem Klimawandel in voller Härte ausgesetzt<br />

ist. Der Temperaturanstieg und<br />

die Witterungsschwankungen stellen<br />

unsere Produzenten vor immens grosse<br />

Herausforderungen. Auch wenn <strong>Vergani</strong><br />

in dieser Thematik nur ein kleines<br />

Puzzlestück ist, möchten wir Farbe be -<br />

kennen. Als Unternehmen, als Familie,<br />

als Menschen.<br />

Seit 2021 reduzieren und kompensieren<br />

wir unseren kompletten CO 2<br />

-<br />

Ausstoss, damit Sie alle Weine von uns<br />

klimaneutral geniessen können. Für<br />

unsere Firma hat dadurch ein neues<br />

Zeitalter begonnen und wir sind stolz,<br />

dadurch eine Pionierstellung im Weinhandel<br />

einzunehmen. Typisch <strong>Vergani</strong>,<br />

immer nach vorne schauen.<br />

Salute!<br />

Famiglia <strong>Vergani</strong><br />

In Sizilien zeugen sogar die Brunnen vom Multikulturalismus.<br />

Unser Coverbild zeigt die prächtige Fontana di Diana in Siracusa aus der Bildstrecke ab Seite 10.


Amici<br />

Artigianale<br />

Famiglia


UNO<br />

10 Preludio<br />

26 Die Überflieger<br />

35 Feinstoffliche Improvisation<br />

40 Mehr ist mehr<br />

46 Geschichte mit Gusto<br />

55 Amore, made in Bologna<br />

62 Befruchtung auf allen Kanälen<br />

71 Wein ist keine Kunst!<br />

DUE<br />

78 Stay wild<br />

86 Lieblingsrezepte der Amici<br />

92 Was für ein Glück!<br />

106 Marcel Gabriel – Weinexperte<br />

109 Der Aufmischer<br />

TRE<br />

118 Klare Willenssache<br />

122 Family Office<br />

125 Marc, who?<br />

128 Ideologie als Innovationskiller?<br />

<strong>13</strong>0 Impressum


Preludio<br />

10<br />

«Es ist ein<br />

kindlicher Ehrgeiz,<br />

dadurch besonders<br />

fein wirken zu<br />

wollen, dass man<br />

es anders macht als<br />

die anderen.»<br />

Bild: Flavio Karrer<br />

Zitat: Michel Eyquem de Montaigne


UNO — Amici<br />

26<br />

Die Überflieger<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


Ein herzliches wie eingespieltes Team: Céline Tschanz und Florian Bobst, Gasthof Falken, Zürich.


Bild: Gasthof Falken


UNO — Amici<br />

29<br />

Gerade mal sechs Tage hatten sie offen, dann mussten Céline<br />

Tschanz und Florian Bobst den wunderschön renovierten Gasthof<br />

Falken pandemiebedingt wieder schliessen. Mittlerweile fliegt<br />

der Vogel wieder und mit ihm eine Crew, wie es sie nur einmal<br />

gibt in Zürich.<br />

Dass mein Weg zum Gasthof Falken in der Schmiede Wiedikon in Zürich am Restaurant<br />

Hardhof am Albisriederplatz vorbeiführt, ist zwar Zufall – entbehrt aber nicht einer<br />

gewissen Symbolik. Es ist der Weg, den auch Céline Tschanz und Florian Bobst nahmen<br />

– vom Hardhof in den Falken. Im Hardhof lernte ich die beiden kennen; hier<br />

erlebte ich sie und ihr Team zum ersten Mal in ihrem Element als talentierte Gastgeber.<br />

Nie zuvor hatte ich auf so engem Raum so virtuos gelebte, unkomplizierte Gastfreundschaft<br />

erfahren. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick, Schluck und Biss.<br />

Als ich den Gasthof Falken an diesem schönen Sommertag frühnachmittags<br />

betrete, herrscht Hochbetrieb. «Es ist verrückt, heute», sagt Florian und rauscht mit<br />

zwei vollen Tellern hinaus auf die grosse Terrasse. Viele Tische sind auch nach dem<br />

Mittagsservice noch besetzt, die Sonne wirft ein fleckiges Licht durch die Blätter der<br />

grossen Bäume auf den grosszügigen Platz und die angeregt plaudernde Gästeschar.<br />

Es herrscht eine Stimmung, als hätte es nie einen Virus gegeben. Dieser aber hat<br />

Céline und Florian beinahe in den Ruin getrieben. An diesem Nachmittag ist davon<br />

indessen nichts zu spüren, die Terrasse ist voll, Florian ist im Schuss. Auftritt Céline.<br />

Knallrote Trainerhose, knallige Leoparden-Bluse, riesige Sonnenbrille. Sie wirft beim<br />

Eintreten ein laut-fröhliches «Bonjour!» in die Runde, tauscht sich sofort mit den<br />

Mitarbeitenden aus, nimmt den Raum für sich ein. Sie schaut, ob alles läuft, wie es<br />

sollte, und sie beginnt plötzlich aus vollem Hals den Refrain von Linda Perrys «What’s<br />

up» mitzusingen, der aus der Musikanlage erklingt. Sie trifft die anspruchsvolle<br />

Melodie <strong>No</strong>te um <strong>No</strong>te perfekt, Céline hat eine fantastische Stimme.<br />

«Es war mein grosser Traum, Sängerin zu werden», sagt sie anschliessend. Statt<br />

auf grossen Bühnen fand sie sich aber in einer kaufmännischen Lehre in einem Reisebüro<br />

wieder. Und wusste schon beim Abschluss: das konnte es nicht sein. Auf gut<br />

Glück bewarb sie sich, gerade mal 21-jährig, im Restaurant Rosaly’s beim Bellevue –<br />

und erhielt prompt die Stelle. Céline entdeckte ihre Leidenschaft fürs Gastgeben. «Ich<br />

brauche Menschen um mich», sagt sie strahlend. Sie liess sich zur Geschäftsführerin<br />

ausbilden. Gleichzeitig wurde jemand eingestellt, der sich als zukünftiger Vater ihrer<br />

drei Kinder herausstellen sollte: Florian Bobst. Liebe auf den ersten Blick. Florian<br />

hatte es nach einer Krankenpflegerausbildung ebenfalls ins Gastgewerbe verschlagen.<br />

Als das erste Kind kam, widmete sich Céline erst einmal dem Muttersein, während


UNO — Amici<br />

30


UNO — Amici<br />

32<br />

Florian die Hotelfachschule absolvierte und danach ins Rosaly’s zurückkehrte, um es<br />

selbst sieben Jahre lang zu leiten. «Von den Rosenbergers [der Besitzerfamilie, Anm.<br />

d. Red.] haben wir praktisch alles gelernt», sagt er. Besonders, welchen Stellenwert<br />

Mitarbeitende haben, dass Löhne rechtzeitig bezahlt und Überstunden korrekt<br />

abgerechnet werden. Es verwundert deshalb kaum, dass sich im Service des Falken<br />

einige bekannte Gesichter der Hardhof-Crew wiederfinden – allesamt Charakterköpfe,<br />

die sich mit ihrer wundersam eigenen Art ums Wohl der Gäste kümmern. Für viele<br />

Gäste dürfte dies mit ein Grund dafür sein, dem Falken immer mal wieder einen Besuch<br />

abzustatten. Es sei aber auch nicht immer einfach mit ihren Leuten, lacht Céline:<br />

«Manchmal sind wir Eltern zu Hause wie auch hier.» Ihnen sei es wichtig, dass das<br />

Team aufeinander abgestimmt ist. Sie stellten ihre Mitarbeitenden deshalb nicht aufgrund<br />

von Arbeitszeugnissen ein, sondern nach Bauchgefühl. <strong>No</strong>ch kein Chefkoch<br />

habe vorkochen müssen, ergänzt Florian. Das gelte auch für René Müller, der als<br />

Chefkoch im Falken für kulinarische Höhenflüge sorgt.<br />

Ihre offene Art bringen die beiden aber auch den Gästen gegenüber zum Ausdruck.<br />

«Wir nehmen die Leute, wie sie sind. Ich schubladisiere Menschen nicht gerne»,<br />

sagt Céline, dasselbe verlange sie vom Team. Im Hardhof sei dies einfacher gewesen<br />

als im Falken, wo etwa die doppelte Anzahl Plätze plus eine Terrasse im Auge zu behalten<br />

sind, wo zusätzlich zwei Säle auf Gesellschaften warten und wo die Zunft zu<br />

Wiedikon ihr Zunftlokal hat. Immer stärker sei im Hardhof der Wunsch nach einem<br />

eigenen Lokal geworden, sagt Florian. Im Kreis 3 sollte es sein, aber nicht mitten im<br />

trendigen Teil um den Idaplatz. Sie wollten eine Beiz für alle – egal wie jung oder alt,<br />

egal wie hip oder altbacken. «Reto <strong>Vergani</strong> hat uns auf den Falken aufmerksam<br />

gemacht», sagt Florian. Als sie von der Stadt den Zuschlag bekamen, bauten sie das<br />

Traditionsrestaurant zusammen mit dem Innenarchitekten Thomas Müller und der<br />

Stadt Zürich nach ihren Vorstellungen um und eröffneten am 11. März 2020 ein<br />

faszinierend geschmackvoll gestaltetes, urgemütliches Lokal – ein Prunkstück.<br />

Dann kam, was ihnen beinahe das Genick brach: der 16. März. Lockdown. Gerade<br />

mal sechs Tage waren sie geöffnet. «Das war heavy», sagt Florian. Céline ergänzt: «Wir<br />

hatten eine krasse Energie, dann plötzlich der Zusammenbruch.» <strong>No</strong>ch schlimmer<br />

sei jedoch der zweite Lockdown gewesen. Während Monaten brauchten sie ihr<br />

gesamtes Erspartes auf, um das Team zu halten. Vom Staat sahen sie keinen Rappen.<br />

«Wir fielen in ein tiefes Loch. Es war der pure Horror.»<br />

Doch nun fliegt der Falken wieder. Die Gäste strömen in Scharen ins geschichtsträchtige<br />

Lokal, Florian, Céline und ihre Crew sind in ihrem Element und tischen<br />

den Gästen wieder exzellente Gerichte, hervorragende Weine und ihre einzigartige<br />

Gastfreundschaft auf. «Wir ergänzen uns mega», schliesst Florian. Und Céline strahlt –<br />

bereit für weitere Liebschaften auf den ersten Blick, Schluck und Biss.


Gasthof Falken<br />

Birmensdorferstrasse 150<br />

8003 Zürich<br />

+41 44 463 55 25<br />

falken-wiedikon.ch<br />

Öffnungszeiten<br />

Mo bis Fr: 11 bis 24 Uhr<br />

Sa: 10 bis 24 Uhr<br />

So: 10 bis 23 Uhr


Morris Welti und Christoph Föry mischen mit dem Chiffon das Florhof-Areal auf.


UNO — Amici<br />

35<br />

Feinstoffliche<br />

Improvisation<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


UNO — Amici<br />

37<br />

Statt Studenten kamen zahlungskräftige Schauspielhausbesucherinnen.<br />

Statt Bier und Snacks tischen Morris Welti und Christoph<br />

Föry in der Café Bar Chiffon nun edle Weine und kulinarische<br />

Genüsse auf. Besuch bei zwei Improvisationskünstlern, die in einem<br />

denkmalgeschützten Haus in Zürich ein Bijou geschaffen haben.<br />

«Meine Geschichte ist seine Geschichte», sagt Christoph Föry und grinst. Neben ihm sitzt<br />

Morris Welti und lächelt. Beide seien sie Studienabbrecher und hätten so den Weg in die<br />

Gastronomie gefunden. Beide hätten Partnerinnen, die älter sind als sie selbst und seien<br />

zum selben Zeitpunkt Väter geworden. Die Parallelität reiche sogar bis zu den Namen<br />

ihrer Kinder (beide tragen Namen von Erzengeln). Und beide zäumten ihr gemeinsames<br />

Pferd von hinten auf. Es trägt den Namen Chiffon und ist eine Café Bar, bei der es sich<br />

eigentlich um ein Restaurant handelt. Zu Hause ist es in einer denkmalgeschützten ehemaligen<br />

Remise auf dem Florhof-Areal in Zürich, wo einst die Waren für die hier angesiedelte<br />

Seidenspinnerei angeliefert wurden. Das war vor zwei Jahrhunderten.<br />

Spinnen wir den Faden aber weiter. Es ist 2020, mitten in der Pandemie. Ein<br />

Zürcher Bierbrauer sucht für eine brandneue Café Bar an besagtem Ort einen Wirt. Es<br />

handelte sich um ein Bijou von einem Haus mit einer grossen Terrasse davor und einem<br />

lauschigen Garten auf der Rückseite. Das gemütliche Innere erhält seinen Charme<br />

durch die uralten unverputzten Gemäuer und die offene Dachkonstruktion mit den<br />

sichtbaren Holzbalken. Zum Betrieb gehört zudem ein Festsaal im Keller des Nebengebäudes.<br />

Zum ersten Mal in seiner Geschichte sollte hier auf dem Areal ein Gastronomiebetrieb<br />

zu stehen kommen. «Wir dachten, alle coolen Locations in Zürich wären<br />

weg», sagt Christoph rückblickend. Morris und er führten zu diesem Zeitpunkt das<br />

Plüsch, träumten aber schon lange von einem zweiten Betrieb – etwas Einfaches ohne<br />

Küche, da eine solche den Betrieb nur teurer und aufwendiger macht. Als sie die Anfrage<br />

erhalten, müssen sie nicht lange überlegen. Das Chiffon, wie sie das Lokal als<br />

Referenz auf den ehemaligen Seidenbetrieb nennen, wollen sie als Biergarten führen,<br />

in dem sich Studierende der nahen Hochschulen treffen.<br />

Am 9. Oktober 2020 schenken sie die ersten Getränke aus. Morris soll sich um<br />

den neuen Betrieb kümmern, während Christoph weiterhin das Plüsch führt. Sie sind<br />

sich bewusst, dass die Coronapandemie noch nicht vorbei ist und es überrascht sie<br />

kaum, als sie im Dezember wieder schliessen müssen. Erstaunter sind sie indessen, dass<br />

danach das geplante Publikum ausbleibt. Statt den Studierenden strömen nämlich<br />

Gäste mit dickerem Portemonnaie ins Chiffon – Kantonsräte, Professorinnen, Ärzte<br />

und Besucherinnen des nahe gelegenen Schauspielhauses und des Kunsthauses. Sie<br />

dürstet es nicht nach Bier zusammen mit günstigen Snacks, sondern nach edlen


UNO — Amici<br />

39<br />

Weinen und Cocktails. Dazu hochwertige kulinarische Genüsse bis hin zu vollwertigen<br />

Mahlzeiten. «Wir mussten unser Konzept komplett umstellen», sagt Morris. Sie entscheiden<br />

sich, die Küche des Plüsch, die zu diesem Zeitpunkt an Externe vermietet ist,<br />

selbst wieder zur Hälfte als Produktionsküche zum Beispiel für Süssgebäck und selbstgemachte<br />

Focaccia in Anspruch zu nehmen. In der winzigen Küche im Chiffon werden<br />

hingegen die frischen Mahlzeiten zubereitet. «Wir wurden ins kalte Wasser geworfen»,<br />

sagt Christoph und ergänzt, sie hätten dabei auch gleich einige Schuh voll rausgezogen.<br />

Sie haben nur wenig Kocherfahrung und müssen den Köchen mehr oder weniger glauben,<br />

was sie ihnen auftischen. «Wie kann man jemanden führen, dessen Arbeit man nicht<br />

richtig kennt?», fragt Morris. Doch sie haben ein weiteres Mal Glück: Mit Rico Büttner<br />

finden sie nicht nur einen Küchenchef, der sie nicht über den Tisch zieht, sondern auch<br />

einen erfahrenen Profi, der in hochklassigen Betrieben wie beispielsweise dem hippen<br />

Rosi’s gearbeitet hat. Er zeigt ihnen, was möglich ist: Wie man aus saisonalen, regionalen<br />

Produkten hochwertige Genüsse zaubert und nichts wegwerfen muss, wenn man<br />

das schon Produzierte und frische Produkte clever kombiniert. «Wir verwerten alles»,<br />

sagt Morris, steht auf und holt eine Menükarte.<br />

Neben fixen Gerichten wie Steak mit Salat oder Rico’s Kartoffelgnocchi wechsle<br />

die Karte ständig. Am Mittag wird zum Beispiel angeboten, was sich gerade im Kühlschrank<br />

finden liesse. Der sorgsame und bewusste Umgang mit Nahrungsmitteln sei<br />

für sie eine Selbstverständlichkeit. «Mit der Reaktivierung der Produktionsküche konnten<br />

wir auch das Essensangebot im Plüsch aufwerten», sagt Christoph. Und Morris ergänzt:<br />

«Wir lernen täglich dazu.» Improvisation scheint grundsätzlich ihr Credo zu sein.<br />

Neben dem Ausbau des kulinarischen Angebots und der Ergänzung der Weinkarte mit<br />

edlen Tropfen haben sie einen professionellen Bar-Chef angestellt und machen sich<br />

Gedanken, wie sie den lauschigen Garten auf der Rückseite des Hauses und den Festsaal<br />

noch besser nutzen können. Sie liebten diesen Spagat zwischen Café Bar und Restaurant,<br />

dieses Improvisieren und Weiterentwickeln, sagt Morris. «Wir sind einfach gerne Gastgeber»,<br />

sagt Christoph, denkt nach und ergänzt: «Wir mögen die vergnügte Art des<br />

Gastgebens.» Er grinst, Morris lächelt, sie schauen sich um und Christoph sagt: «Ist<br />

schon ein heftiger Ort, hier.»<br />

Café Bar Chiffon<br />

Hirschengraben 36<br />

8001 Zürich<br />

+41 43 243 60 63<br />

cafebar-chiffon.ch<br />

Mo bis Do: 11 bis 23 Uhr<br />

Fr und Sa: 11 bis 24 Uhr<br />

Lunch: 12 bis 14 Uhr<br />

Dinner: 18 bis 22 Uhr


UNO — Amici<br />

40<br />

«Mehr ist mehr»<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


In Baden zu Hause: Joel Ibernini bringt mit seiner Weinbar Armando’s einen Hauch Italianità mit ein.


UNO — Amici<br />

43<br />

In Zürich hat er sich zwar seine gastronomischen Sporen abverdient,<br />

den Traum eines eigenen Lokals hat Joel Ibernini indessen<br />

in seiner Heimatstadt Baden verwirklicht. Die urgemütliche<br />

Weinbar Armando’s Pane e Vino steckt voll von Geschichten und<br />

ein paar Flunkereien.<br />

Manche Dinge entdeckt man erst spät im Leben. Zum Beispiel, wie wohltuend eine<br />

vibrierende Kleinstadt wie Baden für einen Stadtzürcher sein kann, der bisweilen genug<br />

vom Treiben in seiner langjährigen Heimat hat. Es ist indessen nicht die Flucht aus<br />

der städtischen Dauerneurose allein, die zum Besuch des Kleinods an der Limmat einlädt.<br />

Neben der pittoresken Altstadt, der Gelassenheit der Einheimischen und dem<br />

vielfältigen kulturellen Angebot locken auch gastronomische Perlen wie das Armando’s<br />

Pane e Vino. Das schmucke Lokal liegt an der Weiten Gasse, die ihren Namen übrigens<br />

zurecht trägt, in kurzer Gehdistanz vom Bahnhof.<br />

«Zürich liegt nur 15 Zugminuten von Baden entfernt», sagt eine Besucherin, die<br />

sich im Armandos gerade ein reichhaltiges Panini «über d’Gass» zubereiten lässt, und<br />

sie ergänzt: «Unser Städtchen hat vieles zu bieten.» Offensichtlich hat sie das Gespräch<br />

mit Joel Ibernini belauscht, das sich um besagte Vorzüge Badens gegenüber Zürich<br />

dreht; hier scheut man sich offenbar nicht, auch mit Fremden das Gespräch zu suchen.<br />

Er selbst sei zwar ein Ur-Badener, sagt Joel, sein gastronomisches Wirken sei abgesehen<br />

von der Hotelfachschule in Luzern jedoch stets auf Zürich ausgerichtet gewesen. Angefangen<br />

bei der Gastronomielehre am Flughafen Zürich über die Arbeit im Hotel<br />

Zürichberg und im Schweizerhof bis hin zum Pop-up-Hotdog-Place «Dogfather» und<br />

zum Restaurant Weisses Rössli, die er beide gemeinsam mit Federico «Fede» Freiermuth<br />

(siehe <strong>Edizione</strong> <strong>Vergani</strong> 2020) ins Leben rief – stets reiste Joel für die Arbeit von der<br />

kleinen Stadt an der Limmat in die grosse Stadt an der Limmat. Zumindest bis vor<br />

Kurzem: Im April 2021 erfüllte er sich einen lang gehegten Traum und eröffnete im<br />

ehemaligen Badener Delikatessenladen Paradeis sein erstes eigenes Lokal: Armando’s<br />

Pane e Vino.<br />

Ein Bijou, das optisch mindestens so viel bietet wie lukullisch. Zuerst zum<br />

Augenschmaus – wo der Blick auch hinfällt, bleibt er hängen: an den kunterbunten<br />

sizilianischen Kacheln im Unter- und Obergeschoss, an den Regalen voller alter<br />

Flaschen, Vasen, Bücher, Einmachgläser, Siphonflaschen bis hin zu den vielen alten<br />

Schwarz-Weiss-Fotos, auf denen immer wieder ein Mann auftaucht: Armando Ibernini –<br />

Abkömmling einer italienischen Kunsthandwerkerfamilie, die von Italien bis nach<br />

Deutschland Kirchen verschönerte. Armando ist Joels Grossvater. «<strong>No</strong>nno stand mir<br />

schon sehr nahe, das Lokal ist auch ein bisschen ein Schrein für ihn», gibt der 33-Jährige


UNO — Amici<br />

44<br />

frohgemut zu. Aber eigentlich gehe es hier gar nicht um die reale Person, sondern um<br />

eine fiktive Figur: Wenn Gäste nach Armando fragen, flunkert er ihnen auch gerne<br />

mal vor, der sei gerade nicht da. «Armando ist zwar die Galionsfigur, aber Selbstinszenierung<br />

liegt mir fern», sagt Joel.<br />

Sein gastronomisches Gen hat er zudem nicht von <strong>No</strong>nno, sondern von der weiblichen<br />

Seite seiner Familie. Die italienischstämmige Urgrossmutter betrieb in Zürich<br />

im frühen 20. Jahrhundert zwei Comestibles-Geschäfte. Joels Mutter hingegen stammt<br />

aus Jamaika, von ihr hat er die Lebendigkeit und das Flair fürs Gastgeben. «Bei uns<br />

fanden regelmässig Apéros mit vielen Leuten statt und es wurden oft Partys gefeiert.<br />

Meine Mutter ist allerdings eine schreckliche Köchin», sagt er lachend. Die karibische<br />

Küche sei ihm denn auch nicht so nahe wie die italienische.<br />

Lassen wir das Auge noch ein bisschen weiterschweifen, hinaus auf den lauschigen<br />

Patio mit den knallroten Schirmen und dem alten italienischen Telefonschild, wieder<br />

hinein in die gemütliche, «modern inszenierte italienische Stube», wie Joel sie beschreibt,<br />

wo der Blick zuletzt am Weinregal mit den italienischen Tropfen hängenbleibt.<br />

«Aktuell haben wir rund achtzig Provenienzen, alle von <strong>Vergani</strong>. Wir wollen aber bald<br />

ausbauen», sagt er. Er bevorzuge Weine von kleinen Weingütern von <strong>No</strong>rd bis Süd,<br />

einen Sassicaia oder Tignanello finde man bei ihm aber nicht. Das Armando’s sei nicht<br />

nur eine Weinbar, sondern auch ein Laden, bekräftigt Joel, und alle Weine können<br />

ebenfalls «über d’Gass» gekauft werden – zum Detailhandelspreis, wie er betont. Beliebt<br />

seien auch die Geschenkkörbe. Im Zentrum des Angebots stehen im Armando’s Pane<br />

e Vini indessen die wunderbaren Panini, die alle nach Joels Vorfahren benannt und<br />

wahlweise mit Prosciutto, gegrilltem Gemüse, Ruccola, Käsespezialitäten und vielem<br />

mehr belegt sind. Während am Mittag vor allem die Paninis über den Tresen gehen,<br />

tischen Joel und seine Crew am Abend neben den Weinen auch klassisch italienische<br />

Apéritifs wie Negroni oder Cynar auf Eis und dazu «riesige» Apéro-Platten auf. «Mehr<br />

ist mehr», sagt der umtriebige Gastgeber auch mit Blick auf die Einrichtung.<br />

Er verbeisse sich gerne auch mal in etwas, wenn er eine Vision habe, gibt er zu. Eine<br />

solche hat Joel tatsächlich bereits wieder, und zwar mit Blick auf – Zürich. In der Limmatstadt<br />

will er nämlich ein weiteres Lokal eröffnen, er habe auch schon eine Lokalität<br />

in Aussicht. Damit zieht es den Ur-Badener zurück zu seinen gastronomischen Wurzeln.<br />

Bis es so weit ist, lohnt sich für Stadtzürcher aber alleweil ein Besuch im originalen<br />

Armando’s Pane e Vino – nur etwas über 15 Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt.<br />

Armando’s Pane e Vino<br />

Weite Gasse 17<br />

5400 Baden<br />

+41 56 282 00 08<br />

armandos.ch<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di bis Mi: 11.30 bis 22 Uhr<br />

Do bis Fr: 11.30 bis 24 Uhr<br />

Sa: 9 bis 24 Uhr


UNO — Amici<br />

46<br />

Geschichte mit<br />

Gusto<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


Schöne Aussichten: Gregory und (Vater) Nicolas von Graffenried auf der spektakulärsten Terrasse am Zürihorn.


UNO — Amici<br />

48<br />

Die besten Freundschaften überdauern Generationen. Wie jene<br />

zwischen den von Graffenrieds und den <strong>Vergani</strong>s. Ein Gespräch<br />

in der Fischerstube, dem jüngsten Kind der Commercio Arthouse<br />

Gruppe, über Tradition, Erneuerung und Ehrlichkeit.<br />

Während der Zürichsee noch ruhig daliegt, ziehen am Horizont bereits die düsteren<br />

Wolken des nächsten Gewitters auf. Zusehends wirkt auch das Wasser grau und aufgewühlt,<br />

ein Kursschiff eilt dem Hafen zu. Es ist ein übermässig verregneter Sommer<br />

und Nicolas von Graffenried blickt ebenso besorgt wie verärgert auf die leere Terrasse<br />

der Fischerstube, wo auf den Tischen wie Beleidigungen die Pfützen des letzten Regengusses<br />

sich lümmeln. Seit einem Monat ist die Fischerstube offen und nach den stürmischen<br />

Zeiten, die die Gastronomie wegen der Coronapandemie durchlebt hat, erhoffen<br />

sich alle auch vom Wetter etwas gnädigere Wochen.<br />

Wenden wenigstens wir den Blick von allen Unwettern ab und den sonnigen Seiten<br />

des Lebens zu. Im Inneren des Lokals ist nämlich auch um 14 Uhr noch viel los: Gäste<br />

kommen und gehen, es wird getrunken, geplaudert; es herrscht ein gesittet-fröhliches<br />

Tohuwabohu. Die Fischerstube ist das jüngste Familienmitglied der Commercio Arthouse<br />

Gruppe, zu der neben dem Commercio selbst unter anderem auch die Commihalle,<br />

das Mère Catherine mit der Bar Le Philosoph, das Bistro auf dem Stadelhoferplatz und<br />

das Collana auf dem Sechseläutenplatz gehören. Die Fischerstube ist damit auch das<br />

neueste Glied einer geschäftlichen und privaten Freundschaft, die 1974 ihren Anfang<br />

nahm – gemeint ist die Freundschaft zwischen den Familien von Graffenried und <strong>Vergani</strong>.<br />

Als am 23. <strong>No</strong>vember 1973 die Brüder Eugen und Walter Schoch – beide Eisenhändler –<br />

das Commercio eröffneten, brauchten sie Weine. Weine, die zu ihrem Gusto passten.<br />

Denn das Commercio sollte ein genussvoller Ort mit origineller Gastronomie sein und<br />

würde, wie sich herausstellte, schon bald viele Stadtzürcher Originale zu seiner regelmässigen<br />

Kundschaft zählen. Diese fühlten sich nicht nur wegen der Italianità wohl, sondern<br />

auch weil zum Commercio auch das kleinste Kino der Schweiz sowie eine gleichnamige<br />

Galerie gehörten. Genuss für Auge, Ohr und Gaumen. Was Carlo <strong>Vergani</strong> ins Spiel bringt:<br />

Der Weinhändler belieferte das Ristorante mit ausgesuchten Tropfen und so entspann<br />

sich eine Freundschaft, die über die Generationen hinweg halten würde.<br />

Ein paar Jahre später, Südafrika. Nicolas von Graffenried, der seit seinem <strong>13</strong>.<br />

Lebensjahr gewusst hatte, dass er Gastgeber werden würde, lernt am südlichen Zipfel<br />

Afrikas die Liebe seines Lebens kennen: die Tochter eines der Schoch-Brüder. Sie<br />

heiraten und Nicolas steigt ins Geschäft der Commercio Arthouse Gruppe ein. 1998<br />

übernimmt er die Geschäftsleitung und führt die Tradition von Genuss und Kultur<br />

fort. Weitergeführt wird auch die Freundschaft mit den <strong>Vergani</strong>s. Während Carlo


Fischerstube Zürihorn<br />

Bellerivestrasse 160<br />

8008 Zürich<br />

+41 44 250 59 50<br />

fischerstube-zuerich.ch<br />

Montag bis Sonntag: 11.30 bis 23.00 Uhr


UNO — Amici<br />

50


UNO — Amici<br />

52<br />

<strong>Vergani</strong> und die Schoch-Brüder die Geschichte einer Kriegsgeneration teilten, entwickelt<br />

sich zwischen Nicolas von Graffenried und Reto <strong>Vergani</strong> die Verbindung einer<br />

neuen Generation, die den Aufbruch der 1980er- und 1990er-Jahre prägt und ebenfalls<br />

die gleiche Sprache spricht. Ihre Eckwerte lauten Tradition und Innovation.<br />

«Uns verbindet grosser gegenseitiger Respekt und eine offen ausgesprochene<br />

Ehrlichkeit – auch, was geschäftliche Fragen betrifft», sagt Nicolas. Sie suchten stets<br />

gemeinsam nach Lösungen, Stürme würden zusammen überstanden. «Eine gute geschäftliche<br />

Freundschaft ist eine Mischung aus Soft und Hard Facts», sagt der Gastronom.<br />

Neben dem Traditionsbewusstsein seien sie beide Genussmenschen. «Die Chemie<br />

stimmt.» Und zwar so gut, dass sich die Familien auch privat treffen. «Man sollte nicht<br />

immer nur übers Business sprechen» – dies sagt nicht Nicolas, sondern Gregory,<br />

Nicolas’ Sohn. Womit wir bei der jüngsten Generation wären. Seit Anfang April 2020<br />

ist Gregory von Graffenried Teil der Commercio-Betriebe. Zuerst sei er gar nicht so<br />

sicher gewesen, ob er als Absolvent eines Wirtschaftsstudiums überhaupt Gastgeber<br />

werden wollte. Nach ein paar Sommerjobs in den Betrieben nahm ihn das Gastgeber-<br />

Gen seiner Eltern aber ebenfalls in Beschlag: Er wurde Teil dieser Reise – und wird<br />

in nicht zu ferner Zukunft wohl selbst das Steuer übernehmen. «Aktuell lerne ich aber<br />

noch», sagt er. Er habe schon an allen Stationen vom Tellerwäscher über die Küche<br />

bis in den Service gearbeitet. Wie sein Vater kennt er alle Betriebe von Grund auf. Wie<br />

sein Vater führt auch Gregory die Freundschaft zur <strong>Vergani</strong>-Familie fort – insbesondere<br />

zu Gianni, dem Geschäftsführer in fünfter Generation. Auch hier begegnen sich zwei<br />

Gleichtickende, auch hier treffen sich Traditionsbewusstsein und die Lust auf<br />

Erneuerung.<br />

Gregory möchte zusätzlich frischen Wind ins Unternehmen bringen: Er kümmert<br />

sich um die digitale Kommunikation, um Marketing und Social Media und er weiss,<br />

wie wichtig Geschichten und Geschichte in der derzeitigen Welt der Gastronomie sind.<br />

«Wir müssen mit der Zeit gehen, wollen aber keine kurzlebigen Hypes bedienen», sagt<br />

er. Er findet, die Gastronomie müsse farbiger werden. Trotz Digitalisierung ist er aber<br />

überzeugt von der Qualität einer Speisekarte in Papierform. Gastronomie bedeute einen<br />

direkten Austausch zwischen den Menschen. «Durch die Digitalisierung ist viel Zwischenmenschliches<br />

verloren gegangen», wendet sein Vater ein und würde wohl noch einiges<br />

dazu erzählen. Doch Gregory muss zum nächsten Termin und Nicolas schaut mit sich<br />

aufhellender Miene auf den See: mittlerweile ist die Sonne durch die sich verziehenden<br />

Gewitterwolken gebrochen und taucht das Wasser, die Terrasse und die gesamte Fischerstube<br />

in ein wunderschönes Licht. «Gastronomie bedeutet Emotionen», sagt er.


UNO — Veneto 54<br />

Genussvoll, chaotisch und voller Leben – so geht es in der Osteria<br />

Santo Bevitore von Terry und Massimo Bonzi zu und her.


UNO — Amici<br />

55<br />

Amore, made in<br />

Bologna<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


UNO — Amici<br />

57<br />

Vor 25 Jahre brachte er eine neue Italianità nach Zürich – lebensfreudig,<br />

genussvoll und manchmal auch chaotisch und laut. In der<br />

Osteria Santo Bevitore nimmt es Massimo Bonzi ein bisschen gelassener.<br />

Zumindest meistens.<br />

Beginnen wir mit einer kleinen Zeitreise. Vor 25 Jahren: Ein junger Koch, geboren in<br />

Bologna, aufgewachsen in Rimini und angestellt in Lugano, wird im Herbst von einem<br />

Kunden nach Zürich eingeladen. Die Stadt erwacht gerade aus ihrem gastronomischen<br />

Dornröschenschlaf und beginnt zu sich zu regen. Dem jungen Koch gefällt es an der<br />

Limmat und weil sich Lugano sowieso für den Winterschlaf bereit macht, nimmt er<br />

eine Stelle an. Er mag die Stadt und er bleibt.<br />

Ein paar Jahre später. Ein Restaurant im Kreis 4 – ein italienisches Ristorante<br />

wie ein Dampfkochtopf: schweisstreibend heiss, ohrenbetäubend laut, atomar lebendig.<br />

Mittendrin: Massimo Bonzi – der junge Bologneser, den es nach Zürich verschlug. Ein<br />

Mann wie Penne Arrabiata: Er kocht teuflisch gut und authentisch, begrüsst die Menschen<br />

mit einem lauten «Salve!» und findet auch für unangemeldete Gäste irgendwie<br />

noch Platz zwischen den schon durcheinanderschreienden Gästen. Massimo bringt eine<br />

Italianità nach Zürich, wie sie die Stadt zuvor nicht kannte: genussvoll, chaotisch und<br />

voller Leben. «Die Qualität in den Ristoranti in Zürich war zwar gut, aber überall<br />

herrschte das gleiche langweilige Ambiente», sagt er rückblickend. Also schuf er ein<br />

Lokal mit einer Atmosphäre, wie er sie aus Italien kannte.<br />

Drehen wir weiter am Rad. 2009. La Barraca – Massimos nächste Station, entdeckt<br />

von seiner Ehefrau Terry. Lauter, heisser, wilder. Der Dampfkochtopf auf oberster<br />

Stufe, das Ventil lässt Dampf ab. Wer die Barraca besucht, verlässt das Ristorante<br />

kulinarisch beglückt und vom Lärm betört. Die Baracca brummt. Nach zehn Jahren<br />

wird es aber selbst Massimo manchmal zu viel, er beginnt, nach einer ruhigeren Alternative<br />

zu suchen – nach einem zweiten Lokal, das auch mehr Platz bietet.<br />

Schnitt ins Heute. Massimo Bonzi sitzt an einem Holztisch in der Osteria Santo<br />

Bevitore. Er wirkt ruhiger, gelassener, aber noch immer schleicht sich ein teuflisches<br />

Funkeln in seine Augen, wenn er von seinem Konzept und der Küche Italiens erzählt.<br />

Vor zwei Jahren hat er die Osteria eröffnet. Die Baracca führen er und seine Frau daneben<br />

zwar weiter, Massimo selbst ist dort indessen nur selten anzutreffen. Terry springt<br />

hingegen ein, wenn <strong>No</strong>t an der Frau ist, serviert aber sonst im Santo Bevitore. «Das ist<br />

meine neue Heimat und meine Zukunft», sagt Massimo. Mitgenommen aus der Baracca<br />

hat er das Grundkonzept und diejenigen Gäste, die nicht auf Massimos Küche verzichten<br />

wollen, jedoch ein ruhigeres Ambiente bevorzugen. Es ist indessen nicht die<br />

Ruhe allein, die ihn hierher gebracht hat. «In der Küche des Bevitore habe ich viel mehr


UNO — Amici<br />

58


UNO — Amici<br />

60<br />

Möglichkeiten», sagt er. Eine Frito misto wäre beispielsweise in der Baracca nicht umsetzbar<br />

gewesen. Die grössere Bevitore-Küche nutzt er deshalb auch als Produktionsküche<br />

für die Baracca, deren Karte er somit auch erweitern konnte.<br />

Egal, wo Massimo wirkt – neben seinem vibrierenden Wesen ist es die Qualität<br />

seiner Gerichte, die ihn auszeichnet. Stets suche er nach den besonderen Produkten<br />

seiner Heimat: den Schinken aus Apulien, den Speck aus dem Südtirol, den Feigenkäse<br />

aus der Langhe, die Trüffel aus Bergamo. «Ich arbeite mit Food Scouts», sagt er.<br />

Dann beginnt er von einer seiner neuesten Entdeckung zu erzählen, den sizilianischen<br />

Arancini: gefüllte und frittierte Reisbällchen. Es wäre aber nicht Massimo, wenn er<br />

das Gericht einfach kopieren würde. Stattdessen hat er sich an seine Geburtsstätte<br />

Bologna erinnert und die dort beheimatete Lasagne. «Ich backe die Lasagne, lasse sie<br />

erkalten, paniere und frittiere sie und tische sie als meine Arancini mit einer Erbsenpaste<br />

und Safrancreme auf», sagt er. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen,<br />

Massimo lässt sich nicht bitten, steht auf, ruft etwas in die Küche und wenige Minuten<br />

später stehen zwei der frittierten Bällchen auf dem Tisch. «Eine Heirat zwischen<br />

Sizilien und Bologna», sagt er schelmisch.<br />

Apropos Bologna: Manche Stammgäste kommen speziell für ein Gericht, das<br />

Massimo «Bologna, mon amour» getauft hat. Die Speise beruhe auf einem alten Rezept<br />

aus der Hügellandschaft zwischen seiner Geburtsstadt und Modena: frische Pasta mit<br />

Pilzen, Hackfleisch, Trüffel, Parmigiano Reggiano und Rahm. «Im Sommer nehme<br />

ich Spargeln statt Pilze», sagt er. Doch nicht nur wegen der Küche kommen Italienfans<br />

zu ihm. Ein Blick in sein Restaurant genügt, um zu merken, dass der 51-Jährige ein<br />

Wein-Aficionado ist. Wo es eine freie Fläche hat, steht eine ausgetrunkene Weinflasche:<br />

von der Piccolo über die Doppelmagnum bis zur Methusalem sind alle Grössen vertreten,<br />

mehrere Hundert Flaschen zieren das Lokal mit den über 80 Sitzplätzen. «Ich<br />

habe 190 Etiketten im Sortiment», sagt er. Besonders zwei Produzenten hätten es ihm<br />

angetan, verrät er: die Fattoria Zerbina aus der Emilia-Romagna und das Weingut<br />

Arnaldo Caprai in Montefalco. Genug geredet. Massimo muss das Lokal für den Abend<br />

vorbereiten. EM. Italien tritt an. Es wird lebendig, chaotisch und – ja, sehr laut werden.<br />

So wie es der Bologneser eben immer noch mag.<br />

Osteria Santo Bevitore<br />

Rotwandstrasse 49<br />

8004 Zürich<br />

+41 44 242 61 61<br />

osteria-santobevitore.ch<br />

Mo bis Fr: 11.30 bis 14 Uhr, 18 bis 23 Uhr<br />

Sa: 18 bis 23.30 Uhr.<br />

Sonntags geschlossen.


UNO — Amici<br />

62<br />

Befruchtung auf<br />

allen Kanälen<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Andrin Willi


Eines muss Clemens Hunziker im Hotel Schweizerhof in Luzern nicht erfinden:<br />

Geschichten, die die Geschichte des Hauses weiterschreiben.


UNO — Amici<br />

65<br />

Was haben Kaiserin Eugénie, Leo Tolstoi, B. B. King, Nelly Melba<br />

und Kim Wilde gemeinsam? Mindestens eine Nacht im Hotel<br />

Schweizerhof Luzern, dessen Geschichte im August 1845 begann<br />

und dessen Geschichten hoffentlich niemals enden werden. Ein<br />

kleiner Besuch bei Freunden.<br />

Hotelgeschichten gibt es wie Sand am Meer, aber die Menge an Sand, die sich im Hotel<br />

Schweizerhof in Luzern in den letzten 176 Jahren in der Lobby angesammelt hat, ist so<br />

einzigartig wie unsichtbar. Der Direktor Clemens Hunziker sieht das gelassen, er schaut<br />

lieber nach vorne statt zurück. Und dennoch ist die Geschichte spürbar im Haus. Irgendwie.<br />

«Wir sind ein Festivalhotel mit eigenem Festival», sagt Clemens Hunziker und Gian<br />

Walker, der den Bereich Business Development und das hauseigene Orchester leitet, nickt.<br />

«Wer ein Festival gründet und es Jahr für Jahr organisiert und trägt, versteht, worauf es<br />

ankommt», sagt Hunziker. Tradition ist auch ein Pfeiler des Hauses, das sich seit fünf<br />

Generationen im Besitz der Familie Hauser befindet. Genau wie die Flasche Grand Cognac<br />

fine Champagne aus dem Jahre 1850. Ein Geschenk der Kaiserin Eugénie, das sie der<br />

Familie am 22. August 1865 zur feierlichen Eröffnung des vom Architekten Leonhard<br />

Zeugheer realisierten Ballsaales übergeben hat. Eine Flasche mit Symbolcharakter –<br />

schliesslich meinte die Kaiserin, dass es in Frankreich kaum schönere Prunksäle gäbe. Die<br />

Zeiten vergehen, den Saal gibt es in unveränderter Form immer noch und das Hotel hat<br />

nichts an Vitalität eingebüsst. Es ist kein Museum und kein abgehobenes Fünfsternehaus<br />

geworden, sondern ein lebhafter Ort für allerhand Genussmenschen, Sportler, Denkerinnen,<br />

Schauspieler und Musikerinnen geblieben. «Hier trifft man sich», bringt es Clemens<br />

Hunziker auf den Punkt, denn Festivals gibt es viele. «Egal, ob Fasnacht, Marathon, Blues,<br />

Klassik, Pop, Rock, Comics oder Mode», sagt er und man merkt, dass er sich nicht<br />

mühsam irgendwelche Geschichten aus den Fingern saugen muss, strotzt das Haus doch<br />

nur so vor Storytelling, man muss den Content nur noch kanalisieren und institutionalisieren.<br />

Und die Geschichten, die der Hotelier nicht mitbekommt, findet man auf den<br />

Social-Media-Kanälen der Stars und Sternchen. Aber eben, jeder Motor braucht Treib- und<br />

Schmierstoff und da kommen unter anderem auch Marcel Gerber, der Küchenchef des<br />

Hauses, und Gian Walker ins Spiel.<br />

Clemens Hunziker hat das Gastkochkonzept im Schweizerhof vor über 10 Jahren<br />

entworfen. Auch hier ist es so, dass grosse Köchinnen und Köche mit ihrer Crew für einen<br />

Abend einfliegen, um die Gäste zu überraschen. Ihre Rezepte jedoch bleiben noch zwei<br />

weitere Monate hier. Sie werden von der Küchencrew des Hotels weiterhin zubereitet, was<br />

für den Gast selbstredend kulinarische Abwechslung garantiert und die eigene Crew immer<br />

wieder anspornt und organisch weiterbringt. Auch der Netzwerkgedanke schwingt mit,


UNO — Amici<br />

66


UNO — Amici<br />

68<br />

man profitiere gegenseitig, so Hunziker. Dazu braucht man jedoch einen Küchenchef, der<br />

Grösse hat. «Marcel Gerber hat die Idee von Anfang an getragen und heute läuft das Programm<br />

wie von selbst», sagt Hunziker zufrieden; fast etwas stolz. Nicht immer sind es<br />

Profis aus fernen Ländern, die für Abwechslung sorgen, manchmal sind es auch die<br />

Nachbarn, wie zum Beispiel die Service- und Küchencrew der Schweizerischen Hotelfachschule<br />

Luzern, die für Begeisterung sorgen. «Die Köche bringen oft auch ihre Weinvorstellungen<br />

mit», sagt Gian Walker und da komme es durchaus vor, dass man auch einmal<br />

eine Palette eines spezifischen Weins selbst importieren müsse. Lieber noch wende man<br />

sich hingegen an Lieferanten, die für sie das Unmögliche möglich machen würden und<br />

die mindestens gleich offen seien wie sie selbst. Und die Highlights?<br />

«Der deutsch-iranische Spitzenkoch Mansour Memarian», sagt Clemens Hunziker<br />

wie aus der Pistole geschossen. Er ist selbst ein gelernter Koch. «<strong>No</strong>ch nie habe ich einen<br />

anderen Koch kennengelernt, der – wie ein Sommelier – jeden Geschmack und jedes<br />

Terroir im Kopf abgelegt hat und der aus dem Stegreif ideale Verbindungen knüpfen kann.»<br />

Aber auch Peter Nöthel vom damaligen Hummerstübchen in Düsseldorf habe ihn mit<br />

seiner «Lehre der perfekten Säure» tief beeindruckt. Apropos: Auf die Idee mit den Gastköchen<br />

hätten ihn Frédy Girardet und Philippe Rochat gebracht, als sie im Hotel Schweizerhof<br />

Luzern waren, erzählt er und das könnte jetzt tagelang so weitergehen, aber wir<br />

wollten doch noch über das eigene Tanzorchester sprechen und über das eigene Festival.<br />

«Bühne frei für Gian Walker», sagt Clemens Hunziker. Er lächelt, weil er weiss, dass<br />

Walker, der wie auch er die Schweizerische Hotelfachschule Luzern abgeschlossen hat,<br />

zusätzlich noch Kornettist, Trompeter und Dirigent ist. Seinen Master hat Gian Walker<br />

in der Luzerner Hochschule für Musik bei Prof. Franz Schaffner abgeschlossen. Da liegt<br />

es nahe, dass ihm Hunziker die Leitung des hauseigenen Orchesters in die Hände legt.<br />

Name des Orchesters? «<strong>No</strong>ch geheim», so Walker. Egal, ob Hausorchester oder Haus-Festival:<br />

«Wir legen sehr viel Wert auf Qualität», sagt Clemens Hunziker. Gian Walker überlässt<br />

in Sachen Musik sicher nichts dem Zufall. In Sachen «The Retro»-Festival spielen<br />

jedoch mit Sicherheit auch die langjährigen Kontakte in die Szene eine entscheidende<br />

Rolle. «Musik haben wir hier immer schon gelebt», sagt Clemens Hunziker, denn das «The<br />

Retro»-Festival bestehe bereits seit 2012. Chris de Burgh, Foreigner, Spider Murphy Gang,<br />

Bonnie Tyler, Uriah Heep, Rick Astley und, ja: Kim Wilde. Sie alle sind bereits am «The<br />

Retro»-Festival aufgetreten und haben demnach im Luzerner Festivalhotel übernachtet.<br />

«Wenn ein Chris de Burgh morgens aufsteht, aus dem Fenster schaut, ein Bild postet und<br />

dazuschreibt, hier aufzustehen sei das Grösste, dann ist das nicht nur ein Segen fürs Marketing»,<br />

sagt Clemens Hunziker. Und Gian Walker fügt hinzu: «Wer Jahr für Jahr so ein<br />

Festival auf die Beine stellt, der kann wahrscheinlich jeden Event und auch die passende<br />

Band dazu organisieren.» Wie soll man die Gesamtheit des Schaffens in einem solchen<br />

Hotel kurz und knapp beschreiben? Versuchen wir es mit: «Befruchtung auf allen Kanälen.»


Hotel Schweizerhof Luzern<br />

Schweizerhofquai<br />

6002 Luzern<br />

+41 41 410 04 10<br />

schweizerhof-luzern.ch<br />

FB: @hotelschweizerhofluzern<br />

IG: schweizerhof_luzern


Maurizio Zanella ist eine der prägendsten Winzerpersönlichkeiten Italiens. Hier zu Gast im Widder Hotel in Zürich.


UNO — Amici<br />

71<br />

Maurizio Zanella ist ein Draufgänger, ein Vordenker, der sich bedingungslos der Leidenschaft<br />

verpflichtet. Er liebt die Kunst, schnelle Motorräder und die Provokation. Wir haben<br />

den Grand Monsieur der Franciacorta im Widder Hotel in Zürich ganz bescheiden zum<br />

Espresso getroffen.<br />

«Wein ist keine Kunst!»<br />

Wäre die Cuvée Prestige von Ca’ del Bosco ein Kunstwerk,<br />

welches wäre sie?<br />

Schwer zu sagen. Ein Neoklassiker. Ich denke an<br />

«Eroi di Luce», eine imposante Marmorskulptur des 2014<br />

verstorbenen Künstlers Igor Mitoraj.<br />

Warum?<br />

Weil sie modern ist, an die Klassik lehnt, und<br />

weil sie allen gefällt.<br />

Was ist die Kunst im Marketing?<br />

Ah … um auf diese Frage eingehen zu können,<br />

muss ich zuerst etwas klarstellen.<br />

Bitte. Was?<br />

Ich unterscheide bei Wein in Commodities und<br />

Vino nobile, und damit meine ich nicht Weine von adeligen<br />

Familien, sondern Weine, die für sich sprechen,<br />

die auf «noble» Projekte zurückzuführen sind, Weine,<br />

die an einzigartigen Lagen und Orten entstehen, auf<br />

einem Terroir, bei dem die Kunst auch in dessen Aufwertung<br />

besteht. Bei solchen Weinen, die also nicht im<br />

Keller entstehen, hat Marketing meiner Meinung nach<br />

nichts zu suchen. Bei Commodities ist Marketing hingegen<br />

ein essenzieller Teil des Prozesses.<br />

Dieser interessiert Sie scheinbar nicht?<br />

Mir gefällt nicht einmal das Wort und ich verwende<br />

es auch nicht.<br />

Ist Kunst eine Form von Marketing?<br />

Eine flankierende Massnahme. Ein Wein wird<br />

nicht besser, bloss weil auf dem Weingut eine Skulptur<br />

von Igor Mitoraj abgebildet ist. Marketing reichert jedoch<br />

den Wert einer Ware an und genau das wollen wir<br />

nicht.<br />

Sie hätten auch Bildhauer werden können. Warum sind<br />

Sie Winzer geworden?<br />

Ein Künstler denkt nicht an Geld. Ein Künstler<br />

interessiert sich für etwas, er arbeitet aus Überzeugung,<br />

aus Liebe, aus Zuneigung, er muss ein Werk umsetzen.<br />

Wenn er berühmt ist und in den Markt eintritt, beginnt<br />

er eine Karriere als Händler und da beginnt auch der<br />

feine Unterschied zwischen Kunst und Business. Darum<br />

ist Wein keine Kunst! Wir müssen am Ende des Jahres<br />

Bild: Sven Germann<br />

Text: Andrin Willi


UNO — Amici<br />

72<br />

Geld verdienen, von dem ich immer am liebsten gleich<br />

das Doppelte investieren würde, um noch besser voranzukommen.<br />

Müssten wir mit unseren Weinen kein Geld<br />

verdienen, mir würde es noch besser gehen.<br />

Haben Sie schon einmal von einem Wein geträumt?<br />

Von einem existierenden Wein, ja. Von einem nicht<br />

existierenden Wein, nein. Geträumt habe ich immer davon,<br />

etwas zu erschaffen, das mich überdauert, das bleibt<br />

und das die italienische Weinwelt verändert.<br />

Sind alle Ihre Träume realisiert?<br />

Nein, da gibt es noch viel zu tun.<br />

Zum Beispiel?<br />

Die neue önologische italienische Weinwelt ist vergleichsweise<br />

jung, sie ist 50 Jahre alt und ich hatte Glück,<br />

von der Gruppe der 10 oder 15 Personen, die für dieses<br />

Rinascimento verantwortlich sind, der Jüngste zu sein.<br />

Italien muss sich international noch viel mehr Respekt<br />

verschaffen, auch davon träume ich.<br />

Wer hat Ihnen geholfen?<br />

Luigi Veronelli. Er war kein Journalist und auch<br />

kein Schriftsteller. Er war Philosoph. Ein Anarchist. Er<br />

war für mich wie ein Vater, weil er mir die echten Werte<br />

des Bodens gelehrt hat. Mein Vorteil war auch, dass ich<br />

im Weinbau keine Vorfahren hatte, ich konnte also von<br />

Anfang an alles anders machen – so, wie ich es wollte.<br />

Ihr Vater hätte Sie lieber in seiner Spedition gesehen.<br />

Ja, aber die Arbeit bei ihm hat mir nicht zugesagt.<br />

Ich war kein guter Schüler und ich habe nie etwas gemacht,<br />

das mir nicht gefallen hat. Trotzdem hat mich mein<br />

Vater, der mit Wein nichts am Hut hatte, unterstützt.<br />

Wenn man Sie mit der KTM durch den Rebberg<br />

schiessen sieht, liegt die Feststellung nahe: Sie sind ein<br />

Draufgänger.<br />

Früher war ich das. Jetzt etwas weniger. Mit der<br />

Zeit reift alles, auch der Wein.<br />

Wie könnte man die perfekte Perlage beschreiben?<br />

Sie bringt Freude und Fröhlichkeit mit sich und ist<br />

für mich ein Multiplikator von positiven Emotionen.<br />

Wie stehen Sie zu Champagner?<br />

Champagner ist einer meiner Lieblingsweine.<br />

Wirkt sich Terroir auf den Charakter von Schaumweinen<br />

expliziter aus als das bei stillen Weinen der Fall ist?<br />

Das Wort Spumante kenne ich nicht. Die Methode<br />

ändert im Übrigen auch nichts, Herkunft sagt alles. Ob<br />

ein Wein als Rotwein, Weisswein oder Schaumwein im<br />

Supermarktregal steht, interessiert mich nicht. Solche<br />

Kategorien sind für Commodities gemacht worden, die<br />

dem Kunden berechtigterweise eine Einordnung bieten<br />

sollen. Ein Weinkenner verlangt indes immer nach der<br />

Provenienz. Nach einem Chianti, einem Bordeaux oder<br />

einem Franciacorta.<br />

Anders gefragt: Wie unterscheidet sich Chardonnay aus der<br />

Franciacorta von jenem der Côtes des Blancs?<br />

Sie sind komplett anders. Für das magische Wort<br />

Terroir gibt es leider nicht einmal eine italienische Übersetzung.<br />

Terroir besteht aus einer geografischen, einer geologischen,<br />

einer klimatischen, einer sozialen und einer ökologischen<br />

Positionierung. Wenn ein Bereich fehlt, sprechen<br />

wir nicht mehr von Terroir. Also kann man Bolgheri nicht<br />

mit Chianti vergleichen, auch wenn die beiden Terroirs sehr<br />

nahe beieinander liegen. Wir Winzer haben einen unglaublichen<br />

Vorteil gegenüber allen anderen Landwirten. Wir<br />

haben Etiketten, auf denen wir unsere Herkunft nicht nur<br />

nennen, sondern dank denen wir unsere Erzeugnisse auch<br />

aufwerten können. Ein Salatproduzent kann das nicht oder<br />

nur sehr viel schlechter tun als wir.<br />

Wenn Sie an die Zeit mit Monsieur André Dubois, dem<br />

ehemaligen Kellermeister von Dom Pérignon, denken,<br />

der bei Ihnen die ersten Flaschen eigenhändig verkorkt<br />

und konfektioniert hat, was denken Sie, was ist von ihm<br />

geblieben?<br />

Diese gewisse Sturheit. Aber auch Tradition,<br />

Rigorosität und Respekt sind geblieben. Eine respektvolle<br />

Haltung finden Sie in allen unseren Weinen.<br />

Welchen önologischen Trend machen Sie nicht mit?<br />

Wenn man «önologische Methoden» sagt, denkt<br />

man an den Menschen, der etwas erfunden, erforscht und<br />

erprobt hat, der eine Tradition entwickelt hat. Was wir<br />

nicht tun ist, dass wir den Menschen ausklammern und<br />

nichts tun. Denn wenn es den Menschen nicht gibt, entsteht<br />

Essig und nicht Wein. Also fragen Sie mich bitte<br />

nicht, ob wir Naturweine machen, wenn es so etwas überhaupt<br />

gibt. Wir machen grosse Weine.<br />

Seit 2019 sind alle Ihre 240 Hektar Reben biozertifiziert.


UNO — Amici<br />

73


«Geträumt habe ich immer davon,<br />

etwas zu erschaffen, das die italienische<br />

Weinwelt verändert.»


UNO — Amici<br />

75<br />

Ist die biologische Bewirtschaftung der Reben auch qualitativ<br />

nachhaltig?<br />

Für Ca’ del Bosco war die Konvergenz keine positive<br />

Entwicklung, was die Qualität des Traubengutes betrifft.<br />

Im Gegenteil, wir haben an Qualität verloren. Die ersten<br />

Proben haben wir vor 25 Jahren gemacht, vor 20 Jahren haben<br />

wir den Prozess der Umstellung losgetreten, insgesamt<br />

dauerte es 17 Jahre. Auf dem Weg dahin und in den vielen<br />

Diskussionen dazwischen haben wir unseren Agronomen<br />

verloren, der 20 Jahre bei uns gearbeitet hat und der immer<br />

wieder betont hat, dass wir einen Fehler machen, wenn wir<br />

den Fortschritt um 50 Jahre zurückstellen würden. Sein<br />

Weggang war ein Drama für uns, vor allem, weil er recht hat.<br />

Wir hoffen noch immer, dass die Trauben insgesamt eines<br />

Tages besser sein werden als vorher. Aber von den letzten<br />

zehn Jahren waren sieben gut und drei qualitativ schlecht,<br />

weil die meteorologischen Bedingungen dementsprechend<br />

waren und wir wenig dagegen tun können. Im Biobereich<br />

gibt es jedenfalls noch viel Arbeit für die Forschung. Und<br />

auch bei der Entwicklung von Maschinen gibt es noch viel<br />

zu tun.<br />

Letztendlich geht es so oder so um den Boden.<br />

Wir haben die Umstellung jedenfalls nicht gemacht,<br />

weil wir Heilige sind oder uns einen grünen Anstrich geben<br />

wollen. Es ist profan, aber der wichtigste Asset eines<br />

Weinbaubetriebes ist der eigene Boden. Land kostet enorm<br />

viel Geld, vor allem bei uns, wo die Preise steigen und steigen.<br />

Wenn man also seinen Asset nicht bewahrt, sondern<br />

schrittweise zerstört, dann ist man ein Idiot. Das Wertvollste<br />

muss man schützen, es ist eine Investition in die Zukunft.<br />

Welche Reben werden Sie künftig pflanzen?<br />

Wir haben bereits 1982 verbotenerweise Anbauversuche<br />

gemacht. Bei uns gab es früher drei autochthone<br />

Rotwein- und eine Weissweinsorte: Brugnera, Maiolina,<br />

Invernenga und Erbamat. Leider haben wir die Versuche<br />

nach 20 Jahren abgebrochen. Erbamat ist jedoch in der<br />

Franciacorta seit 2018 offiziell zugelassen. Sie wird 15 Tage<br />

später reif und weist eine satte Mineralität und eine hohe<br />

Säure auf. Genau das brauchen wir künftig, aber vielleicht<br />

hilft uns die Traubensorte auch, noch eigenständiger und<br />

unverwechselbarer zu werden.<br />

In Sachen «Tre Bicchieri»-Auszeichnungen sind Sie und<br />

Angelo Gaja so ein bisschen das, was Roger Federer und<br />

Rafael Nadal sind. Was bedeutet Konkurrenz für Sie?<br />

Sprechen wir lieber von Freundschaft und von<br />

Respekt. Ich war 20 Jahre alt, als ich mit Angelo Gaja in<br />

Beaune die Schulbank drückte. Das waren die 1970er-Jahre<br />

und wir alle, also auch Ceretto, Bologna und viele andere<br />

mehr haben begonnen, gemeinsam zu lernen. Die Gruppe<br />

des Rinascimeto. Ich hatte enorm Glück, zur richtigen Zeit<br />

am richtigen Ort zu sein. Wäre ich zehn Jahre vorher aktiv<br />

geworden, hätte niemand auf mich gehört, zehn Jahre<br />

später wäre der Zug abgefahren gewesen. Mein Vorteil war<br />

also auch das Glück, ein perfektes Timing gehabt zu haben.<br />

Vermouth oder Sauternes?<br />

Wann?<br />

Vermouth oder Sauternes?<br />

Am Anfang Vermouth und am Schluss Sauternes.<br />

Marketing oder Kunst?<br />

Kunst, das ganze Leben.<br />

Harley oder Haring?<br />

Harley.<br />

Rot oder weiss?<br />

Rot.<br />

Flûte oder Weissweinglas?<br />

Machen Sie mich nicht sauer.<br />

Flûte oder Weissweinglas?<br />

Jedes Glas ausser einer Flûte wäre mir recht.<br />

Franciacorta: jung oder gereift trinken?<br />

In allen Alterslagen. Ein Qualitätswein altert<br />

immer gut.<br />

Master of Bubbles<br />

Maurizio Zanella (63) gilt als einer der Reformatoren in der<br />

italienischen Weinwelt. Ihm verdankt die Region Franciacorta<br />

ihre Reputation und seine Ca’ del Bosco gehört ohne Zweifel<br />

zu den renommiertesten Weingütern des Landes. Abgefüllt<br />

werden heute rund 1,6 Mio. Flaschen. Seine Mutter Annamaria<br />

Clementi Zanella hatte die «casa in un bosco di castagni» in<br />

den 1960ern gekauft. 1965 zog sie mit ihrem Sohn Maurizio in<br />

die hügelige Franciacorta, nach Erbusco. Gemüse wollte sie<br />

anbauen und Reben haben. Mehr Natur. Maurizio studierte<br />

Agronomie und vertiefte sein önologisches Wissen in Beaune<br />

und Bordeaux. Die Transformation des Hauses im Wald zum<br />

besten Schaumweinproduzenten Italiens ist Geschichte.<br />

cadelbosco.com


Artigianale


DUE — Artigianale<br />

77<br />

DUE


DUE — Artigianale<br />

78<br />

Stay wild<br />

Bild: Alessandro Furchino Capria<br />

Text: Andrin Willi


DUE — Artigianale<br />

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DUE — Artigianale<br />

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DUE — Artigianale<br />

84


REVOLUTIONÄRE, RADIKAL-IRONISCHE GESCHICHTE<br />

Wer Gufram sagt, muss einmal zurück und dann nach<br />

vorne spulen. Zuerst zurück ins Jahr 1966. Die drei Brüder<br />

Gugliermetto hatten Lust, avantgardistische Möbelentwürfe<br />

umzusetzen und sie beauftragten junge Künstler und<br />

Architekten aus Turin, die mit dem Kunststoff Polyurethan<br />

herumexperimentieren sollten. Daraus entstand die kleine,<br />

aber feine Designmanufaktur Gufram: der Name ist ein<br />

Akronym aus Gu-gliermetto Fr-atelli A-rredamenti M-oderni.<br />

Rasch war der Name Programm und die Designwelt wurde<br />

aufgemischt. Die radikalen, ironischen und subversiven<br />

Möbel, meist aufwendig in Einzelstücken und in Kleinstserien<br />

produziert, sorgten nicht nur für Hingucker, sondern vor<br />

allem für Furore. Die skulpturalen Meisterwerke landeten<br />

weltweit in renommierten Museen und Sammlungen, einige<br />

auch in Privathaushalten. Ab 1978 fokussierte man bei Gufram<br />

eher auf Möbel für den öffentlichen Raum. Es wurde still<br />

statt schrill. 2004 endete die Firmengeschichte in Turin mit<br />

dem Verkauf an die Poltrona-Frau-Gruppe. Gufram verschwand<br />

in der Versenkung. Bis die Unternehmerin Sandra<br />

Vazza, die auch das Barolo-Pop-Weingut L’Astemia Pentita<br />

in Barolo führt, ihre Chance gepackt und Gufram 2012<br />

erworben und zurück ins Piemont – genauer: nach Barolo –<br />

gebracht hat. Seither steht Gufram wieder auf dem Spielfeld.<br />

Gufram<br />

Via Alba 26<br />

I-12060 Barolo<br />

+39 173 56 102<br />

gufram.it


DUE — Artigianale<br />

86<br />

Die geheimen<br />

Lieblingsrezepte der<br />

Amici<br />

Illustration: Alec Doherty


Rezept: Gasthof Falken


Rezept: Café Bar Chiffon


Rezept: Osteria Santo Bevitore (Massimo)


Rezept: Bar Ristorante Commercio


Rezept: Armando’s (Emma)


DUE — Artigianale<br />

92<br />

Collazzi ist ein Vorzeigeweingut in der Toskana, auf dem sich der Marchese Lamberto<br />

de’ Frescobaldi mit dem Önologen Alberto Torelli und seinem Team dank immer<br />

neuen Ideen in immer neue Höhen schaukelt. Ein Besuch, der auch durch die<br />

Geschichte der Jahrhunderte geht.<br />

Was für ein Glück!<br />

«Hier habe ich gelernt, Vespa zu fahren», sagt Marchese Lamberto<br />

de’ Frescobaldi und zeigt auf die staubige Zypressenallee. Damals<br />

wie heute: er liebt das Tempo. Auf Motorrädern, in Rennautos.<br />

Wir kommen darauf zurück. Auch die Allee führt weg von unserer<br />

Geschichte, weg von einer der bedeutendsten Villen der Region<br />

um Florenz und wer Florenz und seine Region kennt, ahnt, was<br />

diese Aussage bedeutet. Doch bevor wir uns verzetteln: wo sind<br />

wir, was tun wir?<br />

Wir stehen vor der Villa Collazzi. Sie befindet sich in<br />

Giogoli, ganz in der Nähe von Scandicci, 7 Kilometer ausserhalb<br />

von Florenz, auf den «Colli Pazzi», wie es der Marchese ausdrückt.<br />

Ah ja – man sieht die Kuppel der Kathedrale Santa Maria del<br />

Fiore. Wie der Name Frescobaldi es vermuten lässt, geht es hier<br />

um die bedingungslose Liebe zum Wein. «Collazzi ist ein privates<br />

Projekt», stellt der Marchese aber klar, «Hier haben wir früher<br />

unsere Ferien verbracht», fügt er an. So stellt man sich das Landleben<br />

vor. In einer majestätischen Villa, die aufgrund der Pläne<br />

des Michelangelo-Schülers Santi di Tito im Jahre 1560 fertiggestellt<br />

wurde. Umschwung? 300 Hektar Land, davon 120 Hektar<br />

Olivenhaine, 33 Hektar Reben, der Rest ist Wald. Drinnen eine<br />

geweihte Privatkapelle mit Papststuhl, eine Bibliothek, ein umfassendes<br />

Schriftenarchiv, das zahlreiche Geschäfte zwischen den<br />

Familien Strozzi, Dini und Medici dokumentiert, der wohl grösste<br />

Billardtisch Italiens, der aufzeigt, dass man Billard damals mit<br />

der Hand gespielt hat, zwei wertvolle Globen, minutiös um 1711<br />

ohne Australien erstellt, weil man es zu dieser Zeit noch gar nicht<br />

kannte. Da hängen strahlende Bilder an den Wänden, die so gross<br />

sind, dass sie in den Räumen selbst entstanden sein müssen,<br />

kunstvoll gefertigtes Porzellan für die Familie Dini in einem massiven<br />

Buffet, dessen Dimensionen mit einem normalen Massband<br />

nicht erfassbar sind und Möbel über Möbel, die Geschichte erzählen<br />

könnten. Doch sie schweigen. Das Innere der Villa ist die<br />

Ruhe selbst.<br />

Alles ist ein Original. Raum für Raum begehbare Kulturgeschichte<br />

zum Anfassen – naja. Die Villa bleibt vorwiegend Privathaus<br />

und ist kein Museum, wobei sich die Familie eher im<br />

Obergeschoss auf hält. Unten beeindrucken selbstredend die gross<br />

angelegten, nicht beheizbaren, hohen Räume, die unsichtbar hinter<br />

den Kulissen durch die Korridore der Bediensteten verbunden<br />

sind. Vom eigentlichen Wesen des Reichtums künden auch die<br />

kleinen Dinge, die die Jahrhunderte hier in aller Bescheidenheit<br />

und allen Wirren, Wirrköpfen und Bombardements zum Trotz<br />

stoisch überdauert haben. Bemerkenswert. Da liegt auf dem Tisch<br />

im roten Zimmer zum Beispiel (neben einer antiken hölzernen<br />

Bild: Lukas Lienhard<br />

Text: Andrin Willi


UNO — Veneto 93


DUE — Artigianale<br />

95


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DUE — Artigianale<br />

101


«Collazzi ist für mich wie ein wunderschöner Traum»: Lamberto de’ Frescobaldi


DUE — Artigianale<br />

103<br />

Orangenpresse) ein seltsamer Abstimmungskasten. Man reicht<br />

ihn herum, wählt eine Kugel und legt diese unter der hölzernen<br />

Abdeckung für den Zuschauer unsichtbar in den Kasten. Entweder<br />

links für «SI» oder rechts für «NO». Dieses praktische Kästchen<br />

hat bei den Entscheidungen der Familie wohl so manchen<br />

Streit verhindert.<br />

Auch die kleine unscheinbare Chaiselongue in einem der<br />

Schlafzimmer könnte ächzen. Angeblich hat sie es Prinz Charles<br />

derart angetan, dass er sich eine Kopie davon anfertigen liess. Er<br />

und Diana haben im April 1985 in diesem Zimmer genächtigt.<br />

Die Familie Marchi ist mit dem englischen Königshaus befreundet<br />

und die Familie Frescobaldi lieferte bereits im 15. Jahrhundert<br />

Wein dorthin und auch in andere Königshäuser. Kennen Sie<br />

Thomas Cromwell? Er traf den Banker Francesco Frescobaldi 1533<br />

in Florenz und wer weiss, welche Verbindungen er sonst noch<br />

knüpfte? Es ist eine andere Geschichte, wobei vieles hier mit<br />

vielem verknüpft ist, so wie die Familien Marchi und Frescobaldi<br />

seit 1958 miteinander liiert sind.<br />

Es geht gleich los. Zuallererst aber kauften die Bankiers<br />

Baccio und Agostino Dini 1534 das Anwesen, auf dem der besagte<br />

Architekt Santi di Tito 26 Jahre später den Bau der Villa<br />

abschloss. 1933 erwarben die Brüder Carlo und Giulio Marchi das<br />

Anwesen, renovierten und vollendeten es in der heutigen Gestalt.<br />

Zugegeben, das ist ein grosser Zeitsprung, aber wir müssen vorwärtsmachen,<br />

denn der Marchese hat wenig Zeit. Die Geschichte,<br />

wie er in der Villa Colazzi das Vespafahren gelernt hat, hat – wie<br />

erwähnt – mit Heirat zu tun. Bona Marchi, die die Villa gemeinsam<br />

mit ihrem Bruder Carlo übernommen hatte, heiratete einen Mann<br />

namens Vittorio de’ Frescobaldi, sie bekamen vier Kinder. Sohn<br />

Lamberto leitet seit 1989 den Bereich Landwirtschaft und Weinbau<br />

des Familienunternehmens de’ Frescobaldi – «In der 30. Generation»,<br />

wie er routiniert betont. Irgendwie lag es nahe, dass er<br />

sich auch ein wenig um die Geschicke der Reben auf Collazzi<br />

kümmerte. «Zugegeben, mit dem Namen de’ Frescobaldi geht das<br />

etwas einfacher», sagt er verschmitzt. Unsere Geschichte nimmt<br />

langsam an Fahrt auf.<br />

«Collazzi ist für mich wie ein wunderschöner Traum.<br />

Meine Mutter und mein Onkel fragten mich, was man hier tun<br />

könnte. Ich antwortete, dass ich hier zu nichts imstande sei, ausser<br />

etwas Wein herzustellen.» Der Aufbruch – beschlossene Sache.<br />

«Von Anfang an sahen wir Collazzi nicht als Frescobaldi-Weingut.<br />

Ich wollte keine Interessenkonflikte und dank Collazzi konnte ich<br />

persönlich auch andere Menschen kennenlernen, solche wie Reto<br />

<strong>Vergani</strong>, die kleinere Vertriebswege bedienen und hoch spezialisiert<br />

sind. Leute, die sagen, was sie denken und Lust haben, mit<br />

uns das Herzensprojekt aufzubauen. Was für ein Glück!», sagt er.<br />

Die alten Reben wurden herausgerissen, 1999 kam der erste Jahrgang<br />

auf den Markt. Die Reblagen um Collazzi herum wurden<br />

sukzessive und vorwiegend mit Cabernet Sauvignon, Merlot,<br />

Cabernet Franc und Petit Verdot bestückt. Sangiovese sucht man<br />

beinahe vergeblich, wobei sie im Bastioni, dem DOCG Chianti<br />

Classico des Hauses, natürlich auftaucht und dort nur mit etwas<br />

Merlot und Malvasia Nera abgerundet wird.<br />

«Die erste Rechnung haben wir von Hand geschrieben»,<br />

erinnert sich der Marchese. Einen Computer hätten sie keinen<br />

gehabt. «Collazzi ist das, was man macht, wenn man alle Details<br />

in der Weinproduktion anschauen will und anschauen kann», sagt<br />

er. Die begeisterte und begeisternde Freude schwingt spürbar mit.<br />

«Bei grösseren Projekten ist das nicht möglich, hier können wir<br />

jeden Schritt kontrollieren und gleichzeitig dürfen wir uns keine<br />

Fehler leisten», sagt er und damit meint er vor allem Alberto<br />

Torelli, den er vor 17 Jahren für die önologische Leitung angeheuert<br />

hat. Torelli nickt. Auch er ist zu uns gestossen. Es ist<br />

Abend geworden. Wir sitzen in der Locanda Collazzi, dem feinsinnigen<br />

Restaurant, das sich über dem Weinkeller befindet und<br />

sich der «Exzellenz des Essens und der Weine sowie dem Sinn des<br />

Schönen» widmet. Lamberto de’ Frescobaldi erklärt es so: «Vieles<br />

von dem, was wir hier anbieten, stammt aus eigenem Anbau.<br />

Rinder, Hühner, Olivenöl, Wein – wir legen sehr viel Esprit und<br />

Seele hinein», sagt der Marchese im Wissen darum, dass nicht alle<br />

Gäste diesen Luxus auch als solchen verstehen. «Collazzi ist keine<br />

kodifizierte Schönheit», sagt er, weiter ausführen mag er das nicht.<br />

Alberto Torelli hingegen kann sich kaum halten. Man<br />

fühlt, dass seine Begeisterung förmlich durch seinen Körper fliesst.<br />

«Ich konnte alles mit aufbauen, Jahr für Jahr, Schritt für Schritt.<br />

Aus einer alten Fattoria ist ein führendes Qualitätsweingut geworden<br />

– nur das interessiert uns», sagt er und er sagt es, ohne damit<br />

anzugeben. «Mit 5000 Flaschen Wein pro Hektar bleibt Collazzi ein<br />

kleines Weingut, aber eines, das mich immer noch jeden Tag befeuert,<br />

die Passion will mir einfach nicht abgehen, ich bin vernarrt<br />

in diesen Ort und seine Böden», sagt er, der im zarten Alter von 23<br />

Jahren auf diesen Hügeln zu arbeiten begonnen hat. Angeblich, weil<br />

Torelli, seine unkomplizierte Art und seine ehrliche Meinung dem<br />

Marchese an einer Weinmesse in Meran imponiert hätten und dieser<br />

ihm noch auf der Messe einen Job angeboten habe. «Ich mag es,<br />

wenn man sagt, was man denkt und weiss, was man will. Weil Reto<br />

<strong>Vergani</strong> das auch tut, konnten wir seit 2004 gemeinsam wachsen.<br />

Wir haben uns gefunden, es ist ein schöner Weg, auf dem wir uns<br />

immer wieder mit einem Lächeln begegnen», sagt Lamberto de’<br />

Frescobaldi. «Bloss akzeptiert der Marchese leider nicht alles»,<br />

murmelt <strong>Vergani</strong> zu Tische, während der Marchese nachdoppelt:<br />

«Naja, wenigstens erscheint <strong>Vergani</strong> als Ehrenmann.» Dann lachen<br />

sie wieder und erzählen sich Geschichten wie jene, bei der <strong>Vergani</strong><br />

die komplette Produktion des ersten Jahrganges des damals noch<br />

unbekannten Weines Namens Ferro, der zu 100 Prozent aus Petit<br />

Verdot vinifiziert wird, gekauft hat. An der Vinitaly. Bei Alberto.


DUE — Artigianale<br />

104<br />

Gallestro Toscano. Seit 15 Jahren wollte Collazzi-Önologe<br />

Alberto Torelli an dieser Stelle einen Rebberg anlegen.<br />

«Alberto ruft mich an», so erzählt es der Marchese: «… und erzählt<br />

mir, dass <strong>Vergani</strong> alle 2010er-Ferro gekauft habe! Ich reagierte etwas<br />

ungehalten und erklärte Alberto, dass das auf keinen Fall gehe!<br />

Punto.» – «Das ist einer der besten Petit Verdot der Welt», sagt<br />

Alberto, habe die Master of Wine Fiona Morrison zu ihm gesagt,<br />

als sie den Ferro noch aus dem Fass degustiert habe. Sie muss es<br />

wissen. Schliesslich ist sie mit Jaques Thienpont verheiratet und ja,<br />

Le Pin im Pommerol ist eines der drei Châteaus, das sie betreiben.<br />

«Fiona Morrison hat uns Mut gemacht, weil sie sagte, dass sie noch<br />

nie einen hundertprozentigen Petit Verdot verkostet habe, der so<br />

eine Komplexität aufweise und dabei nicht vulgär daherkomme»,<br />

erzählt Alberto Torelli ganz ergriffen. Die mineralienreichen Sand- ,<br />

Ton- und Kalkböden und die nördlich ausgerichtete Lage seien<br />

dafür verantwortlich. Wieder bringt sich Lamberto de’ Frescobaldi<br />

ein: «Und dann kam Reto <strong>Vergani</strong> und hat alles gekauft!» Ein Mittagessen<br />

sei angesetzt worden, die Stimmung sei eigentlich gut gewesen,<br />

erzählt der Marchese und weiter: «Da erlaubte ich mir die<br />

leise Bemerkung, dass ich 250 Flaschen Ferro leider zurückbehalten<br />

müsse. <strong>Vergani</strong> hörte nicht zu. Er sagte nur, wenn mir der Wein so<br />

gut gefalle, könne ich ihn ja von ihm zurückkaufen!»<br />

Michelangelo tauschte Kunst gegen Weine der de’<br />

Frescobaldis, aber lassen wir das. Seit dem Ferro-Austausch sind<br />

jedenfalls noch etliche weitere gemeinsame Projekte entstanden,<br />

zum Beispiel der in Barriques ausgebaute Fiano unter dem Label<br />

Anima di <strong>Vergani</strong>. «Zum Dank haben wir nach jeder Bestellung<br />

und bei jeder Lieferung immer etwas Olivenöl oder zwei Weinkartons<br />

mehr aufs Palett gelegt», sagt Alberto. Und der Marchese<br />

übernimmt: «Und eines Tages ruft <strong>Vergani</strong> an und ermahnt<br />

uns eindringlich, wir sollen damit aufhören. Es mache<br />

seine Buchhaltung verrückt. Dabei wollten wir nur nett sein!»<br />

Und so lachen sie weiter und erzählen, bis die Nacht über<br />

Collazzi hereinbricht.<br />

Dann zückt Lamberto de’ Frescobaldi sein Handy und<br />

zeigt das Video, in dem man ihn unschwer auf einem geländefähigen<br />

Motorrad erkennen kann, das durch die Reben fährt.<br />

Das Tempo ist hoch und die neu bepflanzte Parzelle unterhalb<br />

der Villa scheint die kühnsten Erwartungen zu übertreffen.<br />

Alberto Torelli: «Seit 15 Jahren wollte ich an dieser Stelle einen<br />

Rebberg anlegen.» Der Boden besteht zu 100 Prozent aus<br />

Gallestro Toscano, ein sehr poröses, bröckeliges Felsgestein.<br />

Unter dem Rebberg liegt ein See. «Eine fantastische Lage»,<br />

schwärmt Torelli. «Ihr werdet schon sehen», sagt der Marchese<br />

und lächelt. «Wenn nur der Preis nicht hochgeht …», sagt<br />

Reto <strong>Vergani</strong>.


DUE — Artigianale<br />

105


DUE — Artigianale<br />

106<br />

Über die Metaebene von Weinen zu sinnieren, das mag ich. Natürlich brauchen wir Fakten,<br />

um zu verstehen, warum Weine so schmecken, wie sie schmecken. Aber die Auseinandersetzung<br />

mit menschlichen Empfindungen sowie mit bewussten und unbewussten<br />

psychischen Vorgängen hilft uns nachzuvollziehen, warum sich eine Person von einem<br />

Wein angezogen fühlt – oder eben nicht.<br />

Eleganz und Ästhetik im Wein<br />

Allgemein finde ich es spannender, über Emotionen, Erfahrungen<br />

und psychologische Aspekte der Weinkunde<br />

zu diskutieren als über die Bodenbeschaffenheit eines<br />

Weinbergs oder Regenmengen, die in einem Anbaugebiet<br />

fallen. Die emotionale Welt fasziniert mich und dort<br />

finden wir auch das Thema Eleganz und Ästhetik wieder.<br />

Die reine Betrachtung und die Aussprache des Wortes<br />

«Eleganz» fühlen sich für mich bereits gut an. Und wenn<br />

ich die Buchstabenfolge etwas länger auf mich wirken<br />

lasse und weiter darüber nachdenke, verbinde ich Eleganz<br />

mit Stil, Schlichtheit und Schönheit.<br />

Ob sich meine persönliche Definition von Eleganz<br />

auch mit den Beschreibungen in der Literatur<br />

deckt? Als Synonyme für Eleganz nennt der Duden<br />

Schönheit, Grazie oder Stil. Und dank dieser Definition<br />

steht der Begriff für Vornehmheit in Bezug auf die<br />

äussere Erscheinung, für Gewandtheit und Geschmeidigkeit<br />

in der Bewegung oder für eine kultivierte Form<br />

beziehungsweise Beschaffenheit. Beschreibungen, die<br />

alle in die gleiche Richtung gehen und trotzdem viel<br />

Raum für Interpretationen lassen. So werden viel zu<br />

oft schwer definierbare, offene Begriffe wie Eleganz und<br />

Ästhetik auch im undurchdringlichen Dschungel der<br />

Weinbeschriebe eingesetzt, um – so hat man manchmal<br />

das Gefühl – sich nicht zu stark festlegen zu müssen.<br />

Vergleichbar mit der Formulierung von Horoskopen,<br />

aus denen man ja alles und nichts deuten kann. Wörter<br />

wie Eleganz und Ästhetik können jedoch auch viel mehr<br />

sein als schwammige Floskeln. Sie haben die Gabe, gewisse<br />

Dinge – auch in der Welt des Weins – so präzise<br />

wie kein anderes Wort darzustellen. Doch wie genau<br />

wende ich die Begriffe Eleganz und Ästhetik hinsichtlich<br />

Wein richtig an? Meine Erklärung aus drei verschiedenen<br />

Blickwinkeln soll Klarheit schaffen.<br />

BLICKWINKEL 1: DER WEIN<br />

Wenn Weinkenner von einem eleganten Wein sprechen,<br />

verstehen sie in der Regel einen eher leichten, nicht zu alkoholreichen<br />

vergorenen Traubensaft, welcher tendenziell<br />

mit einer erhöhten Säure ausgestattet ist. Sehr oft spricht<br />

man in der Önologie von hellen Früchten, welche bei nicht<br />

zu hohen Temperaturen mit dezentem Holzeinsatz vergoren<br />

wurden und somit nicht die Aromen wie beispielsweise<br />

die viel geliebten, schweren, dunklen, konfitürigen und<br />

alkoholstarken «Primitivo-Bomben» beinhalten. Unter<br />

Sommeliers bedeutet die Eleganz im Wein eine gewisse<br />

Geradlinigkeit, die für ein ehrliches Produkt spricht und<br />

die ich gerne als «unaufgeregt» bezeichne. Wie in der Musik<br />

sind es beim eleganten Wein oft die leisen Töne, die<br />

richtig grosse Kompositionen ausmachen. Denn auch der<br />

SHL Schweizerische Hotelfachschule Luzern<br />

Adligenswilerstrasse 2, 6006 Luzern<br />

+41 41 417 33 33, shl.ch<br />

Text: Marcel Gabriel


elegante Wein ist eher auf leisen Sohlen unterwegs. Vielleicht<br />

muss man zweimal hinschauen – oder hinriechen –<br />

und vor allem hinschmecken, damit der Wein als Ganzes<br />

wahrgenommen wird. Auch hier wieder ein passender<br />

Vergleich zur Musik: wer mit guten Kopfhörern bei einem<br />

Lied zwei- oder dreimal ganz genau hinhört, nimmt die<br />

leisen oder die nicht gespielten Töne wahr. Übrigens höre<br />

ich in diesem Moment «The Circle of Life», der Titelsong<br />

von «Lion King». Auch er hat viele leise Töne.<br />

BLICKWINKEL 2: DAS DRUMHERUM<br />

Im zweiten Schritt betrachten wir alles rund um den Wein<br />

selbst: den Boden, das Weingut, die Menschen, die den<br />

Wein produzieren und die Verpackung. Gutes entsteht<br />

nur aus sehr Gutem. Beim Wein beginnt dieser Prozess<br />

mit einem intakten Boden. Elegante, ästhetische Weine<br />

haben ihren Ursprung in eher basischen Böden, die einen<br />

erhöhten Kalkanteil aufweisen. Kreideböden, wie wir<br />

sie beispielsweise in der Champagne antreffen, sind für<br />

elegante Weine bekannt. Weiter macht die Schlichtheit<br />

in der Produktion mit möglichst naturnahem Schaffen<br />

und wenig Intervention sehr oft elegante Weine aus. Die<br />

Menschen, die solche Weine produzieren, zeichnen sich<br />

häufig – wie auch ihre Weine – durch Demut und Strahlkraft<br />

aus. Ich bin immer wieder fasziniert, solch besondere<br />

Weine zu kosten und die Menschen, die dahinterstehen,<br />

kennenzulernen. Das logische Ergebnis ihrer Einstellung<br />

und ihres Schaffens widerspiegelt sich in ihrem Wein. Für<br />

mich kommt dies der wahren Poesie gleich. Zu gerne würde<br />

ich Ihnen hier und jetzt, passend zur Lektüre dieses<br />

Artikels ein Glas Barolo von Elio Altare servieren. Sie<br />

würden mich noch besser verstehen.<br />

Von der Poesie zurück zu einem greifbaren<br />

Merkmal: die Verpackung. Im Design der Weinflasche<br />

werden Eleganz und Ästhetik ganz besonders und auf<br />

sichtbare Weise zum Ausdruck gebracht. Elegantes<br />

Design überzeugt durch zurückhaltende Schönheit<br />

des Stils, eine gewisse Ordentlichkeit und Einfachheit.<br />

Wie bereits im Zusammenhang mit dem Charakter des<br />

eleganten Weins erwähnt, ist auch das elegante Design<br />

leise unterwegs: Es ist ein Design, das eher flüstert, als<br />

zu schreien. Konkret sprechen wir von einer geradlinigen<br />

Flaschenform und einem dazu passenden Etikett,<br />

das durch seine Schlichtheit überzeugt. Das Papier der<br />

Etikette ist vielleicht etwas perforiert, vielleicht etwas<br />

aufgeraut, damit – trotz Minimalismus – auch eine<br />

haptische Impression hängen bleibt. Die ästhetische<br />

Präsentation eines Weines schafft jedenfalls zusätzliche<br />

Emotionen und sie kann dafür sorgen, dass der<br />

Wein selbst, der ja im Kopf des Geniessenden mit dem<br />

äusseren Erscheinungsbild verknüpft wird, länger in<br />

Erinnerung bleibt.<br />

BLICKWINKEL 3: DAS ZELEBRIEREN<br />

Um eleganten Wein richtig zelebrieren zu können, braucht<br />

man auf jeden Fall korrekte Gläser. Das Glas, aus dem<br />

man eine Flüssigkeit trinkt, beeinflusst das Trinkerlebnis.<br />

Egal, ob von Mund oder mit der Maschine geblasen –<br />

auch in Sachen Gläser sollte der Ansatz der Schlichtheit<br />

mit feinen, geraden Linien beachtet werden. Gläser sollten<br />

nicht zu klein sein und eine gute Oberflächenweite<br />

haben. Somit können sich die flüchtigen Aromen eines<br />

Weines besser lösen. Einverstanden: solche Weingläser<br />

kosten etwas mehr. Eines garantiere ich Ihnen aber: Sie<br />

werde die Investition nicht bereuen. Die Unterschiede<br />

beim Weingenuss sind frappant.<br />

In puncto Weinkaraffen empfehle ich bauchige<br />

Glasgefässe, die dem nicht zu stark gereiften Wein beim<br />

Atmen helfen. In dieser Umgebung kann sich der Wein<br />

vollkommen entfalten. Und nebst dem positiven Effekt,<br />

dass elegante und jüngere Weine so noch besser zur Geltung<br />

kommen, hat der Einsatz einer Weinkaraffe auch<br />

einen wertschätzenden Charakter gegenüber dem Gast.<br />

Das Dekantieren eines Weines vor den Augen Ihrer Gäste<br />

ist ein Ritual.<br />

Und – last, but not least: Sie selbst oder die Menschen,<br />

die den Wein servieren, haben einen enormen<br />

Einfluss auf die Eleganz im Wein. Gute Sommeliers und<br />

Sommelières, Servicemitarbeiterinnen und Servicemitarbeiter<br />

bewegen sich mit einer fast schon elfenhaft anmutenden<br />

Leichtigkeit durch die Räume. Ohne grosse<br />

Aufmerksamkeit zu erregen, merken sie, was sich die<br />

Gäste wünschen. Diese elegante Geschmeidigkeit, gepaart<br />

mit gutem Storytelling, ist eine der wichtigsten<br />

Komponenten und Kompetenzen, die eine ästhetische<br />

Weinerfahrung ausmachen. Wenn sich diese Ästhetik<br />

auch auf dem Teller weiterzieht, werden diese speziellen<br />

und raren Begegnungen mit eleganten Weinen zu wahrhaft<br />

magischen Momenten. Alla vita!<br />

Marcel Gabriel (36) ist Restaurationsleiter, Fachdozent und<br />

Leiter der Alumni-Community an der Schweizerischen<br />

Hotelfachschule Luzern SHL. Der diplomierte Hôtelier-Restaurateur<br />

(HF SHL) und angehende Weinakademiker war<br />

in herausragenden Hotels und Restaurants von China über<br />

Kanada bis Zürich tätig, bevor er 2016 in Luzern zu<br />

unterrichten begann.


Willi Schmutz steht für eine Schokoladenqualität, die es bisher in der Schweiz so nicht gab.


DUE — Artigianale<br />

109<br />

Der Aufmischer<br />

Bild: Simon Habegger<br />

Text: Jan Graber


DUE — Artigianale<br />

110<br />

Eigentlich hatte sich Willi Schmutz von der Confiserie verabschiedet<br />

und führte ein Cateringunternehmen. Bis ihn sein Geschäftspartner<br />

davon überzeugte, wieder Schokolade zu veredeln.<br />

Heute stellen sie die offiziell besten Pralinen der Schweiz her.<br />

Mit 40 Jahren hatte Willi Schmutz genug. Genug vom Tearoom, das er seit Jahren in<br />

Biberist führte, von den Süssigkeiten, die er anbot, vom Trott – ja, vielleicht sogar genug<br />

von Schokolade. Er sehnte sich nach einer neuen Perspektive. Aus Neugier stellte sich<br />

der gelernte Confiseur an den Kochherd – und ihm tat sich eine neue Welt auf. «Plötzlich<br />

nahm ich den Stellenwert meines Jobs ganz anders wahr», sagt er. Kochen empfand<br />

er als eine neue Stufe seiner Karriere und er entschied sich, ein Cateringunternehmen<br />

zu eröffnen. Als Italienfan war es für ihn klar, dass er italienische Genüsse auftischen<br />

würde, also gründete er <strong>No</strong>bile Catering. Schnell sprach sich herum, dass es in der<br />

Gegend einen neuen <strong>No</strong>belcaterer gab, das Business expandierte und im Nu brauchte<br />

er einen Partner. Er fand ihn in Martin Schwarz, ebenfalls Confiseur, ebenfalls Tearoom-Betreiber,<br />

ebenfalls auf der Suche nach etwas Neuem. Das Duo funktionierte<br />

und bald schon kochten sie für Bundesräte und offizielle Bundesempfänge.<br />

Doch dann kam sie zurück, die Schokolade. Im Haus in Bätterkinden, in dem ihr<br />

Cateringunternehmen daheim war, wurden zusätzliche Räume frei. Martin hatte die Idee,<br />

es neben dem Catering mit Schokolade zu probieren. Willi stimmte unter einer Bedingung<br />

zu: «Wenn wir Schokolade verfeinern, muss dies in einer Qualität geschehen, wie es sie in<br />

der Schweiz nicht gibt. Wir müssen etwas Neues kreieren.» Gesagt, getan. Sie nannten<br />

sich Artisti del Cioccolate und gründeten Casa <strong>No</strong>bile. Das Ziel: Die beste Schokolade<br />

der Schweiz herstellen. «Wir steckten unser gesamtes Geld aus dem Catering ins neue<br />

Geschäft», sagt Willi. Der Anfang war indessen kein Zuckerschlecken: Sie gewannen<br />

zwar Manfred Roth für sich, den damaligen Executive Chef im Viktoria-Jungfrau, was die<br />

Türen zu weiteren Topadressen öffnete sowie zu einem Deal mit einem bekannten Grossisten<br />

führte. Das ging zehn Jahre gut, bis ein Wechsel im Einkauf zu Unstimmigkeiten<br />

führte und die beiden sich entschieden, dem Grossisten den Schokohahn zu zudrehen:<br />

Sie wollten ihre Marke nicht verwässern oder sie entzaubern lassen.<br />

Doch die Magie sollte an einem anderen Ort entstehen. Auf gut Glück schickten<br />

sie ihre Pralinen dem Schokopapst Georg Bernardini. Dieser gab mit «Schokolade – Das<br />

Standardwerk» die Schoko-Bibel schlechthin heraus. Während er sie beim ersten Mal<br />

mit drei Kakaobohnen belohnte, wurden sie bereits in der folgenden Ausgabe mit sechs<br />

Bohnen gekrönt. Sechs Kakaobohnen ist das Äquivalent von drei Michelin-Sternen:<br />

Sie produzierten damit offiziell die beste Schokolade der Schweiz. «Von da an rannten<br />

uns die Leute die Bude ein. Es war surreal», sagt Willi.


DUE — Artigianale<br />

1<strong>13</strong>


DUE — Artigianale<br />

115<br />

Dann schleicht sich ein anarchistisches Flackern in seinen Blick, er wird ernst: «Die<br />

Schweiz nennt sich das Land der Schokolode, aber als wir 2003 anfingen, war das schon<br />

lange nicht mehr so», sagt er. Vierzig Jahre lang wäre hierzulande Schokolade lediglich<br />

verwaltet worden, die Schweizer Schokoladeproduzenten seien bequem gewesen. Echte<br />

Innovation suchte man damals vergebens. «Man darf ein so cooles Produkt wie Schokolade<br />

doch nicht auf diese Weise vergammeln lassen!», sagt er fast ein wenig wütend. Es<br />

sei deshalb für ihn keine Frage gewesen, dass Casa <strong>No</strong>bile die Art der Schokoladeveredelung<br />

aufmischen musste.<br />

Sie tun dies mit zwei Mitteln: der ausschliesslichen Verwendung von edelsten<br />

Kakaosorten von Felchlin und einer grossen Portion Erfindungsreichtum. So schrecken<br />

die beiden Artisti del Cioccolate nicht davor zurück, mit den ungewöhnlichsten<br />

Zutaten zu experimentieren: Kräuter, Gewürze, Olivenöl, auch mal Gemüse, Spargeln,<br />

Kresse oder Miso. Daraus entstehen Pralinen mit dem Geschmack von rauchigem<br />

Paprika, andere, die beim ersten Biss mit den Aromen eines Insalate Caprese überraschen<br />

oder jene, bei denen man das Gefühl hat, in einen Negroni zu beissen. «Den<br />

Abschluss bilden aber immer die Schokoladearomen», sagt Willi und ergänzt, dass die<br />

Kreationen ja nicht allen gefallen müssen. «Sonst macht man das ganze Leben lang<br />

nur Champagner-Truffes.»<br />

Tomaten, Mozzarella, Negroni – wer denkt da nicht automatisch an Italien?<br />

Reisen wir also nochmals zurück ins Land der Sapori e Delizie. Eines Tages lernte<br />

Willi Schmutz in Florenz einen Mann kennen, den er als einen der grossen Meister der<br />

Gelati erkannte: Vetulio Bondi. Auch dieser hatte schon von den Schweizer Schokoladekönigen<br />

gehört. Sie kamen nicht nur ins Gespräch, sondern wurden dicke Freunde.<br />

Raten Sie mal, was daraus entstand. «Die Leute reisen von überallher an und bilden<br />

vor unserer neuen Gelateria in Bätterkinden Schlangen bis zum Parkplatz», lacht Willi.<br />

Casa <strong>No</strong>bile GmbH<br />

Bahnhofstrasse 1, 3315 Bätterkinden<br />

casa-nobile.ch<br />

Gelateria:<br />

Montag bis Donnerstag<br />

Freitag<br />

Samstag<br />

Sonntag<br />

12 bis 18 Uhr<br />

12 bis 21 Uhr<br />

10 bis 21 Uhr<br />

10 bis 18 Uhr<br />

Je nach Wetter werden die Öffnungszeiten angepasst.<br />

+41 32 665 77 60


Famiglia


TRE — Famiglia<br />

117<br />

TRE


TRE — Famiglia<br />

118<br />

Klare Willenssache<br />

Am deutlichsten zeigt sich der <strong>Vergani</strong>-Aufbruch am Fusse des Zürcher Uetlibergs<br />

in Stallikon. Dort wurde 2021 das minutiös geplante Grosslager mit über tausend Palettplätzen<br />

eröffnet. Seither hat Reto <strong>Vergani</strong> ein neues Lieblingslokal.<br />

«Für mich ist das neue Grosslager in Stallikon vor allem<br />

eines», sagt Gianni <strong>Vergani</strong>: «Eine unübersehbare Visitenkarte.»<br />

<strong>Vergani</strong> – viele Zürcherinnen und Zürcher denken<br />

beim Klang des Namens an die schmucke Enoteca und<br />

Grapperia an der Zentralstrasse 141 in Zürich. An jenen<br />

Ort, an dem im Jahr 1892 der Traum der Familie <strong>Vergani</strong><br />

begann. Für Aussenstehende beinahe unbemerkt ist die<br />

Firma <strong>Vergani</strong> zu einem der führenden Direktimporteuren<br />

von italienischen Weinen und Grappas in der Schweiz<br />

herangewachsen. Logistisch ist das eine Herausforderung.<br />

«Ich habe 10 Jahre lang gesucht, bis wir vor 5 Jahren<br />

in Stallikon fündig wurden», sagt Reto <strong>Vergani</strong>. Für ihn<br />

ist mit dem Grosslager, seinem neuen Lieblingslokal, ein<br />

weiterer Karrieretraum in Erfüllung gegangen.<br />

Bis es so weit war, wurden tollkühne Pläne verworfen<br />

und es wuchs die Enttäuschung bis zu jenem Abendanlass,<br />

an dem Reto <strong>Vergani</strong> per Zufall den jungen<br />

Architekten Lukas Brassel kennenlernte. «Er hatte<br />

nicht viel vorzuzeigen, aber er liess mich auch nicht in<br />

Ruhe», erinnert sich <strong>Vergani</strong>. «Er wollte dieses Projekt!<br />

Und ich machte ihm nichts als Auflagen», erzählt er,<br />

und er zählt auf: «Solarzellen, Temperaturbeständigkeit,<br />

konforme Materialien, Beschriftungen und, und,<br />

und.» Keiner der beiden liess locker und nach acht Monaten<br />

Bauzeit konnten der junge Architekt und der<br />

ältere Herr gemeinsam auf den Sprung in ein neues<br />

<strong>Vergani</strong>-Zeitalter anstossen.<br />

Bild: Torvioll Jashari<br />

Text: Andrin Willi


TRE — Famiglia<br />

121<br />

Zehn Jahre gesucht, tollkühne Pläne verworfen, acht Monate gebaut, jetzt voll in Betrieb:<br />

Reto <strong>Vergani</strong> im Grosslager in Stallikon.


TRE — Famiglia<br />

122<br />

Family Office<br />

<strong>Vergani</strong>. Vor knapp <strong>13</strong>0 Jahren begann die Firmengeschichte mit einem Comestibles-Laden<br />

an der Zentralstrasse 141 in Zürich. Heute leitet die fünfte Generation der Familie am<br />

selben Ort die Geschicke der Unternehmung. Flavia, Gianni und Luca erzählen aus ihrem<br />

Büroalltag, was sie antreibt, aufreibt und weiterbringt.<br />

Bild: Torvioll Jashari<br />

Text: Andrin Willi


«Wenn unser Vater im Lager steht, ist das Tempo unter den<br />

Lagermitarbeitenden viel höher. Dann rennen sie.»<br />

Flavia <strong>Vergani</strong><br />

Es war eigentlich biologisch nicht wirklich vorgesehen<br />

und auch nicht zu erwarten. Dennoch ist es passiert:<br />

Reto <strong>Vergani</strong> ist (unbemerkt) älter geworden. Hinter den<br />

Kulissen haben seine Frau Jolanda und er ihre Kinder<br />

natürlich nicht erst seit gestern auf den Einstieg und die<br />

Weiterführung des Familienunternehmens vorbereitet.<br />

Familienunternehmen bedeutet: Familie und Unternehmen<br />

sind unzertrennbar. Manchmal ist das praktisch,<br />

manchmal zum Heulen. «Für meinen Vater war es immer<br />

das Schönste in einem Restaurant, wenn sich die Besitzer<br />

zu uns hingesetzt und erzählt haben. Als Bub konnte ich<br />

das nie verstehen», erzählt Gianni. Heute weiss er längst,<br />

wie es sich anfühlt, wenn aus Kunden Freunde werden.<br />

Drei Geschwister, kurz beschrieben: Luca ist der<br />

Genaue, Flavia liegt die Ästhetik, Gianni mag das grosse<br />

Ganze. «Wir leiten drei Fachgebiete und kommen uns<br />

nicht in die Quere», sagt Flavia. «Wir vertrauen uns», sagt<br />

Luca, «So können wir wachsen», ergänzt Gianni. Und<br />

ihr Vater? Wird er kürzertreten können? «Ich wünsche<br />

es ihm», meint Gianni. Die Unternehmung <strong>Vergani</strong> ist<br />

am Wachsen, sichtbar wird das in Stallikon, wo in diesem<br />

Jahr die neue Lagerhalle eingeweiht wurde, die Gianni<br />

gerne als die grösste «Kommunikationsmassnahme» der<br />

Firmengeschichte bezeichnet. Viele interne Prozesse<br />

sollten nun Schritt für Schritt digitalisiert und optimiert<br />

werden. «Wenn wir Fehler vermeiden wollen, müssen wir<br />

uns dem stellen, denn die Abläufe sind noch nicht überall<br />

mit dem Volumen mitgewachsen», hält Gianni fest.<br />

«Papierloses Büro?», fragt Luca und antwortet<br />

gleich selbst: «<strong>No</strong>ch nicht!» Er ist es, der den Einkauf<br />

leitet, die Logistik plant, die Lagerbewirtschaftung<br />

managt und kontrolliert. Er ist seinem Vater im Alltag am<br />

nächsten, denn dieser steht täglich im Lager und wenn es<br />

sein muss, setzt er sich auch hinters Steuer eines Lieferwagens.<br />

«Wird ein Prozess durch die Digitalisierung nicht<br />

besser, müssen wir ihn auch nicht ändern», fordert Luca.<br />

«Einverstanden», sagt Flavia: «An solchen Diskussionen<br />

reiben wir uns.» Gut so. Wo Reibung, da Feuer – wo<br />

Feuer, da Leidenschaft. Und wenn es irgendwo tatsächlich<br />

brennen sollte, ist ihre Mutter zur Stelle. «Alle freuen sich,<br />

wenn sie kommt», erzählt Flavia: «Sie ist wie ein Joker,<br />

springt immer spontan ein, übernimmt das Telefon und<br />

entlastet das ganze Team. Auch als <strong>No</strong>nna.»<br />

«Die Frage der Fragen war, ob wir ein eigenes<br />

Lager wollen oder nicht», wirft Gianni in den Raum.<br />

Die Antwort ist unübersehbar. Gemeinsam hat sich die<br />

Familie für diese Investition ausgesprochen und das<br />

macht die Philosophie und die Kultur der Firma <strong>Vergani</strong><br />

überdeutlich spürbar. «Eine eigene Lagerbewirtschaftung<br />

und die eigene Logistik in unserem Heimmarkt<br />

sind für uns eine wichtige und elementare Kompetenz»,<br />

sagt er. «Unsere Chauffeure kennen unsere Kunden, sie<br />

wissen alles, machen einen Umweg, reagieren flexibel<br />

und wenn es darum geht, in diesem Bereich einen<br />

Schritt besser zu sein als andere, dann machen wir<br />

diesen Schritt», sagt Luca und Flavia klinkt sich ein:<br />

«Wir wollen dieses Persönliche nicht verlieren, denn wir<br />

vertrauen unseren Mitarbeitenden, die eine grosse Nähe<br />

zu unseren Kunden und Freunden haben, das zeichnet<br />

uns aus, auch wenn das Thema Same Day Delivery zu<br />

einer echten Herausforderung wird.» Und was meint<br />

Gianni? «Bei uns beruht alles auf Ehrlichkeit und<br />

Vertrauen», sagt er und fügt an: «Und einen schöneren<br />

Vertrauensbeweis als jener, dass unsere Chauffeure an<br />

die Hochzeiten unserer Kunden eingeladen werden, gibt<br />

es aus meiner Sicht nicht.»


Marc Hürlimann ist professioneller Begeisterer und lebhafter Verbinder.


TRE — Famiglia<br />

125<br />

Marc, who?<br />

Bild: Flavia <strong>Vergani</strong><br />

Text: Andrin Willi


Marc Hürlimann lebt seine Marketingkarriere, doch die Komfortzone<br />

interessiert ihn dabei wenig. Ende 2017 hat er sich mit<br />

seiner eigenen, hoch spezialisierten Agentur selbstständig<br />

gemacht. Sein erster Kunde ist noch heute sein liebster.<br />

Es bedürfte vieler Worte, um den Werdegang von Marc Hürlimann (47) zusammenzufassen.<br />

«Studiert habe ich nie», wirft er ein. Er ist ein Selfmademan. Ein Macher. Ein<br />

Denker. Ein Netzwerker. Ein Planer. Einer, der nicht nur sich, sondern auch Firmen<br />

wie British Airways, American Airlines, Credit Suisse oder Lombard Odier ins richtige<br />

Licht rücken kann. Bei allen diesen Firmen hat er im In- und Ausland in führenden<br />

Marketingpositionen gearbeitet. Er kennt die Bedürfnisse seiner Kunden. Deswegen<br />

schafft er Plattformen, auf denen sich die Kunden von seinen Kunden inspirieren lassen,<br />

vernetzen und wohlfühlen können. Er nennt das «Brand Connector», denn «was es<br />

schon gibt, ist mir zu wenig», sagt er. Eine starke Ansage. Und dennoch – wen haben<br />

Roger Federer, Gucci, Aston Martin, Rolex oder <strong>Vergani</strong> gemeinsam? Marc. Marc, who?<br />

Für Gianni <strong>Vergani</strong> ist Marc nicht einfach ein externer Dienstleister, er ist Teil der<br />

Famiglia, «unser Brückenbauer zu Menschen und Marken», sagt er. «Wir sind überzeugt,<br />

dass hinter jeder Weltmarke auch spannende Menschen stecken und nur wenn<br />

man sich auf der menschlichen Ebene sympathisch ist, sind aussergewöhnliche gemeinsame<br />

Projekte möglich», fügt Gianni <strong>Vergani</strong> an. «An den Kreativsitzungen mit<br />

Marc fangen wir immer klein an und schaukeln uns dann hoch. Im Arbeitsalltag sind<br />

das fast meine Lieblingsstunden», meint er.<br />

Mit immer neuen Ideen und unkonventionellen Vorschlägen kreiert Marc Hürlimann<br />

massgeschneiderte Gemeinsamkeit. Die inszenierte, aber nie plumpe Vernetzung<br />

steigert letztendlich den Verkauf. Aber eben: die anspruchsvolle Kundschaft von Luxus-Brands<br />

hasst Langeweile wie den Tod. «Darum ist Fingerspitzengefühl gefragt,<br />

die Details müssen stimmen, lieber gehe ich die Extrameile, anstatt einen Abend zu<br />

verantworten, bei dem sich die Gäste sagen, sie wären lieber zu Hause geblieben», erklärt<br />

er, der in einer Hoteliersfamilie aufgewachsen ist. Die Begeisterung der Kunden<br />

vor Ort ist das eine, die Überzeugungsarbeit, die er vorher bei seinen Auftraggebern<br />

leistet, das andere. «Meine Partner brauchen Weitsicht», gibt er zu. Und genau das<br />

schätze er bei <strong>Vergani</strong>. «Mein erstes Mandat», sagt er sichtlich stolz, denn seit März<br />

2018 gehört er zur Famiglia. Naja, nicht ganz. «Der Ritterschlag war die Einladung ans<br />

<strong>Vergani</strong>-Weihnachtsfest der Mitarbeitenden im Dezember 2019», erzählt er.<br />

«Der Spirit der Familie <strong>Vergani</strong> fasziniert mich. Ob Chef oder Chauffeur, alle<br />

ziehen am selben Strang. Ferner darf man laut denken, ohne dass jede Idee schon im<br />

Keim erstickt wird», sagt Hürlimann, und er gibt zu, dass man sich seine Sporen aber


TRE — Famiglia<br />

127<br />

auch bei den <strong>Vergani</strong>s abverdienen muss. «Bevor Reto <strong>Vergani</strong> nicht das Zauberwort<br />

‹Champions League› sagt, bin ich nicht zufrieden», fügt er an. Im Wissen, dass die<br />

Weinhandelsfirma ein atypisches Mandat für ihn ist.<br />

Ma rc Hürlimann hat sich mit seiner Agentur auf die Positionierung von Lu xus-Brands<br />

spezialisiert, aufs Networking unter Ultra High Level Individuals und auf die Kreation<br />

von massgeschneiderten, hochexklusiven Events. «Trotzdem funktioniert unsere Partnerschaft,<br />

weil die Bedeutung von einem Glas Wein mit der richtigen Person zum<br />

richtigen Zeitpunkt immer wichtiger wird. Zeit kannst du dir nicht kaufen, du musst<br />

sie dir nehmen», fügt er an. Und weil Genussmomente viel Bedeutung im Leben haben,<br />

sei <strong>Vergani</strong> eben doch ein «Luxuslabel».<br />

«Der Spirit der Familie <strong>Vergani</strong> fasziniert mich. Ob Chef<br />

oder Chauffeur, alle ziehen am selben Strang.<br />

Ferner darf man laut denken, ohne dass jede Idee schon<br />

im Keim erstickt wird.»<br />

Ah ja, fast vergessen: wie kam die Idee zum eigenwilligen Firmennamen? Hürlimann<br />

zögert. «Meine Exfrau trug aus offensichtlich emotionalen Gründen nach unserer<br />

Trennung ein T-Shirt mit Aufschrift: ‹Marc, who?›», erzählt er. Das habe sich bei ihm<br />

eingeprägt, was für einen Brand eigentlich ein gutes Zeichen sei, dachte er sich. Marken,<br />

Namen und Erlebnisse sind das eine, aber der Weg des Lohnempfängers zum Unternehmer<br />

ist etwas anderes. «Eins und eins gibt bei mir immer drei», betont er. Überdurchschnittlichkeit<br />

ist ihm wichtig. Musik. Fitness. Sein Rennfahrrad. Und welchen<br />

Traum hat er sich selbst noch nicht erfüllt? «Während einer Saison einen Beach Club<br />

in Saint-Tropez führen», sagt er. Wie das dort zu und her gehen wird, kann man sich<br />

sehr gut vorstellen.<br />

Infos: marcwho.ch


TRE — Famiglia<br />

128<br />

Ideologie als Innovationskiller?<br />

Der Klimawandel ist zur Dauerplage geworden. Frühe<br />

Ernten, mehr Hitzetage, mehr Stürme, starke Niederschläge,<br />

mehr Trockenheit, Hagel, Frost – das alles bedeutet<br />

mehr Stress für die Trauben und Ernteausfälle in<br />

ungekannten Dimensionen. Überall. Und alle Winzer,<br />

die ich kenne, haben ihre Schlüsse daraus gezogen. Sie<br />

haben umgedacht und umgestellt, denn einfach weiterzumachen<br />

wie bisher ist für niemanden eine Option, der<br />

bodennah lebt und arbeitet. Kleines Detail: ich spreche<br />

hier von Winzerinnen und Winzern und nicht von einer<br />

Industrieform, die meines Erachtens keine Berechtigung<br />

haben dürfte, Billigweine auf Kosten der Allgemeinheit<br />

zu produzieren.<br />

Ob eine biologische oder biodynamische Weinproduktion<br />

überall Sinn macht oder nicht, lässt sich<br />

nicht generell beantworten. «Für Ca’ del Bosco war die<br />

Konvergenz keine positive Entwicklung, was die Qualität<br />

des Traubenguts betrifft. Im Gegenteil, wir haben<br />

an Qualität verloren», sagt Maurizio Zanella im Interview<br />

auf Seite 70. Und trotzdem! Wenn ein Winzer das<br />

wichtigste Asset seiner Unternehmung – seinen Boden!<br />

– nachhaltig zerstört, ist er ein Idiot. Auch das hat<br />

Zanella gesagt. Ein beeindruckender Mann, der stets<br />

eines blieb, bleibt, bleiben wird – Visionär.<br />

Jeder Weinbauer und jede Winzerin verfügt über<br />

ein hoch spezialisiertes Lokalwissen, einen Erfahrungsschatz,<br />

der ihm oder ihr die Kompetenz verschafft, bestmöglich<br />

zu entscheiden. Ich stelle fest: es wird gehandelt.<br />

Und damit meine ich nicht, dass Rebberge in Gletschernähe<br />

angesiedelt werden, obschon man in gewissen Regionen<br />

tatsächlich immer höher hinauswill. Agroökologie heisst<br />

das Wort der Stunde und immer mehr Winzer denken<br />

darüber nach. Egal, ob in Bordeaux oder in der Toskana:<br />

die ökologische Präzisionslandwirtschaft hält Einzug in<br />

das gerne romantisierte Winzerleben. Technik bringt Zukunft.<br />

Ob Drohnen, smarte Landwirtschaftsmaschinen<br />

oder Roboter im Rebberg – die Forschung läuft. Aber<br />

es gibt gerade im Biolandbau noch viel Forschungsarbeit<br />

zu tun. «Ideologie sollte kein Stoppschild vor Innovation<br />

sein», hat der Agrarwissenschaftler und Vordenker des<br />

biologischen Landbaus Urs Niggli am «Soil to Soul»-Symposium<br />

in Zürich in einem provokativen Sinn gesagt.<br />

Natürlich kann man der Natur freien Lauf lassen,<br />

in der Rebe, im Keller, in der Flasche. Das mag<br />

zu unglaublich guten Ergebnissen führen, manchmal<br />

jedoch auch zu unglaublich schlechten. Natürlich! Es<br />

gibt kein Richtig und kein Falsch. Als Geniesser, und<br />

das kann ich mit grosser Freude sagen, bin ich gerne<br />

bereit, mehr zu bezahlen, wenn ich geschmacklich und<br />

«ethisch» begründen kann, warum mir ein Wein und<br />

die Philosophie des Weinbaubetriebs gefällt. Die gute<br />

Nachricht? Ich bin nicht der Einzige, der so denkt.<br />

Illustration: Alec Doherty<br />

Text: Andrin Willi


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BAD RAGAZ: Grand Hotel Quellenhof & Spa Suites BASEL: Grand Hotel Les Trois Rois BERN: Bellevue Palace, Hotel Schweizerhof Bern & Spa<br />

CRANS-MONTANA: Guarda Golf Hotel & Residences, LeCrans Hotel & Spa GENÈVE: Beau-Rivage, Four Seasons Hotel des Bergues,<br />

Mandarin Oriental Geneva GSTAAD: Gstaad Palace, Le Grand Bellevue, Park Gstaad, The Alpina Gstaad<br />

INTERLAKEN: Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa LAUSANNE: Beau-Rivage Palace, Lausanne Palace LE MONT-PÈLERIN:<br />

Le Mirador Resort & Spa LUGANO: Hotel Splendide Royal LUZERN: Mandarin Oriental Palace Luzern MONTREUX: Fairmont Le Montreux<br />

Palace NEUCHÂTEL: Beau-Rivage Hotel PONTRESINA: Grand Hotel Kronenhof ST. MORITZ: Badrutt’s Palace Hotel, Carlton Hotel St. Moritz,<br />

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Impressum<br />

<strong>13</strong>0<br />

Ausgabe <strong>13</strong> — 2021<br />

Herausgeber:<br />

Famiglia <strong>Vergani</strong><br />

Auflage:<br />

<strong>13</strong>’000 Ex. pro Ausgabe<br />

Erscheinung:<br />

1 × pro Jahr<br />

Druck:<br />

Stämpfli AG<br />

Korrektorat:<br />

Gregor Szyndler<br />

Autoren:<br />

Andrin Willi, Jan Graber,<br />

Marcel Gabriel<br />

Fotografen:<br />

Alessandro Furchino Capria, Simon Habegger,<br />

Torvioll Jashari, Flavio Karrer,<br />

Lukas Lienhard, Flavia <strong>Vergani</strong><br />

Illustration:<br />

Alec Doherty<br />

Design & Art Direction:<br />

Charles Blunier & Co.<br />

<strong>Vergani</strong> + Co. AG<br />

Zentralstrasse 141, 8003 Zürich<br />

T +41 44 451 25 00, info@vergani.ch<br />

vergani.ch<br />

ISSN 2673-2599


Beyond Passion & Experience

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