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prima! Magazin –  Ausgabe Mai 2024

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REPORTAGE Fotos: LEXI

REPORTAGE Fotos: LEXI Die evangelische Pfarrerin Mag. Sieglinde Pfänder am Grab für Fehlgeburten auf dem Evangelischen Friedhof A.B. in Oberwart. Seit 2006 wird diese Grabstätte von der Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt. Das Bestattungsunternehmen Tölly übernimmt die Beerdigung der Sternenkinder kostenlos. Knapp 500 Gramm Liebe Der Sohn der evangelischen Pfarrerin Sieglinde Pfänder wurde am 12. April 1995 als Sternenkind geboren. Das heißt, er starb Anfang der 20. Schwangerschaftswoche bereits im Mutterleib und wurde dann mit etwas weniger als 500 Gramm tot geboren. Er wurde, so sagte man es ihr damals, als „medizinischer Abfall entsorgt“. Sein Gewicht hat darüber entschieden. Rein rechtlich differenziert man in Österreich zwischen Fehlgeburten und Totgeburten. Von einer Totgeburt spricht man, wenn das Kind spätestens während der Geburt stirbt und mehr als 500 Gramm wiegt. Ist das Gewicht geringer, gilt es juristisch als Fehlgeburt. Während Totgeburten bestattet werden und die Trauer somit auch von der Gesellschaft anerkannt ist, musste das Bestattungsrecht bei Fehlgeburten erst erkämpft werden. Diese für betroffene Eltern oft traumatische Erfahrung soll seit dem Jahr 2006 mit der Grabstätte für Fehlgeburten am Evangelischen Friedhof A.B. in Oberwart durchbrochen werden. Und dennoch weiß Sieglinde Pfänder als Seelsorgerin, dass in der Gesellschaft immer noch das Verständnis für die Trauer verwaister Eltern fehlt. Nicole Mühl 12 MAI 2024 www.prima-magazin.at

REPORTAGE Die parlamentarische Bürgerinitiative „Mut zeigen“ fordert die Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs für Betroffene von Schwangerschaftsverlusten unter 500 Gramm Geburtsgewicht (sog. „Fehlgeburten“), der insbesondere eine Verbesserung der Regelungen des Mutterschutzes, die Möglichkeit einer vorübergehenden Freistellung der Eltern, eine Betreuung durch Hebammen und Psycholog*innen beinhaltet sowie den Bestattungskostenbeitrag ausdehnt. Auch die Abänderung des Begriffs „Fehlgeburt“ in „Schwangerschaftsverlust“ in allen einschlägigen (Bundes-) Gesetzen wird u.a. gefordert. Mag. Sieglinde Pfänder betreut als Seelsorgerin Eltern von sogenannten Sternenkindern. Also Kinder, die das Licht der Welt nicht gesehen haben. Sie kennt selbst die Trauer und Depressionen, die eine Fehlgeburt verursachen kann. Heute könne sie den Schmerz ablegen, sagt sie. Aber immer noch gibt es Momente, wo sie die Traurigkeit überwältige. Das Grab der Sternenkinder auf dem Evangelischen Friedhof A.B. in Oberwart ist nicht zu übersehen. Ein kleines, buntes Windrad aus Plastik rattert leise vor sich hin. Es ist umgeben von Engelfiguren, Spielzeug, unzähligen Kerzen, winzigen Stofftieren. Ein kleiner bunter Christbaum blitzt inmitten der vielen Osterhasen hervor. Jemand hat auch einen Schnuller auf das Grab gelegt. Es ist die Überladenheit, die Vielzahl an Gegenständen und Symbolen, die die Trauer der hinterbliebenen Eltern mit einer Wucht verdeutlicht, dass auch Pfarrerin Sieglinde Pfänder kurz innehält, Bei Sternenkindern wird in Österreich unterschieden zwischen: • Totgeburten (wenn kein Zeichen einer Lebendgeburt vorhanden ist und das Kind über 500 Gramm aufweist): Totgeburten oder Stillgeburten müssen am Standesamt gemeldet werden, sie werden in das Sterberegister eingetragen und es wird eine Sterbeurkunde ausgestellt. Für tot geborene und direkt nach der Geburt verstorbene Kinder besteht in ganz Österreich eine Bestattungspflicht. • Fehlgeburten (wenn kein Zeichen einer Lebendgeburt vorhanden ist und das Kind unter 500 Gramm wiegt): Fehlgeburten müssen nicht gemeldet werden, sie werden nicht in das Sterberegister aufgenommen und erhalten keine Sterbeurkunde. Es besteht keine Verpflichtung, dem Kind einen Namen zu geben. Für fehlgeborene Kinder gilt in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und Vorarlberg eine Bestattungspflicht. In Kärnten, Burgenland und Tirol besteht für fehlgeborene Kinder ein Bestattungsrecht. Fehlgeburten müssen grundsätzlich nicht angezeigt werden. Seit 1. April 2017 besteht jedoch die Möglichkeit, auf Antrag der Mutter (oder des Vaters mit Einverständnis der Mutter) die Daten einer Fehlgeburt als sonstige Personenstandsdaten der Mutter einzutragen. Mit Einverständnis der Mutter können auch der Vorname und der Familienname des Mannes eingetragen werden, der die Eintragung als Vater begehrt. Das Standesamt stellt, falls gewünscht, eine entsprechende Urkunde aus. Quelle: BMF Gynäkologen*innen definieren Fehlgeburten mittlerweile nach Schwangerschaftswochen, aber das Gesundheitsministerium definiert noch immer nach Geburtsgewicht. als sie auf das Grab zugeht. Sie ist selbst Mutter eines Sternenkindes. 29 Jahre wäre ihr Sohn Matthias heuer geworden, erzählt sie. Und da ist sie plötzlich: die Traurigkeit, die die Seelsorgerin trifft. Immer noch. Sie versucht sie wegzuschlucken, wegzuatmen. „Fehlgeborene Kinder unter 500 Gramm wurden als Sondermüll entsorgt“, sagt sie. Auch ihr Sohn Matthias. Sieglinde Pfänder war damals gerade mit ihrem Studium fertig, hatte bereits zwei Kinder und hatte, wenige Monate zuvor, in Oberwart ihr Vikariat begonnen, ihre praktische Ausbildung zur Pfarrerin, als sie wieder schwanger wurde. „Dieses Kind hat damals überhaupt nicht in unsere Pläne gepasst und ich konnte mich anfangs nicht darauf freuen“, blickt sie zurück. Doch von Woche zu Woche seien die Liebe und die Freude gewachsen. In einem Kindermodengeschäft wollte sie schließlich die ersten Babysachen kaufen. Sie war in der 20. Schwangerschaftswoche, als sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Sieglinde Pfänder musste ihren Sohn tot gebären. Gesehen hat sie ihr Kind nur einen kurzen Augenblick. Man sagte ihr, sie solle „kein Drama machen“. Es sei tot. Fertig. Dann war es weg. Ihren Wunsch, ihren Sohn zu beerdigen, hätte sie sich vor 29 Jahren erst erkämpfen müssen. „Diese Kraft hatte ich in der Situation nicht“, sagt sie. Sie habe damals gelernt, welche Dimension Leid bekommen kann, wenn ein Stück von einem selbst stirbt. „Aber vor allem auch, weil dir abgesprochen wird, dass du diese schmerzliche Erfahrung betrauerst. Weil die Gesellschaft zu dir sagt, dass dein Schmerz nicht groß genug ist, dass du ihm einen Namen und einen Platz geben darfst. Weil man sagt, dass das, was du betrauerst, noch nichts war. Nichts Lebendiges.“ Sieglinde Pfänder hat also getan, was viele betroffene Frauen tun. Sie habe geschwiegen und gelernt zu funktionieren, sagt sie. Eine Grabstätte für Sternenkinder Etwa zehn Jahre nach ihrer Fehlgeburt kam die Anfrage von der Klinik Oberpullendorf durch Sieglinde Pfänders Schwester, der Frauenärztin Michaela Klein, nach einer Grabstätte für Fehlgeburten. „Es war im Presbyterium sofort klar, dass wir dieses Grab in Oberwart zur Verfügung stellen und ich die Seelsorge der betroffenen Eltern gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer Dietmar Stipsits übernehme“, erklärt Pfänder. Gefördert wurde die Errichtung des Grabes auch durch die damalige Frauenlandesrätin Verena Dunst. Eltern mit einer sogenannten „glücklosen Schwangerschaft“ haben seit 2006 endlich einen Ort, wo sie ihr Kind bestatten können. „Es ist ein Platz, der für viele tröstlich ist. Ein Ort, wo sie ihrem Kind einen Namen geben und diesen auch auf einer Schriftrolle hinter Glas ‚verewigen‘ können“, erklärt die Seelsorgerin. Nicht alle tun dies. „Manche wollen ihre ‚glücklose Schwangerschaft‘ lieber >> weiter auf Seite 14 MAI 2024 13

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