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UMWELT JOURNAL 2020-4

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UMWELT JOURNAL 2020-4 Themen dieser Ausgabe sind: Luftqualität digital verbessern, Zukunftsthema Wasserstoff, OMV und Verbund setzen auf Photovoltaik, Ausbildung zum Umwelttechniker, Sanieren mit Naturbaustoffen, Energieverbrauch in historischen Gebäuden senken, Krisenbewältigung - gewusst wie; Ausbildungen & Seminare, Bibliothek; Veranstaltungen: EPCON, Recy & DepoTech, POLLUTEC

UMWELTjournal 4/2020 | S8 Wasserstoff wird in Europa zum Thema Deutschland und Österreich haben jeweils ihre Strategie zum Thema Wasserstoff veröffentlicht. Dieser soll künftig ein bedeutender Energieträger werden und die Dekarbonisierung zur Erreichung von Klimazielen vorantreiben. Wir haben nun Experten des Beratungsunternehmens Arthur D. Little befragt. Interview: PETER NESTLER UJ: Wie ist das Consulting-Unternehmen Arthur D. Little zum Wasserstoff gekommen, welche Themen werden gerade behandelt? Engin Beken: Wir haben uns die ganze Wertschöpfungskette angesehen und da ist ein Thema entsprungen, das wir aktuell bearbeiten. Es geht darum, wasserstoffbasierte Müllsammelfahrzeuge ins Feld zu bringen und dazu auch die entsprechende Wasserstoffversorgung aufzubauen. Also die Frage: Kann man mit einer Müllverbrennungsanlage für ein Heizkraftwerk wirtschaftlich sinnvolle Voraussetzungen schaffen. Das heißt, wir beschäftigen uns momentan gerade sehr konkret mit der Frage: Was kostet das, wie geht das, wer kann den Wasserstoff dort brauchen. UJ: Bei diesem Thema geht es zum einen um die technische Machbarkeit zum anderen um die Einsatzmöglichkeiten sowie um die Infrastruktur und damit auch um die Kosten. Jüngst wurde in Österreich ein Vorstoß gewagt, der thematisch sehr mutig klingt: Österreich als Wasserstoffnation Nummer 1. Was bedarf es, um überhaupt beim Thema Wasserstoff aufzeigen zu können? Beken: Es ist eine wirtschaftliche Perspektive notwendig. Wasserstoff konkurriert derzeit mit anderen Energieträgern und ist dort heute aus verschiedenen Gründen nicht wettbewerbsfähig. Die gegenwärtigen oder mittelfristigen Perspektiven für eine Wirtschaftlichkeit, ohne dass es Zuschüsse gibt, sind auch nicht gegeben. Das wirkt wie eine Bremse. Wir hatten letztens ein Gespräch mit einem großen Kraftwerksbetreiber. Der hat eine Pilotanlage betrieben und gesagt: Das Thema können wir vorerst abschreiben. Denn der Preis muss wirtschaftlich sinnvoll bei mindestens 100 Euro pro Tonne liegen, bevor das wirtschaftlich eine Perspektive ergibt. Es ist derzeit einfach so, dass die Technologie noch nicht so kostengünstig ist; aufgrund der kleinen Stückzahlen, ist das auch klar. Matthias von Becholdsheim: Das kann man eins zu eins auf die Probleme in Österreich umlegen. Ohne eine geeignete Infrastruktur werden wir auch hier nicht über die Pilotprojekte, die es heute gibt, zu einem flächendeckenden Einsatz von Wasserstoff kommen. Auf der anderen Seite besteht der Vorteil, dass Österreich viel grünen Strom erzeugen könnte und somit einen guten Ausgangspunkt auch für Wasserstoff bietet. Beken: Ich sehe das auch in der Chemieindustrie. Beispielsweise ergeben sich an der Nordseeküste unter der Nutzung von Offshore-Wind Alternativen, wenn die kein Erdöl oder Gas mehr verwenden dürfen. Die gehen dann natürlich auch Projekte mit Großelektrolyseuren an unter dem Motto: Wenn wir jetzt nichts tun oder die Augen verschließen, dann stehen wir auf den hinteren Plätzen, falls sich die Regularien ändern. Weil natürlich der Zugang zu Strom kontinental limitiert ist. Und wenn dann einmal ein großer Elektrolyseur dasteht, ist der quasi erst einmal an der Stelle Monopolist. Das heißt, es müssen inzwischen strategische Positionen geschaffen und gewahrt werden. UJ: Österreich ist ein Land mit 8 Millionen Einwohnern und hat eine bekannt niedrige Forschungsquote. Was ist in dem Zusammenhang von einer Aussage zu halten, die da lautet: Wir wollen das Wasserstoffland Nummer 1 werden? Beken: Meiner Meinung nach muss man sich mehr fragen, in welchem Bereich der Wertschöpfungskette: in der Anwendung, in der Forschung, in der Produktion. Ich hätte gesagt, was Technologieentwicklung angeht, das dürfte schwierig sein. Ich könnte mir vorstellen, in der Anwendung, in der Infrastruktur. Man muss zuerst analysieren, wo braucht es Wasserstoff und wo ist es nice to have. Das wird sicher weniger ein Thema im Individualverkehr sein. Der Markt für E-Autos wird in den nächsten Jahren überschwemmt werden mit Modellen. Aber es gibt ein paar Anwendungsbereiche, wo die

Batterie einfach schlapp macht. Das sind hohe Gewichte, also der Bereich Schwerlast, das sind große Busse. Aber eben auch Steigungen, sowie etwa in Österreich. Becholdsheim: Ich kann mir vorstellen , dass Wasserstoff in der Industrie in Österreich eine Rolle spielen wird. Wenn wir nach Oberösterreich schauen, da ist durchaus ein Dekarbonisierungstrend in der Produktion von Stahl in Diskussion. Es werden künftig die Auflagen im Schwertransportverkehr strenger werden, insbesondere Lkw müssen deutlich emissionsärmer werden. Ich rechne nicht damit, dass ganze Fahrzeugflotten mit Wasserstoff betrieben werden, aber in einzelnen Segmenten wird er durchwegs zum Einsatz kommen. Und es wird einzelne Industrien treffen nach und nach, insbesondere die Schwerindustrie. UJ: Wie sieht es ihrer Meinung nach bei der Infrastruktur aus, es gibt ja Erdöl, Gas, Strom und dann käme noch Wasserstoff dazu. Wie ist so etwas in der Infrastruktur zu bewältigen, einen weiteren Energieträger hinzu zu nehmen? Beken: Das muss man nach den Segmenten unterscheiden. Im Transportbereich braucht man eine Tankstelleninfrastruktur. Das ist klar und auch kein Hexenwerk. Man braucht nicht unbedingt die ganzen Pipelines dafür, die Versorgung kann auch über Tankfahrzeuge bewerkstelligt werden. Wenn die Stahlindustrie versorgt werden soll, hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man stellt den Elektrolyseur nahe an das Stahlwerk oder man erledigt die Elektrolyse woanders, etwa in Ländern, in denen die Stromgestehungskosten noch geringer sind und transportiert dann den Wasserstoff über Pipelines oder mit Tankschiffen. Dieses Thema haben wir gerade in Deutschland, wo die Nachnutzung von Gasnetzen von der Nordsee in das Ruhrgebiet diskutiert wird. Ebenso betrifft es Stadtwerke mit Gasnetzen, die nicht mehr wirklich wirtschaftlich genutzt werden können. Becholdsheim: Deutschland hat 40.000 km Übertragungsnetze und Österreich 2.500 km. Hier ist es im Wesentlichen eine Ost-West- und eine Nord-Süd-Verbindung. Das heißt, hier Wasserstoff bis in die hintersten Winkel des Landes zu bringen, wird über das Gasnetz nicht möglich sein. Beken: Das Schöne am Wasserstoff ist allerdings, dass man ihn überall dort herstellen kann, wo Strom verfügbar ist. Das heißt, limitierend oder von Nachteil ist nur ein hoher Strompreis. Andererseits ist Wasserstoff ein Speichermedium, das sich auch gut eignet, um Erzeugungsschwankungen auszugleichen. Das passt zu dem Energieprofil, das Österreich hat, sehr gut. UJ: Gibt es Schätzungen, was eine Basisinfrastruktur für den Verkehr kosten würde? Becholdsheim: Der Umbau einer Tankstelle kostet rund 1,5 bis 2 Mio. Euro. Eine sinnvolle Infrastruktur müsste in Österreich zumindest rund 250 Tankstellen betreffen. Bei innerstädtischen Tankstellen ist der Einbau des Gefäßes für den Wasserstoff schwierig, am Stadtrand oder außerhalb ist das kein Problem. UJ: Rechtliche Rahmenbedingungen? Muss etwas geändert werden? Becholdsheim: Man müsste vor allem den Ausbau der Kapazitäten fördern, das können Investitionskostenzuschüsse sein, das kann eine indirekte Unterstützungsleistung sein., indem man eine Grenzsteuer für CO2 einführt. In dem heutigen Setup, wenn man sagt, man will mehr Wasserstoff haben, braucht es eine Strategie und Maßnahmen – ähnlich wie bei der Elektromobilität. Da wird auch direkt zum Erwerb von E-Fahrzeugen zugeschossen. Man muss aber auch etwas auf der Strombezugsseite machen. Das betrifft Abgaben und Umlagen, die gestaltet werden müssen, um den Umbau in Richtung Wasserstoff zu unterstützen. Die Politik muss sich entscheiden, was sie erreichen will und wo man sich entlang der Wertschöpfungskette positionieren will. Wie soll die Dekarbonisierung mit dem Energieträger Strom erreicht werden und wie kann das incentiviert werden. UJ: Unterschiedliche Möglichkeiten die Klimaziele zu erreichen. Wo würde da der Einsatz von Wasserstoff den größten Effekt erzielen? Beken: Ganz sicher dort, wo es gar nicht anders geht. Die Dekarbonisierung besteht ja aus drei aufeinander aufbauenden Schritten: Erstens Energiesparen, also nicht nur weniger Emissionen verursachen, sondern zum Beispiel auch die Dämmung von Gebäuden. Zweitens Elektrifizierung. Viele Gebäude, die derzeit mit Gas beheizt werden, könnten bei entsprechender Dämmung auch mit Wärmepumpen beheizt werden. Das ist vielleicht in Österreich in Gegenden, die besonders kalt sind, etwas schwierig, aber anderswo gäbe es Potenzial dafür. Und drittens der Bereich, wo es gar nicht anders geht: zum Beispiel bei Flugzeugen, in der Industrie, eben zum Beispiel in der Stahlherstellung etc. Den größten Anteil hat aber sicher die Chemieindustrie. Denn bei der Verwendung von Wasserstoff darf Kohlenstoff nicht fehlen. Man muss sich also fragen: Wo kommt das Kohlendioxid für die Produktion von Wasserstoff her. Das ist ein Seitenthema, das oft vergessen wird. UJ: Wie könnte das Thema Wasserstoff in Österreich vorangetrieben werden? Becholdsheim: Die klassische Kaskade wäre: Bei einem neuen Thema müssen zuerst von der Politik die geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden und dann lässt man die verschiedenen Marktplayer agieren. Ich glaube, dass Wasserstoff, ohne dass es incentiviert wird, im Markt nur ein Nischenplayer sein wird können. Wenn aber die Politik hier entsprechende Maßnahmen setzt und Investitionsanreize schafft und diese Investitionen im Nachgang auch schützt. Dann werden sich auch die großen Energieunternehmen mit diesem Thema beschäftigen – und die braucht es dazu. Wir haben mit allen davon in Österreich gesprochen und alle basteln an ihrer eigenen Wasserstoffstrategie.