UMWELTjournal 3/2023 | S32 GREEN LOGISTIC Da sind sehr gut durchdachte Förderkonzepte notwendig, um die Umstellung auch wirklich umsetzen zu können. Die Flotten werden auch nicht mit einem Schlag von Verbrenner auf E-Antrieb umgestellt, in der Übergangsphase hat der E-Antrieb in einer korrekten Kalkulation keine Chance gegen den alten Verbrenner. Die Entkopplung der Transportmengen vom Wirtschaftswachstum ist absolut notwendig. Das Pushen der Kreislaufwirtschaft mit Wiederverwendung von Rohstoffen, Pfandsystemen, etc. wird aber die Volumina nicht reduzieren. Auf Seite 128 wird eine Mautreduktion für emissionsfreie Nutzfahrzeuge angeboten. Das halte ich für plakativ aber nicht zielführend. Es wird auf Knopfdruck keine reinen emissionsfreien Fuhrparks geben. Der Unternehmer kann aber nicht 100 Prozent auf emissionsfrei disponieren. Ich würde das Geld eher in die Finanzierung des Fuhrparks leiten, da wird es dringender benötigt. UJ: Österreich findet sich im Logistik-Report der Weltbank auf Platz 7 unter 139 Staaten. Kann man darin erkennen, dass Österreichs Transportwirtschaft gut arbeitet oder sehen Sie Nachholbedarf? Staberhofer: Bei aller Wertschätzung sind solche Rankings immer wieder zu hinterfragen und kritisch zu sehen. Vor einigen Jahren (2014) lagen wir auf dem 22. Rang und jetzt laut Report auf Rang sieben. Haben wir uns hier wirklich um so viele Plätze verbessert, oder waren wir 2014 nicht vielleicht besser? UJ: Die Welt erlebt derzeit massive und geopolitische Veränderungen. Wie soll sich der Logistik- Sektor auf diesen Wandel einstellen? Muss Logistik künftig neu organisiert werden? Staberhofer: Resilient zu sein, ist das Credo. Dabei kann schon helfen, mehr in vorausschauende Planung zu investieren und 100%-ige Abhängigkeiten zu reduzieren. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft Kooperationen zwischen den Unternehmen an Bedeutung gewinnen wird. Auch wenn es idealistisch klingen mag, aber ein ethisches Verhalten wird wichtiger werden, wenn man Zusammenarbeit ernst meint. Das adressiert an rein machtzentrierte Unternehmen wie die OEM, die mit ihrem Verhalten gegen die Nachhaltigkeit in allen Dimensionen wirken. UJ: Wie sieht Ihrer Einschätzung nach die Zukunft der Logistik aus? Staberhofer: Seit der Jahrtausendwende hat die Logistik viele Krisen bewältigt. Die Logistik hat in allen Phasen die Versorgungssicherheit aufrechterhalten und Chaos vermieden. Jetzt geht es darum zukünftiges Chaos zu vermeiden. Hier hat die Logistik die Pflicht und Chance, sich mit Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft zu verlinken, um rechtzeitig auf drohende Lieferkettenprobleme reagieren zu können. UJ: Ist mit Automatisierung, Robotik, ChatGPT oder künstliche Intelligenz KI in Zukunft noch mehr möglich oder klingt dabei auch viel Zukunftsmusik mit? Staberhofer: Der Arbeitskräftemangel wird den Bedarf an Logistik-Lösungen Automatisierung und amortisierbare Digitalisierung weiter verstärken. Man muss Arbeit dort, wo es möglich ist, durch Technologie aus dem System nehmen. Und man muss sich überlegen, wo man arbeitsintensive Lieferketten eliminieren kann. Dabei werden neue Geschäftsmodelle entstehen. Die Möglichkeiten der KI sind heute vielfach erst im Ansatz erkennbar. Mit Blickrichtung Arbeitskräftemangel wird der Einsatz von KI unabdingbar sein und weitere an Bedeutung gewinnen. UJ: Wie verändert sich Logistik, wenn der Fachkräftemangel weiterhin ein schlagendes Thema bleibt? Staberhofer: Das ist eine Frage nicht nur für Logistik. Es ist eine Tatsache, dass die notwendigen Arbeitskräfte für die geplanten Umsatzsteigerungen der Unternehmen nicht vorhanden sein werden. Dem entsprechend müssen Wertschöpfungsketten neugestaltet werden; und u.a. einzelne Elemente des Netzwerks in Regionen zu verlagern, in denen noch ausreichend Arbeitskräfte existieren. Neben der verstärkten Automatisierung gilt es vor allem intelligente Lösungen für hybrides Arbeiten bzw. neue Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, um als Arbeitgeber attraktiv zu werden bzw. zu bleiben. Und man muss sich der Tatsache stellen: Weiteres Wachstum nur mit mehr Strom für das gleiche Tun zu erreichen wird zu keiner CO2 Reduktion führen und noch weniger zu Nachhaltigkeit. Da kann SCM neue Geschäftsmodelle und echte Kreislaufwirtschaft unterstützten und der notwendigen Veränderungen Vorschub geben. UJ: Der VNL hat im Auftrag des Klimaschutzministeriums BMK einen online-Reifegrad-Check zum Auffinden von Risiken und Störungen in Lieferketten entwickelt. Welche Ergebnisse liefert ein solcher Check?
Staberhofer: Klein- und Mittelbetriebe verfügen oftmals nicht über die notwendigen Ressourcen, um die Risiken in den Lieferketten systematisch zu analysieren und vorsorglich geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ihnen soll der neu entwickelte Reifegrad-Check eine erste Hilfestellung sein. Das intuitive Werkzeug steht interessierten KMU ab sofort unter: https://scrm-kmu.vnl. at/ kostenfrei zur Verfügung. Mit dem Reifegrad- Check sowie einem passenden Leitfaden können sich Unternehmen rasch einen ersten Überblick über Risiken und möglichen Störungen in ihren Lieferketten verschaffen. Wir haben nach einer rund einjährigen Entwicklungszeit damit ein Online-tool geschaffen, dass auch zur Steigerung des Risikobewusstseins der heimischen Betriebe beitragen soll. UJ: Österreich will bis 2040 klimaneutral sein. Ist das ob der gegenwärtigen Veränderungen in Ökonomie und Ökologie dieser Zeithorizont vernünftig? Staberhofer: „An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser“, meinte einst Charlie Chaplin. Für die Wirtschaft multiplizieren sich diese derzeit zu enormen Herausforderungen. Es werden durch Verordnungen zwingende Wegweiser aufgestellt, ohne für die damit vorgegebenen Pfade begehbare Wege zu schaffen. Gleichzeitig rütteln die Realitäten heftig an den Wegweisern. Das Ziel CO2-Null ist und bleibt zugleich Ziel und Narrativ. Auch wenn festgestellt wurde, dass die derzeitigen Wegweiser nicht zum Ziel führen, werden diese nicht neu ausgerichtet, sondern es wird Frame-Setting betrieben. Maßnahmen, die viel mehr (grünen) Strom brauchen, werden forciert, e-Fuels werden als realistische Lösungen argumentiert, jede pilotierte Wasserstoffinitiative bereits als fertige Lösung gefeiert, Digitalisierung zum Prinzip erhoben, der Rohstoffbedarf für den Green Deal nicht offen ausgesprochen. Zu Ende gedacht bedeutet das, dass sich der notwendige Energiebedarf verdoppeln würde. Dieses Faktum wird ignoriert oder durch das Narrativ „grüne Energie wird’s machen“ argumentativ gelöst. Die EU stellt mit dem Green Deal sein europazentriertes Ziel der CO₂-Reduktion auf Null in den Mittelpunkt - ohne Beachtung der dadurch negativ induzierten Nachhaltigkeitswirkungen in anderen Regionen, gestützt durch das kommende Lieferkettengesetz. Das ist jedenfalls ein Widerspruch zu den physischen und auch politischen Realitäten. Da braucht es vorausschauenden Realismus, die passenden Rahmenbedingungen und dazu konsequentes Handeln, um nicht eine Hyperdynamik in die Wertschöpfungsketten und Märkte zu bringen. Vielen Dank für das Gespräch!
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