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UmweltJournal Ausgabe 2017-02

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8 INDUSTRIE 4.0

8 INDUSTRIE 4.0 UmweltJournal /März 2017 Zukunftslotse: Industrie-Digitalisierung muss zu ökologischen Fortschritten führen Die regenerative Nachhaltigkeitswelt als Zielmarke von 4.0 Die Industriedigitalisierung muss auch einen Ökologie- und Nachhaltigkeitsschub auslösen, sagt der Münchner Zukunftslotse Thomas Strobel. UJ: Wie sehen Sie als „Zukunftslotse“ die Potenziale der großen beiden Schlagworte unserer Zeit „Industrie 4.0“ und „Digitalisierung“? Strobel: Aus meiner Sicht ist wichtig, das Gesamtbild der beteiligten Wirkmechanismen ins Auge zu fassen. Nach wie vor gilt: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.“ In Ergänzung zu diesem Zitat der ehemaligen HP-Chefin Carly Fiorina sind wir dabei auch zu einem deutlichen Zugewinn an Ökologie und Nachhaltigkeit verpflichtet. Das heißt, die Digitalisierung muss in den kommenden Jahren auch Logistikströme vermeiden oder verkürzen, Ressourcen drastisch einsparen helfen und auch zukunftstaugliche Wertstoffkreisläufe im Blick haben. Generell ermöglicht Industrie 4.0 die zielorientierte Vernetzung von Kunden und Lieferanten mit cyber-physikalischen Systemen und gespeicherten Bestandsdaten, um auf dieser Grundlage Produkte, Dienstleistungen, Applikationen und Lösungen mit hohem Kundennutzen anzubieten. Industrie 4.0 ist darin ein auf Fertigungsund Logistikprozesse fokussierter Teilaspekt zukünftiger Wertschöpfungsnetzwerke. Die Potenziale sind erwartungsgemäß dort besonders hoch, wo durch die wachsende Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung neue, attraktive Geschäftsmodelle möglich werden oder der bisher wahrnehmbare Kundennutzen erheblich gesteigert werden kann. Wird diese Entwicklung unsere Industrie auf den Kopf stellen? Sie wird durch die gravierende Veränderung der informationstechnischen Randbedingungen alle Industriebereiche erfassen, einige revolutionieren und manche in Frage stellen. Revolutionäre Entwicklungen erwarte ich dort, wo sich fundamentale Veränderungen des Nutzerverhaltens abzeichnen. Nehmen wir das Beispiel Verkehr: Wenn aus dem bisherigen Bedarf am „Besitz eines Autos“ der Wunsch nahtloser Mobilität von A nach B wird, verliert ein klassischer Automobilhersteller möglicherweise einen großen Teil seines Marktes. Hingegen wird ein netzbasierter Mobilitätsanbieter, der die verschiedensten verfügbaren Transportmittel buchungstechnisch nahtlos vernetzt und den Kunden problemlos zugänglich macht, zur Plattform mit dem maximalen Kundennutzen. Wie sieht Ihr Zukunftsszenario für eine Industrie 4.0 im Endstadium aus? Ich könnte schon für 1.0, 2.0 und 3.0 kein Endstadium beschreiben – außer im Hinblick auf nicht mehr gebräuchliche Technologien wie Dampfmaschinen oder C-Netz-Telefone im Handtaschenformat. Solche Jahrzehnte andauernden Entwicklungen sind immer ein Kontinuum. Bevor wir mit Industrie 4.0 fertig wären, hält möglicherweise der Quantencomputer Einzug und verschiebt die Grundlagen der Digitalisierung von Zwei Schritte vorwärts, einen zurück: Um Zukunftslandkarten erstellen zu können, nutzt Strobel in seinen Workshops mit interdisziplinären Expertenteams die Methodik der Retropolation „Das größte Potenzial von Industrie 4.0 für Ökologie und Nachhaltigkeit liegt in einer stark lokalisierten, hochautomatisierten Produktion nahe am Kunden.“ Zukunftslotse Thomas Strobel berät Branchen und Unternehmen. den Regeln klassischer Physik hin zu quantenmechanischen Zuständen von Qubits – mit heute nicht absehbaren Veränderungen. Dessen Konsequenzen kann auch ich nicht besser einschätzen als vergleichsweise ein Ritter des Mittelalters die Folgen eines Flugzeugabsturzes auf ein Atomkraftwerk … Zurück zu Ökologie und Nachhaltigkeit: welche Vorteile bringt 4.0 in diesen Bereichen? Das größte Potenzial für Ökologie und Nachhaltigkeit liegt in einer stark lokalisierten, hochautomatisierten Produktion nahe am Kunden. Damit könnten Consumer-Produkte künftig so angeboten werden, dass der Kunde die von ihm gewünschten Eigenschaften und Designelemente online in einem Konfigurator individuell gestaltet. Gescannte Körperdaten nutzt ein integrierter und lernender Stilberater, der bei der Auswahl unterstützt. Das in 3D simulierte Produkt wird nach Auslösen der Bestellung in eine standardisierte Produktionsdatei umgewandelt und an das dem Kunden nächstgelegene, herstellerneutrale Produktionszentrum gesendet, das alle erforderlichen Fertigungsschritte ausführen kann. Das Endprodukt, das in den nächsten Jahrzehnten mit 3D-Druck und anderen additiven Fertigungsverfahren entsteht, wird direkt zum Kunden geliefert oder in einem Abholzentrum hinterlegt. Aus Kundensicht ist die nach seinen Bedürfnissen individuell hergestellte Ware funktional hochwertiger, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit die Nutzungsdauer gegenüber Massen- Billigware verlängern wird. Gleichzeitig werden Lieferzeit und Logistikwege von Fertigprodukten minimiert, während sich die Lagerhaltung von Rohstoffen und Vorprodukten ebenfalls regional für die Versorgung zahlreicher Fertigungszentren bündeln lässt. Was ist daneben aber von den viel zitierten Sharing-Technologien beziehungsweise -Economies in der 4.0-Gesellschaft zu erwarten? Der Paradigmenwechsel vom Besitzen zum Benutzen hat längst begonnen. Letzteres empfiehlt sich mit immer neuen Serviceangeboten gerade in urbanen Lebensräumen als Nutzungsprinzip. Vermittlungsplattformen für Sharing-Produkte werden wichtiger, der Bedarf nach Lagermöglichkeiten und Parkplätzen für Besitzprodukte im urbanen Ballungsraum nimmt ab. Auch die Lebensweise wird sich den Werten von „Lohas“ (Lifestyle of Health and Sustainablity) weiter annähern. „Umwelttechnologien müssen in der anstehenden Transformation der ‚ fossilen Logistikwelt‘ in eine ‚regenerative Nachhaltigkeitswelt‘ wichtige Beiträge leisten.“ Thomas Strobel, Fenwis Quelle: Fenwis Foto: Bayern innovativ An Bedeutung gewinnen dabei Umweltverträglichkeit und Ressourcenschonung von Produkten, Herstellungsprozessen und produzierenden Unternehmen. Damit steigen zugleich die Anforderungen an Qualität und Haltbarkeit von Produkten. ZUR PERSON Wie sieht es dabei für die Branche Umwelttechnologien mit Blick auf 2030 generell aus? Umwelttechnologien müssen in der anstehenden Transformation der „fossilen Logistikwelt“ in eine „regenerative Nachhaltigkeitswelt“ wichtige Beiträge leisten. Da wir heute etwa für 2050 eine Erdbevölkerung von rund zehn Milliarden Menschen erwarten, wird uns dieser Transferprozess bis weit in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts beschäftigen. Bei Umwelttechnologien wird die Entwicklung dezentraler und wirtschaftlicher Lösungen besondere Bedeutung für eine schnelle Verbreitung gewinnen. Für eine Nachhaltigkeitswelt brauchen wir mittelfristig in erster Linie geschlossene Kreisläufe – je lokaler wir diese etablieren können, desto mehr Wirkung werden sie haben. Ein Beispiel: Wird Regenwasser von Dächern oder versiegelten Flächen in Zisternen aufgefangen und gefiltert, kann es direkt als Wasch-, Spül- oder Gießwasser verwendet werden. Zusätzlich könnte das Wasser auch als Wärmespeicher in Heizungskonzepten mit Wärmepumpen zum Einsatz kommen. Wichtige Agenda-Punkte bei Umwelttechnologien sind Wasser- und Luftreinigung im urbanen Raum, Lärmreduzierung in Ballungszentren, dezentrale Energieerzeugung mit hohem regenerativem Anteil, Energierückgewinnung und umweltfreundliche Erzeugung gesunder Lebensmittel nahe am Verbraucher, aber auch lokale Kreisläufe für Wasser, Biomüll, Abfall und Wertstoffrecycling, einschließlich automatisierter Mülltrennung und -aufbereitung, um – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige große Blöcke zu nennen. Vorausschauen schützt generell vor Überraschungen: Was könnten Unternehmen aus diesen Branchen tun, um für sich Produktideen aus der Zukunft zu entwickeln? Nicht nur Konzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen können Zukunftsvorschau betreiben, indem sie anfangen, Charakteristika einer nachhaltigeren Welt 2030 zu beschreiben, um daraus frühzeitig wichtige, zu erwartende Kunden- und Marktanforderungen abzuleiten. Wir unterstützen deshalb Unternehmen und Branchenverbände, die sich intensiver mit Zukunftsvorschau und „vorausschauendem Fahren“ beschäftigen möchten, methodisch mit einer Retropolation: einer moderierten Zukunftsreise nach 2050, von der wir auf eine nähere Zukunft 2030 zurückblicken können. Wie die in Broschüren veröffentlichten Projektergebnisse für Textilforschung 2025 und Faser & Papier 2030 belegen, ist der Nutzen ein zusätzlicher Blickwinkel für alle Beteiligten. Diese Erfahrung erleichtert es Management-Teams, zukünftige Bedarfe und Kundenanforderungen auf der Basis eines gemeinsam erarbeiteten Zukunftsbildes in die strategischen Überlegungen einzubeziehen. Zukunftslotse Thomas Strobel ist Geschäftsführer der Fenwis GmbH in Gauting. Als Dipl.-Ing. für Maschinenwesen gilt der 53-Jährige auf Grund seiner beruflichen Vita mit Stationen in branchenübergreifenden Strategie- und Planungsteams von Siemens und Telekommunikationsfirmen als besonders industrienah. Fenwis hat sich mit Blick auf den Bedarf mittelständischer Unternehmen und kompletter Branchen methodisch auf die teamorientierte, systematische Zukunftsplanung in Form von Zukunftslandkarten spezialisiert. www.fenwis.de; thomas.strobel@fenwis.de

März 2017/ UmweltJournal UMWELTANALYTIK | MESSTECHNIK 9 Antriebslösungen für die Laborautomatisierung Ist das moderne Labor bereits vollautomatisiert, Frau Hong? In Analyselaboren werden täglich unzählige Proben getestet. Die Vorteile der Automatisierung in diesem Bereich liegen auf der Hand: Sie ermöglicht schnellere Ergebnisse, höheren Durchsatz, geringere Fehleranfälligkeit und weniger Personalkosten. Um für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen, kommt es bei den Antriebssystemen der Automaten vor allem auf hohe Dynamik und Präzision an, wie Aihua Hong, Sales Engineer bei Faulhaber, im Interview betont. UmweltJournal: Automatisierte Prozesse gibt es in allen Laborbereichen, etwa in der Chemie, Pharma- und Lebensmitteltechnologie. In den letzten Jahren aber kam es zu einem starken Anstieg des Marktes der Laborautomatisierung, warum? Hong: Die Medizinbranche ist ein Bereich mit einem weltweit starken Wachstum. Automatisierte Lösungen sind dort schon seit vielen Jahren bei der sogenannten In-vitro-Diagnostik (IVD) unverzichtbar, also der Analyse medizinischer Proben wie Blut, Urin oder Gewebe. Zudem werden Versuchsabläufe auch in den Forschungslaboren von Pharmaunternehmen bei der Neuentwicklung von Arzneimitteln immer häufiger automatisiert. Ist das moderne Labor bereits vollautomatisiert? Das Ausmaß der Automatisierung ist in den verschiedenen Laboren sehr unterschiedlich. Die Spanne reicht von der Durchführung einzelner Prozesse mit Stand-Alone- Geräten bis zur kompletten Probenanalyse in komplexen Anlagen. Letztere werden vor allem in Bereichen benötigt, in denen sehr viele Proben nach einem standardisierten Protokoll untersucht werden müssen und wenig Flexibilität erforderlich ist – etwa bei der IVD im Zentrallabor eines Krankenhauses oder in großen Laboren für medizinische Diagnostik. In diesen Laboren läuft nahezu der gesamte Analysevorgang automatisch ab. Wie gestalten sich die automatisierten Arbeitsschritte in einem derartigen Labor? Es beginnt bereits bei der Vorbereitung der Blutproben in den Entnahmeröhrchen, die nach Farben kodiert sind. Ein Scanner erfasst, welche Analyse für ein Röhrchen erforderlich ist und sorgt dafür, dass es von einem Roboterarm entsprechend sortiert wird. Einige dieser Proben werden zudem zentrifugiert, um die Blutbestandteile voneinander zu trennen. Anschließend werden sie in speziellen Transporteinheiten zur eigentlichen Analysestation befördert, zum Beispiel per Fließband oder in einem kleinen Wagen mit Radantrieb. Die Probe wird zunächst identifiziert, indem der Barcode auf eine Kamera ausgerichtet und ausgelesen wird. Anschließend „Im Prozessablauf einer Laboreinheit müssen viele verschiedene Bewegungen durchgeführt werden, dementsprechend unterschiedlich sind Ansprüche an die Antriebstechnik.“ Aihua Hong, Faulhaber Fotos: faulhaber wird die Verschlusskappe vom Röhrchen geschraubt und ein Teil der Probe entnommen. Für eventuelle spätere Tests wird das Röhrchen wieder verschlossen und archiviert. Die Probe wird für die eigentliche Analyse in ein Reaktionsgefäß überführt, zum Beispiel auf eine Testplatte oder eine Petrischale. Beim anschließenden Versuchsablauf wird die Antriebstechnik hauptsächlich für Prozesse wie Pipettieren, Liquid Handling, Mischen und Rühren gebraucht. Auch eine Herausforderung für die technische Umsetzung, beziehungsweise die Antriebstechnik … Richtig. Im gesamten Prozessablauf müssen viele verschiedene Bewegungen durchgeführt werden, dementsprechend unterschiedlich sind Ansprüche an die Antriebstechnik. Die Förderbänder brauchen große, leistungsstarke Motoren, in den mobilen Komponenten müssen sie möglichst kompakt und leicht sein. Zum Beispiel? Viele der Anwendungen benötigen zum Beispiel ein hochdynamisches System für wiederholte Start-Stopp- Bewegungen, etwa bei Pick-and-Place- und Pipettiervorgängen. Dabei ist Schnelligkeit ebenso gefordert wie eine sehr präzise Positionierung. Zudem spielen hier Größe und Gewicht eine Rolle: Der Antrieb für die Auf- und Abwärtsbewegung von Greifarm oder Pipettierkopf befindet sich meistens in der mobilen Komponente. Er muss daher besonders leicht und kompakt sein. Für solche Anwendungen sind zum Beispiel unsere DC-Kleinstmotoren der Serien 1524SR und 2224SR von Faulhaber gut geeignet. Sie haben keine Eisenanker und sind daher viel leichter und kleiner als andere Modelle, die in Bezug auf die Leistung vergleichbar sind. Gleichzeitig zeichnen sie sich durch eine sehr hohe Dynamik aus. Sie werden meist in Kombination mit einem Encoder der Serie IE2 eingesetzt, der die Gesamtlänge der Einheit um lediglich zwei Millimeter vergrößert. So wird bei sehr kompakter Bauweise eine hohe Leistung erreicht. Videotipp: youtube.com/ watch?v=b3nP3T7n4Sg Beim Pipettieren, Liquid Handling, Mischen und Rühren ergeben sich zahlreiche Herausforderungen für die technische Umsetzung, vor allem für die Antriebstechnik. Viele der Anwendungen in der Laborautomatisierung benötigen ein hochdynamisches System für wiederholte Start-Stopp-Bewegungen, etwa bei Pick-and-Place- und Pipettiervorgängen. Die Medizinbranche ist ein Bereich mit einem weltweit starken Wachstum. Automatisierte Lösungen sind dort schon seit vielen Jahren unverzichtbar.