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Departures Germany Autumn 2020

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30 DEPARTURES TRAVEL

30 DEPARTURES TRAVEL KLASSIKER RELOADED Neustart im Schwarzwald Zeitgemäße Architektur, kulinarische Visionen: Die Gourmethochburg Baiersbronn erfindet sich neu. Von Patricia Bröhm WENN STATTLICHE LIMOUSINEN an der Ausfahrt Rottenburg die A81 verlassen, um bereitwillig hinter einem Traktor mit 30 km/h durch dunkle Tannenwälder zu schleichen, können sie nur ein Ziel haben: Baiersbronn. Der idyllische Schwarzwaldort, wo im Sommer Kühe auf grünen Weiden grasen und im Winter Loipen die weiße Landschaft durchziehen, ist ein Unikum in der deutschen Gastronomielandschaft. Hier stehen ganze vier Spitzenköche am Herd, gemeinsam können sie auf acht Michelin-Sterne verweisen. Und haben damit mehr für den Ort getan als alle Tourismus - direktoren zusammen. In den ersten Januartagen gingen dramatische Bilder aus Baiersbronn sogar um die Welt: Die Restaurant- Ikone Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach (traube-tonbach.de) ging in Flammen auf. Doch schwäbischer Unternehmergeist ist nicht Ultramodern: hochkarätiges Provisorium für die legendäre Schwarzwaldstube zu bremsen – schon am nächsten Tag begann die Eigentümerfamilie Finkbeiner die Wiederauferstehung des wohl berühmtesten Restaurants der Republik zu planen. Ende 2021 soll der neue Gastronomietrakt eröffnet werden, doch bis dahin müssen Gourmets nicht darben: Zu Pfingsten eröffnete Patron Heiner Finkbeiner das Temporaire, ein im Rekord tempo auf ein bestehendes Gebäude aufgestocktes „Zuhause auf Zeit“ für die Schwarzwaldstube (drei Sterne) sowie das Zweitrestaurant Köhlerstube (ein Stern). Dass der Michelin die Wertungen nach dem Brand zunächst aussetzte, wurde in der Gourmetszene mit Unverständnis quittiert – es gilt als ausgemacht, dass sie in der nächsten Ausgabe zurückkehren. „Die Schwarzwaldstube von einst ist Vergangenheit, aber unsere Kü- © TRAUBE TONBACH; RECHTE SEITE VON OBEN: GÜNTER STANDL (2), RENÉ RIIS

Konkurrenz belebt das Geschäft. Acht Sterne auf 15.000 Einwohner, wo gibt es das schon? che hat sich nicht verändert“, sagt Küchenchef Torsten Michel. „Mein Team ist extrem motiviert – jetzt beginnt ein neues Kapitel.“ Wie eh und je ist das Restaurant Abend für Abend ausgebucht, die Gäste freuen sich an Klassikern des Hauses wie dem mit sekundenkurz pochierten Gillardeau- Austern gefüllten Steinbutt. Wie sein legendärer Vorgänger Harald Wohlfahrt orientiert sich Michel an der französischen Klassik, die er gekonnt modernisiert: Färöer-Lachs inszeniert er mit japanischen Aromen, von Hijiki-Algen bis Shoyumarinade, auch dem Trend zur Gemüseküche wird er gerecht, wenn er Tomate als Mittelpunkt eines Gerichts durchdekliniert, vom zarten Gelee über das kühle Sorbet auf feinem Couscous-Salat bis zur duftenden Bouillon. Die Schwarzwaldstube begründete einst den Ruhm von Baiersbronn, doch inzwischen basiert er auf einer Binsenweisheit: Konkurrenz belebt das Geschäft. Acht Sterne auf 15.000 Einwohner, wo gibt es das schon? Für viele Gäste liegt der Reiz darin, sich an einem Wochenende durch vier Top-Adressen zu futtern. Denn unten im Tal, nur wenige Kilometer entfernt, glänzen ebenfalls drei Sterne – über dem Restaurant Bareiss (bareiss.com) im gleichnamigen Ferienhotel. Auch hier ein erstklassiges Haus und eine Eigentümerfamilie, die Spitzenkoch Claus-Peter Lumpp alle Freiheiten lässt. Lumpp ist überzeugt, dass die Nähe zu Frankreich die Entwicklung Baiersbronns entscheidend förderte. Nach wie vor kauft er vieles im Nachbarland ein. Doch auch rund um das Sternedorf hat sich ein Netzwerk erstklassiger Lieferanten entwickelt. Der Bio-Schäfer von der Schwäbischen Alb liefert seine Tiere direkt ins Bareiss, sie finden sich als delikates Dreierlei auf edlem Porzellan wieder – vom gebratenen Rücken über den geschmorten Bauch bis zu Bries, Leber und Zunge. Wenn auf der Speisekarte Reh „aus der Bareiss Jagd“ in zwei Gängen steht, dann war der Patron sogar selbst auf der Pirsch – Hannes Bareiss ist passionierter Jäger. Und so sind der gebratene Rücken mit Pfifferlingen und Holunderblüte wie das pochierte Nüsschen mit Brotsalat auch ihm zu verdanken. Der 40-Jährige übernahm die Führung des Hauses schon vor einigen Jahren von seinem Vater Hermann, der Generationenwandel ist vollzogen. Doch die Liebe zum guten Produkt ist erblich: Im idyllischen Buhlbachtal erwarb Bareiss eine traditionsreiche Forellenzucht von 1908, um überliefertes Handwerk zu erhalten. Aufwendig renoviert gibt sich das klassische Schwarzwaldhaus, mitten Von oben: Hotel Bareiss und Forellenhof Buhlbach; unten: Torsten Michels Steinbutt mit Austernsauce im Grünen gelegen, postkartenreif. Klar, dass im Forellenhof Buhlbach die namensgebenden Fische aus den rundum gelegenen Teichen das kulinarische Angebot bestimmen, ob „blau“ oder als „Müllerin“. Aufbruchstimmung herrscht auch im dritten namhaften Haus am Ort: Jörg Sackmann und seine beiden Söhne machen ihr Haus (hotel-sackmann. de) fit für das 21. Jahrhundert. Küche und Restaurants (darunter das mit einem Stern ausgezeichnete Schlossberg) wurden komplett neu gestaltet, derzeit entsteht ein moderner Anbau mit zusätzlichen Zimmern. „Wir wollen den Schwarzwald zeitgemäß und nachhaltig interpretieren“ – so umschreibt Sackmann nicht nur das eigene Projekt, sondern auch den neuen Geist von Baiersbronn. DEPARTURES 31

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