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Departures Germany Summer 2020

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DEPARTURES CULTURE

DEPARTURES CULTURE WEITBLICK Dem Himmel so nah Ecuadors hoch gelegene Hauptstadt bekommt eine Skyline – mithilfe weltbekannter Architekten. Von Tom Vanderbilt. Fotos von JAG Studio 38 Im Uhrzeigersinn von links: Oh Residences von Arquitectonica mit Marcel Wanders und Yoo; One Quito von Leppanen + Anker; Yoo Quito von Arquitectonica mit Philippe Starck und Yoo; Metropolitan von Christian Wiese

AN EINEM SONNIGEN MORGEN in Quito, der stets von zwölf Stunden und sechs Minuten Tageslicht verwöhnten Stadt am Äquator, bemüht sich Joseph Schwarzkopf, seiner Vergangenheit im Marketing alle Ehre zu machen und mir seine Stadt gut zu verkaufen. „Für uns ist Quito eine Geschichte, die noch nicht erzählt wurde“, schwärmt er in den Büros von Uribe & Schwarzkopf, der Baufirma, an deren Gründung sein Vater vor beinahe 50 Jahren als Architekt beteiligt war. „Es gibt viel zu sehen. Das Klima ist gut. Man kann hier günstig leben. Die Stadt liegt in der gleichen Zeitzone wie der Osten der USA.“ Zu lange sei die zwischen Vulkankegeln gelegene Andenstadt, die sich in einem schmalen Band durch das Guayllabamba- Becken erstreckt, als Zwischenstopp auf dem Weg zu den Galápagos-Inseln behandelt worden. Eine Übernachtung und ein kurzer Bummel durch die wunderbar erhaltene und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Altstadt genügte. Lange Zeit fühlte sich Quito, der zweithöchste Regierungssitz der Welt nach dem bolivianischen La Paz, eher wie ein großes Dorf als eine Metropole an. Etwas isoliert, etwas konservativ. Doch das ändert sich. Wie schnell die Entwicklung voranschreitet, wird etwa am 21 Kilometer langen Tunnel für die erste U-Bahn-Linie der Stadt deutlich, der in nur 16 Monaten unter den dicht gefüllten Straßen Quitos entstand. Doch die auffälligste und dramatischste Veränderung ist die Skyline der Stadt. Daran war kein Unternehmen stärker beteiligt als das von Vater und Sohn geführte U&S. Im Laufe der letzten Jahre stellte die Firma eine ganze Reihe markanter, vielseitig genutzter Hochhäuser fertig. Sie sind bestens ausgestattet, bieten atemberaubende Ausblicke und wurden von renommierten Architekten und Designern entworfen, darunter Jean Nouvel, Moshe Safdie, Arquitectonica, Carlos Zapata, Marcel Wanders und Philippe Starck. Auch junge Talente wie Bjarke Ingels und Tatiana Bilbao von BIG waren beteiligt. Gemeinsam sorgen diese Gebäude mit auffälligen, modernen Fassaden für Schwung und neuen Lebensstil. Der Geist der Veränderung ist nicht nur wegen der Skyline spürbar, sondern auch aufgrund der allgegenwärtigen Plakate von U&S. Sie lassen ein wenig den Eindruck entstehen, als würde das Unternehmen Quito an sich selbst verkaufen wollen. Der Bauboom wurde von mehreren umfassenden Veränderungen ausgelöst. Die erste und grundlegendste darunter ist die wirtschaftliche Wende des Landes. „Wir haben vor 47 Jahren mit dem Bauen begonnen“, erklärt mir Mitbegründer und Präsident Tommy Schwarzkopf. „Das meiste haben wir aber in den letzten 15 Jahren errichtet.“ Diese Phase folgte nach der Wirtschaftskrise im Jahr 2000. Damals kam es zu einer Massenflucht aus dem Land, während der gleich mehrere Millionen Ecuadorianer nach Spanien auswanderten. Auch die Dollarisierung der Wirtschaft wurde vorangetrieben, was – so merkt Joseph an – Stabilität und langfristige Hypotheken auf den Markt brachte. Der nächste Meilenstein war die Fertigstellung des neuen Flughafens der Stadt, wie Jacobo Herdoiza, Projektkoordinator bei U&S, feststellt. Auf dem zwischen der Stadt und den Bergen eingezwängten alten Flughafen waren Unfälle keine Seltenheit. „Seine Geschichte gehört zur Folklore und ist tragisch zugleich“, berichtete er, während wir den Parque Bicentenario erkunden, der das Flughafengelände nun einnimmt. Um uns herum flitzen Radfahrer und Kinder auf Rollerblades über die ehemalige Piste. Mit dem Wegfall des Flughafens wurden die Höhenbeschränkungen für Gebäude gelockert. Der als verkehrsorientierte Entwicklung bezeichnete Ansatz erlaubt nun auch höhere Bauten in der Nähe der neuen U-Bahn-Linie, sofern die Vorgaben einer neuen Initiative für grünes Bauen befolgt werden. Diese hat Herdoiza in seiner früheren Rolle als oberster Stadtplaner von Quito selbst mitgestaltet. Das Dach von Yoo Quito Geografisch mag Quito im Zentrum der Welt stehen. So posaunt es zumindest das Äquatordenkmal unweit nördlich der Stadt hinaus. Doch sowohl architektonisch als auch in allen anderen Aspekten ist es weit davon entfernt. „Heutzutage generieren wir erstmals ein neues architektonisches Ethos“, betont Rómulo Moya Peralta, der Herausgeber der Design-Zeitschrift Trama. Lange Zeit fehlte der Stadt ein moderner Gegenpol zum historischen Kern mit seinen stattlichen Verwaltungsgebäuden und prachtvollen Kirchen. Als er mir das erzählt, sind wir in der Lobby des Hilton Colón, einem von drei brutalistischen Türmen, die von Ovidio Wappenstein entworfen und in den 1960ern gebaut wurden. Sie zählen zu den wenigen bemerkenswerten modernen Gebäuden Quitos. „Wir erleben gerade einen außergewöhnlichen Moment in der Entwicklung der ecuadorianischen Architektur, und das im Wesentlichen dank der Vision von Tommy Schwarzkopf“, führt er aus. Wie Wappenstein stammt auch Schwarzkopf von tschechischen Vorfahren ab. Seine jüdischen Eltern flohen in den 1930ern nach Ecuador, lernten sich in Quito kennen, heirateten und gründeten dort ein Textilunternehmen. Eine Laufbahn in diesem Unternehmen schien für Tommy vorherbestimmt. Er absolvierte zunächst einige Textilkurse an der Universität von Rhode Island, kehrte aber schon bald zu seiner ersten Liebe, der Architektur, zurück. Schließlich führte ihn sein Weg in die Baubranche. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte setzte er an die 200 Projekte um. „Sie waren großartig, aber die meisten von ihnen se- 39 DEPARTURES

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