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Departures Germany Summer 2021

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42 CULTURE AM URSPRUNG

42 CULTURE AM URSPRUNG Oben: Zoë Pauls Installation Gossip im Musée Arlaud in Lausanne; unten: die Künstlerin mit ihrem Werk KERAMIK IST HEUTZUTAGE überall präsent. Die Töpferscheibe ist in den sozialen Medien zum Anti-Stress-Mittel der Stunde geworden (dem nur der Sauerteig den Rang streitig macht). Die fertigen Werke sind ein Must-have in jedem während der Pandemie umdekorierten Zuhause – sowie hippe Ausstellungsobjekte in Privatgalerien von London bis Tokio. Doch nirgends ist das Revival dieses antiken Handwerks gegenwärtiger – und vielleicht auch künstlerisch interessanter – als in Griechenland, wo sich immer mehr Künstler, Kuratoren und Galerien dieser Kunstform verschreiben. „Das Töpfern habe ich als Kunsttherapie begonnen“, berichtet Stamatia Dimitrakopoulos, künstlerische Leiterin der Art Athina. „Ich kann mir dabei selbst die Freiheit geben, das zu tun, was mir in den Sinn kommt, ohne mich um andere Dinge zu scheren.“ Stamatia und ihre Organisation, der Mum Social Club, sind eine von vielen Gruppen der Stadt, die offen zu einem Abend einladen, an dem es um Töpferei, aber auch um Bücher und Essen geht. Und noch um ein wenig mehr: „Ich bin mit einer Menge an Büchern über Ruinen, Töpferwaren und die alten Griechen aufgewachsen“, erklärt sie. „Jetzt kommt es mir vor, als würde ich die Tradition fortsetzen.“ Diese tiefe Verwurzelung ist ein Teil dessen, was das Mon Coin Studio (moncoinstudio.com) so faszinierend macht, eine vor fünf Jahren eröffnete Galerie, die gerade ihre neuen Räumlichkeiten nur einen Steinwurf entfernt von Kerameikos, dem Töpferviertel des antiken Athens, bezogen hat. Die Gründerin und Kuratorin Eléonore Trenado-Finetis huldigt sowohl den Töpfern vergangener Zeiten als auch ihren zeitgenössischen Pendants und erschließt die Jahrtausende überspannende Dynamik mit Ausstellungen wie Ancient Vibes in Contemporary Ceramics, die Künstler von der bemerkenswerten, auf der Insel Sifnos beheimateten Familie Lembesis bis hin zum Athener Straßenkünstler Vaggelis Hoursoglou zeigt. „Wir wollten den Menschen in Griechenland zeigen, dass es hier auch heute noch Kreativität gibt, und nicht hier ansässigen Menschen zeigen, dass es trotz eines historischen und künstlerischen Erbes immer noch Künstler gibt, die spannende Werke schaffen“, sagt Trenado-Finetis. „Die griechische Töpferei ist sehr poetisch und erdverbunden, hat aber gleichzeitig auch etwas Spirituelles und Ätherisches. Es ist eine emotionale Kunst.“ Diese Meinung vertritt auch die in Griechenland lebende Künstlerin Zoë Paul, deren Arbeiten aus Tonperlenvorhängen VON OBEN: JULIEN GREMAUD, BORIS KIRPOTIN

IM UHRZEIGERSINN VON OBEN: VANIAS XYDAS (3), © MON COIN STUDIO „Noch bevor das Objekt entsteht, wird das Material von der Energie der Gemein schaft erfüllt“, so Zoë Paul. Oben: Gefäße von Katerina Latoufi bei der Ausstellung Ancient Vibes in Contemporary Ceramics des Mon Coin Studio; links: Stück der griechischamerikanischen Keramikerin Alexandra Manousakis bei Mon Coins Ausstellung Aigaio in angesagten Athener Galerien wie The Intermission (theintermission.art) sowie in internationalen Institutionen wie dem MoMA in New York zu sehen sind. Ihre Werke verbinden die anthropologische Analyse mit ästhetischer Wirkung und sind zum Teil durch ihre Kindheit auf der Insel Kythira inspiriert. „Als ich anfing, mit Ton zu arbeiten, hatte ich den Mythos im Kopf, dass Ton aus winzig kleinen Meerestieren gemacht wird“, berichtet Paul. „An dem Strand, von dem ich den Ton nehme, gab es eine alte minoische Zivilisation. Daher findet man neben dem rohen Ton auch alte Tonartefakte. Es herrscht dieses Gefühl, dass der Ton aus lebenden Organismen geschaffen wird und die Menschen den Ton benutzen sowie dann wieder in die Natur zurückführen werden.“ Eine ähnliche Art von Bereitschaft, in die Vergangenheit zu blicken, zeigt sich in den Arbeiten von Coxx Ceramics (instagram.com/coxx_ ceramics), deren subtil geformte antike Figuren beunruhigend modern sind. Andere junge Künstler führen das Medium hingegen an ganz neue Orte. Eugenia Vereli, die am Central St. Martins College in London studiert hat und bei der führenden Galerie Allouche Benias (allouchebenias.com) ausstellt, hat eine ausgeprägte Pop-Affinität. Im Gegensatz dazu stellt Yiorgos Trichas unter anderem schuppenverzierte Vasen her, deren einzige Verbindung zur Vergangenheit in ihrer numinosen Präsenz im Raum liegt. Und um genau diese Präsenz geht es schließlich beim jüngsten Revival der Töpferkunst, wie Zoë Paul darlegt: „Bei meinen Shows versuche ich oft, die Leute zu bremsen, damit sie mit der Gemächlichkeit des Arbeitsprozesses in Berührung kommen. Es geht darum, Menschen zusammenzubringen, Nähe zu schaffen und zusammenzuarbeiten. Noch bevor das Objekt entsteht, wird das Material von der Energie der Gemeinschaft erfüllt.“ Genau wie vor 2.500 Jahren ist Athen auch heute wieder ein Ort, der Kunst, Leben und Geschichte durch Ton vereint. Von links: Skulptur von Antonis Palles bei der Ancient-Vibes-Ausstellung von Mon Coin; Stück des Athener Künstlers Yiorgos Trichas bei Aigaio DEPARTURES 43

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