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EPP 09.2022

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NEWS & HIGHLIGHTS » Interview » Bei der Produktion achten Hersteller auf zwei wesentliche Faktoren: Materialverbrauch und Energieeffizienz « Produktion auf Abruf (on demand) wird also das Obsoleszenzrisiko in der Lagerhaltung reduzieren? Max Siebert: Neben der Produktion bietet additive Fertigung auch Nachhaltigkeitsvorteile in der Lieferkette. Andere Herstellungsverfahren erfordern häufig eine Mindestlosgröße, um die Produktion kosteneffizient zu gestalten, was häufig zu Überproduktion und unnötiger Lagerhaltung von Teilen führt. Dies erhöht nicht nur die Lagerkosten, sondern auch das Obsoleszenz-Risiko, wenn die Teile nicht verkauft werden. Für Unternehmen, die Ersatzteile anbieten, kann dies ein Replique Replique bietet eine industrielle 3D-Druckplattform, die es OEMs ermöglicht, ihren Kunden jederzeit und überall Teile über ein globales, dezentrales und sicheres 3D-Drucknetzwerk nach Bedarf bereitzustellen. Als Endto-End-Lösung unterstützt das Unternehmen seine Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette, einschließlich Design, Technologie und Materialauswahl sowie digitaler Lagerhaltung. www.replique.io großes Problem darstellen. Unternehmen sind in der Regel an Lieferanten gebunden, die oft enorme Mindestbestellmengen vorschreiben, selbst wenn nur wenige Ersatzteile benötigt werden. Mit additiver Fertigung ist es möglich und kosteneffizient, nur die Anzahl der Teile zu produzieren, die benötigt werden. Es müssen keine großen Lagerbestände angelegt werden, da die Teile nach Bedarf produziert werden können. Das 3D4U-Projekt von Repliques Kunden Miele zeigt dies gut. Hier werden Miele Teile, die der Endkunde über den Online-Shop von Miele bestellt, auf Abruf über die Replique Plattform gedruckt und direkt an den Kunden versandt. Die Gesamtlieferzeit beträgt fünf Arbeitstage einschließlich Versand und zeigt, dass die additive Fertigung schnelle und erschwingliche Teile anbieten und gleichzeitig Verschwendung vermeiden kann. Minimierte Transportwege für einen reduzierten CO2-Ausstoß? Max Siebert: Die Einführung der additiven Fertigung hat zu einer Verlagerung von der linearen Fertigung mit zentralen Verteilerstellen hin zu einem dezentralisierten Netzwerk von Lieferanten, Produktionspartnern und Kunden geführt. Ermöglicht wird dies durch geringe Investitionskosten, da eine Maschine eine Vielzahl von Teilen produzieren kann. Die Minimierung der Transportvorgänge wirkt sich positiv auf die Umwelt aus, da der CO2-Fußabdruck jedes Teils reduziert wird. Die Teile werden lokal, in der Nähe des endgültigen Bestimmungsortes, produziert und müssen so nicht mehr über weite Strecken transportiert werden. Dies verkürzt auch die Vorlaufzeit, was besonders in Zeiten von Lieferkettenunterbrechungen von Vorteil ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass additive Fertigung als Teil eines Print-on- Demand-Modells den Energieverbrauch, die Materialverschwendung und den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens reduzieren kann. Dies hat auch Vorteile für die Funktionsfähigkeit der Lieferkette. Herkömmliche Lieferketten erfordern mehrere Schritte, von denen jeder einzelne störungsanfällig ist, während additive Fertigung die Lieferkette verkürzt und widerstandsfähiger macht. Mit Hilfe der 3D-Drucktechnologie ermöglicht es Replique den OEMs, ihren Kunden Teile auf Abruf anzubieten – wann und wo sie benötigt werden Bild: Replique 8 EPP » 09 | 2022

NEWS & HIGHLIGHTS « Fertigungskonzepte: Flexibel und produktiv Matrixproduktionssysteme für Fabriken der Zukunft Wie können Hersteller schneller auf globale Krisen reagieren, mit Lieferengpässen zurechtkommen und gleichzeitig auf individuelle Kundenwünsche eingehen? Im Auftrag der acatech haben Fraunhofer- Forscherinnen und -Forscher untersucht, inwieweit cyberphysische Matrixproduktionssysteme Unternehmen helfen können, die Herausforderungen zu bewältigen. So viel Flexibilität wurde selten verlangt: Krisen- und kriegsbedingte Unterbrechungen der Lieferketten, kurzfristige Stornierungen oder Veränderungen der Bestellungen, ein Trend zu immer kleineren Auftragslosen und eine zunehmende Individualisierung der Produkte gehören heute zum Alltag vieler produzierender Unternehmen. Gleichzeitig müssen Unternehmen ihre Produktivität steigern, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Neue, flexible Fertigungskonzepte können dabei helfen. Zu diesem Schluss kommen die Forscherteams aus dem Fraunhofer-Institut IPA und IWU, weshalb gemeinsam im Auftrag der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech eine Expertise zur Umsetzung von cyberphysischen Matrixproduktionssystemen erstellt wurde. Der Begriff Matrix stammt ursprünglich aus der Mathematik, Produktionstechniker verstehen darunter eine schachbrettförmige Anordnung von Fertigungsmodulen: Warenlager, Fertigungsmaschinen und Transportsysteme beispielsweise arbeiten unabhängig voneinander. Gleichzeitig sind sie jedoch cyberphysisch vernetzt: Im virtuellen Raum gibt es einen Digitalen Zwilling, der die Produktionsprozesse und Fertigungsmodule abbildet. Durch ihn lassen sich Stoffströme und Maschinenauslastungen optimieren. Mithilfe der Ergebnisse werden dann die realen – physischen – Module gesteuert. Cyberphysische Matrixproduktionssysteme gelten unter Experten als Schlüssel zu einer sowohl flexiblen als auch produktiven Fertigung, die Unternehmen hilft, ihre Resilienz zu steigern und damit auch in turbulenten Zeiten zu bestehen. „Cyberphysische Matrixproduktionssysteme bieten eine Antwort auf Marktveränderungen, wie sinkende Stückzahlen, steigende Variantenvielfalt und schlechte Prognostizierbarkeit von Kundenbedarfen“, so das Mitglied des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0., Thomas Bauernhansl, Institutsleiter des Fraunhofer IPA. Dass die Ingenieurinnen und Ingenieure sich besonders für Flexibilität und Produktivität interessieren, hat einen guten Grund. Die beiden Größen gelten bisher in der Produktion als Gegenpole: Die klassische Werkstattfertigung, bei der Bauteile mit verschiedenen Werkzeugen schrittweise bearbeitet werden, ist wenig automatisiert, sehr flexibel, aber zumindest ab mittleren Stückzahlen ineffizient. Die hochautomatisierte Linienproduktion hingegen ist dank starrer Verkettung hochproduktiv, aber unflexibel – wenn beispielsweise ein Bauteil fehlt, steht das Band still. Können cyberphysische Matrixproduktionssysteme die Werkstattfertigung produktiver und die Linienproduktion flexibler machen? Um diese Frage zu beantworten, haben die Fraunhofer- Teams 28 Unternehmen befragt, Ergebnisse zusammengetragen und ausgewertet. „Unser Ziel war es, den Stand der Technik zu untersuchen und herauszufinden, inwieweit die neuen Systeme in der Praxis schon genutzt werden und dort tatsächlich Flexibilität und Produktivität erhöhen“, erklärt Petra Foith-Förster, die Leiterin der Studie am Fraunhofer IPA. Größere Unternehmen mit Matrixproduktionssystemen „Vor allem Großunternehmen, aber auch größere Mittelständler nutzen bereits Matrixproduktionssysteme“, berichtet Dr. Arvid Hellmich, der die Studie am Fraunhofer IWU geleitet hat. Vorreiter bei der Einführung der neuen Systeme ist die Halbleiter-Industrie, aber auch größere Hersteller von Automobilen oder Elektrogeräten setzen modulare Strukturen ein, die digital optimiert und gesteuert werden. Für die Bewertung des Reifegrads der cyberphysischen Matrixproduktionssysteme haben die Ingenieurinnen und Ingenieure einen Katalog von Kriterien erarbeitet. „Das Ergebnis der Expertise zeigt, dass Matrixproduktionssysteme eine wirtschaftliche Produktion bei herausfordernden Marktanforderungen ermöglichen und dass Unternehmen diese bereits teilweise oder auch schon vollständig umsetzen“, resümiert Hellmich. Was bisher fehlt, sind marktreife Komplettlösungen. „Die Unternehmen, die bereits mit den neuen, modularen Systemen arbeiten, haben diese selbst entwickelt. Kleine und mittlere Unternehmen, die sich eine eigene Technologieentwicklung nicht leisten können, haben das Nachsehen. Hier muss dringend eine bessere Vernetzung zwischen den Technologieanbietern und den potenziellen Kunden stattfinden“, betont Foith- Förster. www.ipa.fraunhofer.de Eine Untersuchung zeigte, inwieweit cyberphysische Matrixproduktions - systeme Unternehmen helfen können, die Herausforderungen zu bewältigen Bild: Fraunhofer EPP » 09 | 2022 9

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