technik Interview Bild: priedemann fassadenberatung GmbH Die Ansprüche an die Gebäudehülle steigen ständig und werden insbesondere von Großprojekten kontinuierlich vorangetrieben. Wolfgang Priedemann, auf vielen Kontinenten aktiver Fassadenberater, schildert im Interview, was aus seiner Erfahrung derzeit Stand der Dinge ist und wohin die Branche sich entwickelt. „…die Fenster- und Fassaden technik in unseren Breiten graden befindet sich auf höchstem Niveau…“ 26 fassadentechnik 1/2017
Herr Priedemann, können Sie kurz erläutern, was Ihre beiden Unternehmungen „priedemann fassadenberatung“ und „Facade Lab“ machen? Im Jahr 2004 hatten die Gründer der priedemann fassadenberatung Lars Anders, Wolfgang Feuerlein und Wolfgang Priedemann, zunächst nur die klassische Ingenieurleistung der Fassadenberatung vor Augen. Eine starke und erfolgreiche Expansion in ausländische Märkte, die dazu führte, dass wir heute weltweit über 100 Mitarbeiter haben, erforderte jedoch ein neues Austarieren unserer Tätigkeit. Aus dem großen Anforderungsportfolio unserer Projekte wurde schnell klar, dass wir die gesammelten Erkenntnisse in ein Forschungsunternehmen einbringen sollten. Die Gründung des Facade- Lab im Jahr 2010 mit den gleichen Gesellschaftern drückte dies aus. Heute generieren wir dort Forschungs gelder aus nationalen oder europäischen Fördertöpfen. Die Forschungsaufgabenstellungen beziehen sich darauf, neuartige Fassadentechnologien zu entwickeln. Wir leisten dies unter anderem in Kooperation mit den Fraunhofer Gesellschaften. Eines unserer Ziele ist es, Fassaden mit variablen U-Werten und g-Werten in kompakter Bauweise zu entwickeln. Ein weiteres, Energie ins Gebäude hinein zu lassen, dort zu verarbeiten und nicht zu reflektieren oder abzuweisen. So „trainieren“ wir täglich eine tiefgestaffelte Fassadenplanung, immer in der Verantwortung, technologisch wie konstruktiv für „made in Germany“ zu stehen. Die Ansprüche an die Gebäudehülle werden von internationalen Großprojekten kontinuierlich vorangetrieben: Im Bild der von der priedemann fassadenberatung GmbH geplante NPP Control Tower in Doha. „ Lasst uns Fassaden im Baukastensystem entwickeln, lasst sie uns ohne weitere Bearbeitung steckbar und leicht montierbar auslegen.“ Die Vision der Bundesregierung in Industrie 4.0 Planung und Produktion zu verbinden, haben wir bereits erreicht. Geplottete Bauteile, wie nicht hochbelastete Eckwinkel oder dergleichen, gehen von unserer parametrischen Planung in die Produktion und den Einsatz in die Fassade. Gelegentlich hört man das Schlagwort von der „Intelligenten Gebäudehülle“. Sie bevorzugen den Begriff „Smarte Fassade“. Warum? Ich erinnere daran, dass bereits in den 80ziger Jahren die „polyvalente“ Fassade von Londoner Architekten als erstrebenswert deklariert wurde, ohne eine Lösung zu finden. Die „intelligente“ Fassade soll dies offenbar ebenfalls ausdrücken, wobei selbstverständlich der Fassade keine eigene Intelligenz zugestanden werden kann. Daher ist für uns der Begriff „smarte“ Fassade treffender, weil er modern wirkt, lebhaft und zeitgemäß. Wir interpretieren diesen Begriff aber noch weitergehend. Smarte Fassaden sind nicht auf die Funktion der Gebäudehülle begrenzt, sondern stehen in Wechselwirkung mit den inneren Funktionen des Gebäudes. Fassade muss Behaglichkeit schaffen! Jeder von uns weiß aber, dass Behaglichkeit entscheidend von zusätzlichen haustechnischen Kriterien abhängt und letztlich physikalisch von Oberflächentemperaturen, von Reflektion, Absorption, ja sogar von der Grundfarbe des Lichtes und den Farben des Raumes. Nicht zu vergessen und immer wesentlicher wird die Luftversorgung des Raumes im Wohnbereich und obligatorisch in der Hochhausplanung. Sie haben kürzlich eine einschalige temporäre hochtransparente Abluft - fassade entwickelt. Können Sie deren Prinzip kurz erläutern? Es liegt nahe, sich heute mit dem Thema Luftversorgung des Raumes stärker auseinanderzusetzen und dabei auf zurückliegende Erkenntnisse und Technologien zurückzugreifen. In den 60iger Jahren wurden Abluftfassaden propagiert und bei geschätzten 10 bis 15 Großbauvorhaben gebaut. Ein Beispiel ist das Verwaltungsgebäude des WDR in Köln. Ein großer Vorteil für die Nutzer noch heute: absolute Behaglichkeit im Raum. Großer Nachteil heute und daher weder baubar und noch akzeptabel: riesige Flächenverluste aufgrund der Bautiefe von 30 bis 60 cm. Eine solche Fassade mit verschenkten Flächen im Hochhausbereich ist nicht mehr unser Ereignishorizont. Das kürzlich fertiggestellte FESTO- Hochhaus ist eine weithin sichtbare Landmarke und wurde äußerst positiv in Esslingen aufgenommen. Dort steht nun ein völlig transparentes Hochhaus ohne opake Paneele und ohne Außenverschattung. Sicher hätte Mies van der Rohe von seiner Vision des gläsernen Hochhauses einen geringfügigen Abstrich machen müssen weil wir heute Sonnenschutz- fassadentechnik 1/2017 27
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