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Industrieanzeiger 10.2021

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Georg Stieler (Mitte):

Georg Stieler (Mitte): „Die Stückzahlen in China, die wir im Bereich Roboter sehen, sind verrückt.“ Bild: Stieler China-Experte Georg Stieler zur Wettbewerbssituation für Fabrikausrüster in Fernost „Boom-Markt mit steigenden Risiken“ Warum China für Anbieter von Produktionstechnik zwar weiterhin ein sehr lukrativer Markt ist, aber auch jede Menge Fallstricke birgt, weiß Georg Stieler von der Stieler Technologie- & Marketing-Beratung. Und die Risiken steigen weiterhin, meint der Experte. » Armin Barnitzke, Redakteur Konradin-Industrie Herr Stieler, China war das erste Land, das 2020 in den Corona-Lockdown ging: Wie hat sich die chinesische Wirtschaft seitdem entwickelt? Nach den Zahlen des Internationalen Währungsfonds war China die einzige große Volkswirtschaft auf der Welt, die 2020 gewachsen ist. Nämlich um 2,3 Prozent. Man sollte allerdings nicht verschweigen, dass dieses Wachstum stark vom Export getrieben war. Für die Robotik- und Automationsbranche in China war 2020 ein überraschend gutes Jahr. Trotz des strengen Lockdowns im ersten Quartal übertraf der Roboterabsatz auf das Gesamtjahr verteilt den Absatz des Vorjahres nach unseren Berechnungen um 2,4 Prozent. Und wie sind die weiteren Prognosen? Für das laufende Jahr erwartet die chinesische Regierung ein BIP-Wachstum von etwa 6 Prozent. In unserer Studie „Chinas Zukunftsindustrien“ haben wir uns mit den sieben dynamischsten Absatzbranchen für Produktionstechnologie befasst: 3C (also Computer-, Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik), Halbleiter, Automobilelektronik, Batterien, Medizintechnik, Photovoltaik und der zivilen Luftfahrtindustrie. Bis auf die Luftfahrtindustrie haben sich sämtliche dieser Branchen in China auch im Pandemiejahr 2020 positiv entwickelt. Aufgrund politischer Unterstützung und technologischen Fortschritts weisen alle von ihnen positive Wachstumsaussichten auf. Nach Umsatz betrachtet, erwarten wir bei vier der sieben Sektoren bis 2025 sogar jährliche Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich. China ist also weiter ein lukrativer Markt für die Hersteller von Produktionstechnik wie Maschinen, Robotik und Automation? Georg Stieler Vor zehn Jahren hat Georg Stieler die Niederlassung Shanghai der Stieler Technologie- & Marketing-Beratung mit Sitz in Lörrach gegründet. Seither arbeitet der studierte Betriebs- und Volkswirt mit ausländischen Liefer - anten und Anwendern von Robotern, Sensoren und CNC-Systemen in der Region. Stieler besitzt ein umfangreiches Fachwissen über die chinesische Automationsindustrie und ist gefragter Experte auf diesem Gebiet. 28 Industrieanzeiger » 10 | 2021

Interview « NEWS & MANAGEMENT Gewiss, und zwar auf verschiedenerlei Ebenen. Die Stückzahlen, die wir etwa im Roboterbereich sehen, sind verrückt. Marktführer Fanuc erwartet etwa, dieses Jahr 36.000 Roboter in China abzusetzen. Allerdings sind die Margen deutlich niedriger, die Preise liegen teilweise bis zu 50 Prozent unter denen, die in Japan oder in Europa abgerufen werden können. Und wird dieses Wachstum so weitergehen? Oder gibt es auch Risiken? Der Internationale Währungsfonds hat bereits vor den anhaltend steigenden Schulden des Landes gewarnt. Zudem weist selbst Chinas Premier Li Keqiang auf globale Risiken hin, die die Erreichung dieses Ziels gefährden könnten. Und aufgrund der Folgen der Ein-Kind-Politik wird China in den nächsten 20 Jahren so stark altern wie die Gesellschaften der westlichen Industrienationen im gesamten vorigen Jahrhundert. Mit erheblichen Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum und das Innovationspotenzial des Landes. Dazu kommen geopolitische Unsicherheiten und das chinesische Streben nach technologischer Unabhängigkeit... Ist dieses Streben eine Gefahr für die Fabrikausrüster? Auch wenn offizielle chinesische Stellen nicht mehr über Made in China 2025 sprechen, bleiben die Ziele und Methoden intakt. Für Industrieroboter stand da bis zum Jahr 2020 ein angepeilter Marktanteil einheimischer Hersteller von 50 Prozent, für 2025 einer von über 70 Prozent. Die 2020 erstmals erwähnte Dual-Circulation-Strategie wird dies weiterführen: China soll insbesondere bei Hightech- Gütern so autark wie möglich werden. Gleichzeitig soll der Weltmarkt für chinesische Exporte geöffnet bleiben. Im Idealfall wird die Welt abhängig von chinesischen Standards und Technologien. Was bedeutet das für Produktionstechnikhersteller? Ausländische Unternehmen stehen in dieser Situation vor einem Dilemma: Auf der Geopolitische Risikoanfälligkeit der High-Tech-Branchen in China: 3C (also Computer-, Unterhaltungsund Kommunikationselektronik) birgt das höchste Risiko für in China ansässige Unternehmen. einen Seite ist China derzeit der größte Wachstumsmarkt, der auch immer stärker Impulse bei neuen Innovationen und Standards setzt. Wenn man hier Lösungen anbieten kann, die chinesische Unternehmen noch nicht beherrschen, ist das ein attraktiver Markt. Allen Beteuerungen zur Gleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen zum Trotz klagen unsere Kunden aber immer öfters über technisch aufschließende chinesische Wettbewerber, Anzeichen politischer Bevor zugung und nicht nachvollziehbare Dumpingpreise. Auch wird sich die Kundenbasis weiter zu einheimischen Unternehmen hin verschieben. Droht deutschen Herstellern in dem Zusammenhang eher ein Know-how- Abzug oder eher ein Aufkauf? Das ist wohl gemischt. Die Zeitspanne, in der Tesla von der gefeierten Neuansiedlung zum Problemfall wegen angeblicher Spionagegefahr geworden ist, war extrem kurz. Zwischenzeitlich hat Tesla Partner und Lieferanten ausgebildet, was der chinesischen Elektroautoindustrie einen zusätzlichen Schub gegeben hat. Allerdings sind chinesische Investoren nach wie vor auf der Suche nach Übernahmezielen im Automationsbereich in Europa. Dass Brüssel und Berlin bei der Pandemiebekämpfung dermaßen versagen, stärkt die Position europäischer Unternehmen nicht unbedingt. In welchen Anwendungsbranchen haben deutsche Lieferanten die besten Chancen? Eher in starken China-Branchen wie der Solarindustrie oder in Bereichen, in denen China noch nicht so stark ist, etwa in der Medizintechnik? Auch hier kommt es auf die individuellen Stärken des jeweiligen Unternehmens an. 3C ist mit Abstand der größte Absatzmarkt. Hat man hier die passenden Angebote und eine entsprechende Vertriebs - organisation vor Ort, um diese zu nutzen? Kann man den teilweise extremen Preiswettbewerb mitgehen? Im Solarbereich beispielsweise sehen wir außer einheimischen und japanischen Roboterherstellern nur Stäubli. Wie gesagt, existiert hier neben massiven Plänen zur Kapazitäts - expansion ein Absatzrisiko wegen potenzieller Importstopps von Solarmodulen nach Europa und in die USA. Der Einsatz von Robotik und Automation in der Produktion von Medizintechnik ist bisher eine Nische. Diese kann attraktiv sein, weil dieser Bereich eine hohe Wertschöpfung aufweist, was mit einer höheren Zahlungsbereitschaft für hochwertige Lösungen einhergeht. Bild: Stieler Industrieanzeiger » 10 | 2021 29

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