information & alltag Regeln über Regeln: Stirbt die Eigenverantwortung? DIE SCHEU VOR DER VERANTWORTUNG IST EINE KRANKHEIT UNSERER ZEIT (Otto von Bismarck) Mag. Reinhard Winter Foto: © Reinhard Winter 16 | SEPTEMBER 2019 Ein Erlebnis, dessen Zeuge ich kürzlich wurde, stimmte mich nachdenklich. Ein Firmenwagen einer durchaus bekannten Firma parkte für mehrere Stunden im Halteverbot und mitten auf dem Gehsteig. Der Fahrer, als er zum Auto kam, wurde von einer Passantin darauf angesprochen. Er fand dies keines Kommentars würdig, anders freilich eine vorbeikommende weitere Passantin. Diese ergriff allerdings nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, die Partei ihrer Kollegin, sondern kommentierte deren Aussage mit einem „Haben Sie keine anderen Sorgen?“. Dann eilte sie weiter. Nicht nur die Angesprochene blieb verdutzt zurück, auch ich war ob dieser Reaktion einigermaßen verblüfft. Für mich stellen sich mehrere Fragen: „Wiegt der Verstoß gegen eine Regel heute schon weniger schwer, als der Hinweis darauf?“ und „Hat die „Regelungswut uns fest im Griff und stirbt damit die Eigenverantwortung?“ WIEGT DER VERSTOSS GEGEN EINE REGEL HEUTE SCHON WENIGER SCHWER, ALS DER HINWEIS DARAUF? Die Frage ist schwer zu beantworten. Selbst ein diskreter Hinweis auf einen Regelverstoß ist für den Betroffenen meist unangenehm, während ein „leichter“ Regelverstoß vom Umfeld oftmals kaum beachtet Wozu und Vitamin noch Cweniger oft geahndet youtube-Video wird. Auch der „Mahner“ begibt sich häufig in eine nicht sehr angenehme Rolle – siehe das Beispiel oben. Anders sieht es aus, wenn jemand persönlich durch einen Regelverstoß eines anderen betroffen ist. Da wird die Einhaltung der Regel oftmals lautstark und mit Nachdruck eingefordert. HAT DIE „REGELUNGSWUT“ UNS FEST IM GRIFF? Ich behaupte, ja. Der Beweis: Sie brauchen nur mit offenen Augen durch die Straßen einer Stadt gehen. Die Fülle an Verkehrszeichen ist überbordend und ich denke, so mancher Autolenker ist damit überfordert. Anders kann ich mir schwer erklären, dass trotz der vielen Verkehrszeichen, Halteverbote nicht beachtet werden, vorgegebene Geschwindigkeiten überschritten werden und vieles mehr. Diese vielen – und leider oftmals kaum kontrollierten Regeln – treiben bisweilen kuriose Blüten, wie das nebenstehende Foto eines Halteverbots im Halteverbot zeigt. Dabei ist der Straßenverkehr nicht der einzige Bereich, wo die „Regelungswut“ spürbar ist. In vielen Bereichen des täglichen Lebens trifft uns diese „Regelungswut“. Keine Frage, viele Regeln machen Sinn. Allerdings sollte ein vernünftiges Maß an Regulierung eingehalten werden. Wehren wir uns gegen diese überbordende „Regelungswut“, wehren wir uns gegen die leider schon weit verbreitete Unsitte, dass es immer einen Schuldigen geben muss, wenn etwas geschieht und dass jeder mögliche Verantwortliche eine Regelung fordert, auf die er verweisen und die Verantwortung von sich weisen kann. Können wir mit weniger Regeln und Vorschriften auskommen? Ich sage ja. Aber das funktioniert nur, wenn wir uns nicht einfach auf Vorschriften verlassen, sondern die Eigenverantwortung stärken.
information & reise Die Stadt im Kopf: Zagreb aus veränderter Sicht ERFAHRUNGEN AUS DEM AUSLANDSSEMESTER Seit ich Denken kann sind meine Eltern, meine Schwester und ich zu Ostern und Weihnachten in Zagreb beim Rest der Familie. Die fünfstündige Fahrt dorthin verbringe ich meist lesend oder damit meine Schwester zum gemeinsamen Spielen oder Musikhören zu überreden. In Zagreb angekommen fahren wir zuerst zur Wohnung meines Opas, wo wir die nächsten Tage übernachten werden. Wir parken vor dem Wohnblock, bringen unsere Sache hoch und steigen dann wieder ins Auto. Weiter gehts zur Wohnung meiner Oma, wo Kaffee getrunken und über die Neuigkeiten aus Wien geplaudert wird. Nach ein paar Stunden geht es wieder ins Auto und zu unserem letzten Stop: der Wohnung meiner Tante und Cousine. Auf dem Weg dorthin kenne ich schon einige Gebäude: das Nationaltheater, das Mimara Museum und den Hauptbahnhof. Doch mein Kopf kann die Orte nicht miteinander verbinden. Sie schweben wie die Wolken, die neben unserem Auto am Himmel vorbeiziehen. EIN STADTPLAN IM KOPF In meinem dritten Studienjahr beschließe ich auf Auslandssemester nach Zagreb zu fahren. Ich kenne die Stadt ja schon – sozusagen. Doch erst als ich dann wirklich dort bin, alleine und mit den ersten Aufgaben, merke ich, dass ich die Stadt nur vom Auto aus gekannt habe. Plötzlich bemerke ich, dass die 2er Straßenbahn nicht zum Hauptplatz fährt, dafür aber in die Richtung meiner Wohnung. Ich lerne, wohin es sich auszahlt zu Fuß zu gehen (fast überall im Zentrum). Ich entdecke ein Burgerrestaurant am Ende Foto: © Tina Cakara der Straße wo mein Opa wohnt, das ich zuvor nie bemerkt habe. Ich beginne die Straßen zu benennen, die gar nicht mehr gleich aussehen. In meinem Kopf entsteht langsam ein mentaler Stadtplan, der durch jeden spontanen Spaziergang und jede Erledigung weiter ausgebaut wird. VON DER BESUCHERIN ZUR STADT- FÜHRERIN Als mich meine Schwester und ihr Mann nach einem Monat besuchen kommen, packe ich automatisch meinen mentalen Stadtplan aus dem Kopf und Straßenbahntickets aus der Tasche aus. Erst da, einige Wochen nach meiner Ankunft, bemerke ich wie schnell sich das Bild der Stadt für mich verändert hat. Zagreb hat sich immer schon vertraut angefühlt. Doch erst jetzt kenne ich mich auch wirklich in den vielen Straßen und Gassen aus. Die Stadt hat eine Form bekommen. Tina Čakara Studentin Junge Autorin Foto: © pixabay.com 17 | SEPTEMBER 2019
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