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mav 10.2019

TRENDFamilienbetriebe

TRENDFamilienbetriebe Die digitale Transformation in Familienbetrieben Die Vereinbarung neuer Wege und traditioneller Werte Weitsicht schlägt kurzfristigen Profit. Nach dieser Devise führen viele Familien ihr Unternehmen. Doch in Zeiten der Digitalisierung werden deren traditionelle Grundpfeiler auf die Probe gestellt und mit disruptiven Technologien sowie Geschäftsmodellen konfrontiert. Die nächste Unternehmergeneration steht mit Ideen und Tatendrang gewappnet in den Startlöchern, bereit die Herausforderung anzugehen. Autor: Yannick Schwab ■■■■■■ Für die deutsche Wirtschaft spielen Familienunternehmen eine fundamentale Rolle. Sie bilden den hochgelobten Mittelstand. Die hauptsächlich in Familienbesitz befindlichen Betriebe erwirtschaften laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn mehr als 35 % des Gesamtumsatzes in Deutschland und stellen rund 58 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Nun, im Zuge der digitalen Transformation und anstehender Generationswechsel stehen viele Mittelständler vor der Aufgabe, einen neuen Weg zu gehen – hin zur Digitalisierung. Jedoch fehlt einem Großteil der Unternehmen eine Vorstellung davon, welche herausfordernden Umwälzungen mit der Digitalisierung verknüpft sind. „Die Haltung der deutschen Familienunternehmen zur Digitalisierung zeugt von einer gewissen Blauäugigkeit und ungekannten Naivität, die wir auch aus anderen Umfragen kennen. Deutsche Familienunternehmen unterschätzen die Macht und vor allem auch die Nachhaltigkeit der Digitalisierung“, wird Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC Deutschland, in einer Studie des Beratungsunternehmens zitiert. Prof. Dr. Martin Viessmann, Chairman der Viessmann Werke, kommt in besagter Studie ebenfalls zu Wort und zeichnet ein düsteres Bild: „Es wird ein Sterben von Familienunternehmen geben. Vielen wird die digitale Transformation nicht gelingen.“ Den Umbruch erfolgreich gestalten Bei der Viessmann Group selbst gelang dieser Umbruch jedoch sehr gut. 2016 wurde Max Viessmann zum Chief Digital Officer ernannt, während sein Vater Martin Viessmann als Präsident in den Verwaltungsrat wechselte. Ein Jahr später rückt der Sohn, mit 29 Jahren, als Co-CEO an die Spitze und ist bis heute unter anderem zuständig für das digitale Geschäft. „Als Familienunternehmen gehen wir die großen Herausforderungen Energiewende und Digitalisierung entschlossen an – und haben uns dafür organisatorisch neu aufgestellt“, sagte Martin Viessmann damals. Vier Schritte zur Übergabe Heute entwickelt das Unternehmen gemeinsam mit der Tochter VC/O GmbH in Berlin neue Geschäftsmodelle im Bereich Digitalisierung und Smart Living. Unter ihrem Dach betreibt Viessmann seit 2016 auch den Start-up Company Builder Wattx mit einem Fokus auf Hardware und IoT- Themen. Der Heizungsbauer ist außerdem Partner im Verbundprojekt AgilHybrid. Hier werden Lehr- und Lernmodule für Beschäftigte entwickelt, damit sie die digitale Transformation besser verstehen und selbstständig lernen, digitale Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Bei der eigenen Produktentwicklung setzt das Unternehmen ebenfalls auf digitale und vernetzte Konzepte. Ein Beispiel hierfür ist Vitoconnect, eine Kommunikationsschnittstelle, mit deren Hilfe sich Wärmeerzeuger mit dem Internet verbinden lassen. Dadurch können diese vom Anlagenbetreiber via App gesteuert oder online gewartet werden. Die Übergabe eines Betriebs lässt sich in vier Phasen unterteilen: Testphase, Qualifizierungsphase, Bindungsphase und Übergabephase. Während der Testphase arbeiten Firmeninhaber und Nachfolger miteinander im Betrieb. Gelangen beide Seiten zur Überzeugung, dass die Erwartungen bezüglich Unternehmensführung und -entwicklung gerechtfertigt sind, beginnt die Qualifizierungsphase. Hier wird geprüft, welche Fähigkeiten der künftige Unternehmer mitbringt, welche er noch benötigt und wie er diese erwerben kann. Parallel dazu sollten finanzielle, steuerliche und erbrechtliche Fragen geklärt werden. Ist die Qualifizierung abgeschlossen und die auch Übergabe rechtlich geregelt, kann die Bindungsphase beginnen. Während dieser Phase durchläuft der Nachfolger alle wichtigen Positionen im Betrieb. Darauf folgt meist nahtlos die Übergabephase und der Nachfolger rückt in die Unternehmensspitze. Wichtig ist in dieser Phase, dass der künftige alleinige Inhaber und Geschäftsführer bereits über ausreichend Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt. Quelle: M&A- und PMI-Beratung Beyond the Deal 28 Oktober 2019

Die junge Unternehmergeneration fühlt sich bereit für die anstehenden Herausforderungen der Digitalisierung und ist sich der daraus resul - tierenden Chancen bewusst. Bild: Gorodenkoff/iStock Die nächste Unternehmergeneration Wie bei Viessmann, wo die Nachfolge durch den Sohn mit neuen, digitalen Konzepten einherging, bietet sich durch einen Genera - tionswechsel eine Chance für Familienunternehmen in der Digitalisierung Fuß zu fassen. Schätzungen des IfM legen nahe, dass im Zeitraum von 2018 bis 2022 etwa 150 000 Unternehmen mit rund 2,4 Millionen Beschäftigten zur Übergabe anstehen. Laut der PwC-Studie wollen dabei 77 % der Unternehmer dabei sicherstellen, dass das Unternehmen in der Familie bleibt. Dieser Übergang fällt für viele in die gleiche Zeit, in der sie sich auch der Digitalisierung zuwenden. Deutschlands nächste Unternehmergeneration scheint bereit für diese Herausforderung: Laut einer Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen verfolgt sie meist eine Laufbahn im familieneigenen Betrieb oder möchte alternativ ein eigenes Unternehmen gründen. Sie ist affin gegenüber Digitalisierungsthemen und bereit, diese auch anzuwenden. Wichtig ist ihr, dass die Chancen und Herausforderungen systematisch identifiziert, analysiert und beurteilt werden – ohne dabei wichtige Entwicklungen zu versäumen. Die Potenziale die sie in der digitalen Transformation sehen: Prozessoptimierung, verbesserter Zugang zum Kunden sowie die Erschließung neuer Märkte und Geschäftsmodelle. Sie ist sich aber auch bewusst, dass die Suche nach gut ausgebildeten Fachleuten und hohe Investitionskosten für viele Unternehmen ein Hindernis darstellen kann. Auch deshalb sind Familienunternehmen gut beraten, für den bevorstehenden Wandel die nächste Generation einzubeziehen. Diese kann dabei unterstützen, die wichtigen Unternehmensziele, die Gewinnung und Bindung von Talenten und die Steigerung der Innovationskraft, zu stärken. Mit einem modernen Wertekodex und zeitgemäßen Arbeitsweisen sind sie ebenso vertraut wie mit den Arbeitskräften der Zukunft. Das bietet vielfältige Chancen für die Betriebe. Angesprochen auf den Digitalisierungsstand im eigenen Betrieb, zeigen sich Unterschiede bei der jungen Unternehmergeneration: Etwa die Hälfte der Befragten sieht ihr eigenes Familienunternehmen bereits in der Umsetzungsphase, in der die Digitalisierung einzelner Projekte bereits begonnen hat. Jedoch ist die Mehrheit der Befragten mit der digitalen Transformation im Familienbetrieb nicht restlos zufrieden. Sie sehen beispielsweise Handlungsbedarf bei der Beobachtung der Märkte, der Zusammenarbeit mit den Kunden und der Schaffung kreativer Freiräume. Von der Seniorgeneration wünschen sie sich mehr Flexibilität und Offenheit bei der Einführung neuer Technologien. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen Die erfolgreiche Transformation von der Industrie- zur Digitalnation und die damit einhergehenden Aufgaben, liegen jedoch nicht allein in den Händen der Unternehmen. Die nächste Unternehmergeneration fordert von der Politik insbesondere die Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Ansonsten wären die Projekte zur Digitalisierung der Betriebe bereits von vornherein gefährdet. Ein weiteres Anliegen sind höhere Investitionen in die Bildung im Bereich Digitalisierung. So möchte man dem Knowhow- und Fachkräftemangel aktive entgegenwirken. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) sieht es als essenziell an, die kontinuierliche Bildung und Weiterbildung in diesem Bereich fest in der Gesellschaft zu verankern: Digitale Kompetenzen sollten umfassend in allen Bildungsstufen vermittelt werden. Den Schlüssel zu einer erfolgreichen digitalen Transformation sieht der BDI in der Kombination von industrieller Stärke mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. „Zusätzlich sollte die Bundesregierung die Förderung von Hightech-Gründungen anschieben und den Technologietransfer in den Mittelstand beschleunigen“, unterstreicht BDI-Präsident Dieter Kempf. Frischer Wind durch Kooperationen Eine Möglichkeit, mit dem dynamischen Marktumfeld der digitalen Transformation umzugehen und sich mit zukunftsträchtigen Technologien zu befassen, bietet die Koope- Oktober 2019 29

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