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medizin&technik 04.2020

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■ [ MEDIZIN IM DIALOG

■ [ MEDIZIN IM DIALOG ] Licht hilft Hören Gentechnik und Akustik I Gentherapie in der Hörschnecke plus optische Cochlea-Implantate: Was mit der optogenetischen Anregung der Hörbahn möglich ist, wird derzeit an Wüstenrennmäusen getestet. Optisches Cochlea-Implantat in der Hörschnecke einer Wüstenrennmaus: Das Modell der spiralförmigen Hörschnecke einer Wüstenrennmaus ist in grau dargestellt. Das Spiralganglion mit den Hörnervenzellen ist in violett, das optische Cochlea-Implantat in blau zu sehen Herkömmliche Hörprothesen, so genannte Cochlea-Implantate (CI), regen den Hörnerv hochgradig schwerhöriger oder tauber Menschen mittels elektrischen Stroms an. Die Qualität dieses künstlichen Hörens ist jedoch weit entfernt von der Qualität natürlichen Hörens. Eine Verbesserung des Hörens mit einem Cochlea-Implantat könnte künftig erreicht werden, wenn es gelingt, den Hörnerv zielgenau mit Licht zu reizen, da sich dieses besser räumlich eingrenzen lässt als Strom und der Hörnerv so präziser angeregt werden könnte. Auf dem Weg zur Entwicklung eines solchen optischen Cochlea- Implantats sind Göttinger Hörforscher um Prof. Dr. Tobias Moser gemeinsam mit einem von Dr. Patrick Ruther geleiteten Team von Ingenieuren des Instituts für Mikrosystemtechnik (Imtek) der Universität Freiburg einen großen Schritt vorangekommen. Da der Hörnerv natürlicherweise nicht auf Licht reagiert, muss er durch gentherapeutische Eingriffe zunächst lichtempfindlich gemacht werden. Das wurde an einem Tiermodell für menschliche Schwerhörigkeit mit gentechnisch verändertem, lichtsensitivem Hörnerv erstmals erprobt. Die Ergebnisse zeigen: Optische CI basierend auf Mikro-Leuchtdioden (μLED) regen den gentechnisch veränderten Hörnerv mittels Licht mit großer Präzi - sion an. Die Stärke der Nervenzellaktivität variierte mit der verwendeten Lichtintensität und der Anzahl der gleichzeitig aktivierten μLEDs. Das Tiermodell wurde am Institut für Auditorische Neurowissenschaften sowie am Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entwickelt. Das neuartige Cochlea-Implantat entstand an der Universität Freiburg. Mit einer ersten klinischen Studie am Menschen sei Mitte der 2020er Jahre zu rechen. Gemeinsam mit Kollegen hat Moser das Göttinger Unternehmen Optogentech gegründet. (Bild: Prof. Salditt, Uni Göttingen) Forschungsprojekt Zweite Phase für Roboter in der Chirurgie: jetzt wird die Integration gefördert Künstliche Intelligenz in der Medizin Virtuelle Kohorten für die Medizinforschung (Bild: F. Brüderli In der virtuellen Realität eine Operation planen, per Lasersäge Knochen schneiden und 3D-gedruckte Bioimplantate minimal-invasiv einsetzen: Mit einem solchen roboterbasierten Ansatz wollen Forscher im Projekt „Miracle“ (Minimally Invasive Robot-Assisted Computer-guided Laserosteotome) die Chirurgie verändern. Für Eines der Ergebnisse der ersten Förderphase: Präzisere Planung von chirurgischen Eingriffen in der Virtuellen Realität – auch mit Fachleuten in anderen Ländern oder Kontinenten den zweiten Teil des Projekts wurden 12 Mio. Schweizer Franken von der Werner-Siemens-Stiftung bereitgestellt. In der ersten Phase entstanden bereits ein Robotersystem, ein System zum Entwurf von Implantaten sowie intelligente Bio- Implantate. Der modulare Roboter, der all das in einem System vereinen soll, wird über eine Konsole zu überwachen sein. So wollen die Partner „die Knochenchirurgie transformieren“, erklärt Prof. Hans-Florian Zeilhofer, Chirurg und Delegierter für Innovation der Universität Basel, der die erste Projektphase gemeinsam mit Prof. Dr. Philippe Cattin, Leiter des Department of Biomedical Engineering der Universität Basel, geleitet hatte. https://dbe.unibas.ch/en/research/ flagship-project-miracle/miracle-ii/ Genomdaten sollen für Forschungszwecke mit künstlicher Intelligenz analysiert werden. So sollen „virtuelle Kohortendaten“ entstehen, die Informationen realer Probanden enthalten, aber keine Rückschlüsse auf Einzelne zulassen. A m Projekt „Pro-Gene-Gen“ arbeiten Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und des Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit (Cispa). Für die Therapieforschung ist das menschliche Erbgut ein wahrer Fundus. Eine Weitergabe von Studiendaten – speziell Genomdaten – war bislang nur eingeschränkt möglich, was dem wissenschaftlichen Fortschritt entgegenstand. Neue Methoden sollen nun eine bessere, sichere Verbreitung der Informa - tionen für die Forschung ermöglichen. https://progenegen.hmsp.center 16 medizin&technik 04/2020

Plasma wirkt bei chronischen Wunden Wundbehandlung I Die Wirksamkeit von kaltem Plasma bei der Behandlung chronischer Wunden haben Mediziner und Wissenschaftler aus Bad Oeynhausen, Karlsburg und Greifswald belegt. Sie haben dafür eine prospektive, randomisierte und placebokontrollierte Studie durchgeführt. Dass die Kaltplasma-Therapie bei der Behandlung chronischer Wunden wirksam unterstützt, haben Mediziner jetzt nachgewiesen (Bild: Neoplas tools) Zu den großen Herausforderungen in der Behandlung von Patienten mit Diabetes zählt das Management chronischer Wunden, deren dauerhafte Abheilung deutlich verzögert ist. Die Kombination aus fehlendem Impuls zur Wundheilung und Infektionsgeschehen verhindert dabei Wundverschluss und Geweberegeneration – ein Problem, das durch den Diabetes deutlich verschärft wird. Die Behandlung ist teuer und langwierig. Die Therapie gestaltet sich für Ärzte und Patienten gleichermaßen mühsam, weshalb neue Konzepte dringend erforderlich sind. Plasmabehandlung als ergänzende Therapie Die Behandlung der chronischen Wunden mit Kaltplasma könnte ein solches Konzept sein. Dass sie Wirkung zeigt, wurde jetzt erstmalig wissenschaftlich bestätigt. Ärzte und Forscher im Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, im Klinikum Karlsburg und im Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) Greifswald haben dafür zusammengearbeitet. Sie untersuchten 62 Wunden in einer prospek - tiven, randomisierten, Placebo-kontrollierten und Patienten-verblindeten Studie, die ergänzend zur Standardwundtherapie entweder Kaltplasma oder Placebo erhielten. „Der Heilungsprozess unter Therapie mit Kaltplasma war signifikant beschleunigt, was zu schnellerem Wundverschluss führte“, sagt der Leiter der klinischen Prüfung, Prof. Diethelm Tschöpe, Direktor des Diabeteszentrums am HDZ NRW. Ein Vorteil des Verfahrens sei die gute Patientenverträglichkeit. „Wir haben keine mit der Therapie verbundenen Nebenwirkungen festgestellt“, ergänzt Wundexpertin Dr. Tania-Cristina Costea, Oberärztin der Klinik. Die Annahme, dass Kaltplasma antimikrobiell und infektmodulierend wirkt, konnte nicht belegt werden. Dies könne vermutlich auf die effektive, begleitende Standardtherapie zurückgeführt werden und zeige, dass biologische Effekte des Plasmas in der Wundheilung relevant seien, führt PD Dr. Bernd Stratmann, Erstautor der Publikation und Forschungsleiter im Diabeteszentrum, weiter aus. Als Plasma wird ein angeregter Gaszustand bezeichnet, der oft als vierter Aggregatzustand – neben fest, flüssig und gasförmig) – beschrieben wird. Die Kombination der verschiedenen Wirkprinzipien des Plasmas soll eine stark antibakterielle und wundheilungsfördernde Wirkung haben. Durch die physikalische Gewebestimulation kann der Wundheilungsvorgang aktiviert werden, die Infektion soll durch die desinfizierende Wirkung zurückgedrängt werden. (op) 04/2020 medizin&tec hn i k 17

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