Aufrufe
vor 3 Monaten

NK_05_2024

10 BRANCHE Interview

10 BRANCHE Interview Erol Cankur, Director Logistics PM-International PM-INTERNATIONAL ZU LAND, AUF DEM WASSER UND IN DER LUFT Dreißig Jahre PM-International, im Geschäftsjahr 2023 über drei Milliarden US- Dollar Umsatz, Platz 6 auf der DSN Top 100 Direktvertriebe Weltrangliste mit 45 Tochtergesellschaften weltweit in 71 Ländern vertreten, das sind nicht nur phantastische Erfolgszahlen, sondern müssen vor allen Dingen auch logistisch bewältigt werden. Network-Karriere Herausgeber Bernd Seitz ließ sich von Erol Cankur, Director Logistics PM-International, sein gigantisches Arbeitsfeld in Speyer zeigen und erklären, welche enormen Ansprüche an die Logistik eines weltweit tätigen Direktvertriebsunternehmens gestellt werden. NK: Wir starten unseren Rundgang in einer riesigen Lagerhalle mit Hochregalen bis zur Decke und Verkehrswegen wie einer Bundestraße. Außer der Bezeichnung Lagerhalle, fein säuberlich in den Hochregalen gestapelten Paletten, hat die Halle von der Optik sehr wenig mit einem Lager zu tun. Alles ist pieksauber, die Luft ist frisch, aber angenehm temperiert, die gesamte Fläche ist gleichmäßig ausgeleuchtet und was besonders auffällt, ist eine wohltuende Geräuschkulisse, die eine besondere Atmosphäre schafft. Erol Cankur, würden Sie uns bitte zusammenfassen, was in der PM-Logistic in Speyer abgeht? Erol Cankur: Alle unsere Auslieferungen werden von den Teams in Speyer mit unserem internationalen Headquarter und den Lieferanten abgestimmt und gesteuert. Je nach Bestimmungsland und Marktgröße nutzen wir hierfür die Landfracht mit dem LKW, die Luftfracht oder die Erol Cankur Seefracht. Ein Großteil der Sendungen für die großen asiatischen und europäischen Märkte versenden wir direkt von unseren Herstellern in Deutschland. Alle anderen Sendungen und die meisten Märkte werden in Speyer kommissioniert und bereitgestellt, bevor sie versendet werden. Hierbei hilft und unterstützt uns natürlich die immer weiter fortschreitende Digitalisierung, die wir im Bereich der Logistik auch noch weiter ausbauen wollen. NK: Erol Cankur, auf die aktuelle Situation bei der Seefracht komme ich noch einmal zurück. Zunächst eine persönliche Frage: Sie sehen durchtrainiert aus, könnte es sein, dass Ihr sichtbare Fitness Ihrem 7.800 qm großen Arbeitsplatz zuzuschreiben ist? Erol Cankur: Sie meinen die 7.800 m große Lagerfläche plus einiges an sonstigen Arbeitsflächen, deren möglichst reibungslosen Betrieb ich verantworte? Ja, das sind gewaltige Strecken, die ich jeden Tag zurücklege. Natürlich kann und muss man auch einiges telefonisch erledigen, aber mir ist es wichtig, möglichst oft mit den Kollegen vor Ort direkt zu sprechen, sie als Mensch wahrzunehmen und zu spüren, wie es Ihnen geht. NK: Wertschätzung der Person und der Leistung ist heute vielfach verloren gegangen. Ist Wertschätzung eine Motivation? Erol Cankur: Wertschätzung bedeutet mir sehr viel. Wertschätzung ist eine persönliche Anerkennung, die zu fühlen ist und die stolz macht. Aber um es klarzustellen: Ich laufe nicht täglich unzählige Kilometer durch die Hallen, um nach Fehlern zu suchen. Meine Warehouse Teams überlegen sich Verbesserungen und gemeinsam suchen wir nach Maßnahmen / Lösungen. Logistik-Arbeitsplätze befinden sich in einem ständigen Wandel, die das Ziel haben, die Abläufe weiter zu perfektionieren, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. NK:. Wenn wir bei der Fehlervermeidung sind, wer Waren versendet, muss mit Retouren rechnen, die in der Regel den Absender viel Geld kosten. Sie versendeten 2023 allein ab PM- Logistic-Center Speyer 950.000 Pakete an Endkunden. Wie hoch war die Reklamationsquote? Erol Cankur: 0,5 Prozent. NK: Alle Achtung! Das Fachportal Reklamation.com spricht beim deutschen Versandhandel inkl. Online- Handel von etwa 28,6 Prozent Retouren. Da sind allerdings die stark retourenanfälligen Modebereiche und Unterhaltungselektronik dabei, aber die Differenz zeigt doch, dass PM wohl ein besseres Retouren-Vermeidungskonzept haben dürfte? Erol Cankur: Wer seine Retourenquote nachhaltig verbessern möchte, muss sich laufend mit den Gründen der Warenrückgabe beschäftigen. Diese sind vielfältig und nicht jeder Grund lässt sich vermeiden. Beispiel: Jemand bestellt sich ein Hemd, ist sich aber mit der Größe nicht sicher. Also bestellt er die Größe „könnte schon passen“ plus eine Nummer größer und eine Nummer kleiner. Das Ergebnis: Die Retoure von mindestens zwei Hemden ist garantiert. Das Größenproblem haben wir bei unseren Bestellungen nicht. Doch bei rund einer Million Kundenpaketen mit völlig verschiedenen Inhalten ist ein ausgeklügeltes Digitalkonzept unabdingbar, das Bestückungsfehler nahezu unmöglich macht. Bei uns wird der Paketinhalt mit der Bestellung digital abgeglichen und das Inhaltsgewicht zur Gegenkontrolle verwendet. Zudem wird der Inhalt per Foto dokumentiert, so dass die Richtigkeit und Vollständigkeit je- 05.2024

BRANCHE 11 d e r Sendung nachgewiesen werden kann. NK: Wie ist es mit der Pünktlichkeit der Zustellungen? Sind die Kunden nicht durch Amazon & Co verwöhnt: Abends bestellt, morgens geliefert? Erol Cankur: Pünktlichkeit der Lieferungen ist heute für die Kunden eine Selbstverständlichkeit und für uns eine Verpflichtung. Unsere Teams auf der Fläche machen einen großartigen Job und wir arbeiten natürlich auch mit den großen Zustellern, die zwischen einem Amazon- und PM-Paket keinen Unterschied machen. In Asien ist das Thema pünktliche Zustellung dagegen sehr heikel. Dort ist es allgemein so, dass eine Sendung, die auch nur einen Tag verspätet ankommt, von Kunden nicht mehr abgenommen wird und was noch schlimmer ist, der Kunde tätigt aufgrund der Verspätung künftig keine weiteren Bestellungen. Dabei ist der Kunde auf die Firma nicht böse, er kauft von ihr einfach keine Produkte mehr. Es könnte durchaus sein, dass sich der Kunde wegen der Verspätung nicht wertgeschätzt fühlt und deshalb gemäß diesem Brauch handelt. NK: Kommen wir noch einmal zu den internationalen Frachtmöglichkeiten zurück. Der Seefrachtweg von Europa nach Asien ist durch Terroristen und Piraten sehr gefährlich geworden. Augen zu und durch? Oder gibt es bezahlbare Alternativen? Erol Cankur: Prinzipiell ist der Seeweg weiterhin nicht gefährlich. Dass liegt hauptsächlich daran, dass auch die Reedereien ihre Schiffe und Crews nicht unnötigen Gefahren aussetzen wollen und ganz genau prüfen, welche Route sie wählen. Aktuell fahren fast alle Schiffe über das Kap der guten Hoffnung, was natürlich eine Verlängerung der Laufzeit um ca. 2 Wochen bedeutet. Alternativ können wir natürlich auch auf die Luftfracht ausweichen, die wesentlich teurer ist. Hier haben wir aber zuverlässige Partner, mit denen wir insbesondere unsere kleinen Märkte beliefern, aber auch die großen Märkte wie Hong Kong oder Korea mit Produkten bedienen, die wir nicht über den Seeweg verladen können. Für die Zukunft ist unser Ziel, 70% aller Warenbewegungen Richtung Asien über die Seefracht abzuwickeln und unsere großen Lager in Hong Kong und Korea zu bevorraten. Generell behalten hier aber meine Teams alle Entwicklungen gemeinsam mit unseren Partnern im Blick und werden reagieren, sobald sich die Situation verschärft. NK: Die PM We Care Wohltätigkeitsorganisation leistet weltweit humanitäre Hilfe für Menschen in Not. Neben einer Patenschaft von 6.000 Kindern hilft PM-International seit 20 Jahren mit Spenden in Höhe von fast acht Millionen Euro hilfsbedürftigen Kindern, ihren Familien und ganzen Dorfgemeinschaften in 47 Entwicklungsprojekten in 21 Ländern auf der ganzen Welt mit sinnvollen Hilfe zur Selbsthilfe Maßnahmen. Vicki Sorg, die Ehefrau des PM-Gründers und Aufsichtsratsvorsitzenden der PM- International AG, überzeugt sich als Charity-Botschafterin von PM-International bei Projektbesuchen auf der ganzen Welt, wie sich die Lebensbedingungen der Patenkinder verbessern. „Mit unserer Unterstützung sind sie in der Lage, Schulen zu bauen, Stromleitungen zu verlegen und Hygienebedingungen zu verbessern. Dadurch wird das Leben dieser Kinder jede Stunde ihres Lebens wertvoller“, meint Vicki Sorg. PM We Care gehört meist bei Erdbeben, Naturkatastrophen und Pandemien zu den ersten Sachund Ernährung-Spendern. Im Jahr 2020 half PM-International bei der Bekämpfung der COVID- 19-Pandemie, indem es 1 Million Euro für Hilfsmaßnahmen spendete. Im Rahmen der Initiative „PM hilft“ unterstützte PM- International Ersthelfer durch die Spende von Schutzausrüstung, Desinfektionsflaschen, Vinylhandschuhen, Infusionspumpen, Masken und Nahrungsmitteln für schwer betroffene Regionen. Darüber hinaus wurden eine Million Mahlzeiten in Form von PowerMeal-Energieriegeln verteilt. Hier sind Sie und Ihr Logistik- Team im Spiel. Bei einer Flutkatastrohe oder einem Erbeben ist Zeit nicht Geld, sondern Schnelligkeit kann viele Menschenleben retten. Erol Cankur: Ein Teil unseres Lagers ist immer für Hilfsgüter reserviert, sodass wir schnell handeln können, sollte irgendwo auf der Welt Bedarf bestehen. Das ist einfach unser Anspruch. Wir benötigen im Schnitt zwei Tage, bis die Hilfsgüter unsere Logistik verlassen und weltweit verschickt werden können. Hier gilt das Lob insbesondere auch dem Transport- und Exportteam, das sich schnell, teilweise auch mit unbekannten Waren, beschäftigen muss, um alle erforderlichen Formalitäten abzuwickeln. NK: PM unterstützt in Katastrophengebieten die Helfer und die Bevölkerung auch mit Schutzausrüstung, Desinfektionsflaschen, Vinylhandschuhen, Infusionspumpen, Masken und Nahrungsmitteln für schwer betroffene Regionen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es bei Notfällen sehr schwierig sein kann, solche Hilfsmaterialien zu beschaffen. Die Bundesregierung hat seinerzeit ein Laienschauspiel abgeliefert. Erol Cankur: Ich denke, es ist ein großer Unterschied, ob eine oder mehrere Behörden den Auftrag bekommen, sagen wir mal ein paar Millionen Masken zu beschaffen. Ohne mir eine fachliche Bewertung zu erlauben, mit dem Satz, „Die Bürokratie frisst ihre Kinder“ dürfte alles gesagt sein. Wie viele „selbstlose Vermittler“ dann da noch dazwischen gehangen sind, wollen wir besser nicht wissen. Zudem warten heute noch Maskenhersteller auf die Zahlung ihrer Rechnungen. Wir bei PM-International halten unsere Prozesse schlank und sind sehr gut aufgestellt, um flexibel auf neue Situationen zu reagieren. Wenn der PM-Einkauf für Hilfsgüter, sozusagen die schnelle PM-Hilfstruppe, Hilfsgüter ordern möchte, greift sie auf langjährig bestehende und bewährte Lieferanten zurück, zu denen ein gewachsenes gegenseitiges Vertrauensverhältnis besteht. PM benötigt keine selbstlosen Vermittler und kann jeder Zahlungsverpflichtung aus eigenen Mitteln nachkommen. NK: Umgang mit Lieferanten: Sie haben viel mit Speditionen, Verpackungsherstellern und Versandzubehör zu tun. Im Bereich der Speditionen hört man immer wieder von Dumpingpreisen und -löhnen. Wie gehen Sie damit um? Kosteneinsparung um jeden Preis? Erol Cankur: Ich bin jetzt seit 15 Jahren bei der Firma PM-International tätig und einen Großteil davon auch in Kontakt mit unseren Speditionen. Unser Ansatz ist hierbei schon immer gewesen, mit unseren Speditionen ein partnerschaftliches Verhältnis zu pflegen. Der Preis spielt dabei natürlich auch keine unerhebliche Rolle, allerdings achten wir bei der Auswahl unserer Partner stets auf faire Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen und lassen uns diese auch vorweisen. Auch auf den Bereich Sicherheit haben wir stets ein Auge, indem wir jedes Fahrzeug in Speyer auf Sicht kontrollieren, ob es offensichtliche Mängel aufweist. NK: Was bedeutet die Logistik für Sie? Erol Cankur: Die Logistik ist das Herzstück. Es geht darum, sicherzustellen, dass alle Teile einer Lieferkette nahtlos zusammenarbeiten, um Produkte effizient von einem Ort zum anderen zu transportieren. Das umfasst die Planung, Implementierung und Kontrolle des effektiven Flusses von Waren, Informationen und Ressourcen vom Lieferanten bis zum Kunden. Wir optimieren Prozesse, um Kosten zu senken, Lieferzeiten zu verkürzen und die Kundenzufriedenheit zu steigern. Dazu gehört auch die Verwaltung von Lagerbeständen, die Auswahl der richtigen Transportmethoden und die Nutzung von Technologie zur Verbesserung der Effizienz. Insgesamt ist die Logistik ein entscheidender Bereich für den Erfolg. NK: Vielen Dank, Erol Cankur für das interessante Gespräch. Ich habe bei Ihnen in zwei Stunden mehr gelernt als in so manchem Tages-Seminar. Logistik ist etwas ganz anderes als Päckchen zu packen und von DHL abholen zu lassen. Nicht ohne Grund ist Logistik ein internationales Studienfach mit einer ganzen Reihe von Spezialisierungen. www.pm-international.de

NETWORK-KARRIERE

Aktuelles