KREUZFAHRT Von wegen Sonnenliegen und Karibik: Kreuzfahrten gibt es auch in der Arktis und Antarktis! VON OLIVER SCHMIDT Die touristischen Seekarten kennen nur noch sehr wenige »weiße Flecken« ohne Kreuzfahrtschiffe. Einige Reviere lassen sich besonders gut per Schiff erkunden, z. B. Inselgruppen wie die Azoren, die Kanaren oder die Kykladen. Andere Ziele sind weniger optimal, weil zu viele Highlights im Lande unerreichbar bleiben, z. B. die USA oder Südafrika. Es gibt jedoch auch Ziele, die sich kaum anders bereisen lassen als mit dem Schiff und die sogar für die Routenplaner, den Kapitän und oft auch für die »Hardware«, also das Schiff selbst, eine Herausforderung sind. In der Kreuzfahrtsprache heißen sie »Extremfahrtgebiet«. 84 REISE-PREISE.de 4-2022 1-2023 Einige davon liegen in polaren Regionen, so dass man dafür Schiffe mit eisverstärktem Rumpf braucht – ein klassischer Fall ist die Antarktis. Wer dorthin fährt, erreicht fast immer von der Südspitze Südamerikas aus – meist von Ushuaia oder Punta Arenas – die antarktische Halbinsel. Sie scheint sich dem Kontinent entgegenzustrecken, liegt ungewöhnlich weit nördlich (Achtung, »nördlich« heißt auf der Südhalbkugel: Es wird wärmer!), ist in zwei Tagen Überfahrt mit oft heftigem Seegang (man quert die gefürchtete Drake-Passage!) erreicht und besitzt mit -5° bis +5° im dortigen Sommer ein mildes Klima und eine reiche Tierwelt. Meist ist ein Besuch auf den Falkland-Inseln dabei, etwas ganz Besonderes ist ein Schwenk nach Osten nach Südgeorgien. Ein anderes Fahrtgebiet solcher Prägung ist der Amazonas. Er wird mit riesigen Kreuzfahrtschiffen, die mehrere tausend Passagiere fassen, bis Manaus befahren (2.600 Stromkilometer), kleinere Schiffe mit rund 400 Passagieren schaffen es bis Iquitos (4.400 Stromkilometer). Die Sozialstrukturen ändern sich im Oberlauf völlig; während der Unterlauf zersiedelt ist, gibt es oberhalb von Manaus dörfliche Gemeinschaften, die jedoch nur über den Fluss zu erreichen sind und kaum je Fremde zu Gesicht bekommen. Die Strecke von Belém an der Mündung bis Iquitos lässt sich in 14 Tagen zurücklegen, und es lohnt sich, sie komplett zu bereisen. Die Königsdisziplin, die einen ganzen Monat Zeit sowie das dazu passende Budget erfordert, ist die legendäre Nordwestpassage,
SERIE: TEIL 4 KREUZFAHRT EXTREM VOM AMAZONAS BIS ZUR ANTARKTIS Zum Abschluss unserer Kreuzfahrtreihe stellen wir Ihnen nun Routen für Abenteuerlustige vor, von der Weltreise bis zur Expedition. Außergewöhnlich, erlebnisreich und jeden Cent wert! also der Seeweg vom Atlantik zum Pazifik (oder umgekehrt) nördlich um Kanada herum. Auch Grönland, das Delta des Orinoco und natürlich Fahrten bis zum Nordpol gehören zu diesen extremen Erfahrungen. Ihnen allen ist eines gemein: Es hat keinen Sinn, sie mit einem Schiff zu bereisen, das keine Schlauchboote an Bord hat. »Zodiac« ist eigentlich ein Herstellername (es gibt noch andere), aber auch Synonym für diese wendigen, flachen, eistauglichen Großschlauchboote mit starkem Außenborder, die Jacques Cousteau für die Antarktis entwickelt hat und in denen je nach Größe zehn bis 14 Passagiere sitzen können. Das Einsteigen ist einfacher als in ein Tenderboot: zwei starke Matrosenarme, ein großer Schritt, man sitzt und hat richtig Gaudi nah am nassen Element. In der Antarktis gibt es gar keine, an den anderen genannten Zielen nur wenige Landungspunkte, die ohne Zodiac zu erreichen sind. Leider tauchen immer wieder sogar Antarktiskreuzfahrten in den Katalogen auf mit Schiffen von 1.000 und mehr Passagieren, von denen keiner je einen Fuß dort an Land setzen kann, ohne dass das klar gesagt wird. Daher bitte genau hinschauen. Sehr selten sind Kreuzfahrten in die Großen Seen Nordamerikas, weil nur eine Handvoll Schiffe die Voraussetzungen mitbringt, den Welland-Kanal mit seinen hohen engen Schleusen zu passieren, der das Schiff an den Niagara-Fällen vorbeiführt ins Süßwassersystem von Lake Ontario, Lake Erie, Lake Huron, Lage Michigan und Lage Superior. Außergewöhnlich sind auch Südseereisen. Sie funktionieren ohne Zodiac, aber umso besser, je kleiner das Schiff ist, denn die Inseln können den Ansturm einer vierstelligen Passagiermeute nur schwer verkraften. Die Seestrecken sind lang; meist liegen zwei Seetage zwischen den Anlandungen, so dass Polynesien unter drei Wochen nicht zu durchqueren ist. Hinzu kommen lange und teure Flüge. Oft sind solche Routen Teil einer anderen Sonderform der Kreuzfahrt, der Weltreise. Sie dauert wenigstens 100 Tage, bei manchen Veranstaltern an die 200. TIPP Wer beständig nach Westen reist, ist zugleich ein Zeitreisender: Er stellt die Uhr beim Zeitzonenwechsel immer zurück und gewinnt oft eine Stunde für Bar oder Bett hinzu. Fotos: Hanseatic 4-2022 1-2023REISE-PREISE.de 85
