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Rotary Magazin 04/2024

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SCHWERPUNKT – ROTARY

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – APRIL 2024 FEATURE POLIOS «HEIMLICHE HELDE 30 Auf dem Höhepunkt der Rassentrennung machte sich eine Gruppe schwarzer Ärzte und Wissenschaftler daran, Polio zu stoppen. Das Zentrum für Kinderlähmung am John A. Andrew Memorial Hospital auf dem Campus eines schwarzen Colleges in Tuskegee, Alabama, war damals die einzige medizinische Einrichtung in den Vereinigten Staaten, die speziell für die Behandlung schwarzer Kinder mit Polio gebaut worden war. Irgendetwas stimmte mit Myron Thompson nicht. Es ist das Jahr 1949 und im amerikanischen Süden breitet sich die Kinderlähmung rasend schnell aus. Der gerade zweijährige Junge bekommt plötzlich hohes Fieber und kann sich kaum bewegen. Voller Angst bringt seine Mutter den Kleinen schnell in das nahe gelegene Krankenhaus in Tuskegee, Alabama – ein prächtiges Gebäude aus rotem Backstein, in dem Patienten wie in einem Grandhotel empfangen werden. Die Ärzte und Krankenschwestern sind auf die Behandlung von Kindern spezialisiert, die an der Kinderlähmung erkrankt sind. Sie nehmen das Kind mit offenen Armen auf und beginnen sofort mit der Behandlung. FÜR DIE BEHANDLUNG SCHWARZER KINDER Erst viele Jahre später wurde Thompson klar, wie glücklich er sich schätzen konnte, dass er als schwarzes Kind diese erstklassige Versorgung erhielt. Das Infantile Paralysis Center (zu dt. Zentrum für Kinderlähmung) am John A. Andrew Memorial Hospital auf dem Campus eines schwarzen Colleges war damals die einzige medizinische Einrichtung in den Vereinigten Staaten, die speziell für die Behandlung schwarzer Kinder mit Polio gebaut worden war. In anderen Teilen der Südstaaten wiesen Krankenhäuser während der Jim-Crow-Ära schwarze Pa - tienten immer wieder ab. Dort, wo sie aufgenommen wurden, wurden sie ge - trennt von den weissen Patienten behandelt oder nur ungenügend versorgt. Das Tuskegee Institute, wie die Universität damals hiess, war ein besonderer Ort, und das nicht nur, weil Kinder wie Thompson hervorragend versorgt wurden. Auf demselben Campus forschten schwarze Wissenschaftler und ihre Arbeit sollte entscheidend zur Entwicklung des ersten wirksamen Polio-Impfstoffs und zur Ausrottung der tödlichen Krankheit in den Vereinigten Staaten beitragen. Diese Geschichte im Schatten eines zutiefst segregierten Landes wurde noch nicht ge - bührend gewürdigt. Der Rotary Distrikt 6880 in Alabama möchte dies ändern. EIN ROTARIER ROLLT DIE GESCHICHTE AUF Für Sam Adams fing alles mit einem Schwimmbad an. Als Governor nominee für den Distrikt 6880 besuchte er 2017 die Rotary Clubs im Süden von Alabama. Er wollte sich mit den dortigen Mitgliedern treffen und Spenden für den Annual Fund der Rotary Foundation einwerben. Das Werk der Ärzte und Wissenschaftler des Tuskegee Institute lebt in den Menschen wie Myron Thompson weiter. «Sie haben diese phänomenale Arbeit geleistet», sagt er, der heute Richter an einem Bundesbezirksgericht der USA ist

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – APRIL 2024 N» IN TUSKEGEE 31 Rotary-Mitglieder kontaktierten Dana Chandler, Archivar und Associate Professor für Geschichte an der Tuskegee University In einem kleinen, billigen Lokal an der Hauptstrasse in Tuskegee erzählten ihm die Rotary-Mitglieder zwei Dinge, die ein Feuer in ihm entfachten: erstens, dass Rotary-Gründer Paul Harris in den 1940er- Jahren mehrmals den Winter in Tuskegee verbrachte. Und zweitens wurde gemunkelt, dass das Civilian Conservation Corps auf Anweisung von Präsident Franklin D. Roosevelt, der als junger Mann an Polio erkrankt war, in der Stadt ein Hallenbad für Menschen mit Kinderlähmung gebaut hatte. «Ich sagte darauf: Was? Wollt ihr mich veräppeln?», erinnert sich Adams, der Mitglied des Rotary Clubs Montgomery ist. «Das war wirklich einzigartig, weil es mit Polio in Verbindung stand.» Adam stellte Nachforschungen und setzte sich schliesslich mit Dana Chandler, Archivar und Associate Professor für Geschichte an der Tuskegee University, in Verbindung. Chandler ist seit 2007 Archivar der Universität und verfasste zusammen mit Edith Powell das Buch «To Raise Up the Man Farthest Down: Tuskegee University’s Advancements in Human Health, 1881– 1987». Der in die Sklaverei hineingeborene Booker T. Washington gründete 1881 das Institut in Tuskegee, das 1985 den Status einer Universität erhielt. ZUGANG FÜR SCHWARZE VERBOTEN In den 1930er-Jahren hatten schwarze Familien nur wenige Möglichkeiten, wenn ein Kind an Polio erkrankte. Zum einen war es kaum möglich, eine medizinische Versorgung zu finden – selbst die von Roosevelt gegründete Georgia Warm Springs Foundation verbot Schwarzen den Zutritt Die Gründer der National Foundation for Infantile Paralysis, Präsident Franklin Roosevelt, der als junger Mann an Polio erkrankt war, und Basil O’Connor zu den Warmwasserquellen. Zum anderen herrschte damals in der medizinischen Fachwelt die Ansicht vor, dass Afroamerikaner wesentlich weniger anfällig für Polio sind. Viele weisse Ärzte waren damals der Meinung, dass Schwarze sich nicht mit Polio infizieren würden, sagt Chandler. Tatsächlich behandelten die Ärzte im John A. Andrew Memorial Hospital in Tuskegee seit Jahren schwarze Kinder, die an Polio erkrankt waren, und hatten sich für ihre Arbeit im Bereich der öffentlichen

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