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Taxi Times Berlin - 3. Quartal 2021

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GEWERBE Dominik Eggers

GEWERBE Dominik Eggers und Richard Leipold beim Webinar DÜSTERE AUSSICHTEN Als die PBefG-Novelle Ende Mai weitgehend ausgearbeitet war, klärte der BVTM über die künftigen Regelungen, Möglichkeiten und Gefahren auf. Regionale Gewerbevertreter gaben Einschätzungen dazu ab. Das Frühjahr 2021 war die Zeit des zweiten großen Lockdowns, so dass eine umfangreiche Seminarreihe zum neuen Personenbeförderungsgesetz (PBefG) digital stattfand. Der neu gewählte Präsident Herwig Kollar erklärte die wichtigen Änderungen, die Telekom- Vertreter Thomas Sell und Christian Meyer steuerten technische Aspekte bei, regionale Gewerbevertreter beleuchteten die Fakten im Zusammenhang mit den örtlichen Gegebenheiten, und Dominik Eggers vom BVTM moderierte die vier Webinare, die für die Regionen Nord, West, Ost und Süd abgehalten wurden. Am Webinar Ost nahm für Berlin Richard Leipold, erster Vorsitzender der Berliner Taxivereinigung e. V. (BTV), teil. Er zeichnete ein recht düsteres Bild der Zukunft für die Taxibranche der Bundeshauptstadt. Ein großes Problem resultiert seiner Einschätzung nach aus dem Wörtchen „kann“ in den Paragraphen 51 und 51 a des novellierten PBefG. So geben einzelne Kann-Bestimmungen den Genehmigungsbehörden die Möglichkeit, Kontingentierungen und Tarifkorridore festzulegen. Hamburg werde aufgrund seiner funktionierenden Politik und funktionierender Genehmigungsbehörden damit geringe Schwierigkeiten haben. In Berlin mit seiner „unwilligen“ Behörde sehe es jedoch ganz anders aus: Egal, wie viele Prozesse man gewinne und wie viele Rechtsverstöße durch digitale Plattformanbieter man belege, die Zahl der Mietwagen wachse unaufhörlich und werde demnächst die Zahl von 5.000 erreichen. UBERS ZUSCHUSSGESCHÄFT „Das Wort ‚kann’ macht uns also erhebliche Schwierigkeiten, weil es bedeutet, dass die Genehmigungsbehörden nicht verpflichtet sind, bestimmte Maßnahmen einzuleiten, die notwendig wären, um das Überleben des Taxengewerbes zu gewährleisten“, so Leipold. Der Hauptgrund für den Erfolg der Plattformanbieter liegt nach Leipolds Ansicht darin, dass sie das Taxigewerbe systematisch preislich unterbieten – was bei weitgehender Einhaltung rechtlicher Regeln wie Umsatzsteuergesetz und Arbeitsrecht gar nicht möglich sei – was er anhand einer Beispielrechnung belegt hat, die bereits in der letzten Taxi Times Berlin erschienen ist. Die Angebote der Plattformanbieter könnten folglich nicht im Rahmen der Legalität liegen. Als Folge rechnet Leipold mit dem Verschwinden des über 100 Jahre alten Taxigewerbes. Seine Konkurrenzunfähigkeit resultiere nicht aus der Corona-Krise, sondern sei ein strukturelles, systemisches Problem. Durch die Vorteile des Mietwagengewerbes gegenüber dem Taxigewerbe – nicht vorhandene Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht – würden die Plattformanbieter das Taxigewerbe weiterhin durch Rosinenpickerei kannibalisieren, um sich nach dessen Verschwinden vom Markt einen erbitterten Konkurrenzkampf zu liefern. Die PBefG-Novelle sei somit nicht unbedingt als Fortschritt anzusehen, sondern bedeute in Berlin eher den Todesstoß des Taxigewerbes. Der Grund: Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) wäre in der Lage, zu sehen, was in Berlin passiert, doch sei der Wille, darauf zu reagieren, leider nicht erkennbar. Leipold zitierte den Oberbürgermeister einer westdeutschen Stadt, wenn man die Landesgrenze nach Berlin überschreite, verlasse man den funktionierenden Teil Deutschlands. Dass dieses Nichtfunktionieren nur am fehlenden Willen der Verwaltung bzw. der Politik liegt, zeige das Beispiel Hamburg, wo das Mietwagengewerbe funktionierend unter Kontrolle gehalten werde. ar FOTOS: BVTM, BTV 14 3. QUARTAL 2021 TAXI

GEWERBE FREILOS MIT NACHPRÜFUNG Eigentlich hätte die Ortskundeprüfung für Taxifahrer durch eine Fachkunde für alle P-Schein-Neulinge ersetzt werden sollen. Weil die Politik dafür aber kein Konzept hatte, ist zunächst gar nichts nötig. FOTO: Axel Rühle / Taxi Times Es ist eine der vielen tiefgreifenden Änderungen der seit Anfang August gültigen PBefG-Novelle, die als „Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts“ am 3. März von der Bundesregierung beschlossen worden war. Der Nachweis einer Ortskunde wurde abgeschafft. Stattdessen müssen Neubewerber um einen Personenbeförderungsschein (P-Schein) eine sogenannte Fachkunde nachweisen. Als der Bundesrat Ende März dem Gesetz zustimmte, wurde gleichzeitig das Bundesverkehrsministerium damit beauftragt, die Inhalte der neu aufgenommenen Fachkunde zu definieren. Seitdem passierte auf ministerialer Ebene herzlich wenig. Bemühungen des Taxi- und Mietwagenverbands TMV, die Inhalte gemeinsam mit der Politik an einem runden Tisch zu erörtern, blieben lange Zeit unbeantwortet. Scheuers Ministerium konnte sich nicht einmal darauf verständigen, ob die Fachkunde lediglich durch die Teilnahmebescheinigung eines Seminars oder mittels Prüfung nachgewiesen werden muss. Entsprechend ist bis heute nicht klar, wer eine solche Prüfung abnehmen darf. So verstrich wertvolle Zeit, bis schlussendlich die Bundesländer gezwungen waren, eine Übergangsregelung zu definieren. Anderenfalls hätte ab 1. August keine Behörde mehr einen Neu-Antrag auf den P-Schein bearbeiten können und somit kein Neuling mehr als Taxifahrer, Mietwagenchauffeur oder Fahrer für den gebündelten Bedarfsverkehr beginnen können. Bayern war Anfang Juli das erste Bundesland, das eine solche Übergangsregelung erließ. Sie gilt „vorbehaltlich bis zu einer künftig bundeseinheitlichen Regelung durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Gültigkeit für das Gebiet des Freistaats Bayern.“ Kernaussage der Übergangsregelung ist, dass der Nachweis der Fachkunde bei Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Gültigkeit für Taxis, Mietwagen und den gebündelten Bedarfsverkehr vorübergehend – wegen tatsächlicher Unmöglichkeit – nicht zu verlangen ist. Somit ist jede Führerscheinstelle angewiesen, Neubewerbern einen Führerschein zur Fahrgastbeförderung auch ohne Fachkundenachweis auszustellen. Die P-Scheine, die seit dem 2. August beantragt werden, sind also mit folgender zwischen den Ländern vereinbarter Auflage verbunden: „Die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung wird unter der auflösenden Bedingung erteilt, dass sie erlischt, wenn der Inhaber die Bestätigung zum Nachweis der Fachkunde nicht spätestens ein Jahr nach Beauftragung der für den Nachweis der Fachkunde geeigneten Stelle vorlegt. Der Beginn der Jahresfrist richtet sich nach dem Tag der Beauftragung.“ Konkret bedeutet dies, dass aktuell jeder Bewerber um einen P-Schein bei der Genehmigungsbehörde lediglich ein medizinisches Gutachten sowie das obligatorische Führungszeugnis vorlegen muss. Sobald der Gesetzgeber dann aber die Inhalte und das Prüfungsverfahren für eine Fachkunde festgelegt hat, muss der Nachweis dieser Fachkunde innerhalb von 12 Monaten nachgereicht werden. jh TAXI 3. QUARTAL 2021 15

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