TAXIVERBAND BERLIN, BRANDENBURG E. V. MOBILITÄT, LIBERALISIERUNG, DIGITALISIERUNG Wie man einen mit Worten für dumm verkaufen will ... Jeder Gemeindekämmerer in Deutschland weiß, dass der ÖPNV kein Geschäftsfeld ist. Am Anfang war das Wort Digitalisierung. Die Mobilität sollte neu erschaffen werden. Die alte Mobilität war wohl wüst und finster. Die Geister von Uber und Mobilitätsplattformen der Autoindustrie schwebten über unser Land ein. Und das Verkehrsministerium sprach: „Es werde Licht“ – und gebar ein neues Dezernat für Digitalisierung. Nach sieben Tagen war dennoch nichts erschaffen. Da tauchte im März 2019 Herr Scheuer als Deus ex Machina auf der Bühne auf und hatte die Rolle des Verkehrsministers. Der neue Tatendrang wurde mit Schlagworten verkündet: Liberalisierung, Mobilitätskonzepte, Kannibalisierung, Ridepooling-System, Sharing, on demand etc. Das politische Ziel sollte unter anderem bessere Luft, weniger Verkehr und bessere Mobilität auf dem Lande und überhaupt sein. TAXIVERBAND BERLIN BRANDENBURG E. V. Persiustraße 7 10245 Berlin Tel. Sekr.: +49 (0)30 / 20 20 21 319 E-Mail: taxiverband@t-online.de www.taxiverband-berlin.de Presserechtlich verantwortlich für diese Seite: Detlev Freutel Redaktion: Detlev Freutel (df) Insoweit kann ich dem Ziel zustimmen. Außerdem sei man sich einig, dass das jetzige PBefG dabei stört und geändert werden muss. Jedoch habe ich gelernt: Wenn du was verändern willst, also das Alte verbessern willst, solltest du das Alte gut verstanden haben. Sonst dreht man an den falschen Schrauben. Unter nachdenkenden Menschen ist diese Erkenntnis allgemeingültig, nichts Aufregendes. Nachfolgend einige meiner Gedanken, in loser Reihenfolge: 1. Beim Kampf um das PBefG scheint jeder etwas anderes unter dem Begriff Mobilität zu verstehen. Kein Wunder, der Begriff ist zu allgemein. Der sachliche Kern des PBefG ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Mobilität, sprich der Teil des öffentlichen Personennahverkehrs, der dies mit Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht regelt. Die obersten Gerichte sprechen daher auch von Daseinsvorsorge und bezeichnen in diesem Zusammenhang das Funktionieren des Taxenverkehrs als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. 2. Ganz anders eine FDP-Spitzenpolitikerin: Wo es der Markt wie in den Städten hergebe, sollten Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Omi wird sich bedanken, wenn sie mal zum Arzt muss. 3. Wie kann man glauben, dass sich internationale Mobilitätsplattformen und ihr riesiges Kapital um die Mobilität der Bevölkerung Sorgen machen? Ihr Geschäftsmodell lautet nach wie vor, so viel Geld wie möglich zu verdienen. Jeder Gemeindekämmerer in Deutschland weiß, dass der ÖPNV kein Geschäftsfeld ist. 4. Scheuer arbeitet gerne mit dem Schlagwort „Liberalisierung“, um die Sache schmackhaft zu machen. Wie wäre es mit Liberalisierung der Mietpreisbindung, Liberalisierung des sozialen Wohnungsbaus, Liberalisierung der Wasserversorgung etc.? Ich denke, Scheuer schüttet das Kind mit dem Bade aus. 5. Wie erfolgreich sind die neuen Konzepte der Mietwagenanbieter wie Clever Shuttle, Moia usw.? Wo sind die Zahlen über beförderte Personen pro Tour, gefahrene Leerkilometer, Finanzierung? 6. Volkswirte reden vom ökologischen wie ökonomischen Unsinn der Rückkehrpflicht für Mietwagen. Und die Politiker reden es nach. Die Verkehrsform Mietwagen hatte im PBefG nie die leiseste Aufgabe der grundsätzlichen Mobilitätsversorgung. Man dachte eher an das Vermieten von Auto und Chauffeur für den Generaldirektor und seine Gattin. 7. Die Aufhebung der Rückkehrpflicht für Mietwagen ist für die Betreiber von Mobilitätsplattformen Grundvoraussetzung, um ihre Geschäfte überall und in großer Anzahl anbieten zu können, ohne Betriebspflicht, ohne Beförderungspflicht, ohne Tarifpflicht. Herr Scheuer, bitte aufwachen! Ich wünsche den Fahrern an der Kundenfront weniger schlaflose Nächte als mir. df FOTO: Taxi Times 26 MÄRZ/APRIL 2019 TAXI
WETTBEWERB FLIXBUS FÄHRT MIT UBER IN DEN RECHTLICHEN GRAUBEREICH Flixbus wurde nach der PBefG-Reform 2012 schnell europäischer Marktführer und verdrängte Konkurrenten durch Billigpreise. Ist die kürzlich angekündigte Zusammenarbeit mit Uber ein kluger Schritt? FOTO: Flixbus, Alexey Dubovskiy / stock.adobe.com Das Reisebus-Unternehmen will seinen Fahrgästen für die Fahrt vom Abholort zum Busbahnhof bzw. von dort zur Zieladresse künftig Fahrten mit Uber-Autos vermitteln. Auf den ersten Blick erscheint die Idee kurios, da Fahrten in den grell-grünen Bussen dermaßen wenig kosten, dass die „letzte Meile“ trotz angekündigter Ermäßigung schnell teurer sein kann als die Fernbusreise. Das Geschäftsmodell aggressiver Startups wie Uber ist bekannt: Zuerst mit Hilfe von Sponsoren groß investieren, mit Dumpingpreisen die Kundschaft gewinnen und hohe Verluste in Kauf nehmen, dadurch die Konkurrenz ruinieren, dann das erreichte Monopol ausnutzen, um hohe Preise zu verlangen, Mitarbeitern bzw. Subunternehmen wenig bezahlen, reich werden und lächelnd darüber hinwegsehen, dass man tausende Menschen in die Armut getrieben hat. Auch Flixbus bietet seinen Kunden Preise an, bei denen nennenswerte Gewinne schwer vorstellbar sind, und die laut Kritikern nur durch eine aggressive Preispolitik auf dem Rücken der Subunternehmer und deren Beschäftigter möglich sind. Auch hier gibt es einen Preisalgorithmus. Während auf der Startseite eine Fahrt von Berlin nach Wolfsburg ab ca. 3 Euro beworben wurde, hätte ein Ticket am 1.4. zwei Stunden vor Abfahrt knapp 30 Euro gekostet. Laut Geschäftsführung schreibt Flixbus aber Schwarze Zahlen und arbeitet laut Stiftung Warentest und anderer Institute seriös. Flixbus hat heute in Deutschland einen Marktanteil von über 90 Prozent, besitzt aber keine eigenen Fahrzeuge, sondern lässt seine Fahrten von rund 250 mittelständischen Unternehmen durchführen, davon etwa 100 im Ausland. Auf der Schiene ist Flixtrain der einzige DB-Konkurrent im Fernverkehr. Europaweit hat Flixbus an die 20 Tochtergesellschaften und hat nach eigenen Angaben bereits über 100 Millionen Fahrgäste befördert. Anteilseigener sind unter anderem General Atlantic (35,9 %), Holtzbrinck Ventures (16,3 %) und Daimler Mobility Services (5,6 %). ZEIGE MIR DEINE FREUNDE ... Die Entscheidung zur Kooperation mit Uber ist für ein Unternehmen mit jungem Renommee heikel: Flixbus lockt seine Kunden in Fahrzeuge, deren Fahrer regelmäßig gegen geltendes Recht verstoßen, und bekennt sich damit öffentlich zu einem Partner, der nicht nur in Österreich offen den Rechtsstaat verhöhnt, sondern dessen Geschäftsmodell sich auch in Deutschland – vorsichtig ausgedrückt – im rechtlichen Graubereich bewegt (siehe Seite 8-10). Noch unverständlicher ist der Schritt angesichts der Preissensibilität der Flixbus-Kunden, von denen nach Expertenschätzung weniger als zehn Prozent bereit sein werden, das Angebot des Haustürservices mit Uber zu bezahlen. DÉJÀ-VU MIT ANDREAS S. Für die drei Flixbus-Gründer, heute Hauptgesellschafter und Geschäftsführer, hat die Kooperation möglicherweise eine besondere symbolische Bedeutung: Man selbst konnte erst durch die letzte PBefG-Reform groß werden. Sie wurde maßgeblich mit ausgearbeitet von Andreas Scheuer, seinerzeit Staatssekretär unter dem damaligen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Auch wenn damals eine EU-Vorgabe der Auslöser war und diesmal fleißige Lobbyarbeit eines Wirtschaftszweiges, der möglicherweise in ein paar Jahren Scheuers Arbeitgeber sein wird – der Hauptbegünstigte der nächsten PBefG-Reform passt wohl augenscheinlich gut mit ins Boot. Andere Reiseunternehmen zeigen eine seriöse Alternative, ihren Fahrgästen einen verlässlichen Haustürservice zu bieten: Der renommierte Reiseanbieter „Wörlitz Tourist“ und Konkurrenten wie „Komm mit Reisen“ oder „ThoVer-Reisen“ arbeiten seit Langem erfolgreich – und seriös – mit dem Berliner Taxigewerbe zusammen. Hier sehen Unternehmer einen zukunftsträchtigen Geschäftszweig für das angeschlagene Gewerbe. ar TAXI MÄRZ/APRIL 2019 27
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