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Leseprobe_Carl Goldmark

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Peter Stachel (Hg.)<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong><br />

Leben – Werk – Rezeption


<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong><br />

Leben – Werk – Rezeption


CARL GOLDMARK<br />

Leben – Werk – Rezeption<br />

Herausgegeben von<br />

Peter Stachel


Mit freundlicher Unterstützung<br />

von<br />

Peter Stachel (Hg.): <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>. Leben – Werk – Rezeption<br />

© Hollitzer Verlag, Wien 2022<br />

Abbildung am Cover:<br />

„Der greise Komponist blickt zu der Hauptheldin seines Lebenswerkes empor“.<br />

Karikatur von Mila Luttich, © Wien Bibliothek<br />

Covergestaltung und Satz: Nikola Stevanović<br />

Hergestellt in der EU<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© Hollitzer Verlag, Wien 2022<br />

www.hollitzer.at<br />

ISBN 978-3-99012-259-4


Im Gedenken an<br />

Jonathan M. Hess und Peter P. Pachl


Inhalt<br />

Peter Stachel<br />

Einleitung 9<br />

Thomas Aigner<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Werdegang und familiäres Umfeld 13<br />

Adalbert Putz<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> und „der sechste Erdteil“ 25<br />

Dieter J. Hecht<br />

Blühende Gärten und revolutionäre Garden<br />

Jugendreminiszenzen <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s 39<br />

Thomas Albertus Irnberger<br />

Fünf unbekannte Briefe <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s an den Journalisten<br />

Ludwig Benedikt Hahn aus dem Jahr 1877 53<br />

Johann Hofer<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Leben und Werk im Spiegel der Presse 63<br />

Anil Bhatti<br />

Die Sakuntala-Ouvertüre von <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> im kulturhistorischen Kontext<br />

Einige Anmerkungen 75<br />

Carolin Hauck<br />

Ein langer Weg<br />

Eine Spurensuche in der Uraufführungsgeschichte von<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Die Königin von Saba 85<br />

Angelika Silberbauer<br />

„Wir leben nicht im Orient, uns schatten keine Palmen“!<br />

Zur Wiener Rezeption der Uraufführung von Die Königin von Saba 105<br />

Balázs Mikusi<br />

„Die Oper unseres Landsmanns wird eine<br />

Repertoire-Oper des Nationaltheaters werden“<br />

Die ungarische Rezeption von <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Die Königin von Saba 123<br />

Golan Gur<br />

Karl <strong>Goldmark</strong> zwischen jüdischem Wagnerismus<br />

und deutschem Orientalismus 149


xxxxxx<br />

Daniel S. Katz<br />

Die Suche nach synagogalen Einflüssen auf <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s<br />

Oper Die Königin von Saba 161<br />

Konrad Melchers<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Die Königin von Saba<br />

Eine jüdische Interpretation der Legende 193<br />

Jonathan M. Hess †<br />

Der Librettist der Königin von Saba und der liberale Philosemitismus<br />

Bemerkungen zu S. H. Mosenthals „Judenstück“ Deborah 219<br />

David Brodbeck<br />

„Wollen wir doch nie vergessen, dass wir arme deutsche Komponisten sind.“<br />

Zu <strong>Goldmark</strong>s Selbstverteidigung 243<br />

Peter Stachel<br />

Der Kritiker und sein Künstler<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> und Eduard Hanslick – eine komplizierte Beziehung 259<br />

Cornelia Szabó-Knotik<br />

Multi-Identität versus Exotismus<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Ort im Kreis der musikalischen Eliten Wiens 287<br />

Fritz Trümpi<br />

Rezeptionsstrategien um Karl <strong>Goldmark</strong><br />

Zur politischen Vor- und Nachgeschichte der Die Königin von Saba-Premiere<br />

an der Wiener Staatsoper von 1936 301<br />

Balázs Mikusi<br />

Appendix: Das Budapester Autograph<br />

von <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Erinnerungen aus meinem Leben 315<br />

Peter P. Pachl †<br />

Appendix: Versteckte Hermen sichtbar werden lassen<br />

Zur Konzeption der Wiederaufführung von <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Die Königin von Saba<br />

in Berlin (2015) und die tatsächliche Realisierung in Klosterneuburg (2019) 321<br />

Autorinnen und Autoren 343<br />

Namensregister 349<br />

8


Einleitung<br />

Einleitung<br />

An einem der ersten Tage des Jahres 1915 stand ein neunjähriger Bub am Fenster<br />

einer Wohnung im 2. Stock des Hauses Josef-Gall-Gasse 5 im 2. Wiener Gemeindebezirk.<br />

Er beobachtete die Menschenmassen, die sich vor dem Haus versammelt<br />

hatten, um am Trauerzug für jenen alten Herrn teilzunehmen, der im selben Haus<br />

gewohnt und den der Neunjährige gelegentlich gesehen hatte, wenn er, auf den<br />

Arm seiner Tochter gestützt, spazieren gegangen war. Nun war der alte Mann<br />

gestorben und aus seiner Wohnung konnten die Nachbarn das Weinen der Tochter<br />

hören: „Am Tage des Begräbnisses war die Josef-Gall-Gasse schwarz von Fiakern<br />

und Menschen. Wir sahen von oben aus dem Fenster zu, wir dachten, daß kein<br />

Fleckchen unten mehr frei sei, aber es kamen immer neue Fiaker und Menschen<br />

dazu und fanden doch Platz. ‚Wo kommen die nur alle her?‘ ‚Das ist so, wenn ein<br />

berühmter Mann stirbt‘, sagte Paula. ‚Die wollen ihm alle das letzte Geleit geben.<br />

Die haben seine Musik so gern.‘ Ich hatte die Musik nie gehört und fühlte mich<br />

ausgeschlossen.“ 1<br />

Der neunjährige Bub, der sich mehr als sechs Jahrzehnte später im ersten Band<br />

seiner Autobiographie an diesen Tag erinnerte, hieß Elias Canetti, der alte Mann,<br />

dessen Musik die Menschen so gern hatten, war der Komponist <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>.<br />

Die Schilderung kann nicht allein als Beleg für die spezifisch Wienerische Faszination<br />

an der „schönen Leich’“ dienen, sie ist ohne Zweifel auch ein Ausdruck<br />

der Popularität, über die der Komponist <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> bei seinen Zeitgenossen<br />

verfügte. In der Haupt- und Residenzstadt Wien galt <strong>Goldmark</strong> gewissermaßen<br />

als lebendes Kulturdenkmal, selbst der gestrenge „Kritikerpapst“ Eduard Hanslick<br />

griff gelegentlich zur besitzergreifenden Formulierung „unser <strong>Goldmark</strong>“ 2 . Doch<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> war zu seinen Lebzeiten wesentlich mehr als eine Wiener Lokalgröße,<br />

seine Werke – allen voran sein Opernerstling Die Königin von Saba – wurden<br />

weltweit gespielt: Vom Mutterland der Oper, Italien, 3 bis nach Übersee, nach New<br />

York und Buenos Aires reichen die Aufführungsdaten. Hätte man zum Zeitpunkt<br />

von <strong>Goldmark</strong>s Tod im Jahr 1915 Musikfreunde gefragt, wie sie die Bedeutung des<br />

Komponisten und seiner Werke einschätzen würden, die meisten hätten wohl den<br />

dauerhaften Nachruhm für gesichert gehalten.<br />

Es ist anders gekommen. <strong>Goldmark</strong>s Name und Ruhm ist stark verblasst, seine<br />

Werke waren für lange Zeit von den Bühnen und Orchesterpodien verschwunden.<br />

Für jenen Zeitraum der österreichischen Musikgeschichte, in dem <strong>Goldmark</strong>s<br />

Opern bejubelt wurde, haben spätere Musikhistoriker ebenso kurzentschlossen<br />

wie kurzschlüssig ein „Opernloch“ konstatiert. Ein wesentlicher Grund dafür ist<br />

1 Elias Canetti, Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend, Frankfurt a.M. 2014, S. 144f.<br />

2 Vgl. Neue Freie Presse, 9. 2. 1873, S. 2, Sp. 3; Neue Freie Presse, 19. 1. 1899, S. 2, Sp. 3.<br />

3 Nicht verschwiegen werden soll allerdings der Umstand, dass die Aufführungen der Königin von<br />

Saba an der Mailänder Scala in der Saison 1887/1888 angeblich schlecht besucht waren; dafür<br />

könnten freilich auch politische Gründe mitverantwortlich gewesen sein. Vgl. Ideka [= Ignaz Kolisch],<br />

Das hohe C. Feuilleton, in: Wiener Allgemeine Zeitung 4. 3. 1888, S. 1–3, hier S. 3.<br />

9


Peter Stachel<br />

wohl darin zu suchen, dass die Kompositionen des Juden <strong>Goldmark</strong> in der Zeit des<br />

Nationalsozialismus nicht aufgeführt werden konnten. Eine weitere Ursache liegt<br />

darin, dass die vielfach auf opulente Ornamentik und den starken Effekt ausgerichtete<br />

Kunst der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts (Historismus) sich generell<br />

in den letzten Jahrzehnten nur geringer Wertschätzung erfreute und das, was damals<br />

an <strong>Goldmark</strong>s Tonsprache als neuartig und ungewohnt und damit interessant<br />

empfunden wurde, später von jüngeren Komponisten überboten wurde. Selbst die<br />

Namensähnlichkeit mit Erich Wolfgang Korngold dürfte dazu beigetragen haben,<br />

dass <strong>Goldmark</strong> in Vergessenheit geraten ist; jedenfalls ist es mir mehrfach passiert,<br />

dass durchaus musikaffine Zeitgenossen, denen ich von meinem Forschungsinteresse<br />

an <strong>Goldmark</strong> erzählt habe, mit wissender Miene Die tote Stadt oder, „der hat<br />

doch auch Filmmusik geschrieben“ geantwortet haben.<br />

Immerhin ist in den letzten Jahren, wenn schon kein <strong>Goldmark</strong>-Revival, so<br />

doch zumindest ein gewisses neu erwachtes Interesse an den Werken <strong>Goldmark</strong>s zu<br />

beobachten. Die Königin von Saba ist an verschiedenen Opernhäusern in Deutschland<br />

neu inszeniert worden, mit besonders großem Erfolg in Freiburg im Breisgau<br />

(Premiere 18. April 2015); mit der Besetzung dieser Aufführung wurde auch eine<br />

CD-Aufnahme eingespielt, die mittlerweile dritte, die erhältlich ist. In Budapest,<br />

traditionell eine <strong>Goldmark</strong>-Stadt, scheint sich Die Königin von Saba mittlerweile<br />

sogar ihren Platz im Repertoire zurück erobert zu haben. Auch von <strong>Goldmark</strong>s<br />

zweiter Oper Merlin existiert inzwischen eine CD-Aufnahme, und seine Instrumentalwerke<br />

sind nicht nur großteils in mehreren verschiedenen Aufnahmen verfügbar,<br />

sondern auch gelegentlich wieder im Konzertsaal zu hören.<br />

Umso bedauerlicher ist der Umstand, dass sich gerade Wien und im Besonderen<br />

jenes Haus, mit dem <strong>Goldmark</strong> verbunden war wie nur wenige Musiker und<br />

Komponisten, die einstige Hof- und heutige Staatsoper, mit hartnäckiger Ignoranz<br />

dem Werk <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s verweigern. Die Königin von Saba, mit über 270<br />

Aufführungen in mehr als sechs Jahrzehnten einst so etwas wie eine „Hausoper“<br />

des Hauses am Ring, wurde dort zum letzten Mal im Jahr 1937 (!) gezeigt. In den<br />

letzten 84 Jahren gab es in Wien genau eine (!) konzertante Aufführung der Oper,<br />

die einzige szenische Inszenierung an einer österreichischen Bühne – 1985 im Grazer<br />

Opernhaus – wurde von der Kritik in Grund und Boden geschrieben. Dass es<br />

durchaus ein Interesse des Wiener Publikums gerade an diesem Werk gibt, belegt<br />

allerdings der große Publikumsandrang zu zwei von Privatpersonen aus Deutschland<br />

(Konrad Melchers und Peter P. Pachl) organisierten Aufführungen (nebst einer<br />

öffentlichen Generalprobe) der Königin von Saba in der Stiftskirche Klosterneuburg<br />

im September 2019. Ein persönlich gefärbter Bericht des Regisseurs, ergänzt durch<br />

ausgiebige Zitate aus Kritiken der Aufführung, findet sich im vorliegenden Band. 4<br />

<strong>Goldmark</strong>s Musik hat es verdient, wieder aufgeführt zu werden. Nicht etwa<br />

deshalb, weil der Komponist als postumes Opfer der nationalsozialistischen Kulturpolitik<br />

irgendeiner Form von „Wiedergutmachung“ bedürfte, der denn doch<br />

4 Vgl. den Appendix des Beitrags von P. Pachl.<br />

10


Einleitung<br />

der Geruch eines moralischen Pflichtpensums anhaften würde, sondern deshalb,<br />

weil es gute, interessante und hörenswerte Musik ist. <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> war keine<br />

epochemachende Künstlerfigur vom Rang eines Richard Wagners oder Giuseppe<br />

Verdis, aber er war ein ernstzunehmender Künstler, dessen Werke auch heute noch<br />

ihr Publikum gewinnen können – wenn es Veranstalter und Künstler gibt, die diese<br />

Werke zu Gehör zu bringen bereit sind.<br />

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis einer internationalen Konferenz,<br />

die – aus Anlass der einhundertsten Wiederkehr des Todestages von <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong><br />

am 2. Jänner 2015 – von 27. bis 29. November 2014 in Wien stattgefunden<br />

hat. Veranstalter waren das Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte<br />

der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und die Universität<br />

für Musik und darstellende Kunst Wien, in deren Räumlichkeiten die Konferenz<br />

stattgefunden hat. Ermöglicht wurde diese Veranstaltung durch die finanzielle<br />

Unterstützung der Gemeinde Wien und der Marktgemeinde Deutschkreutz, die<br />

die Teilnehmer der Tagung zu einem Besuch im <strong>Goldmark</strong>-Museum und einer<br />

Ortsführung auf <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Spuren einlud. Zu besonderem Dank verpflichtet<br />

bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Kulturwissenschaften<br />

und Theatergeschichte und insbesondere Professor Christian Glanz vom Institut<br />

für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik<br />

und darstellende Kunst Wien, ohne dessen Unterstützung die Tagung nicht hätte<br />

stattfinden können.<br />

Es liegt in gewissem Sinn in der Natur eines solchen Sammelbandes, dass er eine<br />

Reihe von Themen anspricht und umkreist: Im vorliegenden Fall liegen die thematischen<br />

Schwerpunkte auf der Biographie <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s, auf der Geschichte<br />

seiner Familie, auf seiner problematischen Stellung als bekennend jüdischer Künstler<br />

in einem zunehmend vom Antisemitismus geprägten Umfeld und auf der Aufführungs-<br />

und internationalen Wirkungsgeschichte der Königin von Saba. Dass dabei<br />

in verschiedenen Texten dieselben Quellen als Beleg herangezogen werden, ist<br />

unvermeidlich und auch dadurch gerechtfertigt, dass jeder Beitrag für sich gelesen<br />

werden kann. Thematisiert werden des Weiteren aber auch tiefergehende kulturhistorische<br />

Zusammenhänge, wie der Königin von Saba-Mythos oder die europäische<br />

Rezeptionsgeschichte des indischen Versepos Sakuntala, das <strong>Goldmark</strong> zu<br />

seinem ersten einem breiteren Publikum bekannt gewordenen Instrumentalwerk<br />

angeregt hat. Die Absicht des Herausgebers und der einzelnen Autoren war es, neben<br />

der <strong>Goldmark</strong>-Biographie 5 Johann Hofers und diversen, verstreut publizierten<br />

und teilweise als ungedruckte akademische Abschlussarbeiten vorliegenden und<br />

damit schwer zugänglichen Texten, ein Kompendium der aktuellen Forschungen<br />

zu Leben und Werk <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s vorzulegen, eine Art „Handreichung“ für<br />

weiterführende Forschungen. Wenn die vorliegenden Texte darüber hinaus dazu<br />

beitragen könnten, neues Interesse am Werk <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s zu erwecken, dann<br />

hätten sie ihren Zweck mehr als erfüllt.<br />

5 Johann Hofer, <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>. Komponist der Ringstraßenzeit, Wien 2015.<br />

11


Peter Stachel<br />

Als Herausgeber möchte ich mich an dieser Stelle auch bei den Autoren bedanken,<br />

zum einen für ihre Beiträge, zum anderen für die Geduld, mit der sie die<br />

Verzögerung der Veröffentlichung des Bandes hingenommen haben, für die ich<br />

mich an dieser Stelle noch einmal entschuldigen möchte.<br />

Trofaiach, im Mai 2021, Peter Stachel<br />

12


<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Werdegang und familiäres Umfeld<br />

Thomas Aigner<br />

CARL GOLDMARKS WERDEGANG<br />

UND FAMILIÄRES UMFELD<br />

21 oder sogar 24 Geschwister sollen die <strong>Goldmark</strong>s gewesen sein. <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong><br />

erinnerte sich immerhin an zwölf lebende Brüder und Schwestern, ihn eingeschlossen.<br />

1 Sein Vater Rubin schrieb 1866 von sechs Söhnen. 2 Besagter Rubin <strong>Goldmark</strong><br />

wurde im Juli 1799 in Lublin geboren. Die Stadt war durch die Dritte polnische<br />

Teilung an Österreich gefallen, wurde 1809 durch den Frieden von Schönbrunn dem<br />

von Napoleon abhängigen Herzogtum Warschau zugeschlagen und gelangte infolge<br />

der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815 als Teil Kongresspolens unter<br />

russische Oberhoheit. Rubin <strong>Goldmark</strong> war Stiefsohn von Leah Mendelsburg, einer<br />

Tochter von Joseph Mendelsburg, eines der reichsten Männer in der Provinz Warschau.<br />

Dieser Umstand verhinderte nicht, dass er als Kantor und Notär, d.h. Amtmann,<br />

der jüdischen Gemeinde ein Leben in materieller Armut führte. Verheiratet<br />

war er mit seiner Stiefschwester Edelise Mendelsburg, die jedoch am 14. Dezember<br />

1822, nur drei Jahre nach der Geburt ihres einzigen Kindes, Josef <strong>Goldmark</strong>, starb. 3<br />

Im darauffolgenden Jahr übersiedelte Rubin <strong>Goldmark</strong> nach Pápa (dt. Poppa), wo<br />

er eine zweite Ehe mit Marie Krausz einging. Wenig später fand er in Keszthely (dt.<br />

Kesthell) am Plattensee (ung. Balaton) eine Anstellung. 1827 wurde dem Paar eine<br />

Tochter namens Johanna geboren 4 und am 18. Mai 1830, als drittes Kind Rubins,<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>. Dieser war aufgrund einer fehlerhaften Passeintragung lange Zeit<br />

im Glauben, erst 1832 auf die Welt gekommen zu sein. 5 1831 zog sein Halbbruder<br />

Josef, der bis dahin in Lublin bei seinen Großeltern gelebt hatte, zur Familie. Er sollte<br />

bis 1837 das königliche Gymnasium in Keszthely besuchen und im Jahr danach ein<br />

Medizinstudium an der Universität Wien beginnen. 6<br />

Rubin <strong>Goldmark</strong> zog indessen mit seiner neuen Familie weiter. Nach einjährigem<br />

Aufenthalt in Tab (dt. Tabau) ließ er sich 1834 in Deutschkreutz (ung. Németkeresztúr,<br />

hebr. Zelem) nieder, 7 dessen Bevölkerung zwar überwiegend deutschsprachig war,<br />

das damals jedoch zum Königreich Ungarn gehörte. <strong>Carl</strong> behauptete später, er hätte<br />

keine geregelte Schulbildung genossen, da es dort für die deutschsprachigen Kinder<br />

1 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien u.a. 1922, S. 12.<br />

2 Josephine <strong>Goldmark</strong>, Pilgrims of ’48. One Man’s Part in the Austrian Revolution of 1848 and a<br />

Family Migration to America, New Haven 1930, S. 3.<br />

3 Ebd., S. 3f.<br />

4 Todesanzeige in: Pester Lloyd, 14. 1. 1911, 1. Beilage.<br />

5 <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>, Brief an einen ungenannten Redakteur, Gmunden, 23. 10. 1910; A-Wn Autogr.<br />

125/97-4.<br />

6 Josephine <strong>Goldmark</strong>, Pilgrims of ’48, S. 4f. Die auf S. 4 in eckigen Klammern ergänzte Briefdatierung<br />

1829 ist offenkundig falsch.<br />

7 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 11.<br />

13


Thomas Aigner<br />

keine Schule gegeben hätte. 8 Letzteres ist nachweislich falsch. Der dortigen jüdischen<br />

Gemeinde stand allerdings mit Menachem Katz ein sehr konservativer Rabbiner vor,<br />

der dem Besuch der naturgemäß christlich ausgerichteten Grundschule durch die<br />

jüdischen Kinder kritisch gegenüberstand. Es wäre denkbar, dass Rubin <strong>Goldmark</strong>,<br />

der als Kantor und Notär dem Rabbiner unterstand, diesem dienlich sein wollte,<br />

indem er es bei seinen eigenen Kindern mit der Schulpflicht nicht so genau nahm<br />

und deren Schulbesuch möglicherweise sogar aktiv hintertrieb. Lokale Zeitgenossen<br />

<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s wollten sich am Ende ihres Lebens daran erinnern, dass <strong>Carl</strong> meist<br />

die Schule schwänzte. 9<br />

Seinen ersten Unterricht im Lesen und Schreiben erhielt <strong>Carl</strong> eigenen Angaben<br />

zufolge von Moritz Friedmann, dem damaligen Hilfskantor und späteren (1850) Gatten<br />

seiner Schwester Johanna. 10 In die Musik wurde er im Alter von elf Jahren, d.h.<br />

1841, durch einen Chorsänger aus dem Synagogenchor seines Vaters eingeführt, der<br />

ein bisschen Geige spielen konnte. In diese Zeit fällt ein prägendes Musikerlebnis,<br />

das ihm, dem jüdischen Kantorensohn, ausgerechnet die aus der Entfernung vernommenen<br />

Klänge einer katholischen Messe vermittelten. 1842 wurde <strong>Goldmark</strong> einem<br />

Geigenlehrer namens Anton Eipeldauer übergeben, der an der Ödenburger (ung.<br />

Sopron) Musikschule unterrichtete. Durch Besuche des dortigen Stadttheaters, dessen<br />

Leitung seit 1841 Franz Pokorny innehatte, kam er erstmals mit der Welt der Bühne<br />

in Berührung. Bereits 1843 trat er im Rahmen eines Schülerkonzerts öffentlich auf. 11<br />

1844 kam <strong>Goldmark</strong> nach Wien, um dort privaten Violinunterricht bei Leopold<br />

Jansa zu nehmen. Aus dieser Zeit stammen seine ersten Kompositionsversuche, Duos<br />

für zwei Violinen, die wie alle seine Jugendwerke von ihm später vernichtet wurden.<br />

<strong>Carl</strong> wohnte damals bei seinem Halbbruder Josef, der sich auf den Abschluss seines<br />

Medizinstudiums vorbereitete und nebenbei in einem chemischen Labor arbeitete.<br />

Er hatte die „niederen Dienste“ im Haushalt zu übernehmen und Josef als Famulus<br />

zur Hand zu gehen, wenn dieser Nachhilfestunden im Fach Chemie gab. 12<br />

Als <strong>Carl</strong> den Unterricht bei Jansa aufgrund der klammen finanziellen Verhältnisse<br />

seines Vaters nach anderthalb Jahren aufgeben musste, bestimmte Josef, dass er einem<br />

bürgerlichen Beruf nachgehen und der Musik abschwören müsse. 13 <strong>Carl</strong> bereitete sich<br />

daraufhin in Deutschkreutz autodidaktisch auf seine Schulabschlussprüfung vor, die<br />

er als Externist am 15. September 1847 in Wiener Neustadt ablegte. 14 Danach inskribierte<br />

er am k.k. Polytechnikum, daneben aber auch am Konservatorium der Gesellschaft<br />

der Musikfreunde. Das Technikstudium gab er bald auf, während er die Fächer<br />

Violine (3. Klasse, bei Joseph Böhm) und Generalbass (1. Klasse, bei Gottfried Preyer)<br />

8 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 12f.<br />

9 Mündliche Mitteilung von Martin Czernin, 29. 11. 2014.<br />

10 Österreichisch-ungarische Cantoren-Zeitung, 11. 9. 1891, S. 1.<br />

11 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 13–18.<br />

12 Ebd., S. 18f., S. 57.<br />

13 Ebd., S. 21, S. 23.<br />

14 Róbert Meszlényi, Az Orsz. Magy. Kir. Liszt Ferenc Zeneművészeti Főiskola <strong>Goldmark</strong>-<br />

Szobájának katalogusa, S. 87.<br />

14


<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Werdegang und familiäres Umfeld<br />

mit großem Eifer besuchte. Vor allem aber hatte er als Konservatorist nunmehr Zugang<br />

zum Konzertleben Wiens, was ihm gleichsam eine neue Welt eröffnete. 15<br />

Nachdem Josef 1847 promoviert wurde und eine Anstellung als Sekundararzt im<br />

Allgemeinen Krankenhaus mit eigener Dienstwohnung erhielt, war <strong>Carl</strong> gezwungen<br />

ein eigenes Zimmer in der Leopoldstadt (heute 2. Wiener Gemeindebezirk) zu mieten,<br />

wo er in ärmlichsten Verhältnissen lebte. 16 Als im März 1848 in Wien die Revolution<br />

ausbrach, schwang sich Josef zu einem der Anführer der Rebellen auf. Der Mitschuld<br />

an der Ermordung des Kriegsministers Theodor Baillet-Latour bezichtigt, musste er<br />

über mehrere Stationen in die USA fliehen. 17 Während er von einem durch die siegreichen<br />

Kräfte der Restauration eingesetzten Gericht in Abwesenheit zum Tod verurteilt<br />

wurde, 18 verwertete er in seiner neuen Heimat seine noch in Wien zusammen mit<br />

Anton Schrötter gemachte Entdeckung des roten oder amorphen Phosphors, indem er<br />

eine Fabrik für Zündhütchen gründete. Durch die Versorgung der Unionsarmee im<br />

Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) wurde er ein reicher Mann. 19<br />

<strong>Carl</strong> kehrte indessen, da das Konservatorium geschlossen wurde, nach Deutschkreutz<br />

zurück, wo er selbst in die Revolutionswirren geriet und sich nur mit knapper<br />

Not in Sicherheit bringen konnte. Er verdingte sich für die Saison 1848/49 als Geiger<br />

am Ödenburger Stadttheater. Als die Truppe im Sommer 1849 in Raab (ung. Győr)<br />

gastierte, wurde er in den aus der Revolution erwachsenen Sezessionskrieg Ungarns<br />

gegen Österreich verwickelt. Er wurde von den Kaisertreuen gefangen genommen,<br />

im allgemeinen Durcheinander jedoch bald wieder freigelassen. 20<br />

Die nächste Station <strong>Goldmark</strong>s als Orchestergeiger war seinen eigenen Angaben<br />

zufolge von 1849 bis 1851 das Ofener (Pester) Theater, 21 wenngleich Dokumente für<br />

diese Zeit immer noch seine Zugehörigkeit zum Ödenburger Stadttheater belegen. 22<br />

1851/52 war er in gleicher Funktion am Theater in der Josefstadt und von 1852 bis<br />

1857 oder 1858 am Wiener <strong>Carl</strong>-Theater unter der Direktion Johann Nestroys tätig.<br />

23 Daneben unterrichtete er ab 1852 die nachmalige Hofopernsängerin Caroline<br />

Bettelheim (1845–1925) am Klavier, ohne dieses Instrument selbst je erlernt zu haben.<br />

Carolines Bruder Anton erinnert sich, dass <strong>Goldmark</strong> nicht einmal eine Tonleiter<br />

einwandfrei spielen konnte und dennoch seiner Schwester ein hervorragender<br />

Lehrer war. Hatte es <strong>Goldmark</strong> jedoch mit minder begabten Schülern zu tun, versagte<br />

seine Kunst völlig. 24 Davon wusste in späteren Zeiten vor allem seine Enkelin<br />

Franziska Hegenbarth ein Lied zu singen. 25<br />

15 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 25ff.<br />

16 Ebd., S. 21ff.<br />

17 Josephine <strong>Goldmark</strong>, Pilgrims of ’48, S. 162–166.<br />

18 Ebd., S. 247, S. 273.<br />

19 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 118.<br />

20 Ebd., S. 29–44.<br />

21 Ebd., S. 44ff.<br />

22 Meszlényi, Az Orsz., S. 12.<br />

23 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 46, S. 48–51.<br />

24 Caroline von Gomperz-Bettelheim, Aus meinen Jugendjahren, in: Neue Freie Presse, 25. 12. 1914,<br />

S. 40ff., hier S. 40; Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 47f.<br />

25 Franzi Hegenbarth, Mein Grossvater. Ein Erinnerungsbüchlein an Karl <strong>Goldmark</strong> [unveröffentlicht].<br />

15


Thomas Aigner<br />

Am 29. Jänner 1854 erklangen in einem Konzert des Pester Baritons Adolf Prossnitz<br />

im Streichersalon erstmals öffentlich Kompositionen <strong>Goldmark</strong>s, Idylle und Scherzo<br />

für Violine und Klavier. <strong>Goldmark</strong> wurde dabei von seiner Schülerin Caroline Bettelheim<br />

begleitet; 26 die beiden Kompositionen sind heute verschollen. Sein eigentliches<br />

Debüt als Komponist gab <strong>Goldmark</strong> am 12. März 1857 in einem selbst veranstalteten<br />

Konzert mit eigenen Werken im Musikverein. Es spricht für seinen Wagemut, dass<br />

er dabei u.a. eine Konzertouvertüre für Orchester und einen Psalm für Bariton, Chor und<br />

Orchester präsentierte. Die Kritiken waren weitgehend wohlwollend, aber keinesfalls<br />

enthusiastisch. 27<br />

1858, vielleicht auch schon 1857, übersiedelte <strong>Goldmark</strong> nach Pest, angeblich aus<br />

familiären Gründen. 28 Sein Schwager Moritz Friedmann wurde 1857 zum Oberkantor<br />

der dortigen jüdischen Gemeinde bestellt und am 9. Jänner 1858 brachte Johanna<br />

ihr erstes Kind, Henrietta, zur Welt. 29 Möglicherweise fällt auch die Übersiedlung<br />

von <strong>Goldmark</strong>s Eltern nach Pest in diese Zeit. <strong>Goldmark</strong> bildete sich autodidaktisch<br />

im Kontrapunkt weiter 30 und machte durch den Pianisten und angehenden Musikverleger<br />

Johann Nepomuk Dunkl Bekanntschaft mit den Werken Robert Schumanns<br />

und Richard Wagners. Kompositorische Früchte dieser Periode sind Werke<br />

für die Synagoge, von denen sich ein Psalm in Abschrift erhalten hat, 31 ein Klaviertrio<br />

(op. 4) sowie Klavierstücke und Lieder. Einige davon veröffentlichte <strong>Goldmark</strong> später<br />

in seinen Zyklen op. 5 bzw. op. 18. Am 13. April 1859 gab er im Hôtel de l’Europe sein<br />

zweites Kompositionskonzert; danach kehrte er nach Wien zurück. 32<br />

Seinen Lebensunterhalt bestritt <strong>Goldmark</strong> nun hauptsächlich durch das Geben<br />

von Klavierstunden. Auch den Unterricht Caroline Bettelheims nahm er wieder<br />

auf. 33 Da das Hellmesberger-Quartett sein neues Streichquartett op. 8 entgegen der<br />

ursprünglichen Absicht nicht im Abonnementzyklus aufführen wollte, engagierte<br />

<strong>Goldmark</strong> die Musiker auf eigene Rechnung und stellte das Werk in den Mittelpunkt<br />

seines dritten Kompositionskonzerts, das am 13. Jänner 1861 im damaligen<br />

Musikvereinssaal stattfand. 34 Von da an fand sein Schaffen nach und nach Eingang<br />

ins Repertoire der ausübenden Musiker. 35<br />

26 Meszlényi, Az Orsz., S. 12; Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 47.<br />

27 Blätter für Musik, Theater und Kunst, 3. Jg. Nr. 22 (17. 3. 1857), S. [85]f.; Die Presse, 10. Jg.<br />

Nr. 116 (21. 5. 1857); Wiener Zeitung, 20. 3. 1857 (Nr. 65, Abendblatt), S. 258.<br />

28 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 58f.<br />

29 Eintrag „Johanna Friedmann“ auf der Website „Geni“, http://www.geni.com/people/Johanna-<br />

Friedmann/6000000025766430501 (Zugriffsdatum 15. 1. 2015).<br />

30 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 59.<br />

31 Claudia Chaya-Bathya, Superstars unter sich. Franz Liszt und Moritz Friedmann, in: Koschere Melange.<br />

Das Blog des Österreichischen Jüdischen Museums, http://www.ojm.at/blog/2011/01/26/<br />

superstars-unter-sich-franz-liszt-und-moritz-friedmann/ (Zugriffsdatum 15. 1. 2015).<br />

32 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 60, S. 67.<br />

33 Ebd., S. 67.<br />

34 Ebd., S. 71ff.; Programmzettel: Leo Baeck Institute, New York, <strong>Goldmark</strong> Family Collection; https://<br />

archive.org/stream/goldmarkfamilyco01gold#page/n501/mode/1up (Zugriffsdatum 15. 1. 2015).<br />

35 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 71, S. 73.<br />

16


<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Werdegang und familiäres Umfeld<br />

Von 1862 bis wahrscheinlich 1865 leitete <strong>Goldmark</strong> den jüdischen Männerchor<br />

Zion, der sich im letztgenannten Jahr in Gesangverein Eintracht umbenannte. 36 Zugleich<br />

war <strong>Goldmark</strong> von Dezember 1862 bis April 1863 Musikkritiker der Konstitutionellen<br />

Österreichischen Zeitung. In dieser Eigenschaft besprach er die ersten Wiener<br />

Konzerte von Johannes Brahms. Dies war vermutlich der Anlass für den Beginn der<br />

nicht unproblematischen Freundschaft zwischen den beiden Männern. 37 <strong>Goldmark</strong><br />

trat andererseits aber auch für Richard Wagner ein. Während eines Sommeraufenthalts<br />

in Unter St. Veit kam es – Wagner hatte 1863/64 seinerseits in Penzing Quartier<br />

genommen – zu einer zufälligen Begegnung, die jedoch folgenlos blieb. 38 Ein Jahrzehnt<br />

später sollte <strong>Goldmark</strong> zu den Gründungsmitgliedern des Wiener akademischen<br />

Wagner-Vereins zählen, 39 ohne allerdings dort in der Folge nennenswerte Aktivitäten<br />

zu setzen. In das Jahr 1862 datiert auch der Beginn seiner Beziehung zu Ignaz Brüll<br />

und dessen Familie, 40 der wohl einzigen wahren und ungetrübten Freundschaft mit<br />

einem Berufskollegen, die <strong>Goldmark</strong> zu führen vergönnt war.<br />

1863 erhielt <strong>Goldmark</strong> ein Staatsstipendium in der Höhe von 600 Gulden, das<br />

ihn der ärgsten finanziellen Sorgen entheben sollte. 41 Zwei Jahre später gelang ihm<br />

mit seiner Ouvertüre zu Kalidasas Versdrama Sakuntala, eigentlich einer symphonischen<br />

Dichtung, der Durchbruch in größerem Kreis. Im darauffolgenden Jahr begann<br />

er mit der Arbeit an seiner Erstlingsoper Die Königin von Saba, die in mehrfacher<br />

Hinsicht mit der Familie Bettelheim verbunden ist. Den Anstoß zur Beschäftigung<br />

<strong>Goldmark</strong>s mit diesem Stoff gab die Mutter Carolines, die in einem Tischgespräch<br />

die Reproduktion eines Gemäldes von Henri Frédéric Schopin mit dem Titel La<br />

reine de Saba erwähnte. 42 <strong>Goldmark</strong> selbst berichtet von einem Ausruf des Oberregisseurs<br />

Schober von der Wiener Hofoper beim Anblick Carolines: „Das Mädl! Das<br />

Gesicht! Die reine Königin von Saba!“ 43 Caroline, inzwischen zur Sängerin mutiert,<br />

war damals tatsächlich auf exotischen Bahnen unterwegs, kreierte sie doch 1866 an<br />

der Hofoper die erste Wiener Selica in Giacomo Meyerbeers Afrikanerin. Man geht<br />

wohl nicht fehl in der Annahme, dass <strong>Goldmark</strong> die Titelpartie seiner Königin von<br />

Saba, deren Mezzosopran-Lage genau dem Stimmfach der Bettelheim entsprach, im<br />

Hinblick auf eine Verkörperung durch seine einstige Schülerin konzipiert hatte.<br />

Führt man sich die lebenslange innige Freundschaft zwischen <strong>Goldmark</strong> und<br />

Caroline vor Augen, ließe sich sogar spekulieren, dass die beiden damals ungeachtet<br />

des nicht unerheblichen Altersunterschiedes an eine eheliche Verbindung dachten; allein<br />

beweisen lässt sich diese These beim derzeitigen Wissensstand nicht. Sollten derartige<br />

36 Harald Graf, <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>. Studie zur Biographie und Rezeption. Diplomarbeit zur Erlangung<br />

des Magistergrades der Philosophie eingereicht an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät<br />

der Universität Wien. Wien: [Typoskript] 1994, S. 35.<br />

37 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 84–94.<br />

38 Ebd., S. 79ff.<br />

39 Wiener Morgenpost, 29. 9. 1871.<br />

40 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 82f.<br />

41 U.a. Fremdenblatt, 17. 5. 1863, 17. Jg. Nr. 144, S. [5].<br />

42 Anton Bettelheim, <strong>Goldmark</strong>-Erinnerungen, in: Neue Freie Presse 20. 1. 1915, S. 1–5, hier S. 3.<br />

43 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 114.<br />

17


Thomas Aigner<br />

Pläne tatsächlich bestanden haben, wurden sie allerdings jäh zunichte gemacht, als<br />

<strong>Goldmark</strong> seine um 1844 geborene, aus Lischau (tschech. Lišov) in Böhmen stammende<br />

Haushälterin Maria Benel schwängerte. Am 2. Juli 1866 kam beider Tochter<br />

Wilhelmine, genannt Minna, unehelich zur Welt. 44 Vor der Familie verheimlichte<br />

<strong>Goldmark</strong> die Angelegenheit, die nach den seinerzeitigen Moralvorstellungen nur als<br />

Fehltritt gelten konnte. Seinem Bruder Josef schrieb er zu Neujahr 1867: „Ich habe,<br />

obwohl mit meinem Sinn für stille Häuslichkeit wie geschaffen für die Ehe – mich<br />

nicht verheirathet um nicht mehr erwerbthätig sein zu müssen, als meinen Compositionszwecken<br />

dienlich ist.“ 45 Diese Aussage mochte dem Wortlaut nach zwar nicht<br />

gelogen sein, vermittelte jedoch bewusst ein falsches Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten.<br />

Caroline, die vielleicht mehr gewusst hatte, reagierte rasch. 1867 heiratete<br />

sie den wesentlich älteren Großindustriellen, Handelskammerpräsidenten und<br />

Reichsratsabgeordneten Julius Ritter von Gomperz (1824–1909) und zog sich, den<br />

damaligen Gepflogenheiten entsprechend, von der Bühne zurück. Nur als Konzertsängerin<br />

ließ sie sich, vor allem zu wohltätigen Zwecken, fallweise noch hören. 46<br />

Etwa zur gleichen Zeit traten auch im Leben einiger Familienangehöriger <strong>Goldmark</strong>s<br />

tiefgreifende Veränderungen ein. Sein Vater hatte bereits 1862 versucht seinem<br />

Sohn Josef nach Amerika zu folgen, musste jedoch im letzten Moment seiner<br />

angeschlagenen Gesundheit wegen von der Reise zurückstehen. Nun, nachdem Österreich<br />

1866 den Krieg gegen Preußen verloren hatte und die Aussichten für die<br />

Zukunft des Landes alles andere als günstig schienen, übertrug Rubin <strong>Goldmark</strong><br />

seine einstige Absicht auf zwei seiner jüngeren Söhne: 47 1866 emigrierte Adolf<br />

(1850–1920), im darauffolgenden Jahr folgte Leo (1843–1927) dessen Beispiel. Das<br />

Kriegsjahr 1866 führte auch erstmals <strong>Carl</strong> mit seinem nachgeborenen Bruder Ignaz,<br />

der als Soldat gekämpft hatte, zusammen. 48<br />

1867 erhielt <strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong> erneut ein Staatsstipendium zugesprochen, diesmal<br />

in der Höhe von 800 Gulden. Während seiner Arbeit an der Königin von Saba<br />

war ihm dieses Geld bitter notwendig; im Juli 1869 war es allerdings noch immer<br />

nicht ausgezahlt. 49 Ebenfalls seit 1867 unternahm <strong>Goldmark</strong> alljährlich mit Freunden<br />

eine Wanderung in die Fusch. Anfangs waren die Sängerinnen Amalie Materna<br />

und Helene Magnus sowie der Dirigent Otto Dessoff seine Begleiter; später hatte<br />

die Gruppe eine andere Zusammensetzung. Da war u.a. Eduard Brüll, der Onkel<br />

von Ignaz und Finanzagent <strong>Goldmark</strong>s, mit von der Partie; er lieferte die Texte zu<br />

den mehrstimmigen Gesängen, die <strong>Goldmark</strong> zum A-cappella-Singen für die Wan-<br />

44 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bestand 2.4.3 – Landesgebäranstalt.<br />

45 Columbia University Libraries, New York, Ms Coll <strong>Goldmark</strong>.<br />

46 Ulrich Harten, Artikel „Bettelheim (von Gomperz-Bettelheim), Karoline“, in Rudolf Flotzinger<br />

(Hg.), Oesterreichisches Musiklexikon, Bd. 1, Wien 2002, S. 144.<br />

47 Rubin <strong>Goldmark</strong>, Briefe an Leo <strong>Goldmark</strong>, Pest, 15. und 20. 2. 1866, Leo Baeck Institute, New<br />

York, <strong>Goldmark</strong> Family Collection, Karton 1, Mappe 1; Transkription: https://archive.org/<br />

stream/goldmarkfamilyco01gold#page/n76/mode/1up (Zugriffsdatum 15. 1. 2015).<br />

48 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 98.<br />

49 Josef <strong>Goldmark</strong>, Brief an seinen Bruder <strong>Carl</strong>, Pest, 2. 7. 1869; Columbia University Libraries,<br />

New York, Ms Coll <strong>Goldmark</strong>.<br />

18


<strong>Carl</strong> <strong>Goldmark</strong>s Werdegang und familiäres Umfeld<br />

derschar komponierte. Sie wurden später unter dem Titel Im Fuschertale als Opus 24<br />

veröffentlicht. 50<br />

Am 8. Juni 1868 starb in Pest <strong>Goldmark</strong>s Vater. Er erlebte nicht mehr, dass sein<br />

Sohn Josef noch im gleichen Jahr nach Wien zurückkehrte, um in einer Wiederaufnahme<br />

des seinerzeit gegen ihn angestrengten Gerichtsprozesses seine Unschuld zu<br />

beweisen. Tatsächlich gelang ihm mit Hilfe seines Anwalts Hermann Knepler seine<br />

glanzvolle Rehabilitierung, 51 woraufhin er sich 1870 wieder in die USA begab. Für<br />

<strong>Carl</strong> bedeutet die Anwesenheit seines Bruders eine zweijährige Unterbrechung seiner<br />

Arbeit an der Königin von Saba. 52 Am 8. September 1871 starb die Mutter seiner<br />

Tochter im Alter von nur 27 Jahren an Lungentuberkulose. 53 <strong>Carl</strong> hatte zuletzt in der<br />

Nähe ihrer Wohnung Quartier bezogen. 54 Über die persönliche Beziehung der beiden<br />

ist nichts bekannt. Auch das unmittelbare Schicksal Minnas, damals fünf Jahre<br />

alt, bleibt im Dunkeln; <strong>Carl</strong> erwähnt sie erst ab 1886 in seinen Briefen. 55<br />

Seit 1870 verbrachte der naturverbundene <strong>Goldmark</strong> die schöne Jahreszeit in<br />

Gmunden am Traunsee. Dort fand er, abseits des Getriebes der Großstadt und befreit<br />

von den Verpflichtungen des Erteilens von Klavierunterricht, Muße zum Komponieren.<br />

56 Nebenher pflegte er seine Freundschaft mit Ignaz Brüll und seiner Familie, die<br />

im nahen Unterach am Attersee ihr alljährliches Sommerquartier aufgeschlagen hatten.<br />

Auch mit Brahms, der in Ischl logierte, traf man sich gelegentlich. 57 Da die obligate<br />

Wanderung in der Fusch 1873 einer dort grassierenden Infektionskrankheit wegen<br />

ausbleiben musste, wählte man als Ersatzziel Rigi-Scheidegg in der Zentralschweiz. 58<br />

Am 10. März 1875 kam es nach zähen Verhandlungen und mannigfaltigen Umarbeitungen<br />

zur lange hinausgezögerten Uraufführung der Königin von Saba an der<br />

Wiener Hofoper. Das Werk entwickelte sich rasch zu einem Kassenschlager; <strong>Goldmark</strong><br />

wurde erstmals schuldenfrei und war fortan nicht mehr auf das Geben von<br />

Klavierstunden angewiesen. Am 24. Jänner 1877 starb in Budapest seine Mutter; 59<br />

sein Halbbruder Josef folgte ihr am 18. April 1881 in Brooklyn, NY. 60<br />

50 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 99–103.<br />

51 Hermann Knepler, Der Prozeß <strong>Goldmark</strong> aktenmäßig dargestellt vom Vertheidiger, Wien 1868.<br />

52 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 121.<br />

53 Todesanzeige in: Wiener Zeitung, 13. 9. 1871, S. 11.<br />

54 Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Handels- und Gewerbe-Adreßbuch für die<br />

k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Umgebung, 10. Jg., Wien: Verlag der Beck’schen<br />

Universitäts-Buchhandlung 1872, S. 179, – und nur dieser eine Jahrgang, wohl den Stand von 1871<br />

repräsentierend – gibt als Adresse <strong>Goldmark</strong>s II., Ferdinandstraße 2 an; das Sterbehaus Maria Benels<br />

befand sich laut Wiener Zeitung, 13. 9. 1871, S. 11, in II., Körnergasse 4, ca. 700 Meter entfernt.<br />

55 Erstmals in einem Brief an Ignaz Brüll, Wien, 26. 5. 1886, A-Wgm, Nachlass Ignaz Brüll.<br />

56 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 104.<br />

57 Hermine Schwarz, Ignaz Brüll und sein Freundeskreis. Erinnerungen an Brüll, <strong>Goldmark</strong> und<br />

Brahms. Vorwort von Felix Salten, Wien u.a. 1922.<br />

58 Karl <strong>Goldmark</strong>, Erinnerungen, S. 105–113.<br />

59 Eintrag „Marie <strong>Goldmark</strong>“ auf der Website „Geni“, http://www.geni.com/people/Marie-<strong>Goldmark</strong>/6000000012757658514<br />

(Zugriffsdatum 15. 1. 2015).<br />

60 Artikel „Joseph <strong>Goldmark</strong>“ in Wikipedia; http://en.wikipedia.org/wiki/Joseph_<strong>Goldmark</strong> (Zugriffsdatum<br />

15. 1. 2015).<br />

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