Die Stadtmacher article_IABR
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Süddeutsche Zeitung FEUILLETON Mittwoch, 27. April 2016<br />
A<br />
von laura weissmüller<br />
ngenommen, all die Zukunftsprognosen,<br />
wie sich unsere Städte entwickeln,<br />
all die Visionen einer sogenannten<br />
Smart City, in der die Technik den<br />
Menschen all ihre Alltagssorgen abnimmt,<br />
die Parkplatzsuche fürs Auto etwa oder<br />
das Bestellen von Lebensmitteln, wenn der<br />
Kühlschrank leer ist, wären falsch. Genauso<br />
wie die Idee der postindustriellen Stadt,<br />
derzufolge es in Ordnung ist, die industrielle<br />
Produktion nach Asien zu verlagern und<br />
alle alten Fabriken in Lofts und Büros zu<br />
verwandeln – was würde das bedeuten?<br />
Erstens: dass wir jetzt schon ziemlich viele<br />
Bauruinen aus der Zukunft um uns hätten.<br />
Denn heute wird das geplant und gebaut,<br />
was erst morgen zum Einsatz kommt. Und<br />
zweitens: dass der Erdball auf seine größte<br />
Krise zusteuert. Denn nicht mehr lange,<br />
dann werden 80 Prozent der Bevölkerung<br />
Städter sein. <strong>Die</strong> Metropolen entscheiden<br />
über die Zukunft der Welt.<br />
Dass es einen radikalen Kurswechsel<br />
braucht, zeigt jetzt die Internationale Architekturbiennale<br />
Rotterdam (<strong>IABR</strong>). Seit<br />
2003 hat sie sich dem Erforschen der Stadt<br />
verschrieben. <strong>Die</strong>ses Jahr prangt die Formel<br />
„The Next Economy“ auf den Plakaten<br />
und dahinter die Frage, welche Form von<br />
Wirtschaft die Metropolen prägen werden.<br />
Auf was für wackligen Beinen sämtliche Zukunftsprognosen<br />
dazu stehen, zeigt ein<br />
Blick in die Vergangenheit. Allein die Tatsache,<br />
wo Menschen in der Stadt arbeiten, ob<br />
in kleinen Werkstätten, großen Fabriken,<br />
am Stadtrand oder mit ihrem Laptop auf<br />
den Knien im Park, hat sich seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg fortwährend verändert. <strong>Die</strong><br />
Stadtplanung hinkt dem Wandel hinterher,<br />
was schon allein daran sichtbar wird,<br />
dass im Moment Bürogebäude aus den<br />
Achtzigern schon wieder der Abrissbirne<br />
zum Opfer fallen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadtmacher</strong><br />
Bald leben achtzig Prozent aller Menschen in Metropolen. Aber den Planern fehlen Utopien für eine<br />
postindustrielle Zukunft. <strong>Die</strong> Internationale Architekturbiennale Rotterdam hätte da ein paar Vorschläge<br />
Wo ehemals Tausende Arbeit<br />
fanden, stehen heute ein knappes<br />
Dutzend hinterm Tresen<br />
Bayern, Deutschland, München Seite 13<br />
Auch Rotterdams Stadtteil Katendrecht<br />
zeigt,wie stark wirtschaftliche Entwicklungen<br />
die Gestalt einer Stadt diktieren. Ehemals<br />
gehörte die Halbinsel zum Hafen,<br />
ausgestattet mit der größten Chinatown<br />
Europas, einem vitalen Rotlichtviertel und<br />
einer florierenden Drogenszene. Davon<br />
zeugen, kaum mehr als ein Jahrzehnt<br />
später, fast nur noch alte Lagerhallen wie<br />
Fenixloods II, wo jetzt die Ausstellung<br />
stattfindet. Wo früher Kaffeebohnen lagerten,<br />
sind heute schicke Restaurants, Fahrradshops<br />
und ein Lebensmittelmarkt für<br />
lokale Produkte eingezogen. Der Vergleich<br />
zu Berlin-Kreuzberg liegt nah, Rotterdamer<br />
vergleichen Katendrecht mit Brooklyn.<br />
So wie in Brooklyn oder Kreuzberg<br />
stellt sich auch in Rotterdam-Katendrecht<br />
die Frage, wie nachhaltig solche<br />
Hipster-Quartiere sind. Wo ehemals Tausende<br />
Arbeit fanden, stehen heute ein<br />
knappes Dutzend hinterm Tresen, vor der<br />
Tür wird gerade die nächste teure Wohnanlage<br />
hochgezogen.<br />
<strong>Die</strong> Biennale will nun vor allem klarmachen,<br />
dass es mehr als nur eine mögliche<br />
Zukunft gibt. „Alle reden von der Smart<br />
City“, sagt George Brugmans, Direktor der<br />
<strong>IABR</strong> seit 2004. Das aber impliziere, dass<br />
die Stadt von morgen möglichst viel Hightech<br />
benötige. „Vielleicht brauchen wir<br />
aber gar nicht mehr technische Innovationen,<br />
sondern soziale.“ Brugmans erinnert<br />
an die legendäre Schau „Futurama“ auf<br />
der New Yorker Weltausstellung 1939, wo<br />
General Motors Zigtausenden Besuchern<br />
vermeintlich einen visionären Blick auf die<br />
Städte der Sechzigerjahre gewährte. Nur:<br />
Der Traum vom Hochhaus-Dickicht, das<br />
die Bewohner am besten mit dem Auto<br />
durchquerten, war eben vor allem die<br />
Wunschvorstellung eines Automobilkonzerns.<br />
Geprägt hat das Bild die urbane Entwicklung<br />
trotzdem. Was früher General<br />
Motors war, sind heute Apple, Facebook<br />
und Google. Ihre Zukunftsvisionen sollten<br />
nicht unsere sein. Aber welche dann? „Wir<br />
müssen erst einmal eine neue Sprache für<br />
die moderne Stadt finden und auch neue<br />
Bilder“, fordert Brugmans.<br />
<strong>Die</strong> wünscht sich der Besucher bei seiner<br />
Tour zu den 60 ausgestellten Projekten<br />
aber erst einmal für die Ausstellung. Was<br />
auf den ersten Blick hübsch minimalistisch<br />
aussieht, bleibt erratisch. Ein Laie<br />
wird es kaum schaffen, all die Diagramme,<br />
Modelle und Karten so zu dechiffrieren,<br />
dass er die umfassende Bedeutung der<br />
Projekte versteht. Ganz zu schweigen von<br />
dem Beispielcharakter, den viele haben.<br />
Richtig ärgerlich wird der fehlende Kontext,<br />
wenn er verhindert, dass der Besucher<br />
das Gesehene einordnen kann. Was<br />
zum Beispiel bedeutet es, dass eine der<br />
größten Immobilienfirmen Chinas einen<br />
gigantischen Park errichten will? Zeigt das<br />
wirklich nur „die sozialen Ambitionen<br />
eines Entwicklers“? In einem Land, das<br />
gerade auf die größte Immobilienkrise<br />
weltweit zusteuert, mit Millionen leer stehenden<br />
Apartments und gleichzeitig einem<br />
Verdrängungswettbewerb von Bewohnern,<br />
ist man sich da nicht so sicher.<br />
Der Zoom mitten hinein ins Projekt<br />
wird leider zu selten so geschafft wie bei<br />
„Digua Community“. Dort beschreiben einfache<br />
Pläne, Fotos und kurze Filme detailliert<br />
die Arbeit junger Designer, die versuchen,<br />
die Lebensbedingungen von einer<br />
Art unterirdischer Gesellschaft zu verbessern.<br />
Denn in Peking wohnen eine Million<br />
Menschen in ehemaligen Luftschutzkellern.<br />
Ganz offiziell? „Eher halblegal“, sagt<br />
der chinesische Gastkurator Yang Lei. <strong>Die</strong><br />
<strong>Die</strong> Karte zeigt, wie sich in Brüssel die Arbeitsplätze für einfache Arbeiter und die für gut Ausgebildete verteilen. Der<br />
Rotanteil geht zurück, alte Fabriken sollen zu Wohnungen umgebaut werden. FOTO: ATELIER BRUSSELS, <strong>IABR</strong> & ARCHITECTURE WORKROOM<br />
Bezirkregierung vermiete die unterirdischen<br />
Räume, die sich oft in einem katastrophalen<br />
Zustand befinden, als Ganzes.<br />
Zwischenhändler geben sie an Menschen<br />
mit wenig Geld weiter, Taxifahrer, Gastarbeiter,<br />
Kellner. Der Designer Zhou Zishu<br />
entwarf erst ein Möbelstück zum Zusammenklappen,<br />
das in den winzigen Zimmern<br />
Platz spart. Dann gründete er die „Digua<br />
Community“ und baute mit Hilfe der<br />
Bewohner, aber auch privaten Sponsoren<br />
und der Bezirksregierung, ein knapp<br />
600 Quadratmeter großes Gemeindezentrum<br />
unter der Erde, mit Bibliothek, Kino,<br />
aber auch Räumen, die Bewohner anmieten<br />
können, um dort Geld zu verdienen,<br />
etwa als Friseur. Gerade feierten alle die<br />
Eröffnung.<br />
<strong>Die</strong> junge Generation in China<br />
ist nicht gegen den Mainstream.<br />
Aber sie will etwas ändern<br />
Bekämpft da nicht eine Regierung im<br />
Kleinen, was sie im Großen durch die Umsiedlung<br />
von Millionen Bauern in die Städte<br />
befördert? „Das stimmt“, sagt Yang Lei.<br />
„Aber die Regierung hat verstanden, dass<br />
Stadtentwicklung nach dem Prinzip des<br />
schnellen Geldes nicht nachhaltig ist.“ Der<br />
Kurator sieht in Designern wie Zhou Zishu<br />
Vertreter einer neuen Generation in China.<br />
„Sie sind nicht gegen den Mainstream,<br />
aber sie wollen etwas ändern.“<br />
Bei dem Projekt aus Utrecht zeigte eine<br />
Zahl, dass sich hier etwas ändern muss.<br />
Der Bewohner eines ehemaligen Luftschutzkellers.<br />
Zwölf Jahre Unterschied liegen zwischen<br />
dem armen Stadtviertel Overvecht und<br />
dem benachbarten Noordoost. Dort vergehen<br />
72 Jahre, bis die Menschen damit rechnen<br />
müssen, ernsthaft krank zu werden.<br />
Im Arbeiterviertel weiter nördlich droht ihnen<br />
das schon mit 60 Jahren. Warum? Der<br />
Kurator, ein Architekt, Joachim Declerck,<br />
ist davon überzeugt, dass das auch etwas<br />
mit der Zentralisierung in den Niederlanden<br />
zu tun hat. Sein Team fand heraus,<br />
dass gerade in Overvecht kleine Krankenhäuser<br />
geschlossen, Sportplätze und alte<br />
Schulen abgerissen wurden. „<strong>Die</strong> Städte<br />
müssen mehr dafür sorgen, dass ihre Bewohner<br />
länger gesund bleiben“, sagt Declerck.<br />
Nicht zuletzt, weil die Kosten einer<br />
alternden Gesellschaft jedes Stadtbudget<br />
sprengen. „Wir brauchen einen Mentalitätswechsel,<br />
weg von der Pflege hin zum<br />
sich Kümmern.“ Utrecht, das sich selbst als<br />
gesündeste Stadt der Niederlande bewirbt,<br />
hat aus Declercks Recherchen bereits Konsequenzen<br />
gezogen. Eine zum Abriss stehende<br />
Schule wird nun wohl in ein lokales<br />
Gesundheitszentrum umgebaut.<br />
„Ursprünglich waren wir Ausstellungsmacher,<br />
nun sind wir genauso auch <strong>Stadtmacher</strong>“,<br />
sagt Biennaledirektor Brugmans<br />
nicht ohne Stolz. Zum ersten Mal habe das<br />
2005 geklappt. Damals untersuchte ein<br />
Team der <strong>IABR</strong> eine Favela in São Paulo,<br />
wo die Stadt für 70 000 Menschen neue Sozialwohnungen<br />
plante – ohne eine einzige<br />
Schule, ohne neue Arbeitsplätze, Infrastruktur<br />
oder ein Gesundheitszentrum.<br />
Das Biennale-Team plädierte dagegen für<br />
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ein gemischtes Stadtviertel, mit all diesen<br />
Einrichtungen. São Paulo schwenkte um<br />
und ließ das 250 Millionen Euro teure Projekt<br />
nach den Kriterien der <strong>IABR</strong> entwickeln.<br />
„Das war für mich wie ein Geistesblitz:<br />
Wir können unser Netzwerk und unsere<br />
Recherchen nützen, um wirkliche Aufgaben<br />
zu lösen“, sagt Brugmans. Und<br />
schiebt hinterher: „Nur eine Ausstellung<br />
damit zu machen, wäre eine Verschwendung.“<br />
Und plötzlich versteht man, warum<br />
die Biennale so erratisch bleibt. „Wir sind<br />
wie ein U-Boot, das alle zwei Jahre auftaucht<br />
und zeigt, was es macht.“ Vor allem<br />
ist das nämlich Arbeit am lebenden Objekt,<br />
also der Stadt – mitsamt Regierung,<br />
Lobbygruppen, Firmen, aber auch Anwohnern<br />
und Umweltschutzverbänden. „Wir<br />
Mit Fabriken und Schlachthöfen<br />
verschwinden auch<br />
die Jobs für Arbeiter<br />
können hier Probleme angehen, die Städte<br />
in ihrem Alltag nicht einmal sehen, geschweige<br />
denn lösen können“, sagt Brugmans.<br />
Weil Parteigrenzen das verhindern<br />
würden oder schlicht die nächste Wahl.<br />
Der Deckmantel einer Biennale aber schaffe<br />
den nötigen Freiraum. „Solche Prozesse<br />
sind schwierig zu verstehen, aber wir können<br />
es nicht einfacher darstellen. <strong>Die</strong> Dinge<br />
sind eben komplex“, sagt Brugmans.<br />
Doch tatsächlich wäre das nötig, wenn<br />
die Biennale ihre so wichtigen Botschaften<br />
wirklich in die Öffentlichkeit bringen<br />
möchte. Vor allem, dass endlich Schluss<br />
sein muss mit dem Dogma der postindustriellen<br />
Stadt, wie London sie derzeit in<br />
Reinform verkörpert. Wo es fast keine Arbeitsplätze<br />
für einfache und mittlere Angestellte<br />
mehr gibt, dafür viele für die Finanzindustrie.<br />
Und der Wohnraum dem Gehaltszettel<br />
letzterer entspricht. „Eine moderne<br />
Stadt muss produktiv bleiben“, sagt<br />
Declerck. „Sonst isst sie sich selbst auf.“<br />
In Brüssel hat ein Team untersucht, was<br />
der Boom der Wohnungsindustrie für die<br />
Stadt bedeutet. Fabriken verschwinden,<br />
Schlachthöfe werden ausgelagert, Jobs für<br />
Arbeiter kommen auf dem Stadtplan so<br />
gut wie nicht vor. „Wenn wir nur Wohnungen<br />
bauen, zerstören wir das Potenzial der<br />
nächsten Generation für Jahrzehnte.“ Im<br />
viel gescholtenen Stadtviertel Molenbeek<br />
etwa liegt die Arbeitslosenquote von jungen<br />
Menschen bei 55 Prozent. Was das für<br />
Auswirkungen haben kann, weiß seit den<br />
November-Anschlägen von Paris jeder.<br />
<strong>IABR</strong> 2016. The Next Economy. Fenixloods II, Rotterdam.<br />
Bis 10. Juli. Info: FOTO: DIGUA COMMUNITY<br />
www.iabr.nl<br />
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