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information & geschichte Psychotherapie: Die Seele ist ein tiefer Teich IM GESPRÄCH MIT FREUD-ENKELIN: DR.SOPHIE FREUD Prof. Franz W. Strohmer med. Journalist Foto: © pixabay.com | Franz Strohmer 20 | JUNI 2016 Psychotherapie: ist jene Heilmethode, mit welcher man psychische Erkrankungen und Leidenszustände heilen, beziehungsweise soweit bessern kann, dass der davon Betroffene damit umgehen lernt und auf diese Weise wieder lebens-, arbeits- und gesellschaftsfähig wird. Ihren wissenschaftlichen Ursprung hat die Psychotherapie in der von Dr. Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse. Dr. Freud wurde in Mähren geboren, lebte aber die meiste Zeit in Wien. Immer wieder werden auch die Gefahren psychotherapeutischer Maßnahmen diskutiert, angelernte Abhängigkeiten von Personen und Wirkungsweisen, die schlussendlich ein neues Krankheitsbild darstellen. Dr. Sophie Freud, selbst vom Fach als gelernte Psychologin und Sozialpädagogin warnte vor der problematischen Faszination der Heiler, die sich oft zum Alleinseligmacher hochstilisieren, ohne dass sie die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können oder wollen. Sie kritisierte auch Sigmund Freud und meinte, ohne dessen Bedeutung schmälern zu wollen, dass er in vielen Dingen einfach falsche Thesen verbreitet und permanent Regeln gebrochen hat, die er selbst aufgestellt hatte. Bis in die Siebzigerjahre beteten noch viele Psychoanalytiker zum Beispiel den Unsinn nach, Frauen seien kastrierte Männer. Auch über die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten Sigmund Freuds äußerte sich Sophie Freud distanziert: Spontane Ideen und intuitives Nachdenken wurden über Nacht einfach zur wissenschaftlichen Tatsache. Sophie Freud vermag mühelos zu überzeugen. Ihr Lächeln, die fast zerbrechliche Zartheit der Person, die fundierte Argumentation und nicht zuletzt ihre Herkunft machen sie unantastbar. In einem privaten Gespräch versuchte ich, noch mehr über die Familie Freud zu erfahren: Frau Dr. Freud wurde 1924 in Wien geboren und ist die Enkelin des Begründers der Psychoanalyse. Sophie Freud: Ja, aber dafür kann ich nichts. 1938 musste sie mit Ihrer Familie Wien verlassen, um sich vor dem Naziterror zu retten. Sophie Freud: Ich ging mit meiner Mutter schließlich nach Amerika. Ihr Vater und der Bruder emigrierten aber nach London, wie Ihr Großvater und die Tante auch. Sophie Freud: Die Ehe meiner Mutter war längst zerbrochen. Meine Eltern passten schlecht zueinander. Keiner konnte dem anderen etwas von dem geben, was er oder sie brauchte oder wollte. Streitigkeiten, Tränen und gewalttätige hysterische Szenen bildeten den Hintergrund meiner Kindheit. Ihr Vater, Dr. Martin Freud, der älteste Sohn von Sigmund Freud, war Jurist. Sophie Freud: Er hat seinen Abschluss in Jura mit höchster Auszeichnung gemacht. In der Emigration nützte ihm das aber nichts. In England betrieb er eine kleine Trafik.

information & geschichte Ihre Mutter war Logopädin. Sophie Freud: Sie war eine hervorragende Stimm- und Sprachtherapeutin und arbeitete bis knapp vor ihrem Tod in Spitälern und in ihrer Privatpraxis. Nachdem sie noch im Alter von 59 Jahren ihr Doktoratsstudium beendet hatte, musste man sie als Akademikerin auch entsprechend anerkennen. Sie verdiente sehr gut und hinterließ ihren Enkelinnen beträchtliche Ersparnisse. Meine Mutter hat mir gezeigt wie man richtig arbeitet, wie man richtig liebt, konnte sie mir aber nicht beibringen. Sie haben zu Ihrer Tante, der berühmten Kinderpsychoanalytikerin Anna Freud eine späte Beziehung entwickelt. Sie sagten, sie hätten sich in sie verliebt. Sophie Freud: Ich weiß nicht mehr, was mich bewog, diese strenge, reservierte Tante in London aufzusuchen. Aus gelegentlichen Besuchen wurden fast tägliche. Immer längere Abende saß ich an ihrem Bette und hörte ihren Erzählungen zu. Oft lachten wir miteinander und ich konnte mit Entzücken feststellen, dass sie im Herzen ein Kind geblieben war. Können Sie sich auch noch an Ihren Großvater erinnern? Sophie Freud: Ja, natürlich. Wir haben ihn fast jeden Sonntag in der Berggasse besucht. Wir wohnten ja nicht weit entfernt – am Franz Josefs Kai. Er war aber schon ein alter Mann und schwer krank. Der Krebs hatte die gesamte Mundhöhle zerstört. Aus den Aufzeichnungen seiner Krankengeschichte geht hervor, dass er furchtbare Schmerzen erdulden musste, aber schmerzstillende Mittel ablehnte - außer gelegentlich Aspirin – um arbeitsfähig zu bleiben. Er war lieb und freundlich. Und Zigarre hat er noch immer geraucht, obwohl sie wahrscheinlich eine der Ursachen seiner Erkrankung gewesen ist. Ihr Großvater hat sich immer als Wiener gefühlt und wollte eigentlich nie weg. Sophie Freud: Der amerikanische Präsident Roosevelt, der italienische Diktator Mussolini und viele andere versuchten bei Hitler zu intervenieren, den weltbekannten Mann ordentlich zu behandeln. Aber es war gut, dass er Wien verließ. In London wurde er triumphal empfangen. Dort konnte er auch in Ruhe sterben. Fühlen Sie sich selber noch als Wienerin? Sophie Freud: Oh ja, schon. Wien ist eine wundervolle Stadt. Und die Heimat bleibt immer die Heimat. 21 | JUNI 2016