Aufrufe
vor 6 Jahren

LERNEN MIT ZUKUNFT September 2017

  • Text
  • September
  • Zukunft
  • Kinder
  • Menschen
  • Eltern
  • Kanada
  • Glut
  • Mensch
  • Entwicklung
  • Fehler

information & forschung

information & forschung er . ker Veränderungen der Keimbahn: Der Mensch greift gezielt ein WER TRÄGT DIE VERANTWORTUNG FÜR DIESES TUN? Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ass.-Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien glossar Erbanlage: Einzelne, durch ein einzelnes Gen codierte Eigenschaft. Jeder Mensch trägt alle Erbanlagen doppelt, ein Satz stammt vom Vater, ein Satz von der Mutter. Genpool: Alle Erbanlagen in einer Generation innerhalb einer Gruppe von Menschen, einer Volksgruppe oder der gesamten Menschheit. Keimbahn: Gesamtheit aller Erbanlagen, die von einer Generation zur Nächsten weitergegeben werden. V on wo nach wo fährt denn die Keimbahn und was soll daran umgebaut werden? Nun, die Keimbahn ist kein öffentliches Verkehrsmittel sondern bedeutet die Weitergabe des menschlichen Erbgutes von einer Generation auf die andere. Veränderungen daran gab es schon immer, sonst hätte sich der Mensch mit seinen verschiedenen Rassen gar nicht als eigene Art entwickelt. Durch Mutation und Selektion entstanden verschiedenste Umweltanpassungen: In den Anden und im Himalaya binden die Menschen mehr Sauerstoff im Blut als Anpassung an den geringeren O2- Gehalt in diesen großen Höhen. Seit der Domestikation von Rindern besitzen die Menschen in Europa eine leistungsfähigere Genvariante zur Verwertung des Milchzuckers. Und die Nordeuropäer haben sich durch lange Tradition des Alkoholkonsums eine Genvariante für besseren Alkoholabbau in der Leber erworben. Ob ein Gen vorteilhaft ist, hängt von den Lebensbedingungen ab, die sich im Laufe der Zeit durchaus verändern können. Nicht immer sind diese Veränderungen in der Keimbahn eindeutig vorteilhaft: In Malariaverseuchten Regionen hat sich die Genvariante der Sichelzellanämie entwickelt. Alle Menschen, die diese Anlage von einem Elternteil vererbt bekommen, sind gegen Malaria geschützt. Wer sie von beiden Eltern bekommt, erkrankt an Anämie (Blutarmut). Und wer sie gar nicht vererbt bekommt, kann an Malaria erkranken. Die eindeutig negativen Auswirkungen von Veränderungen an der Keimbahn erfahren wir durch Erbkrankheiten, Mutationen an Genen, die keinen Vorteil für die Menschen haben, sondern zu lästigen bis tödlichen Krankheiten führen. Der Mensch ist bereits sehr gut an seine Umwelt angepasst und die Natur landet bei dem Spiel mit Mutation und Selektion nur noch sehr selten einen vorteilhaften Treffer (wie bei der Immunität gegen HIV-Infektion, die es gibt, seitdem diese Krankheit sich weiter verbreitet). Nachdem die Wissenschaft vor Jahrzehnten schon Methoden der genetischen Veränderung am Erbgut von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren entwickelt hat, war die Veränderung am menschlichen Erbgut immer ein Tabu. Zu groß war das Risiko unabsehbarer Folgen. Man hat sich darauf beschränkt, Therapien für die direkt Betroffenen von Mukoviszidose, Muskeldystrophie und vielen anderen tödlich endenden Erkrankungen zu suchen. Das Problem dabei ist, im Körper des Patienten Millionen von betroffenen Zellen erreichen und erfolgreich genetisch verändern zu müssen. Teilweise gelingt das, aber die Reparaturen sind häufig nicht von Dauer und die Nachfahren der Patienten müssen im Fall einer Vererbung der Erkrankung ebenfalls behandelt werden. Da wäre es doch viel naheliegender, den Defekt an einer Foto: © pixabay.com 18 | SEPTEMBER 2017

information &forschung einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle, zu reparieren und damit dauerhaft über die Keimbahn auch alle Nachfahren zu schützen. Mit den herkömmlichen Methoden hat sich das niemand getraut. Nun gibt es seit wenigen Jahren Genscheren namens CRISPR/Cas. Hinter dem kryptischen Kürzel verbergen sich hocheffiziente Enzyme, die Erbgut verändern können. Chinesische Wissenschaftler haben sich 2015 und 2016 damit an nicht lebensfähigen menschlichen Embryonen, Ergebnissen von Fehlbefruchtungen, versucht und mehrere Erbkrankheiten daran teilweise mit Erfolg repariert. Weil man annahm, dass die Erfolgsrate bei gesunden Embryonen größer ist, haben sich chinesische und amerikanische Wissenschaftler 2017 unabhängig voneinander mit der Methode auch an normalen Embryonen versucht (und sie danach zur Analyse geopfert). Damit ist eine jahrzehntelang gültige rote Linie so gut wie überschritten worden: Der Eingriff in die menschliche Keimbahn. Die dauerhafte Reparatur von Erbkrankheiten ist nur die erste logische Anwendung. Sofort kommt da das Schlagwort vom ›Designerbaby‹ auf. Nur was sind Designerbabies? Ich kann mit heutigem Wissen Haarfarbe, Augenfarbe, Körpergröße und wenige durch ein einzelnes Gen festgelegte Eigenschaften auswählen. Intelligenz (wie auch immer sie gemessen wird), Sportlichkeit und Musikalität werden durch eine Vielzahl von Genen und zusätzlichem Umwelteinfluss bestimmt. Solche genetische Einflussnahme kostet zudem zehntausende von Dollar und steht damit nur einem sehr kleinen Kreis zur Verfügung (der dann auch auf eine natürliche Zeugung verzichten müsste). Von daher ist der menschliche Genpool sicher nicht bedroht. Bleibt die dauerhafte kurative Anwendung und die Gretchenfrage: Wollen wir die Verantwortung für genetische Veränderungen am menschlichen Erbgut der Natur belassen und bei Problemfällen nur vereinzelt nachbessern? Oder übernehmen wir aktiv Verantwortung und eliminieren dauerhaft krankmachende Gene aus der Keimbahn?! Foto: © shootingankauf-fotolia.com 19 | SEPTEMBER 2017