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LERNEN MIT ZUKUNFT September 2020

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Impulsmagazin für Erwachsene - Lebensraum: MENSCH

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information & wissenschaft Simulation versus Realität: Leben wir alle in derselben Welt? UNSER GEHIRN KONSTRUIERT FÜR JEDEN SEINE ODER IHRE GANZ INDIVIDUELLE WELT Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien Schon in der Antike rätselten Philosophen wie Platon darüber, wie real die von uns erlebte Welt wirklich ist (siehe Höhlengleichnis). Neurophysiologen sind heute mit modernsten Methoden der Lösung auf der Spur, haben aber noch keine endgültige Erklärung. Wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen und die Farbe als ›rot‹ bezeichnen, dann wird eine andere Person das vermutlich bestätigen können. Aber nur aufgrund der Konvention, dass wir beide damit aufgewachsen sind, dass alle genau diese Farbe als ›rot‹ bezeichnet haben. Ich weiß überhaupt nicht, wie mein Gegenüber diese Farbe wirklich wahrnimmt. Wir haben uns nur beide darauf geeinigt, diese Farbe mit ›rot‹ zu bezeichnen. Tatsächlich fängt mein Auge elektromagnetische Wellen einer bestimmten Wellenlänge auf und mein Gehirn stellt diese Wahrnehmung mit einer Farbe dar. Dabei kann mein Auge – im Unterschied zu manchen Tieren - nur einen sehr kleinen Bereich des elektromagnetischen Spektrums wahrnehmen. Alles andere meiner Umwelt bleibt mir verschlossen. Im hinteren Teil meines Großhirns bastelt mein Bewusstsein aus allem sensorischen Input nun ein Abbild meiner Welt zusammen. Mit optischen Täuschungen können wir es dabei leicht überlisten. Wenn wir jedem Auge ein unterschiedliches Bild anbieten (verschiedene Personen oder Gegenstände), bekommt unser Bewusstsein verschiedenen Input, kann sich nicht für eine Variante entscheiden und wechselt ständig zwischen den beiden Bildern hin und her. Aufgrund dieser ›binokularen Rivalität‹ sehen wir abwechselnd mal das eine Bild, dann das andere. Unser Gehirn kann auch andere Szenerien für uns entwerfen. Wenn wir schlafen ist das Bewusstsein ausgeschaltet, aber das Gehirn ist hochgradig aktiv. Wir nennen das ›Träumen‹. Dabei simuliert das Gehirn ausgehend von früheren Erfahrungen und Erlebnissen ganz eigene Szenen und Begebenheiten, teilweise ausgesprochen realistisch, teilweise ausgesprochen phantastisch. Die Psychologen erklären das damit, dass das Gehirn frisch erlebte Dinge zuordnen und verarbeiten muss. Es gibt sogar noch einen dritten Zustand, in dem das Gehirn Umwelt darstellt. Bei Halluzinationen, bedingt durch Drogen, Medikamente oder Beschädigungen des Gehirns, stellt uns das Gehirn eine Welt dar, wie es sie in der Realität so nicht gibt. So wird aus einem Autobus z.B. plötzlich ein rosa Elefant. Für das Gehirn, für diese Person ist diese Wahrnehmung in dem Augenblick real. Für alle anderen Personen bleibt das Objekt dagegen ein Autobus. Natürlich sind diese Bewusstseinszustände kein entweder - oder, sondern es gibt fließende Übergänge von leicht unterschiedlicher selektiver Wahrnehmung („so habe ich das nicht ausgedrückt“) bis zu als eindeutig abweichend wahrge- Foto: © galaxy-610663 | pixabay.com 20 | SEPTEMBER 2020

information & wissenschaft nommenen Beobachtungen („das habe ich nie und nimmer gesagt“). Der Philosoph Nick Bostrom geht angesichts der Unzuverlässigkeit der Projektion der Welt in unserem Gehirn sogar so weit zu vermuten, alle unsere Wahrnehmungen wären nur Teil einer gigantischen Simulation wie in dem Kinofilm Matrix. LINKS: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/dressgateim-februar-2015-weiss-und-goldoder-blau-und-schwarz-welchefarbe-hat-das-kleid/11435330. html# https://www.spiegel.de/ wissenschaft/mensch/ dressgate-ist-das-kleid-blauschwarz-oder-weiss-goldenschlafvorlieben-entscheiden-a-1142502.html https://youtu.be/GA7V8Z533FI Wenn wir nicht so extremen Theorien folgen wollen, welchen Nutzen können wir aus dem Stand der Bewusstseinsforschung ziehen? Zum einen mehr Verständnis aufbringen für Menschen, die unsere Welt nicht genauso wie wir erleben. Zum anderen begreifen, dass echtes Verständnis nur durch gemeinsames Erleben zustande kommt. Eine nicht selber erlebte Situation kann man versuchen rational nachzuvollziehen. Emotional wird man sie aber nie genauso erleben. Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com 21 | SEPTEMBER 2020