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prima! Magazin – Ausgabe Jänner 2024

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BERICHT Foto: New Africa

BERICHT Foto: New Africa / shutterstock.com Expertinnen beziehungsweise Experten schätzen, dass in Österreich 16 Prozent an einer behandlungsbedürftigen Angstkrankheit leiden. „Reden allein ist nicht ausreichend“ Angst, eine natürliche Emotion, kann unser Leben in gefährlichen Situationen schützen. Doch wenn sie ohne erkennbare Ursachen auftritt und das tägliche Leben einschränkt, wird sie zu einer Herausforderung. Dr. Erich Schenk, Geschäftsführer des Netzwerk Psychotherapie Steiermark, spricht im prima!-Interview über einen Patienten mit Angststörungen. Er erzählt dabei nicht nur, wie die Therapie des Betroffenen aussehen kann, sondern auch, wie das soziale Umfeld unterstützend wirkt. Der Psychotherapeut möchte eine wichtige Botschaft vermitteln: „Mit einer Angststörung braucht man nicht leben.“ Chiara Pieler Ein Alltag, eingenommen von Angst. Wenn Manfred R. (Name von der Redaktion geändert) in den Urlaub fährt, steht ihm erst einmal ein langer Prozess zu Hause bevor. Er hat Angststörungen und muss, bevor er die Wohnung verlässt, sichergehen, dass alles abgeschaltet ist. Ein minutiöser Kontrollprozess. Begleitet von der Unsicherheit, ob wirklich alles sicher ist. Das Licht ist überall aus. Die Heizung auch. Das Kontrollieren allein reicht für ihn aber nicht. Er muss von allem ein Video machen, um es sich während der Reise immer wieder anzusehen. Das macht er alles, um im Urlaub selbst nicht ständig daran zu denken, was passieren könnte. Hätte er etwas vergessen. „Keine psychische Störung ist gleich“ Angststörungen manifestieren sich auf unterschiedliche Weisen. Sachbezogene Phobien, wie die Angst vor Spinnen, haben einen Auslöser eine Situation, in der man Angst verspürt hat. Generalisierte Ängste hingegen brauchen nicht den einen Auslöser, hier liegt die Angst tiefer: „Es sind nicht nur singuläre Ereignisse, sondern viele kleine, aufeinanderfolgende Ereignisse, die zur Entwicklung von Angststörungen beitragen können.“ Diese emotionale Belastung kann schon in der Kindheit beginnen und sich im Laufe des Lebens erst zeigen. Ein kontinuierlicher Druck, 30 JÄNNER 2024 www.prima-magazin.at

BERICHT EMDR EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, zu Deutsch: Desensibilisierung und Neuverarbeitung durch Augenbewegungen) ist eine psychotherapeutische Methode, die durch Stimulation belastende Erinnerungen neu verarbeitet, um die emotionale Reaktion zu mildern. sei es durch schwierige familiäre Verhältnisse oder sozialen Stress, kann eine unsichtbare Last aufbauen und schließlich zur generalisierten Angststörung führen. Manfred R. denkt zum Beispiel oft über alle möglichen Dinge nach, die in der Zukunft passieren könnten. Manchmal macht er sich Sorgen darüber, wie die Dinge sein werden, auch wenn es noch nicht sicher ist, dass etwas Schlimmes passieren wird. Indem er Kontrolle über sein eigenes Zuhause hat, fühlt er sich sicher. Die generalisierte Angststörung kann wie bei Manfred aussehen. Sie betrifft Menschen, die ständig viele Sorgen und Ängste haben, auch wenn es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt. Diese Ängste können sich um verschiedene Dinge drehen, wie die Arbeit, Freundschaften, Familie oder einfach die Zukunft im Allgemeinen. Die Macht des Unbewussten und die Rolle der Kindheit Das Unbewusste spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angststörungen. „Viele Ängste entstehen bereits in der Kindheit und setzen sich im Unbewussten fest. Im Erwachsenenalter macht sich der ständige Druck oder das schlechte Umfeld, in dem man aufwachsen musste, dann bemerkbar“, so der Psychotherapeut. Schenk spricht dabei von Kontrollsystemen, die Patientinnen und Patienten mit einer Angststörung aufgebaut haben: „Man kann Emotionen nicht kontrollieren. Verspürt man Angst, ist sie bereits da und man kann im ersten Moment nichts daran ändern.“ Mit den Kontrollsystemen, wie das Absuchen und Filmen der Wohnung im Fall von Manfred R., glauben Betroffene, die Angststörung in den Griff bekommen zu haben. Um aber wirklich frei von Angst zu leben, braucht es eine psychotherapeutische Behandlung. „Reden allein ist nicht ausreichend“ Lange Zeit war es Standard, auf Konfrontation mit den Ängsten zu gehen. Das ist heute nicht mehr so: „Die Konfrontationstherapie kann das Gegenteil von dem bewirken, das man erreichen möchte“, sagt Schenk. Er ermutigt dazu, die Hintergründe zu erforschen und zu lernen, wie man Situationen, in denen Angst auftritt, anders gestalten kann: „Es geht darum, zu verstehen, warum die Angst da ist, und Wege zu finden, sie zu überwinden. Für eine Therapie ist Reden allein nicht ausreichend.“ Der Psychotherapeut spricht dabei die Programmierung im Unbewussten an. Mit Methoden wie dem EMDR (siehe Infokasten) kann man die Bedeutung von Ereignissen im Unterbewusstsein ändern, damit man auf bestimmte Auslöser nicht mehr reagiert. Bei Manfred R. kann diese Therapie so aussehen, dass das Unterbewusste so stimuliert wird, dass er keine Angst mehr verspürt, wenn er im Urlaub an seine Wohnung denkt. Eine EMDR-Sitzung gleicht einer Reise mit dem Zug: Der Patient durchquert erneut das Erlebte, allerdings aus einer sicheren Entfernung und in Anwesenheit von Dr. Schenk. Im Verlauf der Sitzung verblassen nach und nach die belastenden Erinnerungen, und die Symptome des Traumas lösen sich auf. Damit erwirbt Manfred R. Fähigkeiten, um mit den früheren traumatischen Erinnerungen und Gedanken umzugehen und kann so eine neue, passendere Sichtweise auf das Geschehene entwickeln. „So kann die Angststörung nach mehreren Sitzungen bereits kein Thema mehr sein“, erzählt Schenk. Die Rolle des sozialen Umfelds „Bei Angststörungen ist es wichtig, ein soziales Umfeld zu haben, das darauf aufmerksam macht“, so Schenk. Er betont die Bedeutung von Gesprächen und professioneller Hilfe, um den Betroffenen Sicherheit zu geben. Dabei ist vor allem die Unterstützung durch die Familie wichtig. Manfred R. kann seine Angststörung unter anderem dadurch bekämpfen, indem er sich Familie und Freunden anvertraut. Der Umgang mit Angststörungen ist eine individuelle Reise. Betroffene können Hoffnung schöpfen, indem sie sich bewusst machen, dass die Angst nichts mit persönlichem Versagen zu tun hat. „Es handelt sich um eine Krankheit wie jede andere. Ratsam ist es, sich nicht zu verschließen, sondern das soziale Umfeld einzubeziehen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt der Experte. Indem man die Vielfalt der Therapieansätze Foto: zVg Dr. Erich C. Schenk ist Psychotherapeut und Psychologe. Als Geschäftsführer des Netzwerk Psychotherapie Steiermark leistet er einen wichtigen Beitrag, um den Zugang zur kassenfinanzierten Psychotherapie zu erleichtern. erkundet und sich aktiv mit den Ursachen auseinandersetzt, können Wege gefunden werden, die zur Überwindung der Ängste führen. Auch Manfred R. befindet sich auf einem guten Weg, seine Krankheit zu überwinden. Angststörungen sind heilbar und es gibt die Unterstützung in Form von Therapieplätzen. „Bei der Psychotherapie als Sachleistung werden die gesamten Kosten von den Krankenkassen übernommen. Es ist ein Irrtum, dass man lange auf einen Therapieplatz wartet und sich dabei in Unkosten stürzt“, schließt Schenk. Das Netzwerk Psychotherapie Steiermark organisiert die kassenfinanzierte Psychotherapie in der Steiermark. Auf www.psychotherapiesteiermark.net können Patientinnen und Patienten nach Therapeut*innen suchen und sehen auch direkt freie Kassenplätze. Im Burgenland können Betroffene über die Website www.psychotherapeuten.at/ burgenland Psychotherapeut*innen in der Umgebung suchen. JÄNNER 2024 31

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