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prima! Magazin - Ausgabe Mai 2020

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IM GESPRÄCH STEPHAN

IM GESPRÄCH STEPHAN SCHULMEISTER Stephan Schulmeister: Sicher erscheinen mir die indirekten ökonomischen Folgen – nämlich dass die Unternehmer ihre Investitionsbereitschaft massiv einschränken und dass der Welthandel im zweistelligen Bereich einbrechen wird. Die Kettenreaktionen werden noch viele Monate anhalten. 2020 wird der größte Wirtschaftseinbruch in der Geschichte des Industriekapitalismus werden. Er wird stärker sein als in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Entscheidend wird sein, wie man dann mit dem Problem der gestiegenen Staatsverschuldung umgehen wird. Die Frage ist, ob die Politik in der Europäischen Union ähnlich wie in der Finanzkrise 2008 mit einer Sparpolitik reagieren wird – insbesondere in den Ländern, wo die Staatsverschuldung am stärksten steigt, wie etwa in Italien. Oder ob sie einen anderen Weg wählt. Wie wird das der Einzelne spüren? Und was wäre eine Lösung, damit der Sozialstaat nicht gefährdet ist. Stephan Schulmeister: Das hängt eben davon ab, ob die Politik nicht wie in den letzten 30 Jahren sagt: „Wenn die Staatsverschuldung stark gestiegen ist, dann müssen die Staatsausgaben gesenkt werden.“ Wenn also diese sparpolitische Maxime weiter dominiert, wird es unmöglich sein, den europäischen Sozialstaat in seiner bisherigen Form aufrecht zu erhalten. Wenn man glaubt, dass man das durch Einsparungen hereinspielen kann, wird man im Sozialbereich kürzen. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird. Nicht in der Form wie nach 2008, weil da waren die gesamtwirtschaftlichen Folgen und die Folgen 6 MAI 2020 für Europa politisch verheerend. Der Konflikt, wie man die Staatshaushalte in Ländern wie Italien finanziert, also der ganze Streit um gemeinschaftliche Euroanleihen, genannt Corona-Bonds, der zeigt ja schon, welcher Zerreißprobe die gesamte Europäische Union ausgesetzt ist. Ob allerdings die Politik den Mut hat, einen neuen Weg zu gehen, ist die große Frage. Hier geht es per Klick zum gesamten Interview mit Stephan Schulmeister >> Die Europäische Zentralbank in Frankfurt als „Drehscheibe“ der Eurobonds Wie könnte dieser Weg aussehen? Stephan Schulmeister: Es wäre der Weg des neuen europäischen grünen New Deal. Das heißt, wir initiieren ein umfassendes Programm zur Erneuerung der europäischen Wirtschaft in Richtung auf eine Kreislaufwirtschaft. Damit meine ich eine Wirtschaft, die nicht in erster Linie auf das Wachstum setzt, sondern auf die effiziente Ausnützung bestehender Ressourcen – also Recycling, Zurückführen, etc. Das würde bedeuten massive Bekämpfung des Klimawandels, zum Beispiel durch die Vorgabe eines Preispfades für die Hauptverursacher des Klimawandels (fossile Energie, Anm. d Red.). Oder durch riesige Projekte wie etwa, dass ganz Europa mit einem Netz von Hochgeschwindigkeitszügen ausgestattet wird. Das dauert natürlich einige Jahrzehnte. Aber dadurch würden natürlich Hunderttausende wenn nicht Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig wäre die Möglichkeit gegeben, den Flugverkehr, der ja bekanntlich die umweltschädlichste Form des Transports ist, radikal einzuschränken. Ein anderes Beispiel wäre, den gesamten Gebäudebestand in der EU über einen Zeitraum von 10, 15 Jahren thermisch zu sanieren. Da würden Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen, und gleichzeitig würde langfristig die Umwelt entlastet werden. Das wäre aber ein völlig neuer politischer und wirtschaftlicher Ansatz innerhalb der EU. Stephan Schulmeister: Ein solches New Deal Denken setzt eine radikale Abwehr von der bisherigen ökonomischen Weltanschauung voraus, die ja sagt, die Märkte machen alles im Prinzip am besten. Die Politik soll sich zurückziehen. Jetzt wäre genau das Gegenteil angesagt. Nur die Politik kann durch umfassende Initiativen den Kurs in Richtung auf eine ökologische aber auch sozial nachhaltige Wirtschaft ändern. Wobei wir hier bei ihrem Ruf nach dem Ende des Neoliberalismus wären. Sind wir schon bereit dafür? Stephan Schumeister: Das Gefühl, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, das ist unglaublich weit verbreitet. Ich habe manchmal fast den Eindruck, Corona ist eine Erlösung eines erschöpften Systems. Dem System ist sozusagen die Luft ausgegangen, und interessanterweise teilen dieses Gefühl vollkommen unterschiedliche Personengruppen. Aber sie haben unterschiedliche Vorstellungen, wohin die Reise geht. Viktor Orban möchte in eine ganz andere Richtung weg vom Neoliberalismus, nämlich hin zu einem autoritären Staatsgebilde. Die Vertreter des Sozialstaats wollen beispielsweise wiederum den europäischen Sozialstaat ausbauen. Es herrscht zwar ein Konsens, dass es so nicht weitergehen kann, aber gleichzeitig ist es unklar, wohin die Reise gehen soll. Das macht mir ehrlich gesagt sehr große Sorgen, weil diejenigen, die www.prima-magazin.at

Foto © shutterstock STEPHAN SCHULMEISTER IM GESPRÄCH in der Gesellschaft die Macht haben, diese Ratlosigkeit dann auch zu ihren Gunsten nützen können. Das heißt, dass auch rechtspopulistische Regierungen jetzt gegen den Neoliberalismus reden und Solidarität predigen. Das kann man überall sehen – bei Trump und Orban, und von österreichischen Politikern rede ich lieber gar nicht. Die sind alle auf dieser Solidaritätswelle. Aber man kann das Bedürfnis der Menschen nach Solidarität eben auch politisch ausnützen, um seine eigene Politik voranzutreiben. Zum Beispiel hin zu einem autoritären Staatssystem mit stärkeren Durchgriffsrechten der Regierung. Also die Richtung wäre dann zwar schon hin zu „mehr Staat“, aber eben nicht zu mehr Sozialstaat. Das macht mir Sorgen. Was bräuchte es jetzt, um zu diesem gemeinsamen sozialen Nenner zu kommen? Stephan Schulmeister: Solche Prozesse sind das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen. Was mir große Sorgen macht, ist dass durch 30, 40 Jahre Dominanz des Neoliberalismus an den Universitäten, in den Zeitungen – besonders in den Massenzeitungen – in der Politik, ein gewisser Verdummungsprozess der Bevölkerung forciert wurde. Man braucht sich nur das Niveau der Massenzeitungen, Privatfernsehen, etc. anschauen. Hier ist ein schleichender Verblödungsprozess im Gange, und der ermöglicht eine gefährliche Entwicklung, dass nämlich populistische Politiker auf durchaus demokratischem Weg die Demokratie immer mehr aushöhlen. Das ist genau das, was in Ungarn passiert: Die Paradoxie, dass sich ein Parlament mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit selbst ausschaltet und sagt, wir geben die Macht unserem Führer Viktor Orban. In abgeschwächter Form ist das anderswo auch zu beobachten. Denken wir etwa an die Entwicklung in Großbritannien oder die USA oder Brasilien. Was ist hier die Aufgabe der Medien? Stephan Schulmeister: Die Medien gibt es in diesem Fall nicht. Die Interessen der Besitzer von Zeitungen, wie der Kronen Zeitung oder Österreich, sind natürlich andere als die Interessen der Besitzer kleinerer Zeitungen. Was fehlt, ist das Bewusstsein der Aufklärungsverantwortung. Das heißt, dass Journalisten die Verantwortung haben, Menschen die Welt besser verständlich zu machen. Das ist vorbei. Wir leben in der Zeit von Fake News, wo viele ihre Aufgabe darin sehen, die Auflage des Mediums, die wirtschaftliche Stärke, also den Gewinn des Mediums, zu erhöhen. Und wenn das mit Fake News besser geht, dann macht man es eben mit Fake News. Sie skizzieren im Zusammenhang mit dem notwendigen Ausbau eines Netzes für Hochgeschwindigkeitszüge die Möglichkeit einer supranationalen Finanzierung. Es geht dabei um eine neue Form der Staatenfinanzierung innerhalb der EU. Wie könnte das aussehen? Stephan Schulmeister: Es gibt so schwere Krisen und ein solches Ausmaß zusätzlicher Staatsschulden, dass der übliche Finanzierungweg eben nicht ausreicht und außerordentliche Maßnahmen erfordert. Es wäre im Grunde sehr einfach. Wir haben ja bereits den Rettungsschirm. Dieser wurde gegründet, um die Eurokrise in den Griff zu bekommen. Wenn man den ausbauen würde zu einem sogenannten Europäischen Währungsfonds, oder ich nenne ihn auch europäischen Transformationsfonds, dann wäre das so etwas wie eine Finanzierungsagentur – aber eine gemeinschaftliche für die Europäische Union. Diese Finanzierungsagentur würde gemeinschaftliche Anleihen begeben. Ich nenne sie Eurobonds. Aber – und das ist der große Unterschied zu den bisherigen Vorschlägen – dieser Europäische Transformationsfonds hat eben die volle Rückendeckung der Europäischen Zentralbank. Das bedeutet: Alle, die eine solche Anleihe kaufen, wissen, es kann prinzipiell nichts schiefgehen, weil die Zentralbank unsinkbar ist. Das heißt, man würde sich das ersparen, weswegen Deutschland und Österreich sich weigern, Corona-Bonds zu unterstützen – nämlich wegen der Haftung. Das Argument lautet ja „Wir Deutsche, wir Österreicher wollen nicht für die Schulden Italiens haften.“ Die Haftung übernimmt in dem Fall aber die Europäische Zentralbank, und die hat unbeschränkte Möglichkeiten. Daher bin ich sicher, dass diese Eurobonds, die jenseits der Coronakrise aufrecht erhalten werden sollten, die Umwandlung der europäischen Wirtschaft in eine ökologische und soziale Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Die Lösung wäre extrem einfach. Sie würde keine Haftungsübernahme durch irgendwelche Länder erforderlich machen, und sie würde einen enormen Finanzierungsrahmen aufmachen, um eben Projekte wie ein transeuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetzwerk zu finanzieren. MAI 2020 7

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