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DER BIEBRICHER, Nr. 385, Dezember 2023

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Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich

Jahrzehnte engagierte er

Jahrzehnte engagierte er sich für Biebrich – nun ist Günter Noerpel verstorben Nach Redaktionsschluss für diese Ausgabe erreichte uns noch eine traurige Nachricht: Einer der bekanntesten, engagiertesten und umtriebigsten Biebricher ist für immer gegangen – am ersten Adventswochenende ist Günter Noerpel, kurz nach seinem 83. Geburtstag, verstorben. Biebricher Ortsvorsteher und Wiesbadener Oberbürgermeister sind gekommen und gegangen, Vereine wurden gegründet und wieder aufgelöst, neue Feste wurden initiiert und sind wieder verschwunden – doch mit Günter Noerpel gab es knapp vier Jahrzehnte eine feste Konstante in Biebrich. 36 Jahre stand er als Vorsitzender an der Spitze des Turnvereins Biebrich (TVB) und auch der Arbeitsgemeinschaft Biebricher Vereine und Verbände (AG). Zahlreiche Veranstaltungen, Feste, die heutige Städtepartnerschaft zu Glarus in der Schweiz und viele andere Dinge, für die Biebrich auch über die Stadtgrenzen Wiesbadens hinaus bekannt ist, gehen auf seine Initiative oder zumindest seine maßgebliche Mitwirkung zurück. So beispielsweise die Mosburgfeste, Weihnachtsmärkte, Neujahrsempfänge, Kulturwochen sowie zahlreiche Konzertveranstaltungen. Er lebte im wahrsten Sinne des Wortes „für Biebrich“. Und das, obwohl er selbst gar nicht in Biebrich wohnte, sondern seitlich der Biebricher Allee, kurz vor dem Hauptbahnhof. Trotzdem ist er ein waschechter Biebricher Bub. Aufgewachsen war er zusammen mit drei weiteren Geschwistern in unmittelbarer Nähe der Turnhalle des Turnvereins Biebrich, in der heutigen Salizéstraße. Als Kriegskind wuchs er, wie er selber betonte, „unter erschwerten Bedingungen und nicht im Wohlstand“ auf. Auch die Entbehrungen der Nachkriegszeit prägten ihn. „Leistung und Disziplin“ lautete seine Maxime, was er auf seine Kindheitserfahrungen zurückführte. Trotzdem erinnerte er sich gerne an seine Kindheit, in der beispielsweise der Straßenfußball – unter anderem mit dem späteren Fußballweltmeister Jürgen Grabowski –, Aktivitäten auf der Rettbergsau, Lausbubenstreiche und das nicht ungefährliche „Anschwimmen“ von Frachtschiffen im Rhein wichtige Rollen spielten. Nicht immer erntete Günter Noerpel mit dem, was und wie er es machte, ungeteilte Zustimmung. Kritik auf Stammtischniveau begegnet er meist mit erstaunlicher Gelassenheit. Konstruktiver Kritik stellte er sich – meist waren es jedoch nur Parolen. „Nicht Worte sind entscheidend, sondern Taten“, so seine feste Überzeugung. „Aufgeben“ oder „Hinschmeißen“ kam für ihn – ebenso wie bei vielen anderen Menschen seiner Generation – nicht infrage. „Durch Niederlagen wächst man, nicht durch Siege“, erklärte er einmal in einem BIEBRICHER- Interview nüchtern. Doch auch seine Kritiker stimmen darin überein, dass es über Jahrzehnte kaum andere Personen gab, die sich dermaßen für Wiesbadens einwohnerstärksten Stadtteil engagiert haben. Den aktuell im Vereinsleben verstärkt zu beobachtenden Umbruch sah er schon vor Jahren voraus. „Ihr eigenes Ego pflegen und in der Öffentlichkeit glänzen wollen viele Menschen. Doch die Arbeit, die auch ein Ehrenamt mit sich bringt, wollen immer weniger Menschen auf sich nehmen. Für Menschen meiner Generation hat der Begriff des ‚Dienens‘ noch eine besondere Bedeutung. Heute geht es jedoch leider in erster Linie um das ‚Verdienen‘“, klagte Noerpel. Er gab allerdings auch zu, dass sich die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich verändert – besser gesagt verschlechtert – haben. Bis 1999 arbeitete Noerpel als Elektrikermeister im damaligen Hoechst-Ausbildungszentrum im heutigen Industriepark. Eine attraktive Vorruhestandsregelung im Rahmen des Konzernumbaus ermöglichte ihm im Alter von 58 Jahren, sein ehrenamtliches Engagement zum „Hauptberuf“ zu machen. Über 500 Auszubildende hatte er zuvor auf ihrem Weg in das Berufsleben begleitet. Arbeit und Ehrenamt ließen sich auch schon während seiner beruflichen Laufbahn besser wie heutzutage miteinander verbinden. „Für alle großen Unternehmen entlang des Rheins war es damals eine Selbstverständlichkeit, Vereinsaktive und Mandatsträger unter ihren Beschäftigten zu unterstützen und ihnen großzügig Freiräume für gemeinnütziges Engagement einzuräumen. Die Förderung solcher Mitarbeiter war früher die beste Unternehmenswerbung in der Nachbarschaft“, erinnert sich Noerpel. In der heutigen Leistungsgesellschaft sei dies anders: Damals habe Ideelles im Mittelpunkt gestanden, heute eher Materielles. Nach dem Tod seiner Partnerin Iris Jäger im Mai 2015, mit der er fast 50 Jahre zusammenlebte – ohne miteinander verheiratet gewesen zu sein – merkte man ihm an, dass ihm ein wichtiger Teil in seinem Leben fehlte. Der menschliche Kontakt und das Kennenlernen von Menschen waren ihm nach eigenen Worten einst das Wichtigste an seiner langjährigen, ehrenamtlichen Tätigkeit gewesen. Aber als er sich 2019 aus den öffentlichen Ämtern zurückzog, tat er das allerdings mit aller Konsequenz. In der Folge nahm er nur noch sehr selten an öffentlichen Anlässen teil. Zu seinem 80. Geburtstag 6 DER BIEBRICHER / DEZEMBER 2023

ARCHIV FRANK HENNIG 2024! Knapp vier Jahrzehnte prägte er das Biebricher Vereinsleben. Nun ist Günter Noerpel im Alter von 83 Jahren verstorben. Das Foto zeigt ihn beim letzten von ihm organisierten Neujahrsempfang im Jahr 2019. stifte ihm die AG Biebricher Vereine und Verbände, dessen Ehrenvorsitzender er war, und der Verschönerungs- und Verkehrsverein Biebrich einen Ginkgo-Baum im Schlosspark am Mosburgweiher. An dessen Pflanzung und Einweihung im Frühjahr 2021 hatte er nochmals persönlich teilgenommen – danach wurde er in Biebrich bei öffentlichen Anlässen kaum noch gesehen. Seine jahrzehntelangen Verdienste um Biebrich und insbesondere um das Biebricher Vereinsleben sind jedoch unbestritten und garantieren ihm einen festen Platz und ein eigenes Kapitel in den Chroniken des Stadtteils. Als letzten Willen soll er verfügt haben, dass es für ihn keine öffentliche Trauerfeier und auch nur eine Beisetzung im engsten Familienkreis geben sollte. Die AG gedachte ihrem ehemaligen Vorsitzenden im Rahmen des traditionellen Adventskonzerts in der Oranierkirche – das Noerpel alljährlich besonders am Herzen lag – indem ihm das von allen Mitwirkenden und Gästen gemeinsam gesungene Schlusslied des Konzerts „Stille Nacht“ gewidmet wurde. Und sollten wieder einmal Straßenbenennungen in Biebrich anstehen, wäre der Biebricher Ortsbeirat mit seinem Vorschlagsrecht sicherlich gut beraten, sich dabei an Günter Noerpel zu erinnern. (fhg) www.hille-walther.de DER BIEBRICHER / DEZEMBER 2023 7

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