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Industrieanzeiger 11.18

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Themenheft Industrie 4.0 mit Serie Industrie 4.0 - Stand der Technik

interview Ökonom

interview Ökonom Friedrich Völker zum Online-Marketing technischer Produkte „Upgrade nur für eine Nacht“ Die Verkaufsstrategie von technischen Produkten wird sich durch das Internet völlig verändern, erklärt der Betriebswirtschaftler Dr. Friedrich Völker, Lehrbeauftragter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Der promovierte Betriebswirtschafler Friedrich Völker hält an der DHBW eine Vorlesung über das „Internet der Dinge“. Bilder: W. Scheible Was verstehen Sie unter dem Internet of Things, Herr Völker? Es beschreibt die Vernetzung von physischen Produkten der wirklichen Welt in einer virtuellen, Internet-ähnlichen Struktur. Was das Internet der Dinge bewirkt, dokumentiert das Beispiel eines Sportschuhherstellers, der in der Sohle eines Jogging - modells Sensoren integrierte, um die Schrittabfolge zu registrieren. Die Daten konnten über das Netz ausgelesen werden. Das Ergebnis: 90 Prozent der Käufer dieser Schuhe joggten nie, sondern sie gingen mit ihnen maximal in Schrittgeschwindigkeit. So fand der Hersteller heraus, dass dieses Produkt von einer völlig anderen Zielgruppe gekauft wurde, als er annahm. Seine Marketingstrategie war demnach völlig falsch. Ist das Internet der Dinge gleichzusetzen mit dem, was Experten unter Industrie 4.0 verstehen? Beide Begriffe werden häufig im gleichen Zusammenhang verwendet. Doch das ist Unsinn. Bei Industrie 4.0 geht es darum, die Wertschöpfungskette eines Unternehmens weitgehend automatisiert zu steuern. Damit das klappt, braucht man das Internet of Things, das IoT, als Grundlage. Ich muss also Maschinen oder Werkstücke erst einmal vernetzen, um eine leistungsfähigere Wertschöpfungskette zu erhalten. Das Internet der Dinge bewirkt, dass Produkte anders vermarktet werden müssen als bisher. Das hat sich in vielen deutschen Unternehmen noch nicht herumgesprochen. Unser Maschinenbau entwickelt Produkte nach dem Wasserfallmodell: Jemand hat 26 Industrieanzeiger 11.18

eine Produktvision, darauf folgen erste Kundengespräche, und daraus resultieren die Design- und die Prototypenphase. Also immer topdown. Bis das Produkt marktreif ist, dauert es meist Jahre – mit dem Nachteil, dass man Erfahrung mit der Marktdurchdringung erst am Schluss des Zyklus macht. Mit dem Internet der Dinge kann man das ändern – über den Minimum-Viable- Product-Ansatz, der nach dem minimalst marktfähigen Produkt sucht. Das müssen Sie erklären. Solche Produkte können nur ganz wenig, sind aber vernetzt. So sammelt der Hersteller bei schnell herausgebrachten, im traditionellen Sinn eher unfertigen Produkten sofort Markterfahrungen. Und über die Vernetzung liefert der Hersteller per Software-Update neue und bessere Funktionen nach. Funktioniert das ähnlich wie beim iPhone? Genau. Als das iPhone auf den Markt kam, war es mit weitreichender Sensorik bestückt, für die es damals kaum Anwendungen gab. Nach und nach änderte sich das mit Updates oder Apps. Die Installation neuer Software orientiert sich am Hardwarefundus des Geräts, den unterschied - liche Anbieter unterschiedlich interpretieren. Bei modernen Autos zeichnet sich Ähnliches ab: Sie haben mehr Hardware an Bord, als die Nutzer bezahlen. Hätten sie dann gerne – etwa für eine längere Nachtfahrt – ein umfassendes Assistenzpaket, können sie nur für diese Fahrt upgraden. Auch die Motorenleistung lässt sich auf diese Weise individuell anpassen. Vita Friedrich Völker Völker, Jahrgang 1985, promovierte an der Universität Stuttgart am Lehrstuhl für Finanzwissenschaften über Strategien in Familienunternehmen. Danach begann er bei einem Maschinenbau-Unternehmen im Raum Stuttgart als Assistent des Vorstands und registrierte, dass das Internet der Dinge ein Zukunftsthema wird. Seit 2015 ist er verantwortlich für digitale Produkte. Friedrich Völker hält an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) im Studiengang „Wirtschaft – Dienstleistungsmanagement – Medien und Kommunikation“ eine Vorlesung über das „Internet of Things“. Das Internet der Dinge bewirkt, dass Produkte anders vermarktet werden müssen als bisher. Das hat sich vielfach noch nicht herum - gesprochen.“ Das geht aber bloß, wenn der Motor eine eingebaute Leistungsreserve – sprich: mehr Kilowatt – mit sich führt. Das verteuert den Preis. Das müssen Sie anders betrachten. Eine Riesenherausforderung heute ist die Variantenvielfalt, die beim Hersteller für Kosten an verschiedensten Stellen sorgt – in der Lagerhaltung, bei der Produktion, bei der Instandhaltung. Wer nur wenige Motortypen anbietet, die über Software herauf- und heruntergeregelt werden können, produziert billiger und kann den wertigeren Motor ohne Preisanpassung einbauen. Wie verbreitet ist diese neue Denkrichtung in der mittelständischen Produktion? Selbst wenn die Erkenntnis da ist – und auch der Wille, etwas zu verändern –, ist der Fisch noch nicht geputzt, salopp gesagt. Man braucht das Know-how, man braucht Finanzmittel, die sich nicht sofort amortisieren. Es geht um neue Technologie, um neue Märkte, also um etwas Hochkomplexes. Ich denke, dass einige Marktteilnehmer da nicht mehr mitkommen und ausscheiden. Wie können sich mittelständische Unternehmen das nötige Know-how beschaffen? Zu Beginn ist es immer ratsam, sich Berater und Partner zu holen. Ein guter Weg ist: Erste Produkte gemeinsam mit erfahrenen Partnern entwickeln, eigene Mitarbeiter dadurch schulen und dann erst langsam die erforderlichen Experten fest ins Unternehmen holen. Wie wählt man die Partner aus? Das ist gar nicht so einfach, weil inzwischen viele Firmen behaupten, gute Berater zu sein – Chiphersteller, Telekommunikationsunternehmen, klassische Strategieberater. Ich glaube, dass es am besten ist, wenn man sich ein Ingenieurbüro – wie man früher gesagt hätte – ins Haus holt: einen Partner also, der als Generalunternehmer agiert, verschiedene Zulieferer koordiniert und auch strategisch unterstützt. Nachgefragt ist das Konzept der agilen Entwicklung – weg vom klassischen Lasten- und Pflichtenheft. Alles ist im Fluss, spezifiziert wird erst während der Entwicklung. Das ist etwas, das US-Amerikaner gut können. Wie erleben Sie die Auseinandersetzung im deutschen Maschinenbau zwischen eher traditionellen Entwicklern und denen, die über das Internet of Things an die Produkte herangehen? Wer IoT-orientiert ist, muss sich häufig gegen etablierte Prozesse stellen – man bricht gewissermaßen mit den Gesetzen eines Unternehmens. Wer IoT erfolgreich einführen möchte, muss sich von konventionellen Entwicklungsprozessen lösen und neue etablieren. Unternehmen, die diesen Weg einschlagen, gründen häufig aus dem Mutterhaus eine neue Gesellschaft aus, weil man dadurch meist schneller mit bestehenden Strukturen brechen kann. Das Problem dabei ist, Industrie 4.0 auf die bestehenden Geschäftsbereiche zurück zu übertragen. Spätestens dann brechen im Mutterhaus die Kämpfe zwischen den Abteilungen aus. Industrieanzeiger 11.18 27

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