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LERNEN MIT ZUKUNFT SEPTEMBER 2021

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information & gedanken Bussi Baba: Wien, Wien, nur Du allein VOM ABSCHIEDNEHMEN UND VON WAHRGEWORDENEN TRÄUMEN Lena Knapp ˇ Studentin und freie Schauspielerin Foto: © Robert Krenker In ein paar Tagen packe ich meine Koffer und ich packe ein… die letzten viereinhalb Jahre meines Lebens. Kaum bin ich in der Stadt meiner Träume angekommen, bin ich schon wieder auf dem Weg hinaus und ziehe an einen anderen, um einiges kleineren Ort. Ich bin 2017 nach Wien gekommen, weil ich mich verliebt habe. Nicht in einen Menschen, sondern in die Stadt. Das war die letzten Jahre immer mein Running Gag, wenn ich gefragt wurde, warum ich als Deutsche, die weder Medizin noch Psychologie studiert, in Wien lebe. Ich habe mich in die Stadt verliebt, in der ich schon an meinem achten Geburtstag im Kindermuseum im Schloss Schönbrunn beschlossen hatte, hinzuziehen, wenn ich ‚groß‘ bin. ‚Groß‘ war ich noch nicht, als mein Kindheitstraum mehr oder weniger spontan wahr wurde und ich den Entschluss fasste, tatsächlich nach Wien zu ziehen. Und ich bin es auch heute nicht wirklich, aber die Stadt – und alles was ich hier erlebt habe – hat mich definitiv wachsen lassen. Dass ich als damals Neunzehnjährige einfach entscheiden konnte, in eine andere Stadt zu ziehen, ist ein sehr großes Privileg. Das ist mir in Zeiten wie diesen bewusster als je zuvor und deshalb möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch kurz daran erinnern, dass nicht jede Person das Glück hat, sich ohne große Komplikationen dazu entschließen zu können, von zu Hause aus- und in ein anderes Land zu ziehen. Nicht jede*r hat so ein gut gefülltes Starterpack für das (Erwachsenen-) Leben wie ich es zum Beispiel hatte und nicht jede*r kann so freie, unabhängige Entscheidungen treffen. DER VERSUCH EINES ABSCHIEDSBRIEFS Wien, ich werde dich vermissen. Dein Leben, das in dir pulsiert und gerade jetzt langsam wieder zu blühen beginnt. Deinen fast immer freien oder zumindest vergünstigten Zugang zur Kultur, der Menschen aufsaugt und verzaubert wieder ausspuckt, so wie es auch mir passiert ist. Deinen Charme: deine Grantler*innen, dein Sudern, dein „zweite Kassa bitte“ im Billa, deine zuverlässig stinkende, aber immer nach-Hause-bringende U6, deinen leichten Hang zum Alkoholismus und zum Exzess. Foto: © Dimitry Anikin | unsplash.com 26 | SEPTEMBER 2021

Deine Straßen, deine Grätzl, die mich immer wieder aufgefangen haben und in denen ich mehrere Zuhauses gefunden habe. Deinen bunten Topf an Menschen, die für das brennen, was sie machen, von dem sie träumen und von denen ich nun einige meine Freund*innen nennen darf. Aber warum gehe ich jetzt überhaupt? Weil der einstige Kindheitstraum, in Wien zu leben, nun von meinem anderen Kindheitstraum abgelöst wird: Schauspielerin zu sein. Jetzt könnte ich meinen, dass ich, wo ich schon den einen Traum erfolgreich verwirklich habe, ganz gut wissen müsste, wie das ist, wenn ein Traum nicht mehr Flügel, sondern Beine hat, zur Realität wird und plötzlich neben einem her spaziert. Aber das stimmt nicht. Ich weiß gar nichts darüber und probiere aktuell eher Schritt zu halten mit dem neuen, dem wahrgewordenen Traum. Gleichzeitig frage ich mich, wie man das macht: Abschied nehmen. Und daher beende ich diesen Artikel mit einer Frage: Wie kann man Abschied nehmen von etwas, das man liebt, das man sich selbst ausgesucht hat, das man aber einer anderen Liebe wegen verlassen muss? Eines ist mir zumindest klar: Menschen kommen, Menschen gehen, aber eine Stadt, die bleibt. Das ist eine beruhigende Gewissheit. 27 | SEPTEMBER 2021