LERNEN MIT ZUKUNFT SEPTEMBER 2021
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LEBENSRAUM: MENSCH
IMPULSMAGAZIN FÜR ERWACHSENE
September 2021
SPRACHE ALS SINN UND ZIEL
Parliamo l’italiano
VOM NORDKAP NACH KAPSTADT
geistige & kulturelle Grenzen überschreiten
MEIN FERIENJOB AM ATTERSEE
Europacamp
inhalt & impressum
inhalt
bildung
Kooperation auf Augenhöhe
Ein normales Schuljahr?
entwicklung
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Sprache als Sinn und Ziel
Mein Ferienjob am Attersee
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel
Kinder postiv bestärken
gesellschaft
Back to School
Sie fühlen sich alleine gelassen?
Verständlich und einfach erklärt
umwelt
Vom Nordkap nach Kapstadt
Narturpark Zirbitzkogel-Grebenzen
gedanken
Wien, Wien nur du allein
vielfalt
Eine Welt durch die Linse betrachtet
ABC-Schützen in Frankfurt/Oder
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impressum
Medieninhaber, Herausgeber & Verleger LERNEN
MIT ZUKUNFT, 1220 Wien, Mühlwasserpromenade
23/ Haus 13, e-mail: office@LmZukunft.at
Herausgeber/Grafik: Karl H. Schrittwieser
Redaktion (Bild/Text): Birgit Menke, Tina Cakara
Titelseite - Foto: ©Monfocus | pixabay.com
Blattlinie:
Mit unserer Themenvielfalt laden wir Erwachsene
ein, sich für die Entwicklung unserer Lebenswelt
und für künftige Generationen einzusetzen.
Dazu geben wir Informationen, Gedankenimpulse
und Anregungen.
Die AutorInnen übernehmen selbst die
Verantwortung für den Inhalt ihrer Artikel.
Auflage: 4 mal im Jahr
unterstützung durch
www.improve.or.at
www.2dudes.online
2 | SEPTEMBER 2021
editorial & information
Um Vertrauen bemüht:
Wo stehen wir?
MAN MUSS DIE ZUKUNFT ALS CHANCE BEGREIFEN, STATT SIE ALS
BEDROHUNG ZU EMPFINDEN (© Wolfgang Kownatka)
Vor einigen Tagen habe ich eine Diskussion im Fernsehen
verfolgt, in der Vertreter aller Generationen ihre Anliegen
und Wünsche an Politiker unterschiedlicher Parteien
richten konnten. Die Politiker waren aufgefordert,
zukunftsweisende Lösungen anzubieten und auch die Möglichkeit
zu nutzen, der offensichtlichen Skepsis in die Politik
entgegenzuwirken und Vertrauen zu schaffen.
Unter anderem wurde eine Chancengerechtigkeit für alle Kinder
im Bildungsbereich gefordert, unabhängig von der sozialen Herkunft
und den damit oft verbundenen Vorurteilen. Ein Mitspracherecht der
Schüler*innen in Angelegenheiten, die sie betreffen. Mehr Lerninhalte, die der
Lebensvorbereitung dienen. Erweiterte Lernunterstützung im Internet, um nicht
verstandene Lehrinhalte wiederholen zu können.
Rahmenbedingungen für Kinder, Lehrkräfte und alle Schulen gleichermaßen zu
schaffen und auch, die Eltern mit ins Boot zu holen.
Dabei sollten nicht die Interessen der Eltern im Vordergrund stehen, die immer
„das Beste“ für das eigene Kind wünschen, sondern das Kind selbst. Wünschenswert
ist ein Bildungspaket, das den Bedürfnissen und Begabungen des
Kindes entspricht. Individuelle Förderung, digitaler Zugang in allen Schulen und
auch die Betreuung sollten gewährleistet sein, um die meist berufstätigen Eltern
zu entlasten.
Unter anderem wurde in der Diskussion auch angesprochen, dass Handwerker
in Zukunft die Spitzenverdiener sein werden, da der Fachkräftemangel in den
unterschiedlichen Branchen bereits jetzt zu großen Problemen führt.
Die Anregungen der Schülerin haben mich beeindruckt. Die junge Generation
hat eine starke Stimme, mit der die Politik vermehrt in den Dialog treten sollte.
Denn diese Generation bestimmt die Geschicke unserer Zukunft.
Ich wünsche Ihnen einen farbenfrohen Herbst und bleiben Sie gesund,
Ihr
Karl H. Schrittwieser
Obmann und Herausgeber
LERNEN MIT ZUKUNFT
Foto © Wolfgang Eckert | pixabay.com
3 | SEPTEMBER 2021
information & bildung
Unverzichtbar:
Kooperation auf Augenhöhe
OFFENHEIT UND EHRLICHKEIT SIND DIE BAUSTEINE FÜR EINE GELINGENDE
BILDUNGSPARTNERSCHAFT
Elisabeth Rechberger
Unternehmensberaterin
für pädag. Bildungseinrichtungen
Business- und Personalcoach
Elternbildnerin
Elementarpädagogin
www.zusammenwachsen.or.at
Gelingende Bildungspartnerschaft,
gute Zusammenarbeit mit den
Eltern Kindergarten - ein Ziel, das
sich wohl jede Pädagog*in setzt
und auch wünscht, dass es eintritt. Wenn
man einige wesentliche Dinge im Umgang
mit den Eltern beachtet, gelingt dies und vor
allem auch professionell.
Kommunikation und hier vor allem Gespräche
bilden die Basis für eine gute
Zusammenarbeit mit Eltern und sind ein
fixer Bestandteil einer Bildungspartnerschaft.
Im persönlichen Austausch werden
Beziehungen aufgebaut, Konflikte gelöst,
Entscheidungen über den Alltag oder auch
das weitere Vorgehen in unterschiedlichen
Situationen getroffen.
Besonders zu beachten in Gesprächen ist,
dass hier zwar die Pädagogin das Fachwissen
mitbringt, doch die Eltern sind und
bleiben die Expert*innen für ihr Kind/ ihre
Kinder.
Gespräche sollten generell wertschätzend
aufgebaut sein. Das bedeutet, dass positive
und konkrete Formulierungen gemacht
werden. Konjunktive (eigentlich, könnte,
sollte,…) vermieden werden, um Klarheit im
Gespräch mit dem Gegenüber zu schaffen.
WELCHEN ERSTEN EINDRUCK HABE ICH
VON DEN ELTERN – VORSICHT
SCHUBLADENDENKEN
Eltern prägen in ihren Familien familienspezifische
Kommunikationsstile. Das bedeutet
für die Pädagog*innen, jeder Elternteil
bringt auch andere Voraussetzungen in der
Kommunikation mit. Jedes Kind und jeder
Elternteil haben das Recht als Mensch so
akzeptiert zu sein wie er/sie ist und ihnen
mit Willkommen und Respekt gegenüberzutreten.
Das heißt aber nicht, dass ein
Verhalten eines Elternteils so akzeptiert
und geduldet werden muss, wenn es
nicht erwünscht ist. Hier ist es sinnvoll
mit Offenheit und Ehrlichkeit, dem
Gegenüber zu kommunizieren, dass
dieses Verhalten hier im Kindergarten
nicht erwünscht ist und auch zu sagen,
welches Verhalten erwünscht ist.
Ein gemeinsamer positiver Blick auf
das Kind, auf seine Stärken und Potenziale
ist förderlich für die Zusammenarbeit
und stärkt die Vertrauensbasis mit
den Eltern.
OFTMALS SIND ES
UNSICHERHEITEN, DIE DEN
KOMMUNIKATIONSFLUSS STÖREN
Ich - Botschaften und aktives Zuhören
stärken eine gelingende Beziehung und
gute Zusammenarbeit mit den Eltern,
regen den Kommunikationsfluss an
und geben Sicherheit im Gespräch.
Ich-Botschaften respektieren dem Gegenüber
mit seiner Wahrnehmung auf
die Situation und bringen die eigene
Befindlichkeit, Wünsche und Anliegen
deutlich zum Ausdruck. Sie beinhalten
eine Haltung von Kongruenz, Respekt
und Wertschätzung.
Beim „Aktiven Zuhören“ erfasst
der Zuhörer nicht nur das inhaltlich
Gesagte, sondern das tatsächlich
Gesagte und auch die Gefühle, die
mitschwingen. Durch die Wiedergabe
mit eigenen Worten, bekommt man
rückgespiegelt, was beim anderen
angekommen ist und was nicht.
Voraussetzungen für aktives Zuhören:
• Blickkontakt
• Zugewandte Körperhaltung
4 | SEPTEMBER 2021
• Pausen lassen
• Offene Fragen (W-Fragen- Wer, Wie, Wo, Was,)
• Akzeptanz des Gegenübers
• Sich vergewissern, ob man den anderen richtig verstanden hat (Nachfragen!)
REFLEXION DER EIGENEN HALTUNG UND KOMMUNIKATION MIT DEN ELTERN
Zur Professionalität der Pädagog*innen gehört die Reflexion der, dem eigenen Handeln zugrunde liegenden Motive.
Reflektiert wird die Wirkung des Auftretens (sozial kompetentes Verhalten) auf die Eltern. Neben der Fähigkeit
zur Empathie sind Klarheit im Denken, im Handeln und in der verwendeten Sprache notwendige Bestandteile einer
professionellen Gesprächsführung, sowie die Bereitschaft, das Gespräch durchgehend zu strukturieren. Hier gilt es,
Emotionen geschickt aufzufangen und die Eltern zur Selbstreflexion anzuregen (Steuerungsfunktion).
Eine echte Bildungspartnerschaft setzt jedoch voraus, dass die Eltern das Konzept des Kindergartens und dessen Umsetzung
kennen, verstehen und mittragen. Zudem ist es wichtig, dass Pädagog*innen die Beziehungskultur zwischen
Eltern und ihren Kindern verstehen und eigenständig bewerten.
Eine intensive Kontaktpflege zwischen Eltern und den Pädagogi*innen, gemeinsame Absprachen, wechselseitige
Informationen sichern die Kontinuität der Erziehung der Kinder.
Foto: © Engin Akyurt | pixabay.com
5 | SEPTEMBER 2021
information & bildung
Bildung in der Krise:
Ein normales Schuljahr?
DIE VERUNSICHERUNG IST IMMER NOCH GROSS
DI Roswitha Wurm
Dipl. Lerndidaktikerin
Lese- und Rechtschreibtrainerin,
Kinderbuchautorin
Interaktive Lesungen
an Schulen buchbar unter:
www.lesenmitkindern.at
Wann wird es endlich
wieder so, wie es früher
war? - Mit großen Augen
blickt mich Sophie an.
Das Mädchen sehnt wie so viele
eine Schule und eine Lernumgebung
herbei, wie sie vor der Pandemie
Alltag war.
Im aktuell wieder neu startenden
Schuljahr sind besonders die Zweitklässler
gefordert. Man stelle sich
vor: Sie haben in ihrer Schullaufbahn
noch kein normales Schuljahr erlebt!
Als sie gerade eingeschult waren,
mussten sie bereits auf Online-Unterricht
umstellen – eine riesengroße
Herausforderung nicht nur für die
ABC-Schützen selbst, sondern auch
für deren Eltern.
KINDER INDIVIDUELL
BEOBACHTEN
Die Pandemie und die damit verbundene
Krise gehen an den Kinderseelen
nicht spurlos vorüber. Mache
Kinder ziehen sich mit ihren Ängsten
und Problemen zurück, andere reagieren
aggressiv und auffällig. In beiden
Fällen sind Unterstützung und
Gespräche mit erwachsenen Bezugspersonen
gefragt. Wichtig ist, dass
Kinder individuell betreut werden
und ihre persönlichen Ängste und
Schwierigkeiten, die durch die pandemiebedingten
Schulschließungen
entstanden sind, aufgearbeitet und
besprochen werden können.
Probleme entstehen bei einigen auch
dadurch, weil durch das Distance
Learning Defizite, Teilleistungsdifferenzierungen
und Lernschwierigkeiten
leichter übersehen wurden.
Eltern sind zunehmend verunsichert
und suchen Rat bei Spezialisten,
weil ihr Kind die Freude am Lernen
völlig verloren hat und sich weigert
die schulischen Arbeitsaufträge zu
erledigen. Dennoch sollten Eltern
es vermeiden, die Aufgaben ihrer
Kinder zu übernehmen. Viele haben
die Homeschoolingzeit dazu genutzt
ihren Kindern durch zu gut gemeinte
Hilfestellungen zu guten Noten zu
verhelfen. Sobald allerdings wieder
der normale Schulalltag mit Prüfungssituationen
vor Ort eintritt,
kommt das schlimme Erwachen.
Legasthene oder dyskalkule Kinder
bzw. SchülerInnen mit anderen Lernschwierigkeiten
sind nicht plötzlich
„geheilt“, nur weil ihre Defizite
durch das Homeschooling kaschiert
werden konnten. Wer allerdings
auch während der Pandemie an seinen
Schwächen gearbeitet hat, wird
auch gut in das kommende Schuljahr,
was auch immer es bringen
wird, starten.
Foto: © 7089643 | pixabay.com
6 | SEPTEMBER 2021
EIN VERLORENES JAHR?
Auch wenn das vergangene Jahr SchülerInnen vor viele Herausforderungen
stellte, war es doch kein verlorenes Schuljahr. Unsere Kinder haben
in jedem Fall einige wichtige Skills dazugewonnen: Selbständigkeit und
Eigenverantwortung beim Lernen. Anpassung an schwierige Lebenssituationen,
also Resilienz. Letzteres haben Kinder in früheren Generationen bei
weltweiten Krisen immer wieder erfahren dürfen. Erklären wir den Kindern
die Pandemie bedingten Umstände also nicht nur als Verlust, sondern
auch als Chance.
Die Sehnsucht nach Normalität ist bei Kindern, Pädagogen und Eltern gleichermaßen
groß. Dennoch wäre es verfrüht, Sophie und all den anderen
Kindern ein „Schuljahr wie früher“ zu versprechen. Unsere Aufgabe als
PädagogInnen und Eltern kann es daher nur sein, die Ängste und Sorgen
unserer Kinder ernst zu nehmen und einmal mehr Mut und Hoffnung zu
vermitteln. Gemeinsam schaffen wir auch das Schuljahr 2021/22. Hoffentlich
das letzte, in dem wir mit Einschränkungen im schulischen Unterricht
leben müssen.
information & gesellschaft
Back to School:
German School Campus
UNSER ERSTER SCHULTAG, ZURÜCK AUF DEM CAMPUS NACH
18 MONATEN DER PANDEMIE
Ursula Schoeneich
Direktorin der German
School Campus in Newport
Beach, CA USA
www.germanschoolcampus.
com
Erste Schultage sind immer etwas
ganz Besonderes. Für einige bedeutet
der erste Schultag das Ende
des Sommers und es fällt wieder
etwas schwerer, sich in die Schule zu
begeben. Das geht uns Lehrern nicht
anders. Aber wenn man nach Newport
Beach kommt, sich an der Sea Base umsieht
und sich die Sommerbrise um die
Nase wehen lässt, freut man sich schon
darauf, hier den Schülern wieder etwas
Wichtiges fürs Leben beibringen und mit
ihnen in der Pause spielen zu können.
Seit März letzten Jahres ist das durch die
Corona-Pandemie leider nicht möglich
gewesen.
Am Montag, den 23. August war es so
weit. Ein wunderschöner, warmer und
sonniger Nachmittag in Newport Beach.
Bei Kaffee und Pflaumenkuchen haben
wir unsere neuen und unsere zurückkehrenden
Schüler und Eltern auf der
Terrasse begrüßt, uns ausgetauscht und
über die COVID Regeln an der Schule
gesprochen.
Wir folgen einem alten Brauch aus dem
19. Jahrhundert in Deutschland, dem
Schulkind am ersten Schultag eine Schultüte
mitzugeben.
Die Umstellung von Onlineunterricht
in Präsent Unterricht war eine große
Umstellung für die Kinder und die
Lehrer. Für viele Schüler bedeutete der
Onlineunterricht weniger Struktur und
unkonzentrierte Mitarbeit. Sie waren
teilweise sehr abgelenkt vom Haushalts-
geschehen, deswegen war es wichtig
am Anfang wieder Struktur in den
Unterricht zu bringen.
Einigen Schülern fiel es schwer in den
strukturierten Unterricht zurückzukommen,
z.B. der Umgang untereinander,
die Bereitschaft aktiv mitzuarbeiten
oder sich an die Regeln und
Rituale des Lehrers zu halten.
Wir haben die ersten Schulstunden
am Campus „aktiv“ genutzt. Um uns
genauer kennen zu lernen haben wir
gruppenstärkende Spiele gespielt.
Gerade am Anfang ist es wichtig, dass
die Schüler und Lehrer sich genauer
kennen lernen und die Scheu zueinander
verlieren.
KLASSE KINDERGARTEN-
1. SCHULJAHR
In einer Sitzrunde haben wir uns
unterhalten und kennengelernt. Mit
bunten Stapelsteinen konnten schon
Farben in der deutschen Sprache gelernt
werden, Zahlen bis 10, und die
Kinder hatten viel Spaß bei Spielen
mit und rund um diese Stapelsteine.
KLASSE 2. SCHULJAHR UND 3.
SCHULJAHR
In einer Gruppe von jeweils 2 Kindern
haben wir eine Papierrolle ausgerollt
und jeder musste seinen Partner in
Lebensgröße zeichnen. Während des
Zeichnens haben die Schüler ihren
jeweiligen Partner gefragt: wie heißt
du, wie alt bist du, was ist dein Hobby
etc.
Fotos © germanschoolcampus
8 | SEPTEMBER 2021
Die Schüler hatten großen
Spaß dabei, es war ein schönes
Gefühl Kinder wieder lachen
und toben zu sehen.
Danach haben wir die Exemplare
in der Klasse aufgehängt.
Bunt gestaltete Kinderzeichnungen
mit Glitzer und Sticker
voller Fantasie hingen an der
Wand. Nun sollte jeder seinen
Partner vorstellen mit den
Informationen die er/sie während
des Zeichnens gesammelt
hatte.
hat. Vielleicht setzen wir die Geschichte
ja in den folgenden Klassen fort, denn
wenn Kartoffel und Avocado nicht
gegessen wurden, dann leben sie noch
weiter.
KLASSE 4. SCHULJAHR UND
5. SCHULJAHR
In der Klasse fing dann der
richtige Spaß an; wir haben
uns durch ein paar Spiele erst
einmal näher kennen gelernt,
fast ausschließlich Deutsch
aber auch etwas Spanisch
gesprochen. Hausaufgaben
gab es auch schon, aber das
war gar nicht so schlimm, denn
sie sind auf einer Webseite und
gleichen mehr einem Videospiel.
Nachdem jeder es einmal
kurz ausprobiert hat, fanden
die Kinder es alle ganz toll.
Am Ende haben wir uns in die
Sonne gesetzt und eine lustige
Geschichte geschrieben, indem
jedes Kind immer nur ein Wort
dazu beitrug. Es ging um eine
Kartoffel, die früh aufgestanden
ist und einige komische
Dinge erlebt, aber letztendlich
eine Avocado kennengelernt
9 | SEPTEMBER 2021
information & entwicklung
Welche Gehirnhälfte ist für was zuständig?:
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
GIBT ES FÜR „UNBEDACHTE AUSSETZER“ IM HANDELN EINE EINFACHE
ERKLÄRUNG?
Thomas Kolbe
Fachwissenschaftler
für Versuchstierkunde,
Ao. Prof. für die
Service-Plattform
Biomodels Austria
Veterinärmedizinische
Universität Wien
INFO
Michael S. Gazzaniga: Die Ich-Illusion
Sally S. Springer und Georg Deutsch:
Linkes – rechtes Gehirn. Funktionelle
Asymmetrien.
Daniel Kahneman: Schnelles Denken,
langsames Denken. München 2012.
Bei Umfragen bezeichnen sich
80% der AutofahrerInnen als
überdurchschnittlich gute FahrerInnen.
Es sollte einleuchten, dass
30% der Befragten sich irren müssen.
Aber diese irrige Selbsteinschätzung,
oder hier besser Selbstüberschätzung
taucht auch in anderen Befragungen auf.
Bei einer Gesellschaftsstudie zur Meinungsbildung
im Auftrag der Heinz-
Lohmann-Stiftung wollen AutofahrerInnen
umweltfreundlich unterwegs sein,
aber nicht auf PS verzichten. 50% der
befragten Personen, die im Diskounter
Billigfleisch kaufen, lehnen Massentierhaltung
ab. Wie kommt das? Sagen die
Leute bei der Befragung nicht die Wahrheit?
Oder werden später doch wieder
schwach? Die Erklärung liefert uns die
Neurophysiologie mit dem Phänomen
der „kognitiven Dissonanz“.
Das menschliche Gehirn besteht überwiegend
aus zwei Hälften, die durch
einen dicken Strang von Nervenbahnen
miteinander verbunden sind. Die rechte
Gehirnhälfte kontrolliert die linke
Körperseite und umgekehrt.
Die beiden Gehirnhälften haben
nun unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte:
Die linke Hälfte
ist wichtiger für das Sprechen
und logisches Denken. Die
rechte Hälfte kann räumliche Informationen
besser verarbeiten.
Normalerweise koordinieren
sich beide Gehirnhälften bevor
es zu einer Reaktion kommt.
Aber eben nicht immer.
Wichtige Erkenntnisse dazu wurden
an Epilepsie-Patienten gewonnen, bei
denen diese Verbindung der Gehirnhälften
aus medizinischen Gründen unterbrochen
wurde und an Kriegsopfern mit
einem vergleichbaren Schaden. Für diese
Forschung bekam Roger Wolcott Sperry
1981 den Medizin-Nobelpreis. Die linke
Hälfte kontrolliert nicht nur das Sprechen,
sondern interpretiert Erlebnisse
auch, baut Erinnerungen ein und erfindet
eine Geschichte, die zu den subjektiven
Erinnerungen passen. Während die
rechte Hälfte eher für die Koordination
aktueller Handlungen zuständig ist. Daher
beschließt z.B. die linke Gehirnhälfte,
dass man mehr Sport treiben sollte, die
rechte Gehirnhälfte platziert einen dann
aber doch auf das Sofa vor den Fernseher.
Oder die linke Gehirnhälfte überlegt
noch, wie man sich bei dem neuen Chef
beliebt machen könnte, damit es mit der
Beförderung auch klappt und die rechte
Gehirnhälfte übernimmt dann kurzfristig
und lässt einen Kommentar über den
komischen Modegeschmack des neuen
Chefs heraus. Wir sollten uns gewahr
sein, dass es kein einziges „Ich“ gibt,
sondern mehrere Selbst: Ein erinnerndes
Selbst, welches ein Wunschbild formt
und Erinnerungen selektiv unterdrückt
oder verstärkt. Und ein erlebendes
Selbst, welches in aktuellen Situationen
die Führung übernimmt. Das können wir
selten kontrollieren, wenn wir sehr spontan
handeln. Aber allein, dass uns diese
Tatsache bewusst ist, führt vielleicht
zu besser überlegten Handlungen bei
Entscheidungen im Alltag.
10 | SEPTEMBER 2021
Fotos © Gerd Altmann | pixabay.com
11 | SEPTEMBER 2021
information & entwicklung
Parliamo l’italiano:
Sprache als Sinn und Ziel
WIE DAS LERNEN VON ITALIENISCH MICH DURCH DIE PANDEMIE TRUG
Tina Čakara
Studentin
Junge Redaktion
Foto:
Fotostudio primephoto
Im Februar 2020 hatte ich einen
Monat Semesterferien an der Uni
und beschloss meine eingerosteten
Italienischkenntnisse wieder aufzufrischen.
Irgendwo in mir schlummerten
noch die klangvollen Verben parlare,
mangiare, cantare und die typischen
Sätze aus dem Sprachunterricht Come ti
chiami? und Parlo l’italiano solo un po‘!
Ich meldete mich für einen dreiwöchigen
Intensivkurs an der Uni an, der abends
in den Räumen einer Schule abgehalten
wurde. Nach einer Woche konnte ich die
Verben wieder problemlos konjugieren
und von meinem Tagesablauf erzählen.
Nach zwei Wochen erzählte ich im
imperfetto aus meiner Kindheit und nach
drei Wochen bestand ich die schriftliche
und mündliche Prüfung ohne Probleme.
Meine Motivation war geweckt! Beim
Abschlussessen am letzten Kurstag in
einer Pizzeria beschlossen viele von uns:
Wir wollen uns beim nächsten Italienischkurs
wiedersehen! Und dann kam
Corona…
BILDSCHIRMPAUSE, ADE!
Im März 2020 fuhr ich ein
einziges Mal an die Uni. Dann
kam die Nachricht vom ersten
Lockdown und unser ganzes
Leben lief plötzlich aus dem
Ruder. Ich hatte mich da bereits
für einen Italienisch-Semesterkurs
angemeldet. Doch schon bald stand
fest: Alles findet online statt. Jeden
Montagabend für drei Stunden saß ich
also vor meinem Laptop und versuchte
mich auf den geteilten Bildschirm des
Italienischlehrers zu konzentrieren. Disziplin
beim Lernen war für mich nie ein
Problem. Doch in diesem Semester stieß auch
ich an meine Grenzen: Die Beine wollten nicht
mehr sitzen, die Augen nicht mehr das blaue
Bildschirmlicht einsaugen und das Gehirn
hatte es satt, ständig die gleiche Wand anzustarren.
Der Italienischlehrer gab sich Mühe
und die Teilnehmenden des Kurses loggten
sich tapfer Woche für Woche in die Videokonferenzen
ein. Das Semester verging und mein
Italienisch schien sich keinen Zentimeter vom
Fleck bewegt zu haben. Doch ich übersah
in meinem Frust etwas ganz Wichtiges: Den
Aspekt der Regelmäßigkeit.
EIN VIDEO PRO TAG
Der Online-Italienischkurs bot mir zwar nicht
das gleiche wie ein Kurs im Klassenzimmer,
aber er gab meiner Woche eine Struktur und
meinem Montag ein Ziel. Er säte die Samen
für eine Leidenschaft, die in den nächsten
Monaten anwachsen sollte: Während des
ersten Lockdowns im Frühling 2020 beschloss
ich meine freie Zeit in das Italienischlernen zu
investieren. Neben dem Kurs begann ich auf
YouTube Videos auf Italienisch anzuschauen.
Ein YouTuber aus Italien, der einen Kanal
für Italienisch als Fremdsprache betreibt,
stellte jeden Tag ein mindestens 5-minütiges
Video auf Italienisch aus seinem Leben in der
Quarantäne online. Er erzählte von seiner Familie,
zeigte was er kochte oder sprach über
seine Leidenschaft für Sprachen. Jeden Tag
nahm ich mir die Zeit für seine Videos und
die Lebensenergie, die er versprühte. Damals
fragte ich mich, ob mein Italienisch jemals
Fortschritte machen würde. Nur 5 Minuten
pro Tag würden doch niemals reichen, oder?
EIN SCHRITT NACH DEM ANDEREN
Ich begann zu dem Zeitpunkt alles aufzusaugen,
was mir auf Italienisch unter die Finger
12 | SEPTEMBER 2021
kam: Facebookseiten, TED Talks, Blogs, Zutatenlisten,
Bücher für Sprachanfänger, Magazine. Ich
baute mir aus all diesen Bausteinen einen Weg,
der mich durch die schwierigen Monate und vielen
Veränderungen trug. Jedes Mal, wenn ich beschloss
Italienisch zu lernen, hob sich meine Laune.
Ich bemerkte endlich kleine Fortschritte, was mich
noch mehr antrieb. Im Herbst 2020 wagte ich mich
an einen zweiten Online-Italienischkurs, bei der
gleichen Lehrerin wie beim Intensivkurs in den
Semesterferien. Sie freute sich, mich als einzige
von damals im Kurs wiederzusehen.
Im März 2021, also ein Jahr seit dem Beginn der
Pandemie, beschloss ich noch einen Schritt weiterzugehen:
Ich fand über Facebook eine Tandempartnerin
aus Neapel, mit der ich daraufhin einmal
die Woche über Skype einen Sprachaustausch
begann. Es war das erste Mal, dass ich mit einer
echten Italienerin außerhalb eines Kurses sprach.
Ein belebendes Gefühl!
Im Sommer diesen Jahres besuchte mich ein
Bekannter aus Italien und wir beschlossen nur Italienisch
zu sprechen, zwei Tage lang. Trotz meiner
Angst, Fehler zu machen oder ein Wort nicht zu
kennen, zwang ich mich zu sprechen. Und siehe
da: Er verstand mich problemlos. Oft musste ich
Wörter auf Englisch oder Deutsch einwerfen oder
auch meine Hände zum Erklären benutzen. Aber
wir wissen ja alle: In Italien geht sowieso nichts
ohne Gestik!
Fotos © Gerd Altmann - pixabay.com | fancycrave - pixabay.com |
J. Kelly Brito - unsplash.com
13 | SEPTEMBER 2021
information & gesellschaft
Sie fühlen sich allein gelassen?:
Der Lebensbegleiter ist an ihrer Seite
DIE DIPLOMAUSBILDUNG MIT ZUKUNFT
Karl H. Schrittwieser
Obmann
IMPROVE-Bildung mit Zukunft
gemeinnütziges Institut
für Erwachsenenbildung
www.improve.or.at
Lebensbegleiter haben eine fundierte
Ausbildung und unterstützen
gerne.
FÜR WEN SIND LEBENSBEGLEITER
DA?
Verschiedene Generationen und Bevölkerungsgruppen
haben unterschiedliche
Anforderungen. Kinder, Jugendliche, Erwachsene,
Senioren, Gruppen, Vereine.
Jede/r kann von einer unterstützenden
Begleitung profitieren.
WAS SIND SPEZIELLE SITUATIONEN,
IN DENEN LEBENSBEGLEITUNG
BESONDERS HILFREICH IST?
Bei Kindern und Jugendlichen: Schulprobleme,
Probleme mit den Eltern,
Mobbing, Lernprobleme, Suchtverhalten,
gesundes Leben (Bewegung, Ernährung),
Alltagsbewältigung
Bei Erwachsenen und Senioren: Existenzängste,
Umsetzungsschwächen,
Alltagsbewältigung, Wissenserwerb
(Mentoring), Mobbing, Selbstzweifel,
gesellschaftliche Einbindung, Einsamkeit
Bei Gruppen und Vereinen: Kommunikationsprobleme,
Zielkonflikte, Führungsprobleme
WAS KANN EIN LEBENSBEGLEITER
LEISTEN?
Zuallererst schafft er mit den von ihm
Begleiteten eine persönliche Vertrauensbasis.
Begleitete und Begleiter sollen
sich genau kennen
Ziele werden gemeinsam erarbeitet
Alle Maßnahmen werden gemeinsam
erarbeitet, nichts passiert ohne das ausdrückliche
Wollen der Begleiteten
Lebensbegleiter sind sozusagen der
Blick von außen, sie helfen den Begleiteten,
die Probleme zu erkennen, richtig
zu bewerten und mit ihrer Unterstützung
Lösungen zu finden
Lebensbegleiter unterstützen die
Begleiteten bei – manchmal heikler –
Kommunikation
Manchmal ist auch eine Änderung des
eigenen Verhaltens notwendig. Lebensbegleiter
erarbeiten mit den Begleiteten
die Sicht darauf und die notwendigen
Maßnahmen
Gemeinsam mit den Begleiteten wird
regelmäßig Rückschau gehalten auf das
schon Erreichte und auf das, was noch
nicht so gut läuft
Lebensbegleiter sind die Stütze im
Hintergrund
Mehr Infos
finden Sie unter:
http://lpa.improve.or.at
Foto © OpenClipart-Vectors - pixabay.com
14 | SEPTEMBER 2021
Sie wissen
selbst am
besten,
womit Sie
Ihr Wissen
ergänzen
wollen!
IMPROVE-Bildung mit Zukunft
www.improve.or.at
Fotos © faculty, student, girl | pixabay.com
information & entwicklung
Europacamp:
Mein Ferienjob am Attersee
FREIER SEEZUGANG UND LEISTBARE ERHOLUNG FÜR ALLE
Aylin Celik,
Lehramtsstudentin
Deutsch und Geschichte
Fotos: © Archiv Aylin Celik
16 | SEPTEMBER 2021
Der Bewerbungprozess.
Ich kann mich noch genau an
den Abend erinnern, als ich zum
ersten Mal vom Europacamp
gehört habe. Es war an einem Sonntagabend,
am 7. März 2020, der letzte
Tag vor Bewerbungsschluss. Ein Freund
erzählte mir, dass er vorhabe sich quasi
in letzter Minute zu bewerben und fragte
mich, ob ich nicht auch Interesse hätte,
einen Monat im Juli beim Camp zu
arbeiten. Gemeinsame Freundinnen von
uns haben dort bereits öfter ein oder
mehrere Monate im Zeitraum von Mai
bis September gearbeitet. So konnten wir
schnell all unsere offenen Fragen klären.
NUN, WAS GENAU IST DENN JETZT
DAS EUROPACAMP?
Das Europacamp ist eine Freizeitanlage
in Weißenbach am Attersee in Oberösterreich
mit unterschiedlichen Unterkunftsmöglichkeiten.
Es verfügt über ein
Strandbad namens Europabad, welches
öffentlich und unentgeltlich, inklusive
gratis Parkmöglichkeiten, zugänglich ist.
Mit der Petition Platz da! Her mit dem
freien Seezugang! fordert die Sozialistische
Jugend eine Öffnung der Seeufer
für alle. 1951 wurde das Grundstück an
das Land Oberösterreich verkauft. „Im
Kaufvertrag wurde vereinbart, dass der
SJ Bestandsrecht für 99 Jahre übertragen
wird. Und zwar gegen einen jährlichen
Anerkennungszins von 25 Schillingen.
Zum Zwecke, der Errichtung eines
Jugenderholungslagers – so wird das
Europacamp auch bis heute geführt!“
Nähere Informationen über die Geschichte
des Europacamps sind hier zu finden:
https://www.europacamp.at/europacamp/ueberuns.
MEIN ARBEITSBEREICH
Voriges Jahr standen folgende drei Bereiche
zur Auswahl: die Küche, das Buffet oder die
Reinigung. Heuer wurde auch Personal in der
Rezeption gesucht. Ursprünglich wollte ich in
der Küche oder beim Buffet arbeiten. Da diese
jedoch die beliebteren sind, wurden sie schnell
vorgemerkt. Außerdem werden in der Küche sowie
beim Buffet Personen mit Berufserfahrung
bevorzugt. Daher landete ich mit zwei anderen
Kolleginnen im Putzteam. „Putzi Gang, Putzi
Gang, Putzi Gang“ war unser Motivationssong
an Tagen, an denen wir um 06:00 Dienstbeginn
hatten.
In meiner Freizeit war ich, sobald es das Wetter
zugelassen hat, beim Attersee baden, Tretbootfahren
oder spielte mit meinen Arbeitskolleg_innen
Kartenspiele. Das Team besteht jedes
Jahr überwiegend aus Maturant_innen sowie
Studierenden. Der Spaziergang zum Nixenfall
ist meiner Meinung nach sehr zu empfehlen.
Leider habe ich es aus zeitlichen Gründen nicht
geschafft den Schoberstein zu besteigen. Diese
Wanderung wurde mir von mehreren Personen
empfohlen. An regnerischen Tagen las ich
ein Buch, plauderte mit dem Kollegium beim
Buffet bzw. Aufenthaltsraum oder entspannte
in meinem Zimmer. Da die Teamatmosphäre so
angenehm war, vergingen die freien Tage sowie
Abende immer sehr schnell.
MEIN FAZIT
Als eine Großstadtperson, war es für mich
anfangs ziemlich ungewohnt für einen Monat in
eine Ortschaft zu ziehen, in der beispielsweise
der nächstgelegene Supermarkt 5 km entfernt
ist. Doch wie erfüllend die Zeit für mich voriges
Jahr war, habe ich gemerkt, als ich mich dieses
Jahr wieder zum Arbeiten beim Europacamp
beworben habe. Auch heuer wieder als Putzi,
wie wir uns im Team nennen. Der Attersee, die
landschaftliche Umgebung sowie das Umfeld
sprechen für sich. Da lässt sich die teilweise sehr
stressige und unangenehme Arbeit viel leichter
aushalten. Bei diesem Sommerjob wurde mir bewusst
wie wichtig das gesamte Bild und nicht nur
die Tätigkeit selber ist. Wenn die Kolleg_innen,
die Vorgesetzten sowie die Umgebung der Arbeit
zufriedenstellend sind, kann das Putzen Spaß
machen.
Ich persönlich bedauere es, dass in Österreich
viele Seezugänge privatisiert sind. Daher gefällt
mir das Europacamp mit dem Europabad so
gut. Denn meiner Meinung nach sollten alle das
Recht auf einen unentgeltlichen freien Seezugang
haben, der bevorzugt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln
erreichbar ist. Denn ich als Wienerin
besitze gar keinen Führerschein.
17 | SEPTEMBER 2021
information & umwelt
Geistige und kulturelle Grenzen überschreiten:
Vom Nordkap nach Kapstadt
ALLES WIRKLICHE LEBEN IST BEGEGNUNG
Dipl.Ing. Alexander Ristic
Journalist
mehr infos
Sie können ein Teil dieser Geschichten
sein ….
https://www.facebook.com/thairabud/
https://www.instagram.com/thairabud/
Thair Abud aus Graz macht sich
zu Fuß auf den Weg. Er möchte
vom nördlichsten Punkt Europas
(Nordkap) zum südlichsten
Punkt Afrikas (Kap der Guten Hoffnung)
wandern. Drei Jahre hat er ursprünglich
für die 30.000 km lange Wanderung
eingeplant. Durch die Pandemie wurde
die Reise jedoch kurzfristig unterbrochen
und dann wieder fortgeführt. Derzeit ist
Thair in Süditalien – Sizilien.
Thair ist 56 Jahre alt und als Sohn einer
Deutschen und eines Irakers in Duisburg
geboren. Er wuchs bis zum 14. Lebensjahr
im Irak auf, lebt seit 1979 in Graz
und ist Vater zweier erwachsener Söhne.
Als seine Schwester 2013 an Brustkrebs
erkrankte, änderte er komplett sein
Leben. Um seine Schwester moralisch zu
unterstützen und mit seinen Geschichten
von ihrer Krankheit abzulenken,
machte er sich auf den Weg, um von
Graz auf den Jakobsweg nach Santiago
de Compostela zu gehen. Auf den 3.250
Kilometern entstand auch das Versprechen,
bei ihrer Gesundung und seiner
wohlbehaltenen Ankunft in Compostela
sofort von Graz nach Mekka zu gehen.
2014 machte er sich auf den Weg: nach
286 Tagen und 8.670 Kilometern kam er
in Mekka an.
Nach seinen Wanderungen wurde ihm
klar, dass er sich komplett verändert hatte.
Das frühere Leben wollte er nicht mehr
leben. Er hing seinen Job an den Nagel
und stellte sich die Frage nach dem Sinn
des Lebens, den eigenen Lebenszielen und
Prioritäten in seinem weiteren Leben. Ihm
wurde die Endlichkeit des Lebens bewusst.
Er fühlte sich eingesperrt in seinem
„normalen“ Leben, erdrückt und gefesselt
von materiellem Besitz und wollte das
umgehend ändern.
Er startete am 25. April 2018 seine
Wanderung vom Nordkap. Das Ziel war
das Kap der guten Hoffnung in Kapstadt.
Das Wandern ist Lebensmotto und auch
Lebensziel geworden, denn dabei kann er
jeden Tag Neues sehen und kennenlernen.
Jeden Tag entstehen neue Geschichten
über Orte, Gedanken und Erlebnisse am
Weg, über Einsamkeit und Nächstenliebe
in der Begegnung mit verschiedenen
Menschen.
Es geht um die Reflexion über die Freiheit
und Mut sein Leben zu verändern. Leben
mit einem Minimum an Besitz während
seiner Reise.
Mit seiner herzlichen Art erlebt er viel
Unterstützung auf der langen Reise. Die
Menschen begegnen ihm mit Offenheit,
Fotos: © Archiv Thair Abud
18 | SEPTEMBER 2021
sind interessiert an seinen erlebten Geschichten
und überwinden in der Begegnung
ihre Vorsicht vor dem „Fremden“.
Es sind sehr herzliche und bereichernde
Begegnungen = „alles Leben ist Begegnung“.
Auf seinem Weg sammelt er Spenden
für sein Herzensprojekt. Er unterstützt
das Projekt „Doctor Clown“ für kranke
Kinder in Tansania.
Seine Geschichten erzählt er regelmäßig
auf Facebook. Es ist faszinierend und
bereichernd seinen Weg mitzuverfolgen.
Sie können Thair’s spannende Wanderung
täglich in seinem Facebook Bericht
folgen und ihn unterstützen, indem Sie
eine personalisierte Postkarte bestellen.
Denn jeden Tag entstehen Geschichten.
Foto: © OpenClipart-Vectors | pixabay.com
19 | SEPTEMBER 2021
information & vielfalt
Fotografie:
Eine Welt durch die Linse betrachtet
WIE ICH DIESE WELT ENTDECKTE UND WIEVIEL MEHR ICH DURCH SIE
ENTDECKEN KONNTE
Dominika Letko
Studentin
Fotograf*innen sind unsere Augen
zur Welt. Ob es sich nun um etablierte
Künstler*innen, berichtende
Journalist*innen oder leidenschaftliche
Nachwuchsfotograf*innen handelt
– sie informieren, inspirieren, verblüffen
und bewegen uns. Mit jedem Foto werden
Geschichten erzählt und gleichzeitig
schreiben diese selbst Geschichte. Und
da Fotos eine Universalsprache sprechen,
die alle verstehen, können auch
alle von diesen Geschichten erfahren.
In dieser Hinsicht zähle auch ich mich
zu diesen Geschichtenerzähler*innen.
Mein Weg zur Fotografie begann klein
und ohne große Erwartungen, wie sich
dieses Hobby zukünftig entwickeln
würde. Ich wusste nur, dass es mir Spaß
machte und dass ich mich auf diese
Weise kreativ ausleben wollte. Ein paar
Jahre später startete ich schließlich mein
Medien- und Kommunikationsdesign-
Studium, wo Fotografie einen großen
Zweig darstellte und ich mein Wissen
auf unerprobten Gebieten noch erweitern
konnte, was die Leidenschaft für
mein Hobby noch mehr festigte.
WIE ALLES BEGANN
Als ich mit 15 Jahren meine erste Kamera
geschenkt bekam, geriet ich erstmals
in Kontakt mit der Fotografie. Auch
wenn es nur eine Kompaktkamera war,
die nicht allzu viele Funktionen aufwies,
begann ich mit amateurhafter Begeisterung,
diverse Motive abzulichten: Sonnenuntergänge,
Landschaften, Blumen,
Haustiere. Bald wurden mir jedoch die
technischen Grenzen meiner Kamera bewusst
und ich sehnte mich nach dem
nächsten Upgrade: einer digitalen
Spiegelreflexkamera. Diesen Traum
erfüllte ich mir schließlich mit 18
Jahren in einem Secondhandladen. Es
war zwar nicht das neueste Modell,
doch sie hatte sämtliche Funktionen,
die ich für ein gutes Foto für wichtig
erahnte. Meine ersten Aufnahmen
beschränkten sich auf Landschaften
und Natur, doch je mehr ich fotografierte
und den Prozess kennenlernte,
desto mehr Abwechslung suchte ich
bei meinen Motiven. Und dann wagte
ich mich an die Portraitfotografie.
DIE FASZINATION HINTER
PORTRAITS
Jede*r (Hobby-)Fotograf*in hat ein
Spezialgebiet. Ich dachte anfangs, das
wäre bei mir die Natur- und Landschaftsfotografie.
Doch dann traten
Menschen vor meine Linse und es
entfachte ein völlig neues Gefühl in
mir. Die Fotos fühlten sich plötzlich
lebendig an, da sie all diese Gesichter
mit all ihren Emotionen zeigten.
Zusätzlich wurde ich zu einer Art
„Creative Director“, die nun gezielte
Überlegungen zur Wahl des Sets, der
Belichtung und der Körperhaltung anstellen
konnte. Meine Models waren
Freund*innen und Familienmitglieder
und sie fragten mich dann auch
immer, wie sie schauen oder sich
positionieren sollten. Auch wenn ich
anfangs immer etwas Unbehagen von
den Models spürte, merkte ich, wie
20 | SEPTEMBER 2021
sie zunehmend auftauten und lockerer
wurden, je mehr Fotos ich machte. Die
Anweisungen wurden weniger, denn
das Posen kam von selbst und es freute
mich zu sehen, wie sie mit einem Mal
ihre Komfortzone verlassen hatten und
auch noch Spaß daran hatten, vor der
Kamera zu stehen. Und am Ende freuten
sie sich dann über ein paar schöne Fotos
von sich.
TIPPS UND TRICKS FÜR
ANFÄNGER*INNEN
Wer ebenso eine Leidenschaft für Fotografie
in sich spürt und dieser nachgehen
möchte, dem kann ich mit diesem
kleinen Ratgeber etwas aushelfen:
1. WAHL DER KAMERA:
Du brauchst kein teures High-End-
Gerät, wenn du gerade erst mit
der Fotografie startest. Gerade bei
digitalen Spiegelreflexkameras gibt
es diverse Einstiegsmodelle, die auch
preislich sehr ansprechend sind – ob
nun neu oder gebraucht. (Ich habe
z.B. mit einer gebrauchten Canon EOS
400D begonnen, die ich um 150 EURO
bekommen habe.)
2. SPEZIALGEBIET:
Was möchtest du fotografieren? Dein
Motiv ist unter anderem entscheidend
dafür, welche Objektive du
benötigst, um das Beste aus deinem
Foto herauszuholen. In der Portraitfotografie
wird etwa mit lichtstarken
Objektiven gearbeitet. Das bewirkt,
dass die Person auf dem Bild heraussticht,
während der Hintergrund ganz
unscharf wird.
3. DER PERSÖNLICHE STIL:
Dieser Punkt geht über das Spezialgebiet
hinaus, wird jedoch erst über
einen längeren Zeitraum sichtbar. So
verleiht der persönliche Stil deinen
Fotos eine individuelle Marke, ein
Kennzeichen. Etwa ein bestimmter
Bearbeitungsstil (z.B. matte Farben),
ein Muster in der Ausrichtung des Sets
(z.B. Portraits in der Natur) oder ein
Einsatz bestimmter Requisiten oder
Effekte (z.B. Lichter, Reflexionen).
Das ist natürlich längst nicht alles, doch
mit etwas Recherche lassen sich die
wichtigsten Grundlagen der Fotografie
schnell erlernen. Was Inspiration für die
eigenen Fotos angeht, so lässt sich diese
am besten bei anderen Fotograf*innen
aus aller Welt finden.
Foto: © Dariusz Sankowski-pixabay.com | Free-Photos-pixabay.com
21 | SEPTEMBER 2021
information & gedanken
Professor Abakus:
Verständlich und einfach erklärt
Prof. Abakus ist ein aufgeweckter Junge. Er erzählt von Erlebnissen und Beobachtungen
aus seiner kleinen Welt und bezieht das Verhalten Erwachsener mit ein.
Verträumt, idealistisch und mit einem Augenzwinkern beschäftigt er sich mit der
Welt von heute und morgen. Und da gibt es in seinen Augen einiges zu tun.
• "Eine Hand wäscht die andere" ist eine Geschichte über Geben und Nehmen
• „Bitte sofort aufwachen" ist eine Geschichte über Traum oder Vision?
Foto: © Mykola Velychko - Fotolia.com
Professor Abakus
Zu finden sind alle HÖR | IMPULSE auf unserer Homepage: http://magazin.LmZukunft.at/
podcasts.html
Aber auch auf Youtube und SoundCloud finden Sie Professor Abakus, geben Sie einfach
„Professor Abakus“ ein.
22 | SEPTEMBER 2021
Schenken
Sie doch heuer
eine Ziege.
Schenken mit Sinn macht mehrfach Freude
Einerseits unterstützen Sie damit Projekte, die notleidenden Menschen
im In- und Ausland helfen. Andererseits kann diese Unterstützung in Form
eines Billets als Geschenk an eine liebe Person weitergegeben werden.
schenkenmitsinn.at
T-SHIRT
DAZU SCHENKEN
© iStockphoto (Antagain)
information & entwicklung
Elternwerkstatt:
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel
DIE SCHULHEFTE UND DER RESPEKT
Mag. a Maria Neuberger-
Schmidt
Autorin und Gründerin
Verein Elternwerkstatt
www.elternwerkstatt.at
Foto: Ingrid Perger
Elternwerkstatt
Foto: © Nicole Effinger - Fotolia.com
24 | SEPTEMBER 2021
Eine Mutter sitzt mit ihrem etwa
9-jährigen Sohn Hugo in der Straßenbahn.
Offensichtlich haben sie
eine Auseinandersetzung, da die
Mutter die benötigten Hefte aufgrund
eines Lieferengpasses nicht besorgen
konnte. Sie versucht sich zu rechtfertigen,
aber ihr Sohn hört nicht zu, beschimpft
sie und lässt sie nicht ausreden.
Verärgert kündigt sie Hausarrest an und
schaut schmollend und starr zum Fenster
hinaus. Hugo versteht nicht, warum er
nun bestraft wird, denn immerhin hat ja
sie die Schulhefte nicht besorgt.
Mutter: „Weil du frech bist
und auch vorher schon so
böse warst.“
RETOURKUTSCHE AUS
SCHWÄCHE:
LIEBESENTZUG,
STRAFE, ABWERTUNG
Die Mutter hat es verabsäumt,
rechtzeitig Grenzen zu setzen und
lässt zu, dass sich ihr Sohn respektlos
verhält. Als es ihr aber zu viel wird,
macht sie ihn dafür verantwortlich,
indem sie schmollt, ihn beschimpft und
durch Hausarrest bestraft. Sätze wie
„Weil du böse bist!“ sind nicht dazu
geneigt, Einsicht zu wecken – im Gegenteil,
sie nageln fest! Rachegefühle werden
geschürt und dem Sohn wird nicht
vermittelt, sich selbst und seine Mutter
zu achten. So entsteht ein Teufelskreis!
VERSTÄNDNIS STATT RECHT-
FERTIGUNG
Die Alternative? Die Mutter
könnte durchaus Verständnis
für den Unmut Ihres
Sohnes zeigen und
erst dann eine
Erklärung geben. Wenn er sich verstanden
fühlt, wird er in der Lage sein,
ihr zuzuhören. Das könnte sich z.B. so
anhören: „Ich verstehe, dass du verärgert
bist, aber die Lieferung war mir für heute
zugesagt worden. Hast du eine Ahnung,
wie wir das Problem nun lösen können?“
Auch wenn sie Schuld hätte, gilt
es Haltung zu wahren: „Es tut mir leid,
dass ich vergessen habe. Ich kann deinen
Ärger verstehen.“ Wenn er auf diese
Weise ernst genommen und in die Problemlösung
eingebunden wird, kommt er
wahrscheinlich erst gar nicht auf die Idee,
die Mutter zu beschimpfen. Wenn doch,
ist es wichtig, dies sofort anzusprechen
und zu unterbinden: „Auch wenn es ein
Problem gibt, steht es dir nicht zu, mich
zu beschimpfen! Bitte versuch’ dich zu
beherrschen! Überleg dir was zu tun ist
und reden wir zu Hause weiter.“ oder:
„Ich mach dir einen Vorschlag….“
Sollte auch das nichts nutzen, muss sie
konsequent handeln. (z.B. Aussteigen:
„Ich nehme die nächste Straßenbahn!“)
In einer ruhigen Minute kann sie ihrem
Sohn tröstende Worte sagen und ihm
erklären, dass es sie verletzt, wenn er sie
beschimpft – aber seien Sie nicht Mitleid
erregend! Damit sind Kinder überfordert.
RESPEKT GIBT HALT
Besonders dann, wenn Sie sehr belastet
sind, gilt es, die Nerven zu bewahren.
Holen Sie sich Unterstützung, denn Szenen
wie diese sollten nicht den Alltag mit
Ihren Kindern prägen. Wenn das Beziehungsklima
gehässig wird und Kinder die
Achtung vor den Eltern und den Erwachsenen
verlieren, wird Erziehung immer
schwieriger und Sie verlieren den Einfluss
auf Ihr Kind – das kann schon in wenigen
Jahren gravierende Folgen haben.
INFO
Books4Life ist ein Netzwerk
karitativer Second-Hand-Buchläden,
die sich dem Verkauf und
der Aufwertung von Büchern
verschrieben haben.
Unsere Vision ist
• Armut zu bekämpfen
• Bildung zu fördern
• Umwelt zu schonen und
• literaturbegeisterte
Menschen zu vernetzen
Unser Verein besteht ausschließlich
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ANDERE VON UNSERER IDEE BEGEISTERN
information & gedanken
Bussi Baba:
Wien, Wien, nur Du allein
VOM ABSCHIEDNEHMEN UND VON WAHRGEWORDENEN TRÄUMEN
Lena Knapp ˇ
Studentin und
freie Schauspielerin
Foto: © Robert Krenker
In ein paar Tagen packe ich meine Koffer und ich packe ein… die letzten viereinhalb
Jahre meines Lebens. Kaum bin ich in der Stadt meiner Träume angekommen,
bin ich schon wieder auf dem Weg hinaus und ziehe an einen anderen, um
einiges kleineren Ort.
Ich bin 2017 nach Wien gekommen, weil ich mich verliebt habe. Nicht in einen Menschen,
sondern in die Stadt. Das war die letzten Jahre immer mein Running Gag,
wenn ich gefragt wurde, warum ich als Deutsche, die weder Medizin noch Psychologie
studiert, in Wien lebe. Ich habe mich in die Stadt verliebt, in der ich schon an
meinem achten Geburtstag im Kindermuseum im Schloss Schönbrunn beschlossen
hatte, hinzuziehen, wenn ich ‚groß‘ bin. ‚Groß‘ war ich noch nicht, als mein Kindheitstraum
mehr oder weniger spontan wahr wurde und ich den Entschluss fasste,
tatsächlich nach Wien zu ziehen. Und ich bin es auch heute nicht wirklich, aber die
Stadt – und alles was ich hier erlebt habe – hat mich definitiv wachsen lassen.
Dass ich als damals Neunzehnjährige einfach entscheiden konnte, in eine andere
Stadt zu ziehen, ist ein sehr großes Privileg. Das ist mir in Zeiten wie diesen bewusster
als je zuvor und deshalb möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch kurz
daran erinnern, dass nicht jede Person das Glück hat, sich ohne große Komplikationen
dazu entschließen zu können, von zu Hause aus- und in ein anderes Land
zu ziehen. Nicht jede*r hat so ein gut gefülltes Starterpack für das (Erwachsenen-)
Leben wie ich es zum Beispiel hatte und nicht jede*r kann so freie, unabhängige
Entscheidungen treffen.
DER VERSUCH EINES ABSCHIEDSBRIEFS
Wien, ich werde dich vermissen. Dein Leben, das in dir pulsiert und gerade jetzt
langsam wieder zu blühen beginnt. Deinen fast immer freien oder zumindest
vergünstigten Zugang zur Kultur, der Menschen aufsaugt und verzaubert wieder
ausspuckt, so wie es auch mir passiert ist.
Deinen Charme: deine Grantler*innen, dein Sudern, dein „zweite Kassa bitte“ im
Billa, deine zuverlässig stinkende, aber immer nach-Hause-bringende U6, deinen
leichten Hang zum Alkoholismus und zum Exzess.
Foto: © Dimitry Anikin | unsplash.com
26 | SEPTEMBER 2021
Deine Straßen, deine Grätzl, die mich immer wieder
aufgefangen haben und in denen ich mehrere Zuhauses
gefunden habe. Deinen bunten Topf an Menschen, die
für das brennen, was sie machen, von dem sie träumen
und von denen ich nun einige meine Freund*innen
nennen darf.
Aber warum gehe ich jetzt überhaupt? Weil der
einstige Kindheitstraum, in Wien zu leben, nun von
meinem anderen Kindheitstraum abgelöst wird:
Schauspielerin zu sein.
Jetzt könnte ich meinen, dass ich, wo ich schon den
einen Traum erfolgreich verwirklich habe, ganz gut
wissen müsste, wie das ist, wenn ein Traum nicht
mehr Flügel, sondern Beine hat, zur Realität wird und
plötzlich neben einem her spaziert. Aber das stimmt
nicht. Ich weiß gar nichts darüber und probiere aktuell
eher Schritt zu halten mit dem neuen, dem wahrgewordenen
Traum.
Gleichzeitig frage ich mich, wie man das macht: Abschied
nehmen. Und daher beende ich diesen Artikel
mit einer Frage: Wie kann man Abschied nehmen von
etwas, das man liebt, das man sich selbst ausgesucht
hat, das man aber einer anderen Liebe wegen verlassen
muss?
Eines ist mir zumindest klar: Menschen kommen, Menschen
gehen, aber eine Stadt, die bleibt. Das ist eine
beruhigende Gewissheit.
27 | SEPTEMBER 2021
information & entwicklung
Alltagssituationen:
Kinder positiv bestärken
WARUM PROFESSIONELLES, PÄDAGOGISCHES HANDELN WICHTIG
IST
Roswitha Maderthaner BEd
Montessoriepädagogin
Akademische Trainerin
Dipl.Biografiearbeiterin
Julian klettert auf einen Baum.
Mühsam hangelt er sich hinauf und
setzt sich schließlich auf einen etwas
höher gelegenen Ast. Voll Stolz blickt
er runter und ruft seiner Erzieherin zu.
„Guck mal, wie weit ich oben bin.“ Die
Erzieherin winkt ihm zu und bestätigt
ihm, dass sie ihn sieht und wie weit er
es geschafft hat. Sie nimmt Anteil an
seinem Erfolg und bestärkt sein Tun.
Eine andere Erzieherin, die das Geschehen
ebenfalls verfolgt, ruft Julian zu. „Oh
mein Gott, bist du weit oben, pass bloß
auf, dass du nicht runterfällst. Ehrlich gesagt
ist mir das viel zu hoch, komm bitte
sofort runter, damit dir nichts passiert.“
Alltagssituationen wie diese fordern
Pädagog*innen zum Handeln auf. Wie
dieses Handeln gestaltet wird, hängt von
der Professionalität der Fachkraft ab und
wird von deren Wissen und Können bestimmt.
Zudem spiegelt sich in ihrer Art
zu handeln, ihre pädagogische Haltung
ihre Kompetenz und ihr professionelles
Selbst wider. All das unterscheidet sie
von nicht professionalisierten Personen.
Was aber macht den Unterschied
zwischen professionalisiertem pädagogischem
Handeln und den nicht professionellen
Reaktionen aus?
Um pädagogisch professionell handeln
zu können, bedarf es laut Helsper (2021)
neben dem wissenschaftlichen pädagogischen
Wissen, sozialer Kompetenzen,
Routinen in der Interaktions- und Beziehungsgestaltung
auch einer Sinnerschließung
des Fallverstehens. Das heißt,
reines Theoriewissen, eine Erziehung
nach Buch funktioniert nicht. Vielmehr
muss die pädagogische Fachkraft eine
Situation richtig interpretieren können,
die Situation also verstehen können um
dann adäquat, das heißt, professionell
darauf reagieren zu können. Dewe
(2011) spricht davon, dass ein Handeln
nach Regelanwendung nicht dem pädagogischen
Anspruch gerecht wird.
Im Fall des kleinen Julians heißt das,
die Erzieherin muss die Situation richtig
interpretieren, damit sie professionell
darauf reagieren kann. Die eine Erzieherin
beobachtet wie geschickt sich
der Junge auf dem Baum bewegt, wie
stolz er ist, es geschafft zu haben. Sie
traut ihm das zu. Sie weiß, wie wichtig
es ist, dass Kinder die Erfahrung
machen, dass sie sich etwas zutrauen
können, dass sie geschickt sind.
Ebenso weiß sie, wie wichtig es ist,
dass Kinder am eigenen Leib spüren,
was sie sich zutrauen können. Und sie
kennt Julian aus früheren Beobachtungen.
Sie interpretiert die Situation
dahingehend, dass sie sein Können
mithilfe ihrer emotionalen Kompetenz
und Empathie bestärkt. Sie zeigt ihm,
dass sie ihn wahrnimmt, sie sieht ihn.
Sie beschreibt was sie wahrnimmt,
und nimmt so Anteil an seinem Erfolg.
Sie bestätigt ihn in seinen Fähigkeiten
und stärkt so sein Selbstvertrauen.
Dazu muss sie über ein Theoriewissen
verfügen, die Situation, den Fall richtig
interpretieren und innerlich ein Stück
zurücktreten. Eigene Erfahrungen mit
dem Klettern, mögliche Gefahren und
eigene eventuell ängstliche anerzogene
28 | SEPTEMBER 2021
Sichtweisen reflektieren und diese zu
Gunsten der Professionalität hintenanstellen.
All das läuft in Sekundenschnelle
ab. Erzieherisches Handeln, will es wirksam
sein, muss oft sehr schnell erfolgen.
Natürlich hilft einem hier die Erfahrung,
um die einzelnen Situationen erfolgreich
und schnell interpretieren zu können.
Professionelles pädagogisches Handeln
hat stets die Eigen - und Selbständigkeit
des Kindes zum Ziel. Schließlich soll die
Entwicklung vorangetrieben werden, und
dies ist dann möglich, wenn es gelingt,
dass das Kind kompetenter wird und sein
Leben immer selbstbestimmter meistern
kann.
Anders das Verhalten der zweiten Erzieherin.
Möglicherweise veranlassen sie
ihre unreflektierten Erfahrungen oder anerzogenen
Glaubenssätze, oder schlicht
das Nichtwissen dazu, entwicklungshemmend
zu reagieren. Auch ihre Botschaft
wird das Kind erreichen und dementsprechende
Gefühle hervorrufen. Es gibt also
immer eine Vielzahl an Möglichkeiten
von pädagogischen Handlungsweisen, ob
diese professionell sind bestimmen die
oben genannten Faktoren. Öffentliche
pädagogische Einrichtungen müssen den
Anspruch auf Professionalität stellen.
Dafür braucht es neben guten Rahmenbedingungen
bestausgebildetes pädagogisches
Personal. Das erfordert eine sehr
gute Grundausbildung, Selbstwahrnehmung,
Reflexionsfähigkeit und ständige
Weiterbildung. Ohne diese Faktoren
läuft die Fachkraft Gefahr, intuitiv, unbewusst
und unreflektiert zu handeln. So
gesehen wird dann Erziehung zu einem
Kinderspiel, einem unprofessionellen,
durchaus entwicklungsgefährdenden
und kann von sämtlichen ungeschulten
Personal geleistet werden.
Ein professionelles pädagogisches Handeln
ist deshalb wichtig, um Kinder in
ihrer Eigenständigkeit zu fördern, sie positiv
zu stärken, ihre Talente zu fördern
und ihre Entwicklung auf eine salutogene
Art und Weise voranzutreiben und
zu begleiten. Dazu bedarf es bestausgebildete
Fachkräfte. Alles andere als ein
Kinderspiel.
Foto © 12022868 | pixabay.com
29 | SEPTEMBER 2021
information & umwelt
Urlaub in Österreich:
Naturpark Zirbitzkogel-Grebenzen
ACHT BERGE WUNDERBAR WANDERBAR, EIN LÄCHELN!
Dipl.Ing. Alexander Ristic
Associated Press Austria
Seit über einem Jahr stellt uns die
Corona-Pandemie vor große Herausforderungen,
sowohl beruflich
als auch privat. Wir werden bald
die Pandemie besiegen, aber wir werden
umdenken, unser Leben verändern und
uns anders verhalten müssen.
Wir haben beschlossen unsere Umgebung
besser kennenzulernen und
unseren Urlaub im Naturpark
Zirbitzkogel-Grebenzen zu verbringen =
mit dem Auto nur 2,5 Stunden von Wien
entfernt.
Ankommen, durchatmen und eintauchen
in eine Bilderbuchlandschaft, die
vielfältiger nicht sein kann. Wir haben
uns die Zeit genommen, um bewusst
abzuschalten und die Natur und Familie
zu genießen.
Wir haben folgendes erlebt:
• Pöllauer und Zeutschacher Ursprungsquellen:
ein Schluck reines
Trinkwasser dient der Erfrischung
während der Wanderung
• Graggerschlucht: eine erfrischende
Wanderung durch eine wildromantische
Schlucht mit dem Rauschen des
Gebirgsbaches und einem malerischen
Kaskadenwasserfall
• 4-Seen Rundwanderung: Muhrenteich,
Podolerteich, Hasloberteich und
Ochsenstallteich und das alles in 2
Stunden
• Dürnberger Moor: Zeitzeuge der Eiszeit
mit sensiblem Lebensraum
• Mehrere Forellenteiche
• Streuobstwiesen
• derweg: Hans im Glück = ein Paradies
für Kinder
Die Natur in Zirbitzkogel-Grebenzen ist
aber nicht nur Ort der Erholung, sondern
auch ein umfangreiches Naturlehrbuch, das
Erstaunliches über unsere wunderschöne
Landschaft, Tiere und uns als Menschen
verrät. Wussten Sie, dass das Verhalten von
Fichtenzapfen bei Regen Vorbild für unsere
funktionelle Sportbekleidung ist? Wahrscheinlich
nicht, denn wir haben die Kunst in
der Natur zu lesen, leider vergessen.
Lassen Sie sich bei der nächsten Gelegenheit
oder im Urlaub auf die Natur ein. Bäume,
Blumen und Bäche – sie alle erzählen sehr
lernreiche Geschichten. Halten Sie kurz inne,
hören Sie genau zu und entdecken Sie dabei
sich selbst.
Wenn Du die Welt verändern möchtest,
musst Du Dich verändern!
„Wenn ich noch einmal zurück gehen
könnte, würde ich weniger Dinge so ernst
nehmen. Ich würde mehr in der Natur sein
und mehr Sonnenuntergänge betrachten.“
Jorge Luis Borges
Fotos: © DI Alexander Ristic
30 | SEPTEMBER 2021
31 | SEPTEMBER 2021
information & vielfalt
Brigitte Brüning:
ABC-Schützen in Frankfurt/Oder
NOSTALGIE SUCHT GERNE WÄRME IN LÄNGST ERKALTETEN NESTERN
© Michael Marie Jung
Artikel aus:
Unvergessene Schulzeit.
Band 1 und Band 2
Erinnerungen von Schülern und
Lehrern 1921-1962
384 Seiten, viele Abbildungen,
Zeitgut-Auswahl, gebunden
Zeitgut Verlag GmbH Berlin,
www.zeitgut.com
ISBN 978-3-86614-140-7
Fotos: © Zeitgut-Verlag
32 | SEPTEMBER 2021
Der 2. September 1946, mein
erster Schultag, war ein warmer
und sonniger Montag. Mein
Vati hatte mich im Sommer für
die Schule angemeldet. Jedes Kind, das
sechs Jahre alt war, wurde eingeschult,
aber auch Kinder, die bereits acht Jahre
alt waren, kamen in die erste Klasse.
Viele waren zwar schon 1944 während
des Krieges eingeschult worden, trafen
aber durch Flucht und Vertreibung aus
den Ostgebieten erst Mitte 1946 in
Deutschland ein.
In Frankfurt hatten am 1. Oktober 1945
drei Schulen den Schulbetrieb aufgenommen,
am 2. September 1946 kamen vier
weitere hinzu. Ich wurde im ehemaligen
Realgymnasium in der Wieckestraße
eingeschult. Ich hatte das rot-weißkarierte
Kleid an, das ich bereits in den
vergangenen zwei Jahren trug. Tante
Martha hatte es mit weißen Stoffstreifen
verlängert, so daß ich das Kleid noch
einige Zeit anziehen konnte. Dazu trug
ich braune Halbschuhe mit gehäkelten
Schnürsenkeln, die ich, zum Leidwesen
meiner Großmutter, immer noch nicht
zur Schleife binden konnte. Eigentlich
waren mir die Schuhe zu klein, aber mein
Vati hatte kurzerhand die Kappe vorn
aufgeschnitten. Alle zehn Zehen schauten
heraus, aber die Schuhe drückten
nicht mehr. Meine dunklen Socken bestanden
fast nur aus gestopften Stellen.
Meine Großmutter und mein kleiner Bruder
Hans-Dieter, der gerade fünf Jahre
alt geworden war, begleiteten mich zur
Schule. Wir gingen die Theaterstraße
entlang, an dem kleinen Park vorbei.
Rechts türmten sich Ruinen, Trümmerund
Schuttberge auf. Dort arbeiteten
Trümmerfrauen. Ihre Kinder spielten
am Rande mit kleinen Steinen, die sie
immer in das gleiche Loch warfen. Die
Frauen sortierten Trümmerteile von bereits
zum Einsturz gebrachten beschädigten
Häusern. Mauersteine, Dielen
und Holzbalken wurden gereinigt und
zur Wiederverwendung bereitgelegt,
ebenso Kabel und Rohre, die später
eingeschmolzen werden sollten. Holzreste
waren begehrtes Brennmaterial;
alles was nicht weiter verwendungsfähig
war, kam auf die Schutthalde.
Wir liefen auch an der Gurschstraße
vorbei, in der wir bis Februar 1945
gewohnt hatten. In der Endphase des
Krieges, als die sowjetischen Truppen
auf breiter Front die deutschen Grenzen
überschritten, waren wir nach Berlin
evakuiert worden und dort bei Tante
Lieselotte untergekommen. Das war
unser Glück, denn im April 1945 zerstörte
ein Bombenangriff fünf Häuser
der Straße, darunter auch unser Haus,
nur ein paar Wände blieben stehen.
Meine Gedanken gingen zu meiner
Mami, ich wurde ganz traurig und still.
Meine Mutter war erst im Januar an
einer Lungenentzündung gestorben.
Durch die schlechte Ernährung fehlten
ihrem Körper Abwehrkräfte, und sie
wurde krank. Innerhalb von nur vier
Tagen war sie tot. Das Penicillin, das
ihr Leben hätte retten können, gab es
in Deutschland noch nicht, erklärte mir
mein Vater.
Als wir in der Schule angekommen
waren, versammelten wir Erstkläßler
uns auf dem Schulhof, nur wenige
hatten eine Schultüte. Ich war glücklich
über meinen abgeschabten, alten, braunen
Ranzen. Ich weiß nicht, wo Vati ihn aufgetrieben
hatte. Viele Kinder mußten sich mit
einem kleinen Beutel begnügen. Im Ranzen
befanden sich Schiefertafel und Griffel. Ein
kleiner Lappen hing an einer Schnur herunter
und baumelte bei jedem Schritt. Von meinem
Teddy, meinem einzigen Spielzeug, schaute
der Arm heraus.
Unsere Namen wurden aufgerufen, ich kam
in die Klasse 1b. Wir waren 30 Jungen und
20 Mädchen. Unsere Lehrerin hieß Fräulein
Lucie Glaser. Sie hatte schon früher unterrichtet.
Sie war 35 Jahre alt, groß und dünn,
hatte lange rote Haare und ein blasses
Gesicht mit Sommersprossen. Fräulein
Glaser trug ein dunkelblaues Kostüm, eine
hochgeschlossene Bluse und schöne blaue
Absatzschuhe. Sie wirkte streng und unnahbar,
lächelte nie, sie war mir nicht gerade
sympathisch. Im Klassenraum wies sie jedem
Schüler einen Platz zu. Wir übten Stillsitzen
und still sein, Arme und Hände ordentlich
auf die Bank legen mit kerzengeradem
Rücken. Die Lehrerin ging mit festem Schritt
durch die Bankreihen. Wir saßen wohl nicht
so, wie sie es verlangte, und wir waren auch
nicht so still. Viele schwatzten, da rief sie:
„Euch wird das Schwatzen noch vergehen!“
Lilli wollte aufstehen und zur Toilette gehen,
aber Fräulein Glaser befahl, sie solle sich
wieder setzen und auf die Pause warten. Lilli
fing bitterlich an zu weinen und machte sich
in die Hosen. Auf ihrem Stuhl und darunter
bildete sich eine große Pfütze, die mußte sie
aufwischen und sich dann in die Ecke stellen.
Zuerst mußten wir unsere Ranzen und Beutel
auspacken, die Schiefertafel hinstellen und
den Griffel auf den Tisch legen. Ich setzte
auch meinen Teddy auf den Tisch, der
brummte auf einmal ganz laut. Wie schimpfte
Fräulein Glaser da mit mir: „Wir sind hier in der Schule und nicht im
Kindergarten!“
Ich hing so sehr an meinem Teddy. Seit meinem ersten Geburtstag
begleitete er mich, da hatte ich ihn von meiner Mami geschenkt bekommen,
sie hatte ihn auch schon als Kind gehabt. Nur ihn durfte ich
mitnehmen, als wir evakuiert wurden. Mit ihm habe ich Mutter und Kind,
Postbote und Doktor gespielt, er wurde gefüttert und gebadet. So sah er
allerdings nach all dem auch aus. Ich liebte ihn so, wie er war, für mich
war er der liebste Kuschel-Teddy, der mit mir weinte und mich tröstete,
wenn ich ganz traurig war ...
Plötzlich wurde ich aus meinen Teddy-Träumen gerissen. Fräulein Glaser
erklärte laut und mit Nachdruck, was sie von uns erwartete: Fleiß, Pünktlichkeit,
Unbestechlichkeit, Selbstzucht und Offenheit, die preußischen
Tugenden. Sie hasse Faulpelze und Feiglinge. Wir müßten lernen, mitarbeiten
und wißbegierig sein, wir lernten für unser späteres Leben, nicht
für sie. So hämmerte sie auf uns ein.
Inzwischen war es Mittag geworden. Wir erhielten Schulspeisung – eine
dicke Brotsuppe, die stark nach Kümmel duftete. Unsere Blechbecher
wurden bis zum Rand gefüllt. Wie genossen wir das! Mir schien es, als
hätte ich noch nie so eine leckere, köstliche Suppe gegessen. Für manche
Kinder war die Schulspeisung die erste Mahlzeit am Tag. Ich hatte schon
am Morgen eine klitschige Scheibe Brot, mit Öl beträufelt und mit wenig
Zucker bestreut, gegessen. Wie waren wir froh, wenn wir sattwurden
und es abends noch ein Hasenbrot gab. Der Vater hat von seinem Brot,
das er zur Arbeit mitnahm, für uns immer etwas übriggelassen.
Als die Schule für heute endlich aus war, beschloß ich, nicht mehr in die
Schule zu gehen. Ich fand die Lehrerin so streng. Aber wie sollte ich das
anstellen?
Da kam mir ein Gedanke. Schnell rannte ich von der Schule den Berg
hinunter, ich wollte hinfallen und mir den Arm brechen. Ich fiel auch hin,
schlug mir aber nur die Knie auf, es blutete sehr. Ich heulte jämmerlich.
Zu Hause wollte ich nicht sagen, daß ich das absichtlich getan hatte. Es
blieb mir also nichts anderes übrig, als mich am nächsten Tag wieder
tapfer auf den Schulweg zu machen.
Nach einigen Monaten fand
ich Fräulein Glaser doch ganz
nett. Später haben wir auch
den Grund für ihre Traurigkeit
erfahren: ihre gesamte Familie
war bei dem großen Bombenangriff
auf Dresden am 13. Februar
1945 ums Leben gekommen.
Ich wurde eine fleißige
Schülerin. 1950 kam ein
Fotograf in die Schule
und machte diese
Aufnahme von mir. Einen
Fotoapparat besaß mein
Vater nicht.
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