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SEITE 22 FREITAG, 29.

SEITE 22 FREITAG, 29. SEPTEMBER 2017 LESER ÖFFNEN IHRE GARAGE Liebe geht unter die Haube! Mit dem Fall der Mauer fielen 1989 auch Millionen Autos in Ungnade. Im ganzen Land? Nein, im kleinen Schwichtenberg halten einige tapfere Männer dem ostdeutschen Fahrzeugbau die Treue. Sie rackern, retten, restaurieren – und lassen die blaue Zweitaktfahne wehen. Von Konrad Wegener SCHWICHTENBERG. Einmal im Jahr gerät das kleine Schwichtenberg, irgendwo im Nirgendwo der Friedländer Großen Wiese, zum Dreh- und Angelpunkt der Oldtimerwelt. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Doch das Schwichtenberger Oldtimertreffen hat sich längst vom lokalen Ereignis zum veritablen Volksfest mit weitem Einzugsbereich gemausert. Die 10. Auflage zählte in diesem Jahr schon 320 Teilnehmer, glatte 100 mehr als im Jahr davor. Selbst aus dem fernen Saarbrücken kam jemand nach Schwichtenberg und legte damit um die 950 Kilometer zurück. Der Oldtimer von der Saar durfte indes gnädigerweise auf dem Trailer anreisen, sonst hätte die Fahrt wohl mehrere Tage gedauert. Will man verstehen, was die Faszination alten Blechs ausmacht, muss man mit den Machern vor Ort, den „Schwichtenberger Wiesenschraubern“ reden. Treffpunkt Freiwillige Feuerwehr Schwichtenberg. Das F8-Cabrio von Holger Lindenberg (Mitte) findet immer Bewunderer. Auch Wolfgang Lüdemann (vorn) und Reinhold Schwerin finden‘s toll, besonders den Hauch von Luxus im Inneren (kleines Bild oben). Wie Zündschlüssel früher aussahen (2. kl. Bild), wie spartanisch es im 500er zuging (3. kl. Bild) und ein einst begehrter Barkas (4. kl. Bild) lässt sich bei den Wiesenschraubern ebenfalls entdecken. FOTOS (5): KONRAD WEGENER Trabi-Träume in Panamagrün und Baligelb Das mit dem alten Blech ist im Übrigen relativ: Von den anreisenden Fahrzeugen ist nur eines völlig aus Metall, der Rest wird auch durch Sperrholz und Duroplast zusammengehalten – Stahl war in der jungen DDR Mangelware. Und wir treffen hier schließlich gleich auf 37 Jahre DDR-Fahrzeugbau. Auftritt Wolfgang Lüdemann. Er kommt mit seinem frisch restaurierten Trabant 601 angeknattert. Baujahr: 1988, einer der letzten. Farbe: „Panamagrün“. Wie bitte? Ausgerechnet „Panamagrün“ nannten die Zwickauer Autobauer diese Farbe ihres duroplastenen Freundes. Wo doch Panama eindeutig erzkapitalistisches Ausland – oder, wie es seinerzeit hieß: „NSW – Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet“ – war und ist. Also ebenso unerreichbar für DDR-Bürger wie der Mars oder eben ein Trabant zum Sofort- Mitnehmen. Hätten sie ihn nicht „Schilfgrün“ nennen können? Doch wer weiß: Vielleicht handelte es sich ja um einen Akt des zivilen Widerstandes im Sachsenring-Werk. Wir werden es nie erfahren. Es standen übrigens auch genauso unsozialistisches „Champagnerbeige“ und „Baligelb“ als Farben für den Trabi zur Auswahl… Jedenfalls hat der Klockower Hobbyschrauber zwei Jahre lang an seinem Schmuckstück gearbeitet, bis es wieder aussah wie neu: „Der Wagen war völlig heruntergekommen“, verdeutlicht Wolfgang Lüdemann seinen Aufwand. Denn wenngleich die Karosserie des Trabants aus Duroplast besteht und damit schlichtweg nicht rostet, gibt es darunter mehr als genug Blech, das vom Zahn der Zeit angenagt werden kann. „Räng däng däng!“ – die nächste Zweitaktfahne gehört zu Reinhold Schwerin und seinem Trabant 500. Immerhin 56 Jahre hat der 18-PS-Bolide auf dem Buckel und ist damit sozusagen der Opa von Wolfgang Lüdemanns Trabi. Die Würde des Alters ist dem Kugelporsche auch anzusehen – im Gegensatz zum glänzenden 601er trägt der Senior den Originallack und seine Patina mit Würde. Apropos Patina: Das ist ein relativ neuer Trend in der Oldtimer-Szene. Nicht substanzgefährdende Spuren des Alltags und der Nutzung werden geschätzt und penibel konserviert. Und so erzielen dann vermeintlich schrottreife Autos auf Auktionen höhere Erlöse als perfekt restaurierte, wenn zum Beispiel noch ein Kaugummi von Elvis Presley Das ist kein Auto, das ist eine Zeitkapsel – ein rollendes DDR-Museum mit Stern-Radio und Campingtisch. unterm Sitz klebt. Ob Reinhold Schwerin das weiß? Seit fünf Jahren besitzt der Ferdinandshofer den 500er und freut sich immer noch wie am ersten Tag darüber. „In Anklam habe ich dafür noch einen nagelneuen Motor ergattert, das war wie ein Sechser im Lotto“, erzählt er. Dann lächelt er verschmitzt, öffnet den Kofferraum und zeigt seine Schätze: Ein originales Nummernschild. Danach ein Stern- Radio in der originalen Hülle. Es folgt eine alte Luftpumpe und ein Campingtisch samt -stühlen. Für eingefleischte Oldtimer-Fans ist derartiges Original-Zubehör Gold wert und oft noch seltener als die alten Autos selbst. Und als Krönung findet sich auf der Hutablage das Heftchen „Anleitung zur Ersten Hilfe bei Unfällen“ sowie ein Reparaturhandbuch für den Trabi. Das ist kein Auto, das ist eine Zeitkapsel, ein rollendes DDR- Museum. Der dritte im Bunde ist Egbert Steckel. Und passenderweise fährt er auch den einzigen Dreizylinder unter den anwesenden Zweitaktern. Sein Barkas B1000 ist das ostdeutsche Pendant zum VW-Bus und erblickte 1964 das real existierende Licht der DDR-Autowelt. Seinerzeit konnte der 4,50 Meter lange Kleintransporter durchaus noch mit der westlichen Konkurrenz mithalten und war die fahrende Allzweckwaffe für alle Belange des sozialistischen Alltags. Es gab ihn als Krankenwagen, Kleinbus, Polizeifahrzeug, Kleinlöschfahrzeug, Pritschentransporter, Sattelschlepper und Militärfahrzeug. Er hatte nur einen entscheidenden Fehler: Man bekam ihn nicht. Noch viel weniger als ein normales Auto. Der Barkas war selbst als alter Gebrauchtwagen kaum zu ergattern – das galt auch für viele Betriebe, die ihn gern gehabt hätten – und kostete selbst dann noch ein halbes Vermögen. 1989, kurz vor der Wende, wurde dem Transporter in einem Akt der Verzweiflung ein Viertakt-Spenderherz von VW eingepflanzt, auf dass der Barkas endlich einen modernen Motor habe. Der Volksmund spottete über die „Mumie mit Herzschrittmacher“ und sollte recht behalten: Ähnlich wie beim Trabant 1.1 und dem Wartburg 1.3 überholte die Geschichte auch den gedopten Barkas und mit ihm den gesamten ostdeutschen Fahrzeugbau gnadenlos in ungleich moderneren „Westwagen“. Egbert Steckel rettete seinen achtsitzigen Barkas aus Burg Stargard, überholte ihn und spendierte ihm ein neues Farbkleid in Beige. Nur 400 Stück vom IFA Cabriolet soll es geben Kommen wir zum Schmuckstück des Tages. Eine betörende Sinfonie aus glänzendem Chrom, schwarzem und weißem Lack, geschwungenen Formen und rotbraunem (Kunst-)Leder. Ein IFA F8 Cabriolet. 66 Jahre alt und sehr selten – es sollen nur 400 Stück entstanden sein. Auch hier knattert ein Zweitaktherz unter der Haube, das den edlen optischen Eindruck akustisch ein wenig schmälert. Aber zu seiner Zeit war der Zweitaktmotor des F8 noch en vogue und keineswegs veraltet. Holger Lindenberg hat fünf Jahre an der Renaissance des seltenen Wagens gearbeitet, dessen Verdeck und Innenausstattung zuletzt einem Schäferhund als Kauknochen diente. Damit ist der Gesamtzustand des Wagens zum Zeitpunkt seiner Auffindung eigentlich schon umfassend beschrieben. Zum Glück ist Holger Lindenberg Tischler. Denn die elegante Außenhülle, „geschneidert“ vom VEB Karosseriewerke Dresden, sitzt auf einem Rahmen aus Holz. „Der war allerdings völlig verfault“, erinnert sich Lindenberg. Mit viel handwerklichem Geschick und Holz aus dem Baumarkt kopierte der Oldiefreund das Gerippe des Cabrios Stück für Stück und belebte den F8 wieder. Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Hälse recken sich, wenn das Auto auftaucht, und mit einer Engelsgeduld beantwortet Holger Lindenberg quasi bei jedem Tankstellenbesuch die immer selben Fragen der Menschen zu diesem fahrenden Hingucker. Nur eine beantwortet er stets mit freundlichem „Nein“ – die, ob das Auto zu verkaufen sei… Wiesenschrauberehre!

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