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Rotary Magazin 09/2021

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Rotary Magazin 09/2021

THÈME DU MOIS –

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – SEPTEMBRE 2021 ROTARISCHER GASTBEITRAG SPAZIERGANG U Was ist Kunst? ein Gedankenaustausch zweier Philosophen 30 Erdrückend heiss dieser Nachmittag in Athen. Kurz entschlossen schickt der grosse Philosoph Platon einen angeheuerten Läufer nach seinem Schüler Aristoteles, einem ebenso bedeutenden Philosophen, um ihn zu einem Gedankenspaziergang im kühlen Pinienhain am Stadtrand einzuladen. Hinkend und mit viel Verspätung kommt Aristoteles keuchend daher, sein linkes Bein von nassen Binden recht unprofessionell umwickelt. «Was nur fügten zu Dir die Götter, mein lieber Aristo?», erkundigt sich Platon besorgt. «Was heisst hier Götter, Du bist an allem der Schuldige, auf Deiner Wahrheit bauend bin ich über selbige gestürzt.» «Sag, mein Freund, wie ging das zu?», begehrte Sokrates zu erfahren. Aristoteles rieb sich die leicht unästhetisch wirkenden Binden mit verzerrtem Gesicht, sie waren wohl ein wenig zu stramm gewickelt: «Du hast mich unterwiesen, ein Bild sei dann von Wahrheit, wenn es eine echte Mimäsis, d. h. ein getreues Abbild der Natur, darstelle; so war es doch, nicht wahr! Du fordertest, das Bild eines Künstlers habe immer eine genaue Abbildung der uns umgebenden Wirklichkeit zu sein. Je genauer, umso künstlerisch wertvoller und umso näher der Wahrheit allen Seins.» «Ja ja, und», unterbrach ihn fragend der weise Platon, «davon verstaucht man sich doch nicht gleich den rechten Fuss.» «Der linke, der linke», jaulte Aristoteles wie ein getretener Hund und rapportierte weiter: «Mein Freund, der berühmte, von den Göttern mit Talent nicht wenig beschenkte Kunstmaler Zeuxis aus Herakleia, er ist Dir ein nicht Unbekannter, der hat doch meinen neumodischen Lunchroom mit vorgesetzter Kittos-Pergola, Du verstehst: mit Efeu bewachsen, zu malen beliebt, ich brachte Dir neulich Kunde davon, Du magst Dich wohl ihrer erinnern. Nun das Abbild mit dem Original zu vergleichen, hiess ich meine Dienerinnen Empaia und Euätheia, Selbiges im Esszimmer der Wand anzulehnen.» «Ja und», drängte Platon weiter, ungeduldig seine Philosophenstirn runzelnd: «Und?» «Na, ja, ich hatte meine Lünette nicht auf meine Nase gezwickt, solche ich doch zum Lesen der Steintäfelchen unbedingt zu Gebrauche nehmen muss, da die zeitgenössischen Schreiber, diese schlampigen Grapheis, so liederlich das Einritzen verrichten, und da ist mir doch irrtümlicherweise – jawohl, mir eine peinliche Erfahrung, die Erkenntnis an mir selbst tun zu müssen, dass auch ein Aristoteles des Irrens fähig ist –, und da ist mir doch irrtümlicherweise in mich niedersetzen wollender Absicht Verwechslung des Stuhles auf dem Bild mit dem richtigen Stuhl unterlaufen, und den Rest, den Dir auszumalen, dürfte ein Probläma Dir nicht sein. Ich sass nicht wie üblich auf meinem Stuhl, ich sass auch nicht auf dem Stuhl im Bild, nein, ich lag mit verletztem Bein auf dem Boden. Meinem Schmerz mögest Du erlesen, wie vortrefflich des Zeuxis’ Mal-Wirklichkeit mit der wirklichen Wirklichkeit meines Stuhles in meinem Lunchroom zur Kongruenz kommt.» Platon musste sich seinen noch nicht vorhandenen Altersbauch vor Lachen halten: «Das ist doch nicht Dein Ernst: mein Aristo, ein Wunderphilosoph und doch ein ungeschickter Dummkopf, wirklich, nein, dass ich nicht lache.» «Aber dessen ist so», stöhnte Aristoteles weiter: «Abbild oder nicht Abbild, das Bild, nai ma Dia, beim hehren Zeus, immer eine Lüge bleibt, repräsentierend einen Inhalt, der es als Objekt nicht ist. Schau mich an, mich Hinkenden: Der Stuhl auf dem Bild ist eben kein Stuhl, Du siehst es ja, man kann nicht darauf sitzen, und wenn er noch so naturgetreu gemalt ist. Lügen hinken immer, hier, mein linkes Bein Dir zum Beweis.» Aristoteles’ Gedanken waren jetzt so richtig in Schwung gekommen: «Möge der Zeuxis in Zukunft keine Mimäsis, also keine Abbilder mehr schaffen, keine Natur mehr malen, ich meine, nicht mehr solche naturalistischen, figurativen Schinken, da auch er nicht hält der Götter Wahrheit in Händen. Soll er doch fürderhin auch so neumodisch abstrus, was sag’ ich da, ha, ein Freud’scher Versprecher, ich meine, so neumodisch abstrakt malen. Nicht der Götter Wahrheit soll er auf Leinwand bringen, nein, die ihm zu eigene, seine Wahrheit soll er malen.» Aristoteles entrollte seine Gedankenführung weiter: «Meine Vision der Kunst, vielleicht wird es mehr der Jahre als Tausend brauchen, dass sie Wirklichkeit werde, meine Vision der Kunst ist: Künstlerisches Gestalten aus den seelisch-geistigen Kräften des Künstlers heraus als ein ganz und gar subjektives Nach-aussen-Legen von zuvor nach innen Rot. Wilhelm Kufferath von Kendenich (RC Olten), geboren am 2. März 1939 in Düren, ist ein Schriftsteller und Kulturschaffender. Seine Bücher behandeln kunstphilosophische Themen. Seit 1990 ist er Professor der Universität Graz für Angewandte Unternehmensführung. Einen grossen Teil seiner Einnahmen aus seinen diversen Aktivitäten, den Kunstausstellungen und dem Verkauf seiner Bücher, seiner Bildobjekte und Skulpturen stellt er dem rotarischen Projekt mine-ex zur Verfügung. Kufferath ist verheiratet und lebt in Trimbach, Schweiz.

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – SEPTEMBRE 2021 NTER PINIEN 31 «Und der Schatten», dachten die beiden Denker zeitgleich und in völliger innerer Übereinstimmung, «könne manchmal ja auch ganz angenehm sein» genommenen Bildern dieser Welt, nicht in Freiheit, sondern aus Freiheit, aus innerer Freiheit, eleuteros, frei von den Fesseln inhaltlicher Skopoi, inhaltlicher Zwecke, und gefertigt aus jedwedem Stoff, welcher sich nur denken lässt. Erst dann werden wir endlich vermögen, uns zu fühlen völlig frei vom inneren Zwang zur Interpretation, die doch da ist nichts anderes als der Mittelmässigkeit Rache am Genius.» Platon kam dazu nur in den Sinn: «Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort!» Schillers Wallenstein! Sie redeten noch lange, aber aus der Promenade im Hain wurde heute nichts, gut so, da doch die Hitze so überaus drückend ist. Platon sinnierte vor sich hin: «So muss es wohl sein: Das Licht der Wahrheit bleibt uns Irdischen für immer versagt; solange wir sterblich, haben wir uns mit deren Schattenbild zu begnügen.» «Und der Schatten», dachten die beiden Denker zeitgleich und in völliger innerer Übereinstimmung, «könne manchmal ja auch ganz angenehm sein.» Ob solcher Erkenntnis stellte Aristoteles’ Bein mit einem Mal zu schmerzen ein. Beinahe hätte er einen neuen Gedanken ins Gespräch gebracht, so erleichtert fühlte er sich: «Es kommt eben nur auf die richtige Therapie an», wollte er gerade zu denken ansetzen. Aber für eine solche Überlegung war es heute nun doch entschieden zu heiss. Mehr dieses Vorfalles ist uns nicht überliefert, nur eines noch kam uns zu Ohr: Ganz Athen grinste monalisisch über den Vorfall. K Rot. Wilhelm Kufferath von Kendenich A iStock

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