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Taxi Times München - 3. Quartal 2020

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VERKEHRSPOLITIK

VERKEHRSPOLITIK POP-UP-RADWEGE – POP-DOWN DASEINSVORSORGE Die neuen Bikelanes in München machen den Taxifahrern das Leben schwer. Radfahrer sind die Gewinner – Senioren könnten die Verlierer sein. Fast über Nacht waren sie da: Pop-up-Bikelanes – zu Deutsch Fahrradspuren auf Zeit. Mehr Platz für die Fußgänger auf dem Bürgersteig, mehr Platz für die Radfahrer auf der Sonderspur – eine Win-win-Situation. Eine dritte Partei kommt in den Planungen zu kurz: die Auto- und mit ihnen in Sippenhaft die Taxifahrer. Denn jeder Pop-up-Radweg wird mit dem Wegfall einer Fahrspur erkauft. Und nicht nur das: Mit den Radwegen ändert sich auch die Verkehrssituation für Anwohner, Geschäfte, Lieferanten und Taxifahrer. Viele Radfahrer träumen von einer autofreien Innenstadt. In Städten wie Brüssel oder Utrecht ist man da schon einen Schritt weiter, doch selbst dort wurde das Auto nicht einfach ausgesperrt. Es wurden alternative Konzepte entwickelt, die gerade die Mobilität der betroffenen Bürger sicherstellen sollen, wie zum Beispiel Mini-Taxis, die insbesondere Senioren befördern. In Utrecht geben von der Stadt finanzierte Fahrradlehrer Unterricht oder helfen neu Zugezogenen, sich auf dem Rad in der Großstadt zurechtzufinden. Außerdem gibt es Straßen, in denen das Auto zwar untergeordnet ist, aber kein Tabu. Solche Ideen fehlen bei uns. Dass solche Konzepte den Einzelhandel beleben können, belegt die Wiener Mariahilfer Straße. Da wurde ein „Shared-Space“-Konzept zur Probe eingeführt. Dabei teilen sich Autos mit Schrittgeschwindigkeit den Verkehrsraum mit Bussen, Fahrrädern und Fußgängern. Als die Probezeit um war, sprachen sich bei einer Befragung 71 Prozent für eine Beibehaltung aus – heute gelten die 1,8 Kilometer im Zentrum Wiens als beispielhaft für eine moderne Großstadtmobilität. Die Hälfte der Rosenheimer Straße gehört vorübergehend den Radfahrern. Zum Fototermin war die Spur allerdings leer. VERKEHRSVERSTOSS VORPROGRAMMIERT Und München? Das Modellprojekt in der Fraunhoferstraße ruft ein geteiltes Echo hervor. Radfahrer profitieren, Geschäfte klagen über Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent, Handwerksbetriebe ziehen weg, Abholung oder Lieferung von Waren ist nur jenseits der Legalität möglich. Ein großes und manchmal auch teures Problem für Taxifahrer und deren Fahrgäste, die beispielsweise aus Arztpraxen abgeholt werden möchten: Das Halten oder gar Parken ist weder auf noch neben dem Radweg erlaubt. Was bisher fast als „Kavaliersdelikt“ galt, kostet nach der geplanten Verschärfung des Bußgeldkataloges 70 Euro und einen Punkt in Flensburg. Kommen Behinderung oder Verkehrsgefährdung dazu, kann es noch teurer werden. Als mit Ausbruch der Corona-Pandemie der Straßenverkehr plötzlich drastisch zurückging, witterte das „Bündnis Radentscheid München“, dem wir auch die Regelung in der Fraunhoferstraße verdanken, Morgenluft und startete eine an den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter gerichtete E-Mail-Petition. Darin heißt es: „Derzeit steigen immer mehr Menschen coronabedingt auf das Fahrrad um, da sie die U-Bahn, Bus und Tram meiden wollen. Dadurch wird es auf unseren Radwegen ganz schön eng. Ich habe Angst, dass ich und meine Kinder/Familie dadurch gefährdet werden oder wir andere gefährden. Zudem mache ich mir Sorgen, ob wir den Mindestabstand zu anderen Menschen einhalten können. Die Situation ist für mich sehr belastend, denn auch wenn ich Wege vermeide, muss ich doch zum Einkauf, auf den Weg zur Arbeit oder auch zum Sport nach draußen und nutze dafür das Fahrrad.“ Und weiter: „Ich möchte Sie daher eindringlich bitten, kurzfristig auf den Straßen in München mehr Raum für uns Menschen zu schaffen und einen sicheren Radverkehr zu ermöglichen. In anderen Städten, etwa in Berlin, Paris, Brüssel oder Bogota, werden dafür Pop-up-Bikelanes eingerichtet.“ Auf dem Wunschzettel des Bündnisses aus ADFC, den Grünen, der Linken, dem Bund Naturschutz, der ÖDP und anderen standen Sonnenstraße, Widenmayerstraße, Ludwig- und Leopoldstraße. Das führte letztlich zu der Stadtratsentscheidung, vorerst fünf Münchner Straßen und befristet bis Ende Oktober 2020 mit Pop- FOTO: IsarFunk 24 3. QUARTAL 2020 TAXI

VERKEHRSPOLITIK up-Radwegen zu versehen. Betroffen sind Elisenstraße, Theresienstraße, Gabelsbergerstraße, Zweibrückenstraße und Rosenheimer Straße in zwei Abschnitten. Auch wenn der Autoverkehr inzwischen wieder stark zugelegt hat, dürfte das bis auf Ausnahmen kaum zu zusätzlichen Einschränkungen führen – war man Staus auf diesen Streckenabschnitten doch vorher bereits gewöhnt. Die Rosenheimer Straße war eh schon ein halber Radweg, in der Elisen- und Gabelsbergerstraße gab es sowieso regelmäßig Fahrbahnverengungen durch Baustellen und in der Zweibrücken- und Theresienstraße standen durch Ladetätigkeit blockierte Fahrspuren auf der Tagesordnung. DASEINSVORSORGE WIRD ERSCHWERT Doch was bedeuten die Pop-up-Radwege für Taxifahrer? Ein Halten in zweiter Reihe zur Aufnahme oder zum Absetzen von Fahrgästen ist in den Straßen mit Fahrradspuren so gut wie unmöglich. § 12, Abs. 4, Satz 3, StVO findet hier keine Anwendung, da ein Halten nur dann möglich ist, wenn die Verkehrslage es zulässt und niemand behindert wird. Das geht nun weder auf dem Radweg noch auf der verbliebenen Fahrspur, denn eine zweite Reihe gibt es da nicht. Ingo Trömer vom zuständigen Planungsreferat sieht das auf Nachfrage so: „Erforderliche Hol- und Bringvorgänge, auch bei Arztbesuchen, können durch kurzzeitiges Halten in den vorhandenen Parkbuchten und Lieferzonen, ggf. unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln wie beispielsweise Rollstühlen, getätigt werden. Sofern es die Verkehrslage zulässt, dürfen Taxis auch zum Ein- und Aussteigen kurz am rechten Fahrbahnrand (aber nicht auf dem Radfahrstreifen) anhalten. Bei allen Pop-up-Radfahrstreifen sind die rechts daneben existierenden Parkplätze erhalten geblieben.“ In der Realität bedeutet das, dass ein Taxifahrer auf einen freien Parkplatz warten müsste. Vielleicht gelingt es, in einer Einfahrt zu halten – natürlich, ohne Bürgersteig und/oder Radweg zu blockieren –, allerdings nur kurz. Parkt man nämlich eine Einfahrt zu, dann kann das eine Nötigung bedeuten – und beim Zugeparkten zu einem Vermögensschaden führen. Entsprechende Fälle mit Taxis sind belegt. Eine Abholung in der Praxis oder an der Wohnungstüre ist in diesen Straßen kaum mehr möglich. Gerade ältere Menschen müssen so auf diesen Teil ihrer Daseinsvorsorge, nämlich Mobilität, verzichten, weil sich offenbar keiner der Verantwortlichen Gedanken darüber gemacht hat, wie die gesellschaftlich so wichtige Dienstleistung „Taxi“ weiterhin erbracht werden soll. Richtig ist, dass Verkehrsflächen in den Innenstädten zukünftig anders verteilt werden müssen. Ein bloßes Umwidmen von Fahrspuren zu Radspuren ist keine Lösung. Das Taxi bleibt dabei nämlich auf der Strecke und damit ausgerechnet auch die Bürgerinnen und Bürger, die besonders darauf angewiesen sind – und wahrscheinlich nicht aufs Fahrrad oder Elektroroller umsteigen werden. Weil sie es nicht können. tb UNTER STÜTZER DES TAXI GEWERBES TAXI 3. QUARTAL 2020 25

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