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Taxi Times München - Juli 2019

PORTRÄT »ICH KEIN BIN

PORTRÄT »ICH KEIN BIN TALIBAN!« Rassismus im Alltag? Kollege Singh erlebt ihn täglich. Dabei ist er längst deutscher, als sein Aussehen es vermuten lässt. Du weißt doch gar nicht, wo die Chiemgaustraße ist!“ Bis zu Hausnummer 133 war es eine ganz normale Taxifahrt. Von einer Kneipe an der Richard-Strauss-Straße sollte es nachts in die Chiemgaustraße 93 gehen. Taxikollege Harpinder Singh macht das, was 99 Prozent aller Taxifahrer machen würden: Er fährt durch den Leuchtenberg-Tunnel und dann immer den Mittleren Ring entlang. Ab Chiemgaustraße 133 war nichts mehr wie vorher. Der Fahrgast beginnt den Fahrer zu beschimpfen. Los geht es mit: „Du weißt doch gar nicht, wo die Chiemgaustraße ist!“ Harpinder Singh antwortet ruhig: „Doch, das weiß ich. Wir sind schon in der Chiemgaustraße.“ „Quatsch!“, so der Fahrgast weiter, „das ist hier die Balanstraße!“ Und Kollege Singh immer noch ruhig: „Doch, wir sind schon in der Chiemgaustraße.“ Darauf der Fahrgast auffordernd: „Dann zeigen Sie mir, wo die 93 ist!“ Auf den letzten 500 Metern der Fahrt gerät der Fahrgast außer Kontrolle. Während Singh die Zentrale kontaktiert, läuft sein Fahrgast zur Höchstform auf. Es fallen Bemerkungen wie: „Wenn du Deutsch lernen wie ich, dann kannst du reden!“, „Gesindel! Ich kenne euch! Nur nicht frech werden!“, oder: „Du hast dich unterzuordnen! Du hast mich zu fahren und die Klappe zu halten!“ und schließlich: „Kill the motherfucker! Leck mich!“ Schließlich steigt der Fahrgast, selbst Ausländer, aus und zeigt dem Fahrer auf offener Straße sein Geschlechtsteil. Harpinder Singh ist ein ruhiger, offener Mensch. Der 39-jährige Kollege ist schlank, zwei freundliche Augen blitzen einen an und der Bart verdeckt nur unvollständig ein ebenso freundliches Lächeln. Gerade dieser Bart ist es, an dem viele seiner Mitmenschen Anstoß nehmen. Und der Turban natürlich, den er – entsprechend seiner Religion – in der Öffentlichkeit niemals abnehmen würde. „I’m not a Taliban!“ Wegen seines Aussehens muss sich Kollege Harpinder Singh immer wieder rechtfertigen. SINGH IST SIKH Harpinder Singh ist Sikh und Taxifahrer in München. Was hier zumindest etwas ungewöhnlich ist, wäre in London oder New York das Normale. Dort leben große Sikh-Gemeinden und Taxi fahrende Sikhs gehören zum Alltag. Der Sikhismus ist eine monotheistische Religion, die ihren Ursprung in Indien hat und der etwa 27 Millionen Menschen angehören. Die Sikh-Religion betont die Einheit der Schöpfung und verehrt einen gestaltlosen Schöpfergott, der weder Mann noch Frau ist. Sie orientiert sich nicht an der Einhaltung religiöser Dogmen, sondern hat das Ziel, religiöse Weisheit auf den Alltag anzuwenden. Äußeres Zeichen der Religionszugehörigkeit sind der kunstvoll gebundene Dastar, der Turban also, und der ungestutzte Bart, sowie ein eiserner Armreif. Harpinder Singh ist seit 23 Jahren in Europa, die letzten neun davon in Deutschland. Er kommt aus Indien, genauer gesagt aus dem Bundesstaat Punjab, wo auch seine Religion ihre Wurzeln hat. Er ist mit einer Inderin verheiratet, hat zwei Kinder, zahlt seine Steuern und besitzt seit Anfang des Jahres einen deutschen Pass. Singh spricht sechs Sprachen – Deutsch ist seine Lieblingssprache – kümmert sich liebevoll um seine Kinder, arbeitet nachts als Taxifahrer, um seine Familie angemessen zu versorgen. Er ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration, für das, was die deutsche Politik von Menschen aus anderen Kulturen erwartet und zum Teil sogar fordert – und er wird trotzdem ausgegrenzt im Alltag. Und vor allem während der Arbeit. Von sich selbst sagt er: „Ich habe meine Heimat mit 16 Jahren verlassen. Ich muss mit den Menschen hier leben. Dafür brauche ich Geduld.“ Und er sagt: „Ich bin Deutscher. Ich kann mich mit jedem Menschen hier unterhalten. Und ich kenne mich in München aus.“ Ist vielleicht der Turban schuld daran, dass er immer wieder Rassismus und Ausgrenzung erfährt? „Nein“, sagt Singh, „ich trage Turban und Bart erst seit einigen Jahren. Vorher war es auch nicht anders. Im Gegenteil, mit Turban erfahre ich oft mehr Respekt als früher. Viele sagen mir sogar am Ende einer Fahrt, ich soll so bleiben, wie ich bin!“ Eine alltägliche Situation: Der Kunde in der Kneipe hat mit seinem Smartphone direkt bei der Zentrale ein Taxi bestellt. Singh will seinen Fahrgast dort abholen, wird aber nur ausgelacht. „Hier kommt der Taliban!“, rufen sie. Wer sein Kunde ist, erfährt er nicht. FOTOS: Buntrock; IsarFunk 22 JULI / 2019 TAXI

PORTRÄT Er meldet sich bei der Zentrale. Die storniert bei ihm den Auftrag – und schickt ein neues Taxi, da der Kunde inzwischen schon wieder bestellt hat. „Das tut weh“, sagt Singh. „Statt ihm ein neues Taxi zu schicken, sollten sie ihm sagen: ‚Du hast unseren Fahrer schlecht behandelt. Du bekommst heute kein Taxi!‘ Aber das machen die oft nicht.“ Singh geht es dabei nicht um Rache oder Respekt. Singh will Gerechtigkeit – als Mensch. KEINE HILFE VOM KOLLEGEN DAHINTER Wie neulich, nachts am Odeonsplatz, als ihn ein amerikanischer Fahrgast angegriffen hat. „Wären wir hier in Kalifornien, dann würde ich dir zeigen, wie wir dort mit Taxifahrern umgehen!“, hatte der gesagt und wollte sich mit ihm schlagen. Der Kollege hinter ihm hat sich die Szene in aller Ruhe angesehen und nichts gemacht. Erst der dritte Kollege ist dann ausgestiegen und ihm zu Hilfe gekommen. Oder als er eine Frau zur Olympiahalle fahren sollte und die plötzlich anfing, ihn zu beschimpfen. Vor der Polizeiwache in Giesing hielt Singh dann an, während die Kundin schon mit der Zentrale telefonierte: „Ich brauche einen normalen Taxifahrer, möglichst einen Deutschen!“ Die Zentrale erklärte sachlich, dass das nicht möglich sei. Sie hätte keinen Anspruch darauf, einen deutschen Taxifahrer zu bekommen. „Dann halt wenigstens einen netten!“ Zwei Polizisten, die zufällig vorbeikamen, klärten dann die Situation. Plötzlich behauptete die Frau, der Fahrer hätte sie angegriffen und sie braucht jetzt ein neues Taxi. Der Polizist sagte zu ihr, sie braucht erst mal kein neues Taxi, sie muss nämlich erst mal das andere Taxi bezahlen. Singh bekommt sein Geld – und die Frau ein neues Taxi. Trotzdem bleibt bei ihm ein schlechtes Gefühl. Von einigen dieser Erlebnisse hat er Tonmitschnitte auf seinem Smartphone. Deshalb beruhen die hier dargestellten Vorfälle nicht auf Hörensagen, sondern sie haben sich wirklich so abgespielt. Harpinder Singh will weitermachen. Taxifahrer ist sein Beruf. Er macht ihn gerne. Er kommt mit seinem Unternehmer seit Jahren gut aus. Er will auch nicht von der Zentrale, für die er fährt, zu mytaxi oder Uber wechseln, auch wenn Kollegen ihm sagen, dass dort alles viel besser wäre. Er vermutet, dass die dort eh nur seine Daten und seine Kunden haben wollen. Er will auch weiterhin in der Nacht fahren, weil er sich sein Leben so eingerichtet hat, weil er sich auskennt in der Nacht, weil er auch nette Erlebnisse mit Fahrgästen hat. „Ich will mit den Menschen hier auskommen“, sagt er immer wieder, „doch dafür brauche ich oft viel Geduld!“ tb TAXI UND TOLERANZ GEHÖREN ZUSAMMEN Ein Statement von Hans-Jürgen Dinter, Vertriebsleiter von IsarFunk, zu den oben geschilderten Erlebnissen. „Das Taxigewerbe ist ein Vielvölkergemisch. Ein großer Teil unserer rund eintausend Fahrerinnen und Fahrer hat einen Migrationshintergrund. Auch in unserer Zentrale arbeiten Menschen unterschiedlichster Herkunft und Glaubensrichtung. Unsere Fahrgäste kommen aus allen Regionen der Welt. Sie dürfen erwarten, wegen ihres Ursprungslandes, ihrer Religion oder auch ihrer sexuellen Orientierung im Taxi nicht angefeindet zu werden. Für unsere Kollegen auf der Straße gilt das ganz genauso: Wird uns bekannt, dass Kunden bestimmte Fahrer aus rassistischen Gründen ausgrenzen, lehnen wir die Zusammenarbeit ab – egal wie viele Fahrten wir dadurch verlieren. ,Deutscher Fahrer‘ ist kein Bestellmerkmal bei IsarFunk. Taxi und Toleranz gehören nun mal zusammen.“ Dr. J. Cichon Unfallschadenregulierung Fahrerlaubnisrecht Erbrecht M. Werther* Fachanwalt Verkehrsrecht Zivilrecht Dr. Cichon & Partner* S. v. Kummer* Fachanwalt Familienrecht Sozialrecht Rechtsanwaltskanzlei Tätigkeitsschwerpunkte J. Buchberger* Fachanwalt Strafrecht Bußgeldsachen UNTER STÜTZER DES TAXI GEWERBES N. Nöker Fachanwalt Arbeitsrecht Verwaltungsrecht A. Friedmann Fachgebiet Gewährleistungsrecht Reiserecht M. Wunderlich- Serban Fachanwalt Mietrecht Privatinsolvenzen Johann-von-Werth-Straße 1, 80639 München, Tel. 089-13 99 46-0, Fax 089-16 59 51 cichon2014.indd 1 04.12.14 09:37 TAXI JULI / 2019 23

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