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Getränke! Technologie & Marketing 2/2024

Getränke! Technologie & Marketing, Fachzeitschrift für die Getränkeindustrie, ist die Fachpublikation für Führungskräfte der industriellen Getränkeherstellung im deutschsprachigen Raum. Wir berichten mit praxisorientierten Fachbeiträgen, Kurzartikeln und Meldungen über Roh­ und Zusatzstoffe, ihre Anwendungen, Herstellungstechnologie, Verfahrensund Prozesstechnik, Automatisierung, Verpackungstechnologie und material, Lagertechnik, Logistik und über Marketing und Märkte.

ROH- UND INHALTSSTOFFE |

ROH- UND INHALTSSTOFFE | Alkoholfreier Wein UNSERE GENUSSWELT HAT SICH VERÄNDERT Plötzlich liegt alkoholfreier Wein im Trend Als einst die ersten Bioprodukte in die Supermärkte kamen, fristeten sie dort ein trostloses Dasein. Äpfel lagen verschrumpelt in Holzkisten, die in irgendeiner Ecke standen, und niemand wollte sie kaufen. Ähnlich war es mit den ersten alkoholfreien Weinen. Die Flaschen standen verstaubt und versteckt in den Regalen, weil sich niemand für sie interessierte. Und wer sie doch einmal probierte, ließ schnell wieder die Finger davon. Die Tropfen schmeckten fürchterlich, wie Saft und viel zu süß, jedenfalls nicht nach Wein. Und wie die Bioprodukte allmählich zu einem Siegeszug ansetzten, immer raffinierter und geschmacklich geradezu kulinarische Effekte erzielten, erging es auch den Rebensäften frei von Alkohol. Die Herstellungstechniken wurden verbessert und damit stieg die Qualität. Foto: Mirko Vitali / stock.adobe.com 26 | Getränke! 02 | 2024 W eil sich im Laufe der Zeit die Ernährungsbedürfnisse der Menschen veränderten, und zwar zu einer gesünderen Lebensweise, tüftelten viele Winzer an neuen Methoden, alkoholfreien Wein zu kreieren, der dem Original möglichst nahekam. Sie spürten, dass sich diese Art des Weins wie heute die Bioprodukte zu einem lukrativen Geschäftsfeld entwickeln könnte. Alkoholfreier Wein Und so ist es tatsächlich gekommen. Alkoholfreier Wein sorgt wie nie zuvor für starke Umsätze. Er liegt im Trend und steht immer häufiger selbst in besseren Weinläden an prominenter Stelle in den Regalen. Selbst Konsumenten, die bei Getränken generell auf Alkohol verzichten, kommen plötzlich auf den Geschmack und wollen zum Essen zum Beispiel mal ein Gläschen Wein konsumieren. Der Marktanteil der alkoholfreien Varianten liegt im Vergleich zum gesamten Weinmarkt zwar erst bei knapp einem Prozent, hat aber in den letzten beiden Jahren einen Zuwachs von fast 20 % erlebt. Da überlegen sich immer mehr Weingüter wie Lebensmittelproduzenten bei vegetarischen und veganen Kreationen, ob sie nicht in dieses Geschäft einsteigen sollten. Denn bei alkoholfreiem Sekt, den vor gar nicht langer Zeit auch kaum jemand zu Hause seiner Familie, Freunden und Gästen kredenzen wollte, liegt der Marktanteil inzwischen schon bei sechs Prozent. Doch wie wird alkoholfreier Wein hergestellt? Was viele Menschen, die auf diesem Feld der Getränke Neulinge sind, überrascht, ist die Tatsache, dass er nicht aus Traubensaft gemacht wird, sondern aus richtigem Wein, also mit Alkohol. Ein komplizierter Prozess, der schon im Weinberg beginnt Die in der Sonne gereiften Trauben werden in den Weinbergen gepflückt und gekeltert. Dann fließt der Saft in die Holzfässer oder Stahltanks. Nun sorgt der Kellermeister dafür, dass sich mit Hilfe von Hefe der Fruchtzucker in Alkohol verwandelt. Am Ende muss dem Wein der Alkohol wieder entzogen werden. Das ist ein ziemlich komplizierter Prozess, der schon im Weinberg beginnt. Denn zunächst muss entschieden werden, welche Traubenarten sich für den alkoholfreien Wein überhaupt eignen.

ROH- UND INHALTSSTOFFE | Alkoholfreier Wein Es gibt viele Sorten, die unterschiedliche Alkoholgehalte entwickeln. Wein aus dem nörd lichen Europa wie etwa Deutschland hat in der Regel einen Alkoholanteil von acht bis neun Prozent, bei einem Shiraz aus Australien können es schon mal 15 % sein. Alkohol ist ein wichtiger und geschmacksbestimmender Bereich bei der Weinaufbereitung. Das Gleichgewicht zwischen Zucker, Säure, Aromen und Geschmack bei alkoholfreiem Wein ist geradezu eine Herausforderung. Denn es ist ein fili graner Prozess, dem Wein den Alkohol zu entziehen, aber die Aromen zurückgewinnen und dem Produkt nun wieder zuzufügen. Je besser dies klappt, je höher ist die Qualität des alkoholfreien Weins. Foto: caftor / stock.adobe.com Drei Hauptverfahren zur Herstellung alkoholfreien Weines • Die Spinning-Cone-Technik, • die Vakuumdestillation und • die Umkehrosmose. Bei der Spinning-Cone-Technik werden die einzelnen Komponenten auseinandergebrochen und anschließend ohne Alkohol wieder zusammengesetzt. Der Vorgang umfasst drei oder vier Stufen und unterschiedliche Temperaturen. Geschmacks- und Aromaprofile sind bekanntlich flüchtig und empfindlich, daher ist äußerste Vorsicht geboten. Der Kellermeister muss gut schmecken und darauf achten, dass ein Gleichgewicht zwischen Zucker und Säure, Gewicht, Mundgefühl und Geschmacksnuancen entsteht. Die Vakuumdestillation ist ein Verfahren, bei dem der Druck über dem Wein auf einen Wert unter dem Atmosphärendruck reduziert wird. Der Alkohol verdampft schon bei niedrigen Temperaturen, weil dies der Unterdruck möglich macht. Die niedrigen Temperaturen schonen die Aromen, die nun aus dem verdampften Alkohol, dem Destillat, gerettet werden müssen. Das Destillat hat Kontakt mit einem Filter, einem Harz, an dem die Aromen hängen bleiben, die anschließend als Extrakt wieder herunter gewaschen werden. Dieser Prozess ist heute der gängigste bei der Produktion von alkoholfreiem Wein. Aber jeder Winzer hat dabei natürlich sein eigenes Verfahren, das er selbstverständlich nicht preisgibt. Bei der Umkehrosmose wiederum kommt ein sehr feiner Filter zum Einsatz. Wasser- und Alkoholmoleküle sind die kleinsten Bestandteile im Wein, so dass sie leicht durch den feinen Filter fließen können. Dies gilt auch für einige Säuren. Aber die meisten Bestandteile wie Farbe, Gerbstoffe und Aromen passieren den Filter nicht. Die farblose und geschmacklose Mischung aus Wasser und Alkohol wird destilliert, um den Alkohol vom Wasser zu trennen. Das Wasser wird schließlich wieder mit der Farbe, den Gerbstoffen und den Aromen vermischt. Dies sind gegenwärtig die am häufigsten genutzten Verfahren, um dem Wein den Alkohol zu entziehen. Diese modernen Techniken haben inzwischen viele akzeptable und den Gaumen überraschende alko holfreie Tropfen hervorgebracht. Längst wird an neuen und noch besseren Techniken getüftelt, um den Geschmack und das Trinkerlebnis noch einmal zu steigern. Nach Einschätzung des Deutschen Weininstituts wird sich das Angebot an alkoholfreien Varianten in den kommenden Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ weiter erhöhen. Foto: jackfrog / stock.adobe.com Der Konsum von herkömmlichem Wein sinkt in Deutschland stetig Der Weinkonsum in Deutschland sinkt stetig. Im vergangenen Jahr ist er um ungefähr eine Flasche pro Kopf auf 19,2 Liter gesunken. Im europaweiten Vergleich liegen wir damit im Mittelfeld. Unter den EU-Staaten am höchsten ist der durchschnittliche Pro-Kopf-Weinverbrauch in Portugal. Dort beträgt er mehr als 60 Liter. Vor allem junge Erwachsene unter 35 Jahren trinken in Deutschland im Vergleich zu Älteren deutlich weniger Rebensaft. Das hat zum einen damit zu tun, dass sich der Geschmack an Wein erstmal gewöhnen muss. Zum anderen werden die gesundheitlichen Risiken von Alkoholkonsum immer stärker kommuniziert und auch von den Menschen verinnerlicht. Erst kürzlich hat die Weltgesundheitsorganisation WHO verdeutlicht, dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gibt. Vielleicht auch deshalb ist der regelmäßige Alkoholkonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen zurückgegangen. Möglicherweise trägt das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung dazu bei, dass alkoholfreie Getränke, auch alkoholfreier Wein, im Trend liegen. Alkoholfreies Bier hat sich ja in Deutschland längst etabliert und wird mittlerweile beinahe von jeder Brauerei in den Handel gebracht. „No and Low Alcohol“ ist ein Begriff vor allem bei jungen Menschen, der auch in der Fachwelt des Weins angekommen ist. Nun darf man natürlich nicht vergessen, dass auch alkoholfreier Wein genauso wie alkoholfreies Bier ein ganz kleines bisschen Alkohol enthält. In der Regel sind 0,5 Volumenprozent auf jeder Flasche ausgewiesen. Natürlich wird davon niemand betrunken. Aber viele Winzer sagen dennoch, der entalkoholisierte Wein ist lediglich ein Softdrink für Erwachsene. Und: Schmeckt der Wein ohne Alkohol inzwischen so wie der herkömmliche Rebensaft? Nein, sagen Winzer, die selbst die neuen Varianten herstellen. Das Wärmende, das Abrundende des Alkohols im Wein fehlt natürlich. Wein ohne Alkohol ist eine eigene Kategorie und wird es auch bleiben. Aber Wein ohne Alkohol steht für Genuss ohne schlechtes Gewissen. B. P. Getränke! 02 | 2024 | 27

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