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LERNEN MIT ZUKUNFT JUNI 2021

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information & gesellschaft Ehrliche Antwort erwünscht: Danke, es geht uns nicht gut SS WIE EIN TRAUM DAZU BEI, DIE ZUKUNFT ZU WIR SIND MÜDE, WIR SIND ERSCHÖPFT, DER SCHOCK STECKT TIEF IN UNSEREN KNOCHEN UND DIE WUNDEN ZEIGEN SICH OFTMALS ERST JETZT Mag. Reinhard Patricia Winter Weiner Nah am Leben Coaching & Beratung e.U. www.nah-am-leben.at Wie geht es Dir? Wie geht es euch? - fragt eine bekannte Stimme aus sicherer Distanz. Da sind sie wieder… Diese häufig gestellten Fragen, nach dem Wohlergehen des Gegenübers oder seiner Familie, als Floskeln in unser gesellschaftliches Leben integriert, zumeist auch ehrlich gemeint, aber in den seltensten Fällen ehrlich beantwortet. „Danke, geht eh,“ kommt als Antwort von der anderen Seite. Dazu ein müdes Lächeln. Da ist er wieder: dieser Kloß im Hals, der verlangt schnell weiter in Beschwichtigungen abzudriften oder ihn einfach gleich mit der Gegenfrage „Und euch?“ wegzudrücken. Eine alltägliche Szene. Und doch so zeichnend für das was gerade da ist, wir aber mit einem kurzen „Ja eh…“ oder „Geht eh…“ oder „Danke, eh…“ oder „Weißt eh…“ wieder in den Untergrund des Alltags schieben. Weils eben nicht geht. Weil wir funktionieren (müssen). Weil oft kein Platz ist für das individuelle Wohlergehen, für Sorgen, für ein Innehalten. Da stehen wir also… Nach einem Jahr Ausnahmesituation - einem Jahr kollektiver Krise – über einem Jahr Pandemie. Und obwohl es sich gerade, sehr vorsichtig gedacht, nach einem vorläufigen Ende, einer Entspannung anfühlt, geht es vielen von uns nicht so richtig gut. Sollten wir nicht den langsam zurückkommenden Normalzustand bejubeln? Wir haben ihn uns so lange herbeigesehnt und darüber visioniert. Und über diese Entwicklung, freuen wir uns „eh“. Also kollektiv betrachtet: Geht’s uns „eh“ gut. „eh“: Zwei Buchstaben, die einen Unterschied machen. Aber was für einen? Was bedeutet dieses „eh“? Ich wollte es genauer wissen: Google informiert mich darüber, dass das Wort „eh“ als Adverb für „sowieso, ohnehin (schon)“ und als Konjunktion für „bevor, früher“ steht. Also geht es uns sowieso gut, oder es ging uns früher gut. Aha…., ja, eh. Foto: © Gerd Altmann | pixabay.com 30 | JUNI 2021

WARUM GEHT’S UNS NICHT EIN- FACH NUR GUT? Wir stehen immer noch hier… Nach einem Jahr Ausnahmesituation – einem Jahr kollektiver Krise – über einem Jahr Pandemie. Wo es hingeht, wissen wir nicht. Was noch kommt, wissen wir nicht. Die Konsequenzen, sind noch immer da oder beginnen sich gerade erst richtig zu zeigen. Die Insel der Seligen, von der wir geholt wurden, ist in weiter Ferne. Es ist nicht mehr das, was es zuvor war. Wir sind einiger Erfahrungen reicher. Wir haben einige Erkenntnisse „dazugewonnen“. Wir sind verwundbar. Verletzlich. Ausgeliefert. Die Probleme des Systems und jeder Einzelnen/jedes Einzelnen haben sich an die Oberfläche gearbeitet. Wir haben funktioniert, und tun das immer noch. Der Junge, dessen ersehnter Schulstart, so ganz anders gelaufen ist, wie erzählt und der jetzt gar keine Lust mehr auf Schule hat. Die Jugendliche, die 10 Stunden am Tag lernend vor dem PC verbracht hat, und das Gefühl hat, die vielen geforderten Aufgaben nicht mehr stemmen zu können. Die Frau, die sich zwischen Homeoffice, Homeschooling und Kinderentertainment, zerreißt. Der Mann, den existenzielle Sorgen plagen, weswegen er sich in die Arbeit vertieft, und von Schulgefühlen geplagt wird, seine Frau nicht mehr zu entlasten. Das Ehepaar, dessen Probleme, sich nicht mehr länger im Trubel des Alltags verstecken lassen. Sie alle können nicht mehr, sie alle funktionieren weiter. Ihnen allen geht es nicht gut. Aber jetzt wird es doch eh wieder normaler… werden Sie sich vielleicht denken. Ja, eh! Und dennoch geht es vielen unter uns nicht so wirklich gut. Es wird besser, ja eh. Und doch… Warum ist das so? Wir haben darüber gelesen, dass viele Menschen unter dem letzten Jahr und seinen Geschehnissen gelitten haben. Wir haben Statistiken gesehen, wie viele psychische Erkrankungen sich zeigen. Wie schlecht es vielen geht. Also hatten diejenigen doch Glück, bei denen sich keine psychische Störung bemerkbar gemacht hat, oder? Sei also dankbar, und mach weiter. Oder? In meine Praxis kommen derzeit viele Menschen, die das aber nicht können. Sie sind erschöpft nach einem Jahr Durchhalten. Sie haben Sorgen, Gedanken, Ängste, Emotionen und eigene Bedürfnisse verdrängt, weil sie funktionieren mussten. Sie hatten das Gefühl die Kontrolle zu verlieren, keine erprobten Bewältigungsstrategien für die bestehende Situation zu haben, nicht Entkommen zu können. Sie haben ihr Bestes gegeben, und hatten doch das Gefühl immer nur dahin zu straucheln. Die Luft wurde angehalten, um jetzt erleichtert auszuatmen und neue Luft zu schnappen. Aber die Erleichterung tritt nicht ein. Es ist Zeit für eine Bestandsaufnahme, es ist Zeit für ein Innehalten. Nein, wir müssen nicht weitermachen, als wäre nichts gewesen. Denn die meisten von uns haben quasi Unmögliches möglich gemacht. Wir dürfen unsere Wunden lecken, uns verletzlich zeigen, Revue passieren lassen, was wir geleistet haben, Verdrängtes verarbeiten und uns neu aufstellen. Wir dürfen uns zugestehen, dass wir (teilweise schwer) gebeutelt sind, und Innehalten, um auf uns zu schauen. Denn es darf uns gut gehen. Der erste Schritt dazu ist vielleicht ganz einfach, vielleicht liegt er „eh“ schon auf der Hand… Wir dürfen in uns hineinspüren und (uns) eine ehrliche Antwort geben: „Danke, es geht uns nicht gut.“ Foto: © Engin Akyurt | pixabay.com 31 | JUNI 2021