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LERNEN MIT ZUKUNFT September 2019

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Impulsmagazin für Erwachsene, Anregungen zum Nachdenken

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information & wissenschaft LebensWandel: Im Zeitalter der Epigenomik GUTE GENE ALLEINE SIND NICHT ALLES Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien Epigenomik? Was ist das schon wieder? Seit dem Abschluß des Human Genome Projektes 2003 ist der Begriff ›Genom‹ hoffentlich schon einmal gehört worden. Das bezeichnet die Summe aller Erbanlagen (Gene) in jeder einzelnen Körperzelle. Damals war man sehr verwundert, dass statt der erwarteten 100.000 Gene nur ca. 23.000 Gene gefunden wurden. Die restlichen 80% des Erbgutes hat man einfach als ›Schrott‹ (Junk DNA) bezeichnet. Lauter defekte Genvarianten, fehlgeschlagene Versuche der Evolution, dazu inaktivierte Virusgene und unnütze genetische Elemente. In den letzten 10 Jahren haben die Forscher aber erkannt, dass dem nicht so ist: In diesen 80% DNA stecken Unmengen regulatorischer Gene, genetischer Schalter, Elemente zum Aktivieren und Inaktivieren der 23.000 funktionellen Gene. Diese spielen mit unserem Erbgut wie mit einem komplizierten Musikinstrument. Durch Anhängen chemischer Seitenketten (Methylgruppen) können Gene von jetzt auf gleich ablesbar gemacht oder im Gegenzug stillgelegt werden. Mutation und Selektion wirken nur über lange Zeiträume auf die Gene, über viele Generationen. Epigenese wirkt sofort, als direkte Reaktion auf die Umweltbedingungen eines Individuums. Sobald man anfängt, einen Muskel zu trainieren, stellen diese Schalter in den bean- spruchten Muskelzellen das Programm von ›Sofasitzen‹ auf ›Bodybuilding‹ um. Dazu wird der Energiestoffwechsel der Zellen effizienter gestaltet, die Abfallentsorgung verbessert u.v.a.m. Warum das nicht schon vorher geschah? Weil keine Notwendigkeit bestand und der Muskel im Sparmodus lief. Das gilt für alle Zellen im Körper, für alle Gewebe und Organe. Somit geben die von den Eltern ererbten Gene das Spektrum der möglichen Reaktionen vor. Innerhalb dieser Möglichkeiten bestimmen aber die Umwelteinflüsse, wie der Körper im Detail funktioniert. Soweit vielleicht noch ganz interessant, aber jetzt kommt es: Diese aktuelle Einstellung der Gene kann auch an die Kinder und Enkel vererbt werden! Zuerst fand man in Tierversuchen heraus, dass in hohem Maße energiereich (fett) gefütterte Rattenmännchen Töchter zeugten, die vermehrt an Diabetes erkrankten. Durch die Fehlernährung der Väter waren Gene für den Energiestoffwechsel auf dem väterlichen X-Chromosom anders geschaltet worden und so an die Töchter vererbt worden, die bei normaler Ernährung an Diabetes erkrankten. Rattenväter, die 3 Monate vor der Zeugung Stress hatten, zeugten vermehrt depressive Nachkommen. Inzwischen hat man durch viele Studien am Menschen diese Befunde erhärtet. Fotos © pixabay.com 14 | SEPTEMBER 2019

information & wissenschaft Die schlechte Nachricht ist also: Unser gesamter Lebenswandel schlägt sich auf unsere Gene nieder und wird auch an die Kinder vererbt. Mit allen positiven wie negativen Folgen. Jetzt die gute Nachricht: Das Ganze ist umkehrbar. Diese epistatischen Effekte sind ständig aktiv. Wenn ich mehr Sport treibe, mich gesünder ernähre, reagiert mein genetisches Programm auch darauf innerhalb kürzester Zeit. Also sollten sich nicht nur Schwangere einschränken (kein Tabak, kein Alkohol, wenig Stress), sondern auch die Väter sollten sich vor der Zeugung schon Gedanken über ihren Lebenswandel machen. INFO Peter Spork: Gesundheit ist kein Zufall. Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik. Pantheon Verlag 2019. https://www.nature.com/articles/nature09491 Diese Erkenntnisse der Genetik geben nicht nur nach Jahrhunderten Lamarck (1744-1829) Recht („Giraffen haben lange Hälse, weil sich ihre Vorfahren immer nach den Blättern gestreckt haben“: Vererbung erworbener Eigenschaften), sondern sie sollten uns alle zu einer bewussteren Lebensführung anhalten. Im Interesse unserer zukünftigen Kinder. 15 | SEPTEMBER 2019