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Centurion Germany Winter 2019

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Im Uhrzeigersinn von

Im Uhrzeigersinn von oben links: im Guerilla Tacos, Hamachi Tostada mit Seeigel, Süßkartoffeltaco, geräucherter Blumenkohltaco und Taco mit gebratenem Kabeljau; Tsubaki, ein Izakaya in Echo Park; die Shochu-Bar im Ototo; Guerrilla Tacos Koch Wes Avila angepasst an amerikanische Zutaten und Geschmacksvorlieben. Noch 2004 definierte man Fine Dining in L.A. über Restaurants, die schicke französische Speisen servierten, etwa die ehrenwerte L’Orangerie, mit der Wolfgang Puck seine Karriere in den frühen 1980ern gestartet hat. Gleichzeitig blieben Carnitas, Bulgogi, Dan Dan Mian, Phô, Kebab und Ghormeh fest im Reich der „ethnischen“ Küche verankert – was so viel wie billige Gerichte bedeutete, die von jemandem serviert wurden, dessen Muttersprache nicht Englisch war. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich die Welt des Essens verändert hat. Junge Köche von heute verfolgen nicht mehr nur eine Achse der Inspiration. Stattdessen pulsieren inspirative Ausbrüche wie Radiowellen aus Mexico City, Seoul, Teheran, Lima, Tokio, Oaxaca, Bangkok, Chengdu, Taipei, Jerusalem, Eriwan, Lagos und darüber hinaus. In Los Angeles betrachtet man viele dieser Kochtraditionen als einheimisch, denn so wie alle Wege einst nach Rom führten, sind die kulinarischen Reiserouten der Welt identisch mit denen von L.A.s Migranten-Communitys. Hin und wieder entwischt eine „ethnische“ Küche und wird zum Mainstream. Die philippinische Küche etwa hat den Sprung geschafft und so wissen die Gäste nun auch über Restaurants wie das Ma’am Sir (maamsirla.com) Bescheid. Ihm ist das gelungen, was der mittlerweile neun Jahre alte Night + Market für die Thai-Küche geschafft hat – freitagnachts die Hipster mit starken Aromen, handgemachten Cocktails und schicken Weinen magnetisch anzuziehen. „Es ist nicht nur so, dass diese Communitys hier existieren und florieren“, bemerkt der Restaurantkritiker der Los Angeles Times, Bill Addison, der seinen Posten zusammen mit Patricia Escárega besetzt. „Viele von ihnen schaffen es, am Kern ihrer Kulturen festzuhalten und diesen mit dem Gesamtgefüge von L.A zu verweben. Keine andere Stadt dieses Landes hat die vielschichtige Restaurantkultur derart auf die Spitze getrieben.“ So bleibt etwa die japanische Küche, die den Mainstream in den 1980ern erreichte, ein fester Bestandteil. Der Gipfel des Ramen-Trends liegt zwar hinter uns, doch die präzise arrangierten Sandwiches von Konbi (konbila.com) und die Sake-Karte des Ototo (ototo.la) beweisen, wie sich ein scheinbar auserzähltes kulinarisches Erbe ungebremst weiterentwickelt. Die Besitzer des Ototo, Courtney Kaplan und Charles Namba, hatten schon vorher das Tsubaki (tsubakila.com) betrieben, ein geschäftiges Restaurant, das das Izakaya (trinkbare Speisen) feierte und Kaplans Sake-Leidenschaft eine Plattform bot. Ihr neues Lokal 82 CENTURION-MAGAZINE.COM

ist lockerer – im Stil einer gut besuchten Weinbar mit Schüsseln voll Hühnchen-Karaage und gusseisernen Pfannen mit würzigen Okonomiyaki-Pfannkuchen. Natürlich steht ganz oben an der Spitze der einheimischen Küche von L.A. die mexikanische. Das angesagteste Restaurant des Jahres ist unbestreitbar das Tacos 1986 (tacos1986.com). Nach sechs Monaten als Pop-up-Konzept ist es nun fest in Downtown angesiedelt und bietet dem theatralischen Gebaren des Taqueros Jorge „El Joy“ Alvarez-Tostado eine Bühne. Er bietet Perfektion im Tijuana-Stil in Form von Adobado-Fleisch auf handgeformten Tortillas. Ein anderer umtriebiger Pop-up-Koch ist Octavio Olivas, der sein Ceviche Project (ceviche​project.com) erst kürzlich in einem Laden in Silver Lake eröffnet hat, kaum größer als eine Einzimmerwohnung. Diese Art kulinarischer Pluralismus ist der Schlüssel zur Food-Identität von L.A. – aber darum geht es nicht. Ich versuche eine lose vernetzte Gruppe von L.A. konzeptuell einzufangen, die allesamt nur eine Uber-Fahrt von Downtown L.A. arbeiten und die beinahe genetische Evolution der Küche von Los Angeles ausgelöst haben. Wie die Nightshade-Betreiberin Lin kochen sich auch die Gastronomen in dieser Kohorte quer durch drei der großen globalen Essenskulturen: asiatisch, lateinamerikanisch und anglo-europäisch. Und wie wild haben sie sich gegenseitig beflügelt und das ermöglicht, was heute als authentische L.A. Dream Cuisine gilt. Diese wegweisende Entwicklungsarbeit beschränkt sich bei Weitem nicht auf Tasting-Menüs für Spitzenverdiener. Im Baroo (baroo​losangeles.com), Sqirl (sqirlla​.com), Guerrilla Tacos (guerrilla ​tacos.com) und Porridge + Puffs (por​ridge​andpuffs​.com) ist man mit 20 US-Dollar gut dabei. Tiny Kato (katorestaurant.com) serviert taiwanesische Tasting-Menüs in einem Einkaufscenter und das noch winzigere Hayato (hayato​restaurant.com) bietet Kaiseki-Tasting-Menüs für lediglich acht Gäste pro Seating-Runde an. Guerrilla Tacos haben an einer Straßenecke begonnen. Was diese Koch-Generation verbindet, ist ihre mühelose Beherrschung kulturübergreifender Techniken – quasi polyglottes Kochen. Und bei allem Respekt vor der Bay Area haben sie das kulinarische Epizentrum des Staates nach Süden verrückt. An seinem vorherigen Posten als nationaler Restaurantkritiker für Eater durchstreifte Bill Addison fünf Jahre lang das Land und er erzählt mir „ohne mit der Wimper zu zucken“, dass er heute in der aufregendsten Food-Stadt des Landes lebe. Einen Monat bevor ich mit der Recherche für diesen Artikel begann, war ich aus einem anderen Grund in Los Angeles. Hier eine kleine Auswahl der Dinge, die ich bei diesem Besuch aß: marinierte Adobo-Hühnerschenkel, sautiert in Fischsoße und Jaggery-Rohr zucker; Oktopus-Tostada und Jakobsmuschel-Ceviche mit grünen Chili und Granatapfelkernen; eine hauchdünn gepresste und gebackene Tortilla gefüllt mit einer Handvoll geschmolzenem Käse; zweierlei handgezogene Biang-Biang-Nudeln; süße Schweineknödel; süßer Räucherfisch; „Pasta“ aus Tofu-Haut mit Gemüsepickles und sautiertem Celtuce-Salat; ein veganer Burger, für den ich mich um halb fünf Uhr nachmittags in eine Schlange stellen musste – eine Zeit, zu der andere Restaurants wegen mangelnder Kundschaft üblicherweise schließen – ein in der ganzen Stadt gefeiertes Pastramisandwich; milchiger, süßer grüner Tee, geschmückt mit warmen Tapiocaperlen; koreanisches BBQ mit zehn Banchan-Beilagen, darunter Kimchi aus Knoblauch-Schnittlauch, Kartoffelkroketten und marinierte Muscheln; gegrillte fangfrische Schwertmuscheln von einem Straßenstand; ein luftiger „puffy Sqirl-Chefin Jessica Koslow und Gabriela Cámara aus dem Contramar in Mexico City, im Santa Monica Proper Hotel, dem Zuhause ihres gemeinsamen Restaurantprojekts Onda Taco“, die Eigenkreation eines texasstämmigen L.A.-Küchenchefs; der Falafelteller eines in zweiter Generation in L.A. lebenden armenischstämmigen Gastronomen, der sein Geschäft in einem 21-Quadratmeter-Bungalow in Glendale betreibt; ein Süßkartoffeltaco und ein paar ungewöhnlich köstliche Kartoffeltaquitos mit Tomatillosalsa mit einem Teller sautierter Ridgeback-Garnelen. Sie waren – so versicherte uns der Chef, der dazu extra aus der Küche kam – noch zuckend soeben von den nahe gelegenen Channel Islands geliefert worden. Keines der von mir besuchten Restaurants hatte von den Kritikern des Guide Michelin 2019 einen Stern erhalten. Michelin war erst kürzlich nach neunjähriger Abstinenz nach L.A. zurückgekehrt und hatte sofort den Unmut auf sich gezogen, als man keines der zahllosen mexikanischen Restaurants der Stadt als „sehr gutes Restaurant in dieser Kategorie“ (also einen Stern wert) befand, ganz zu schweigen von „einen Umweg wert“ (zwei Sterne) oder gar „eine eigene Reise wert“ (drei Sterne). Wenn Jay Fais Krabbenomelett in Bangkok zählt, warum dann nicht auch Mariscos Jaliscos ( fb.com/mariscosjalisco) knuspriger Shrimp-Taco oder das rohe Seafood im Yucatán-Stil im Holbox (holboxla.com), wo der in zweiter Generation in den USA lebende Küchenchef Gilberto Cetina AquaChile-Produkte und Ceviche mit der Hingabe und den Zutaten eines Sushi-Meisters zubereitet? Zu den Gewinnern in der Zweisternekategorie gehört das Somni (exploretock.com/som) im SLS Beverly Hills. Es ist Teil des Gastroimperiums von José Andrés, der auf dem Hochglanzniveau operiert, das man bei Michelin mag. Ebenfalls dabei ist der Einheimischen-Lieblingn/ naka (n-naka.com), wo die Lebens- und Geschäftspartnerinnen Niki Nakayama und Carole Iida-Nakayama intime Kaiseki-Gerichte kreieren und dabei in einem Dutzend oder mehr Gängen essbare Porträts der vergänglichen Mikro-Erntezeiten von Südkalifornien erschaffen. › CENTURION-MAGAZINE.COM 83

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