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Automobilkonstruktion 03.2015

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ELEKTRONIK + SOFTWARE

ELEKTRONIK + SOFTWARE Fahreradaption als Brückenschlag Bertrandt begleitet den Weg zum autonomen Fahren Bertrandt verknüpfte die Sensoren einer Oberklasse- Limousine zu neuen Systemen Autonomes Fahren ist aus technischer Sicht keine Vision mehr. Ein wichtiger Schritt dorthin ist es, die Gesellschaft an diese Technologie zu gewöhnen. Dabei spielen Fahrerassistenzsysteme eine wesentliche Rolle. Bertrandt hat hierfür das Zusammenwirken von Mensch und Maschine analysiert. Das Ergebnis zeigt, dass die Erkennung von Umfeldbedingungen eines Fahrzeugs ebenso wie dessen Adaption an den Fahrer zwei fundamentale Bausteine des vollautomatisierten Individualverkehrs bilden. Die Autoren: Sebastian Schierenberg, Ralf Schoenen, Bertrandt, Ingolstadt Was für viele Menschen heutzutage noch unvorstellbar erscheint, ist aus technischer Sicht längst möglich: das autonome Fahren, also die vollautomatische Steuerung eines Autos durch den Computer. In der Luftfahrt werden bereits heute Menschenleben in die Hände von computergesteuerten Systemen gelegt. Im täglichen Straßenverkehr müsste die Akzeptanz von vollautomatischen – und bei Fehlern potenziell lebensbedrohlichen – Transportmitteln jedoch eine neue Qualität erfahren. Diesen Fahrzeugen würde vermutlich eine weit geringere Fehlerquote zugestanden als menschlichen Fahrern. Eine schrittweise Gewöhnung wird daher nötig sein, bis die Gesellschaft in der Breite reif für selbstfahrende Autos ist. Ein wahrscheinliches Szenario ist daher die Weiter- und Neuentwicklung von Fahrerassistenzsystemen, um deren Einsatzbereiche auszuweiten. Die Fahrer müssen ihre Kompetenzen freiwillig an die Assistenzsysteme abgeben und Vertrauen fassen. So kann ein gradueller Übergang zum autonomen Fahren erreicht werden. Letztendlich darf der Fahrer nie das Gefühl haben, eingrei- fen zu müssen. Ziel ist, dass die Systeme immer und unter beliebigen Rahmenbedingungen zuverlässig funktionieren. Das Fahrzeug und seine Umgebung Aktuelle Fahrerassistenzsysteme können bereits viele Standardsituationen im Straßenverkehr anhand von Sensordaten korrekt einschätzen und darauf reagieren. Es gibt jedoch fast immer auch Situationen, die nicht richtig erkannt werden und mitunter unerwünschte Verhaltensweisen der jeweiligen Systeme verursachen – beispielsweise, wenn der Abstandstempomat keine stehenden Objekte vor einer Ampel erkennt. Generell ist der Aufgabenbereich der verschiedenen Assistenzsysteme relativ begrenzt und der Datenaustausch zwischen den Systemen gering. Eine zentrale Verarbeitung und Interpretation aller Sensordaten könnte daher starke Synergieeffekte erzeugen. Bertrandt näherte sich diesem Thema zunächst von einer eher abstrakten Seite. Ingenieure und Techniker fragen sich: Welche Informationen über das Umfeld sind für ein Kraftfahrzeug 42 AutomobilKonstruktion 3/2015

eigentlich wichtig? Diese Betrachtung erfolgte zunächst ganz unabhängig von konkret verwendeter Sensorik. Ziel war die Erarbeitung einer möglichst vollständigen Sammlung von relevanten Umfeldinformationen. Ein Ansatz war, die tatsächlich für die Regelung des Fahrzeugs relevanten Faktoren zu identifizieren. Zur Einordnung kristallisierten sich folgende Kategorien heraus: physikalische Faktoren, psychologische Faktoren und die Verkehrssituation: ·Unter den physikalischen Faktoren wurden all jene zusammengefasst, die das Fahrzeug tatsächlich physikalisch in seiner Regelung beeinflussen, wie etwa die Fahrbahnreibung. ·Psychologische Faktoren stellen eine psychische Belastung für den Fahrer dar, etwa eine enge Fahrbahn aufgrund einer Baustelle. Beim komplett computergesteuerten Auto könnten die psychologischen Faktoren ignoriert werden. ·Die Verkehrssituation beinhaltet gesetzliche Einschränkungen, wie Tempolimits, und den Einfluss anderer Verkehrsteilnehmer. Vom Konzept zum Prototyp Nach diesen Vorüberlegungen setzte Bertrandt das theoretische Konzept als Prototyp um. Konkret stand hier eine vollausgestattete Oberklasse-Limousine als Entwicklungsplattform zur Verfügung. Die gesamte im Fahrzeug verfügbare Sensorik wurde in Betracht gezogen und, soweit möglich, auch plausibilisiert. Beispielsweise wurde eine Tunnelerkennung implementiert, die sowohl auf Basis der Navigationsdaten als auch des Helligkeitssensors funktioniert. Die aktuelle Verkehrsdichte wurde mit Hilfe von Front- und Heckradarsensoren sowie der verbauten Kamera ermittelt. Auch konnten Fahrbahneigenschaften wie Breite und Anzahl der Fahrspuren sowie bestimmte Wetterbedingungen detektiert werden. Es ließ sich zudem eine aus den Umfeldbedingungen resultierende, psychologische Belastung des Fahrers abschätzen, die beispielsweise durch schlechte Sichtverhältnisse zustande kommt. Die Rezeption dieser Belastung ist jedoch von Fahrer zu Fahrer verschieden, was eine weitere Herausforderung aktueller Fahrerassistenzsysteme zu Tage fördert: die mangelnde Adaption an den Fahrer. Testaufbau eines Fahrerassistenzsystems Bilder: Bertrandt Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine Auch wenn bei modernen Assistenzsystemen oftmals vielfältige Konfigurationsmöglichkeiten bestehen, werden diese kaum genutzt. Eine Fahrstilanalyse und anschließende dynamische Anpassung an den jeweiligen Fahrer kann hier helfen. Bertrandt konzentrierte sich zunächst auf die Fahrstilanalyse, wobei ein einfaches Fahrermodell zugrunde gelegt wurde. Es basiert auf der Charakterisierung des Fahrers durch mehrere Schlüsseleigenschaften wie Sportlichkeit, Aggressivität und Energieeffizienz. Die Ermittlung dieser Eigenschaften erfolgte anhand verschiedener, vom Fahrer während der Fahrt ausgeführter Manöver. Auf Basis der Fahrercharakterisierung könnten in Zukunft verschiedene Parameter von Fahrerassistenzsystemen dynamisch angepasst werden. Konkret wurde die Charakterisierung folgendermaßen durchgeführt: Immer, wenn ein bestimmtes Manöver des Fahrers detektiert wurde – beispielsweise eine Beschleunigung – wurde diesem Manöver ein bestimmter Wert für die Sportlichkeit zugewiesen. Der derzeit für den aktuellen Fahrer gespeicherte Wert der Sportlichkeit wurde dann einen Teil des Weges in Richtung des dem Manöver zugewiesenen Wertes verschoben. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass ein einzelnes Manöver keinen zu starken Einfluss auf eine Eigenschaft hat, viele ähnliche Manöver aber schließlich zu einem stationären Eigenschaftswert führen. Unabhängig vom konkreten für die Fahreradaption gewählten Ansatz ist eine enge Verknüpfung mit der Umfelderkennung sinnvoll. Da jeder Fahrer seinen Fahrstil dem Umfeld anpasst, sollte die Interpretation eines Fahrmanövers immer im Kontext der aktuellen Fahrsituation erfolgen. Auch ein sportlicher Fahrer wird sich bei schlechter Sicht eher defensiv verhalten, was jedoch nicht zu einer weniger sportlichen Charakterisierung führen darf. Allgemein sollten beliebige Adaptions-Algorithmen abstrakt als Abbildung einer Fahrsituation auf einen bestimmten Parametersatz von Assistenzsystemen begriffen werden. Für jede Situation existiert also eine zugeordnete Regelstrategie. Die Zuordnung selbst stellt das Fahrermodell dar. Die Erkennung des Fahrzeugumfelds nimmt auch hier eine zentrale Rolle ein. Zweifellos sind die Erkennung aller wichtigen Umfeldbedingungen eines Fahrzeugs ebenso wie deren Adaption an den Fahrer zwei fundamentale Bausteine des vollautomatisierten Individualverkehrs. Das Auto der Zukunft wird den menschlichen Fahrer noch mehr unterstützen. Zudem wird es seine Fahrdynamik präzise an die Vorlieben seiner Insassen anpassen. Sicherheit und Fahrkomfort werden erhöht – und ebnen dem autonomen Fahren früher oder später den Weg. IAA: Halle 5.1, Stand B20 Bertrandt AG Tel.: + 49 7034 656-0 info@bertrandt.com 3/2015 AutomobilKonstruktion 43

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