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KEM Konstruktion 05.2023

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TRENDS » Perspektiven

TRENDS » Perspektiven » Alternative Antriebe für mobile Maschinen IM ÜBERBLICK Das Problem für Brennstoffzelle sowie Biogas- und H 2 -Motor im Agrarbereich: Gasförmige Treibstoffe brauchen im Vergleich zu Diesel ein Vielfaches an Platz. Bild: New Holland/CNH Biogas als Treibstoff könnte der Landwirt künftig selbst herstellen. Dafür ist am Traktor vorne aber ein Zusatztank nötig. Zukünftige Antriebskonzepte in der Landtechnik Wo der Verbrenner noch gebraucht wird In der Landwirtschaft ist das Antriebskonzept der Zukunft noch nicht gefunden. Auch wenn theoretisch bald Wasserstoff-Motoren in Traktoren verbaut werden könnten, liegen in der Praxis noch einige Steine im Weg. Daher arbeiten die Motorenbauer auch an Biogas-Traktoren. Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion Antriebstechnisch ist gefühlt die ganze Agrarbranche im Umbruch: Um bis 2050 klimaneutral zu werden, suchen alle händeringend nach einer Alternative zum fossilen Verbrenner. Unter 100 PS und im hofnahen Einsatz kann dafür durchaus der E-Motor passen. Fendt etwa beweist das mit dem E100 Vario, der ab 2024 in Serie geht. Geladen werden kann über die in der Landwirtschaft nicht mehr untypischen Solaranlagen auf Scheunen und Ställen, immer öfter teilt sich die sogenannte Agri-Photovoltaik auch direkt den Platz mit den Feldfrüchten. Soll eine Batterie aber einen über 300 kW starken Traktor ganztägig mit dem Pflug durch den Acker ziehen, müsste diese schlicht 5 m 3 groß und 15 t schwer werden. Für diese Arbeiten braucht es daher nach wie vor die Leistungsdichte von flüssigen Treibstoffen. Denn auch die Brennstoffzelle hat ein Manko: Der Wasserstoff braucht viel mehr Platz auf dem Traktor als der bisherige Diesel. Und Platz ist knapp auf einer Agrarmaschine. Fendt erforscht die Brennstoffzelle daher im Vario 300, dem zweitkleinsten Modell der Produktpalette (max. 150 PS). Auch dort fand sich kein anderer Platz, als die H 2 -Röhren schlicht aufs Dach zu packen. Diesel noch nicht beerdigt Die Marktoberdorfer sind bekannt dafür, alte Zöpfe schnell abzuschneiden: Als das stufenlose Vario-Getriebe serienreif war, flogen die regulären Schaltgetriebe innerhalb kurzer Zeit aus allen Fendt-Traktoren. Für den Diesel sieht der Mutterkonzern Agco das Ende aber noch nicht, vielmehr hat man die haus - eigenen Selbstzünder aus dem finnischen Werk erst kürzlich fit für die Zukunft gemacht, was sie nach eigener Aussage bereits in die Nähe eines CO 2 -neutralen Betriebs bringen könne: „Die wichtigste Herausforderung bei der Produktentwicklung besteht heute darin, den fossilen Kohlenstoff loszuwerden oder ihn zumindest radikal zu reduzieren“, erklärt Kari Aaltonen, Director of Engineering bei Agco Power. Die alternativen Kraftstoffe der Zukunft, wie Wasserstoff und Gas, erfordern jedoch einen Motor, der von Grund auf so konzipiert ist, dass er mit ihnen kompatibel ist. Die neue Motorengeneration Core soll später einmal mit diesen Kraftstoffen arbeiten können. Die Konstrukteure achten dabei aber nicht nur auf eine optimale Verbrennung: Das neue Design des Motors ermöglicht auch einen verbesserten Wenderadius und eine höhere Bodenfreiheit. „Der Core75 liefert ein Drehmoment von 1.450 Nm, das höchste in seiner Leistungsklasse. Der Motor ist so konzipiert, dass er sein maximales Drehmoment bereits bei 1.300 min -1 statt der sonst üblichen 1.500 min -1 erreicht. Dieses Konzept für niedrige Drehzahlen ermöglicht den niedrigsten Kraftstoffverbrauch in seiner Leistungs- 22 KEM Konstruktion » 05 | 2023

klasse – 188 g/kWh“, so Aaltonen. Der Motor wurde zudem mit weniger Teilen konzipiert, was zuverlässiger machen und die Wartung erleichtern soll. Auch Daimler hat kürzlich den OM 471 in der dritten Generation vorgestellt. Optimiert wurden zum Beispiel die Geometrie der Kolbenmulde, das Einspritzdüsendesign und der Zylinderkopf, wodurch das Verdichtungsverhältnis des Reihensechszylinders von bislang 18,3:1 auf 20,3:1 stieg, was laut Daimler wiederum zu einer effizienteren Verbrennung mit nun 250 bar Spitzenzünddruck führe. Durch einen neuen hauseigenen Turbo in zwei Varianten können Fahrzeughersteller zwischen sparsamem Verbrauch oder hoher Leistung (max. 530 PS) wählen. Ein neu entwickeltes Motoröldruckregelventil ermöglicht dessen kennfeldgesteuerten Einsatz, was alle Motorkomponenten und ihre spezifischen Anforderungen etwa an Schmierung oder Kühlung berücksichtigt. Im Großtraktor Claas Xerion steckt aktuell die zweite Generation des OM 471, der Harsewinkler Hersteller wäre an dem neuen Aggregat aber ebenfalls interessiert, sobald eine Agrarversion des derzeit nur für Lkw klassifizierten Motors angeboten wird. Wasserstoff direkt verbrennen Auch bei Liebherr geht man derzeit mit großen Schritten in die Zukunft, Wasserstoff wird als eigener Treibstoff direkt im Motor vorangetrieben. Erste Prototypen hat die entsprechende Konzernabteilung mit Sitz in der Schweiz bereits vorgestellt: Einen 13,5-Liter-Sechszylinder mit Saugrohreinspritzung (PFI) sowie einen Vierzylinder mit 9 l Hubraum als Direkteinspritzer. Letzterer bietet ein höheres Potential in Bezug auf Verbrennungseffizienz und Leistungsdichte, wobei Liebherr auch noch andere Einspritzverfahren testet. Mit der Serienproduktion will man spätestens 2025 beginnen. Neben wasserstoffbetriebenen Motoren forscht man zudem am Einsatz von alternativen Kraftstoffen. Ein Beispiel dafür ist ein Dual-Motor, der mit einer kombinierten Wasserstoff-HVO- Einspritzung (hydriertes Pflanzenöl) bzw. mit reinem HVO betrieben werden kann. Diese Technologie soll künftig einen flexibleren Fahrzeugbetrieb mit unterschiedlichen Konfigurationen ermöglichen. Die Deutz AG plant für 2024 ebenfalls einen sechszylindrigen Wasserstoffmotor im Bereich von 275 PS in den Markt zu bringen. Aktuell wird er bereits im Einsatz getestet, zwar als Stationärmotor, künftig aber soll er vor allem schwere Fahrzeuge antreiben. Eine Agriversion mit tragendem Kurbelgehäuse sei bei Bedarf keine große Sache, auch wenn die derzeitige Version noch nicht entsprechend gebaut ist. Als Basis dient ein bestehendes Motorenkonzept, das aber angepasst wurde: Als erstes Unterscheidungsmerkmal Kurswechsel: Für die mittelschweren und schweren Daimler-Diesel ist ab 2028 Deutz verantwortlich. Eine entsprechende Kooperation wurde kürzlich vereinbart. Die Wasserstoff-Tanks des Versuchsschleppers von Fendt finden nur auf dem Dach Platz, da im Vergleich zum Diesel ein vielfaches Volumen benötigt wird. zum Diesel ist der H 2 -Motor ebenfalls ein Fremdzünder, sprich Otto-Technik. Daher braucht er eine andere Brennraumgeometrie, was auch hier großteils die Kolben realisieren. Der Kopf weißt entsprechend ebenfalls völlig andere Schwerpunkte auf: Zündkerze, Einspritzsystem im Saugrohr, höhere Kühlung, neues Aufladesystem. „Lange herrschten Ängste vor, der sehr feine Wasserstoff könnte sich auch im Kurbelgehäuse anreichern und dort explodieren. Das konnten wir aber entkräften“, versichert Deutz-Konstruktionsleiter Paul Grzeschik. Auch das Entstehen von Wasser – aus Wasserstoff und dem Sauerstoff in der Luft – im unteren Rumpfteil wird gerade ausgiebig untersucht, da es zu Korrosion und Beeinträchtigung der Schmierung führen könnte. Auch hier seien aber keine wirklichen Probleme absehbar. Eine weitere Herausforderung für die Kölner Motorenbauer war die extreme Klopfneigung des Wasserstoffs, kein Treibstoff sei hier schlimmer. Den unkontrollierten Nebenverbrennungen kann man entweder durch Verdünnung mit Luft beikommen oder durch eine Abgasrückführung. „Mit der Verdünnung durch Luft hätte aber die Aufladung sehr viel komplexer werden müssen, zudem wäre die Leistungsdynamik schlechter gewesen, was vor allem für Traktoren aber entscheidend ist“, sagt Grzeschik. Auch wenn der Wasserstoff ohne CO 2 -Emission verbrennt, die Stick- Bild: Agco/Fendt Bild: Daimler KEM Konstruktion » 05 | 2023 23

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