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KEM Konstruktion 12.2023

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TRENDS » Porträt » Nachhaltigkeit CO 2 -Emissionswerte eines Produktes entlang der Lieferkette managen „Nur, was man transparent macht, kann man aktiv beeinflussen“ Um die CO 2 -Emissionen eines Produktes aktiv beeinflussen zu können, müssen diese im ersten Schritt transparent gemacht werden. Mit der Software Sigreen stellt Siemens ein CO 2 -Management-Tool bereit, mit dem Emissionswerte entlang der Lieferkette managebar werden – einschließlich vertrauenswürdiger Abfrage, Berechnung und Weitergabe realer CO 2 -Fußabdrucksdaten eines Produktes. Dr. Gunter Beitinger, quasi der Erfinder von Sigreen, erläutert im Interview mit KEM Konstruktion|Automation, was das Softwaretool aktuell so „einzigartig“ macht. Interview: Nico Schröder, Korrespondent KEM Konstruktion|Automation, Augsburg Mit Sigreen können Informationen zum Product Carbon Footprint (PCF) entlang bereits bestehender Geschäftsbeziehungen ausgetauscht werden. KEM Konstruktion|Automa - tion: Herr Dr. Beitinger, Sie sagen: „Bis zu 90 % aller CO 2 -Emissionen der Industrie entstehen nicht bei der Produktion, sondern entlang der Lieferketten.“ Ist das der Impuls und die Ausgangslage gewesen, Sigreen zu entwickeln? Dr. Gunter Beitinger: Je nach Wertschöpfungstiefe und Position des Unternehmens in der Lieferkette können mehr als 90 % der CO 2 -Emissionen außerhalb des eigenen Betriebes entstehen. Das sehen wir beispielsweise hier bei Siemens an unserem Simatic-Portfolio. Natürlich kann der Prozentsatz auch bei 70 % oder 60 % liegen. Wir wollen jedenfalls auf ein entscheidendes Thema hinweisen – und zwar: Verantwortung für die eigene Lieferkette zu übernehmen. Bild: Siemens KEM Konstruktion|Automation: Woran liegt es, dass bis zu 90 % aller industrieller CO 2 -Emissionen in der Wertschöpfungskette liegen? Und was folgt daraus? Beitinger: Das liegt an den Zukaufteilen, also an den Modulen und Komponenten, die außerhalb des eigenen Einflussbereiches gefertigt werden. Durch die Kaufentscheidung ist man aber durchaus für diese Emissionen verantwortlich. Insofern werden vom Gesetzgeber und der Gesellschaft immer mehr Forderungen laut, dieser Verantwortung bei den Produkten gerecht zu werden. KEM Konstruktion|Automation: Wie sieht das produktseitig am Beispiel des Werkes in Amberg aus, wo Siemens speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) fertigt? Beitinger: Unsere speicherprogrammierbaren Steuerungen werden modular – ergänzt und je nach Leistungsspektrum mit Input-, Output- und Analogmodulen – ausgestattet und können die jeweiligen Automatisierungsaufgaben übernehmen. Bei Produkten wie unseren SPS liegen tatsächlich über 90% der Emissionen, die entstehen, in der Lieferkette. Wenn wir unser Produkt also umweltfreundlich am Markt positionieren wollen, müssen wir diese Emissionen transparent machen, damit wir sie beeinflussen können. Die restlichen 10 % betreffen den Anteil an Emissionen, die im eigenen Betrieb entstehen, also durch den Bezug von Elektrizität und durch die Veredelung am eigenen Standort. Die 10 % sind im Verhältnis zum Gesamten recht wenig und verhältnismäßig leicht ermittelbar. Man kann beispielsweise auf die Stromrechnung schauen und kennt damit die Emissionen, die IM INTERVIEW Dr. Gunter Beitinger ist der „Erfinder“ des CO 2 - Management-Tools Sigreen von Siemens. auf Elektrizität zurückgehen. Seine Prozesse muss man natürlich kennen. KEM Konstruktion|Automation: Auf welche Hürden stoßen Unternehmen bei der Ermittlung des Gros an Emissionswerten? Beitinger: Zum einen müssen die Informationen vom Lieferanten bereitgestellt werden. Der steht dann meistens vor der gleichen Herausforderung wie man selbst. Die erste Hürde besteht also darin, ob er überhaupt entsprechende Informationen zu den 18 KEM Konstruktion|Automation » 12 | 2023

»Wir wollen auf ein entscheidendes Thema hinweisen – und zwar: Verantwortung für die eigene Lieferkette zu übernehmen.« Bild: Siemens Emissionen liefern kann. Sollte der Lieferant dies lösen können, eventuell durch auf sogenannten Life- Cycle-Assessment (LCA)-Daten basierende Berechnungen, kann er eine Abschätzung liefern. Diesen Werten muss man am Ende allerdings vertrauen können. Das wäre gegeben, wenn der Lieferant ergänzend zu den berechneten Werten auch Hintergrundinformationen zu Prozessen, Datenquellen oder Ermittlungsverfahren, also zu seiner Lieferantenstruktur, preisgeben würde oder preisgibt. In der Regel wird er das allerdings nicht tun, da dies seine eigene Wettbewerbsfähigkeit einschränken könnte. Somit steckt man schon im zweiten Dilemma. Sollte das trotzdem gelöst werden – möglicherweise aufgrund von Machtverhältnissen oder Abhängigkeiten – muss man immer noch sicherstellen, dass die Daten, die der Zulieferer dann bereithält, aggregierbar sind. Dahinter steht folgende Frage: Hat der Lieferant wirklich die gleichen Regeln und Methoden angewandt, sodass man die Daten entlang der Lieferkette aufsummieren kann? Das wäre die dritte Hürde, die man nehmen muss. KEM Konstruktion|Automation: Sehen Sie wei - tere Herausforderungen? Beitinger: Es ist sehr aufwendig und die Verfügbarkeit von Expertenwissen spielt eine Rolle. Das ist aber lösbar. Nur diese drei Aufgaben, die mit den erwähnten Hürden verbunden sind, sind essenziell. KEM Konstruktion|Automation: Aus dieser Einsicht heraus haben Sie eine Lösung erarbeitet, die nun unter dem Namen Sigreen am Markt verfügbar ist – eben aus dem eigenen Wunsch heraus, die Produkte, die Sie in den Werken fertigen, CO 2 -neutral anbieten zu können. Wie also schaffen Sie die notwendige Transparenz? Beitinger: Hier gilt die Regel: Nur, was man misst, was man transparent macht, kann man aktiv beeinflussen. Und nur so lassen sich gezielt Maßnahmen ableiten. Ansonsten ist man im Blindflug. In der Regel werden heute produktbezogene Emissionswerte mithilfe der erwähnten Life-Cycle-Assessment- Daten ermittelt. Es handelt sich dabei um in Datenbanken verfügbare Durchschnittswerte. Über einen Dreisatz kann man damit bereits den eigenen CO 2 -Wert abschätzen. Das ist ein guter Startpunkt – vor allem, wenn das Produkt physisch noch gar nicht existiert und man dies in der Design- beziehungs - weise in der Konstruktionsphase machen will, aber keine realen Daten hat. Wenn mein Lieferant noch nicht in der Lage ist, mir Werte zu nennen, kann das ein sehr guter Start sein, weil man damit einen Anker gesetzt hat. Um produktbezogene Emissionen entlang der Lieferkette managen und letztlich reduzieren zu können, hat Dr. Gunter Beitinger das CO 2 -Management- Tool namens Sigreen entwickelt. KEM Konstruktion|Automation » 12 | 2023 19

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