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KEM Konstruktion 12.2023

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TRENDS » Porträt » Nachhaltigkeit Die Siemens-Software Sigreen bietet Mechanismen, um vertrauenswürdige CO 2 -Emissionswerte entlang der gesamten Lieferkette zu managen. KEM Konstruktion|Automation: Inwieweit lassen sich mit Sigreen wirklich Emissionen reduzieren? Beitinger: Von Durchschnittswerten müssen wir zu realen Daten kommen, um Maßnahmen ergreifen zu können, die nachhaltig wirken. Der CO 2 -Fußabdruck soll nachhaltig gesenkt werden. Entgegnen könnte man, dass in einem Produkt nun so viele Module und Komponenten existieren würden, dass man nicht alle berücksichtigen könne. Hier verweise ich auf das Pareto-Prinzip: 80–20 oder 70–30. Wenn man anfängt, kann man bei 20 bis 30 % der Komponenten 70 bis 80 % der Emissionswerte erfassen und abdecken, wenn man diese Werte beim Lieferanten anfragt. Über die Zeit kann man überlegen, wie weit man das vorantreibt. Man kann zumindest schnell für über 20 bis 30 % seiner Komponenten 70 bis 80 % des CO 2 -Fußabdrucks entlang der Lieferkette mit Realdaten abdecken und sich durch die gewonnene Transparenz Ziele setzen. Aus den Zielen heraus können Maßnahmen eingeleitet werden, deren Wirksamkeit überprüfbar wird. Diese Wirksamkeit kann durch Sigreen verifiziert werden, da Realdaten verifiziert von Lieferanten übermittelt werden können. KEM Konstruktion|Automation: Liegt die Besonderheit von Sigreen gerade in den gelösten Fragen zur Verifizierbarkeit? Beitinger: Das ist es, was Sigreen an sich so einzigartig macht. Also um vertrauenswürdige CO 2 -Emissionswerte entlang der gesamten Lieferkette zu verfolgen, brauche ich bestimmte Mechanismen. Dabei Bild: Siemens geht es um Folgendes: Lieferanten wollen die Datenfreiheit nicht aufgeben und aus Wettbewerbsgründen keine vertraulichen Informationen austauschen. Gleichzeitig man muss diesen Informationen aber vertrauen können, also müssen sie verifiziert sein. Zusätzlich bedarf es der Möglichkeit, anzugeben, nach welchen Methoden diese Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen, da Unternehmen beispielsweise nicht allein die Chemieindustrie, sondern auch die Automobilindustrie beliefern. Noch gibt es hier keine universellen Standards, weswegen Informationen entsprechend industriespezifisch weitergeben werden, um aggregierbar zu sein. KEM Konstruktion|Automation: Welche Rolle spielen Zertifikate und Zertifizierungen? Beitinger: Zertifikate sind für uns so wichtig, weil sie zum einen ermöglichen, dass Informationen weitergegeben werden, die vertrauenswürdig sind, ohne dass Details bekannt werden, ohne dass vertrauliche Informationen weitergegeben werden. Zum anderen können die verifizierbaren Zertifikate, die Verifiable Credentials, wieder zurückgezogen werden, sollte sich im Prozess etwas geändert haben. Die verifizierbaren Zertifikate werden von einer unabhängigen dritten Partei, von Akkreditierern, ausgestellt. Und das passiert über ein sogenanntes dezentrales Netzwerk. Hat ein Zertifikat seine Gültigkeit verloren, kann es mit neuem und verlässlichem Wert ausgestellt und versendet werden. Dem kann man wieder vertrauen – und hat eben die Sicherheit, seinen CO 2 -Fußabdruck immer aktuell halten zu können. Die Information des CO 2 -Wertes wird entlang bereits bestehender Geschäftsbeziehungen ausgetauscht, das Zertifikat aber über eine dezentrale Infrastruktur, wo man die Informationen mit Private Keys verschlüsselt und mit Public Keys verifizieren kann, die eben in dieser dezentralen Infrastruktur liegen. Wir nutzen das IDunion-Netzwerk beziehungsweise nennen wir es auch das Estainium-Netzwerk, weil wir dort eben einen sogenannten TSX, also einen Connector, eine Anbindung entwickelt und zum Patent gebracht haben, die die Verbindung zwischen Sigreen und dem dezentralen Netzwerk ermöglicht, sodass die Verifizierungszertifikate ausgestellt werden können. Der TSX – wir nennen ihn Trustworthy Supply Chain Exchange Connector – bildet ein wesentliches Differenzierungsmerkmal zu Lösungen, die wir bisher gesehen haben. KEM Konstruktion|Automation: Was ist datenund workflowmäßig erforderlich, um den CO 2 -Produktfußabdruck beeinflussen zu können? 20 KEM Konstruktion|Automation » 12 | 2023

Beitinger: Eingangs nutzen Sie eine Materialliste, in der die entsprechenden Detailinformationen zu Gewicht, Dimensionen und weiteren Details vermerkt sind. Auch die Lieferanten sind hinterlegt. Diese Materialliste, die aus unserer Teamcenteranwendung – unserem Backbone für das Engineering – bereitgestellt wird, wird über Sigreen abgegriffen. Anschließend kann man seine Anfrage direkt an die Lieferanten rausschicken, eben mit der Bitte, den CO 2 -Fußabdruck zu einem bestimmten Produkt, zu einer gelieferten Komponente zu bekommen. Was man im Vorfeld tun kann, sind erste Lebenszyklus-, kurz: LCA-Berechnungen des CO 2 -Fußabdrucks, um eine Vorabschätzung und klare Indikation zu haben, auf welche Baugruppen man sich fokussieren sollte, weil sie „CO 2 -auffällig“ sind. So kann die Reise gezielt beginnen, um ein Produkt umweltfreundlicher zu bekommen. Deswegen sagen wir, es handelt sich um ein Product-Carbon-Footprint-Management-Tool, weil es eben diese Transparenz sowie Fokussierung und letztlich die Beeinflussung des CO 2 -Fußabdrucks ermöglicht. KEM Konstruktion|Automation: Es wird nicht gang und gäbe sein, dass Lieferanten diese Daten bereithalten. Bild: Siemens Beitinger: So ist es. Was wir allerdings sehen, ist ein wachsender Druck seitens Regulierungsbehörden, Interessensgruppen und unserer Gesellschaft allgemein, sodass die Awareness, die Bereitschaft bei den Industrieunternehmen da ist und viele vorbereitet sind. Es hängt aber auch von der Größe eines Unternehmens und davon ab, welche Produkte mit welchen Materialien ausgeliefert werden. Und zusammenfassend: Die Emissionen, die unter der direkten Kontrolle der Unternehmen stehen, also die Scope- 1-Emissionen sowie die Emissionen aus der außerhalb des Unternehmens erzeugten gekauften Energie, also Scope 2, sind bekannt. Sie sind erfasst und können offengelegt werden. Damit werden die gesamten Fehler über die Kette bereits geringer und der Anteil an Realdaten erhöht sich. Das ist schon ein Mehrwert, wenn man in die Reise einsteigt. Darüber hinaus werden zunehmend die sogenannten Scope-3-Emissionen erfasst – die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette. Vielleicht hat ein Unternehmen auch schon ein Umweltziel kommuniziert. Falls ja, findet man in den Unternehmen bereits Strukturen vor, die eine systematische Ermittlung und Bereitstellung der Daten eben ermöglichen. KEM Konstruktion|Automation: Und wenn dem nicht so ist? Beitinger: Dann sollten die Unternehmen den Einsatz von Tools wie Sigreen zur Unterstützung in jedem Fall in Erwägung ziehen, da die Erfassung und Analysen dieser Daten und des Energieverbrauchs einschließlich der Endanwendung den Rahmen der manuellen Techniken immer sprengen. Durch den Einsatz geeigneter Softwarewerkzeuge kann sich ein Unternehmen viel Wiederholungsarbeit ersparen, weil die Daten systematisch erfasst werden. KEM Konstruktion|Automation: In welche Richtung entwickeln sich Regularien und Reporting- Pflichten mit Blick auf die komplexe Thematik Product Carbon Footprint aktuell? Beitinger: Es existieren verschiedene Normen und Leitfäden, die definieren, wie ein Product Carbon Nach Werksleitungen in den USA und Mexiko ist Dr. Gunter Beitinger seit 2015 für die Werke der Geschäftseinheit Factory Automation bei Siemens Digital Industries verantwortlich – unter anderem auch für das Siemens-Werk in Amberg. »Die Entnahme von Emissionen aus der Atmosphäre ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Die reine Vermeidung und Reduzierung wird nicht ausreichen, um die Erderwärmung in dem Umfang zu reduzieren, sodass wir von weiteren Umweltkatastrophen verschont werden.« KEM Konstruktion|Automation » 12 | 2023 21

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